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III. Neue Bereichsordnungen






Nach vorherrschender Ansicht der modernen Soziologie sind hochentwickelte Gesellschaften, unbeschadet mancher Restbestnde aus lteren Schichtungen, funktional gegliedert: nicht in statische Gegenstands oder Positionsbereiche, sondern dynamisch in Funktionsbereiche, gekennzeichnet durch institutionalisierte Optionen fr bestimmte Problemstellungen und Problemlsungen, einschlielich der jeweiligen nichtdominanten funktionalen Alternativen und quivalente. Das ist beispielsweise die groe Option einer kapitalistischen Wirtschaft fr den Markt, in ungleicher Koexistenz mit kleinen Alternativen oder auch greren Abweichungen, von der privaten Tauschwirtschaft bis zum brokratischen Staatskapitalismus.

Diesem funktionalistischen Gesellschaftsmodell der Theorie sozialer Systeme und ausdifferenzierter Subsysteme entspricht die ordnungspolitisch gesehen sektoral eingeteilte Welt des Wissens nur bedingt. Wenn also im folgenden von Bereichsordnungen gesprochen wird, sind damit die jeweiligen ordnungspolitischen Regelungen fr die groen Wissensbestnde bzw. Informationssektoren der Gesellschaft gemeint, ohne funktionale Vorentscheidung ber deren bestimmungsgemen richtigen Gebrauch. Fast alle Wissensarten sind vielfltig verwendbar (multifunktional in der Sprache des soziologischen Funktionalismus), ohne deswegen immer ihre Bereichszugehrigkeit und Ordnungsmatrix zu ndern.

So knnen die gleichen Daten innerhalb desselben Informationsbereichs desinteressiert oder interessiert erhoben und ausgewertet werden. Ersteres fiele, fr sich allein gesehen, unter die Klassische Wissensordnung, letzteres unter die Technologische oder konomische Wissensordnung. Derartige Fluktuationen des Gebrauchs oder gar nur der Absicht ndern nichts an der Mageblichkeit der sektoralen Gliederung in grere Bereiche, deren vorherrschende Wissensordnungen im Umgang mit den Wissensbestnden durchaus einigen Funktionsspielraum einrumen. Nicht zuletzt wegen dieser Flexibilitt ist ja das Ordnungskonzept dem Systemkonzept vorgezogen worden.

Der Wandel der Wissensordnung und die Neuordnung der davon unterschiedlich betroffenen Wissensbereiche sind lngst im vollen Gange, nach einem vielzitierten aber nie genau formulierten Gesetz der ungleichen Entwicklung. Das bereits jetzt konstatierbare Ergebnis ist ein ordnungspolitischer Pluralismus von (mindestens) acht Bereichsordnungen, aus denen sich die Neue Wissensordnung des Informationszeitalters zusammensetzt. Die folgende Zwischenbilanz zeigt ein spannungsreiches Nebeneinander teils komplementrer, teils konkurrierender Regelungen.

Ob sie zu einer einheitlichen, umfassenden gesamtgesellschaftlichen oder gar weltweiten Informationsordnung aus einem Gu weiterentwickelt werden kann (und sollte!), ist eine offene Frage, die sich beim gegenwrtigen Stand der Dinge nicht stellt. Die seit dem Golfkrieg in der Presse herumgeisternde Neue Weltordnung gibt es nicht. Und wenn es sie gbe, wre es eine Macht-, keine Informationsordnung allerdings mit erheblichen, vermutlich unguten Auswirkungen auf diese. Das hat sich bei der Golfkriegs-Berichterstattung zur Genge gezeigt, die der Neuen Internationalen Informationsordnung des Freien Informationsflusses (Free Flow of Information) in keiner Weise entsprach.

Die neuen Bereichsordnungen entstehen aus der entwicklungsgem gewachsenen oder durch Eingriffe bewerkstelligten Aufhebung von mindestens einer der vier klassischen Sonderregelungen. Nicht dieses Ergebnis, sondern das Gegenteil wre heutzutage ein Ausnahmefall. Ohne wirksame Vorkehrungen wchst auch hier zusammen, was ohne sie im wirklichen Leben zusammen gehrt, ob wir es fr richtig halten oder nicht. Das ist zwar natrlich, wre aber nicht gut fr manche Wissensbereiche, denen die knstlichen Trennungen angemessener zu sein scheinen.

Die vier Abkopplungen der Klassischen Wissensordnung bilden zwar eine kognitive Matrix aus verbundenen, aufeinander abgestimmten Regelungen, jedoch keine Paketlsung in dem Sinne, da es bei ihrer Aufhebung immer um alles oder nichts ginge. Sie hngen praktisch mehr oder weniger eng zusammen, so da es bei der Aufhebung einer Abkopplung zumeist nicht bleibt.

Die Unterscheidung von eigenstndigen Bereichsordnungen ist theoretisch sinnvoll und praktisch bedeutsam, schliet aber berschneidungen und flieende bergnge nicht aus. Umso wichtiger ist ihre klare analytische Beschreibung in den unterscheidenden Bestimmungen, wie im folgenden versucht. Beim gegenwrtigen Stand der Diskussion kann die Zwischenbilanz nur ein Panorama aus grerer Hhe sein, als Wanderkarte fr eingehendere Erkundungen in jedem Bereich.

Das Ergebnis sind ebenso unbefriedigende wie hoffe ich hilfreiche Kurzbeschreibungen, deren Ordnungsprofile als Steckbrief gelesen werden sollten: Gesucht wird

In der Akademischen Wissensordnung der universitren, mit Abstrichen auch der aueruniversitren Wissensschaftsverfassung lebt die Klassische Wissensordnung fort: zeitgem fortgeschrieben, den heutigen Anforderungen mehr oder weniger gengend, immer noch behaftet mit dem Geburtsfehler der hinkenden Trennung von Wissenschaft und Staat, zu dem im Informationszeitalter die hinkende Trennung von der Wirtschaft kommen mag.

Davon abgesehen, ist es ein vergleichsweise gelungener Versuch, die funktionalen Trennungen der Klassischen Wissensordnung fr die Produktion und Publikation wissenschaftlicher Erkenntnisse aufrecht zu erhalten, soweit dies unter den heutigen Verhltnissen noch mglich ist. Fr die Verwendung und Verwertung gilt dies weniger.

Der grte Vorzug der Akademischen Wissensordnung ist die den ganzen Wissenschaftsbereich abdeckende Infrastruktur der Kritik zur systematischen Fehlerkorrektur, wie sie in dieser Breite und Effizienz in keinem anderen Wissensbereich zu finden ist. Dadurch ist die Wissenschaft zu dem vermutlich wissensehrlichsten und kritikoffensten Erkenntnisbereich unserer Gesellschaft geworden, mit dem geringsten Ausma an Lge, Tuschung und bewuter Desinformation und den vergleichsweise besten Bedingungen fr die Chancengleichheit von Gegeninformation.

Da der Grund dafr nicht in der greren Wahrheitsliebe, Unvoreingenommenheit oder Fairne der Wissenschaftler liegt, sondern in den geringeren Erfolgschancen fr Wissenskriminalitt und informationelles Fehlverhalten, streicht die Einzigartigkeit der Akademischen Wissensordnung noch mehr hervor. Sie ist allerdings an ein Sondermilieu gebunden, dessen Binnenordnung durch die geschilderte Entwicklung immer mehr unter Druck gert.

Dank ihrer Wissensordnung und Infrastruktur der Kritik wird die Wissenschaft mit dem informationellen Fluch aller wohletablierten Institutionen dem Besttigungsfehler - besser fertig als andere Einrichtungen. Diese Vorzge sind allerdings in zweifacher Hinsicht eng begrenzt: zum einen sektoral auf das Bettigungsfeld der wertfreien Erkenntnis; zum anderen funktional auf deren Erzeugung und Verffentlichung. Jeder Schritt darber hinaus in Richtung auf Weltanschauungsfragen, Anwendungsprobleme oder Beratungsaufgaben fhrt zu deutlichen Abstrichen, die bis zum Umschlag ins Gegenteil gehen knnen.

Inhaltlich betrachtet, entspricht die Akademische Wissensordnung der zwecks Fortschreibung des Theoretisierungsprogramms den heutigen Verhltnissen - mehr schlecht als recht, wie viele Kritiker der heutigen Universittsverhltnisse meinen - angepaten Klassischen Wissensordnung, gekennzeichnet durch die vier beschriebenen Abkopplungen der kognitiven Ausgangsmatrix. Diese werden einerseits auf ihren ordnungspolitischen Barwert herunterdiskontiert durch das konomische Realittsprinzip der Trennung von den Betriebsmitteln; andererseits nachhaltig gestrkt durch die verfassungsrechtlich eingerumte Wissenschaftsfreiheit, welche neben individuellen Freiheiten auch institutionelle Garantien einschliet. Institutionell gesehen, ist die Akademische Wissensordnung im universitren, teils auch im industriellen Bereich aufrechterhalten oder neugeschaffen durch die staatliche Einrichtung und rechtliche Absicherung Freier Forschung & Lehre im Sinne von Art. 5, Abs. III des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, in hnlicher Weise in den meisten Staaten der westlichen Welt.

Obwohl die verfassungsmigen Forschungs-, Lehr und Verbreitungsrechte der Wissenschaft schlechthin eingerumt werden, wo und wie simmer sie institutionell verortet sein mag, handelt es sich de facto im wesentlichen um eine Bereichsordnung fr die Reine Wissenschaft des hochtheoretisierten Wissensbereichs, d. h. fr Bildungs und Fachwissen (unter zunehmender Schwerpunktverlagerung zugunsten des letzeren). Dafr ist das akademisch-universitre Sondermilieu ein geeignetes Realisierungsfeld, obgleich auch hier die Friktionen der Realitt manche Abstriche bewirken.

 

 

 

 

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