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Die Harzreise. Je höher man den Berg hinaufsteigt, desto kürzer, zwerghafter werden die Tannen, sie scheinen immer mehr und mehr zusammenzuschrumpfen






(Auszug)[2]

 

Je hö her man den Berg hinaufsteigt, desto kü rzer, zwerghafter werden die Tannen, sie scheinen immer mehr und mehr zusammenzuschrumpfen, bis nur Heidelbeer- und Rotbeersträ uche und Bergkrä uter ü brigbleiben. Da wird es auch schon fü hlbar kä lter. Die wunderlichen Gruppen der Granitblö cke werden hier erst recht sichtbar; diese sind oft von erstaunlicher die bö sen Geister einander zuwerfen in der Walpurgisnacht, wenn hier die Hexen auf Besenstielen und Mistgabeln einhergeritten kommen und die abenteuerlich verruchte Lust beginnt, wie die glaubhafte Amme es erzä hlt und wie es zu schauen ist auf den hü bschen Faustbildern des Meister Retzsch. Ja, ein junger Dichter, der auf einer Reise von Berlin nach Gö ttingen in der ersten Mainacht am Brocken vorbeiritt, bemerkte sogar, wie einige belletristische Damen auf einer Bergecke ihre ä sthetische Teegesellschaft hielten, sich gemü tlich die «Abendzeitung» vorlasen, ihre poetischen Ziegenbö ckchen, die meckernd den Teetisch umhü pften, als Universalgenies priesen und ü ber alle Erscheinungen in der deutschen Literatur ihr Endurteil fä llten; doch als sie auch auf den «Ratcliff» und «Almansor» gerieten und dem Verfasser alle Frö mmigkeit und Christlichkeit absprachen, da strä ubte sich das Haar des jungen Mannes, Entsetzen ergriff ihn – ich gab dem Pferde die Sporen und jagte vorü ber.

In der Tat, wenn man die obere Hä lfte des Brockens besteigt, kann man sich nicht erwehren, an die ergö tzlichen Blocksbergsgeschichten zu denken und besonders an die groß e, mystische, deutsche Nationaltragö die vom Doktor Faust. Mir war immer, als ob der Pferdefuß neben mir hinaufklettere und jemand humoristisch Atem schö pfe. Und ich glaube, auch Mephisto muß mit Mü he Atem holen, wenn er seinen Lieblingsberg ersteigt; es ist ein ä uß erst erschö pfender Weg, und ich war froh, als ich endlich das langersehnte Brockenhaus zu Gesicht bekam.

Dieses Haus, das, wie durch vielfache Abbildungen bekannt ist, bloß aus einem Parterre besteht und auf der Spitze des Berges liegt, wurde erst 1800 vom Grafen Stolberg-Wernigerode erbaut, fü r dessen Rechnung es auch, als Wirtshaus, verwaltet wird. Die Mauern sind erstaunlich dick, wegen des Windes und der Kä lte im Winter; das Dach ist niedrig, in der Mitte desselben steht eine turmartige Warte, und bei dem Hause liegen noch zwei kleine Nebengebä ude, wovon das eine, in frü hern Zeiten, den Brockenbesuchern zum Obdach diente.

Der Eintritt in das Brockenhaus erregte bei mir eine etwas ungewö hnliche, mä rchenhafte Empfindung. Man ist nach einem langen, einsamen Umhersteigen durch Tannen und Klippen plö tzlich in ein Wolkenhaus versetzt; Stä dte, Berge und Wä lder blieben unten liegen, und oben findet man eine wunderlich zusammengesetzte, fremde Gesellschaft, von welcher man, wie es an dergleichen Orten natü rlich ist, fast wie ein erwarteter Genosse, halb neugierig und halb gleichgü ltig, empfangen wird. Ich fand das Haus voller Gä ste, und wie es einem klugen Manne geziemt, dachte ich schon an die Nacht, an die Unbehaglichkeit eines Strohlagers; mit hinsterbender Stimme verlangte ich gleich Tee, und der Herr Brockenwirt war vernü nftig genug, einzusehen, daß ich kranker Mensch fü r die Nacht ein ordentliches Bett haben mü sse. Dieses verschaffte er mir in einem engen Zimmerchen, wo schon ein junger Kaufmann, ein langes Brechpulver in einem braunen Oberrock, sich etabliert hatte.

In der Wirtsstube fand ich lauter Leben und Bewegung. Studenten von verschiedenen Universitä ten. Die einen sind kurz vorher angekommen und restaurieren sich, andere bereiten sich zum Abmarsch, schnü ren ihre Ranzen, schreiben ihre Namen ins Gedä chtnisbuch, erhalten Brockensträ uß e von den Hausmä dchen; da wird in die Wangen gekniffen, gesungen, gesprungen, gejohlt, man fragt, man antwortet, gut Wetter, Fuß weg, Prosit, Adieu. Einige der Abgehenden sind auch etwas angesoffen, und diese haben von der schö nen Aussicht einen doppelten Genuß, da ein Betrunkener alles doppelt sieht.

Nachdem ich mich ziemlich rekreiert, bestieg ich die Turmwarte und fand daselbst einen kleinen Herrn mit zwei Damen, einer jungen und einer ä ltlichen. Die junge Dame war sehr schö n. Eine herrliche Gestalt, auf dem lockigen Haupte ein helmartiger, schwarzer Atlashut, mit dessen weiß en Federn die Winde spielten, die schlanken Glieder von einem schwarzseide nen Mantel so fest umschlossen, daß die edlen Formen hervortraten, und das freie, groß e Auge ruhig hinabschauend in die freie, groß e Welt.

Als ich noch ein Knabe war, dachte ich an nichts als an Zauber- und Wundergeschichten, und jede schö ne Dame, die Strauß federn auf dem Kopfe trug, hielt ich fü r eine Elfenkö nigin, und bemerkte ich gar, daß die Schleppe ihres Kleides naß war, so hielt ich sie fü r eine Wassernixe. Jetzt denke ich anders, seit ich aus der Naturgeschichte weiß, daß jene symbolischen Federn von dem dü mmsten Vogel herkommen und daß die Schleppe eines Damenkleides auf sehr natü rliche Weise naß werden kann. Hä tte ich mit jenen Knabenaugen die erwä hnte junge Schö ne, in erwä hnter Stellung, auf dem Brocken gesehen, so wü rde ich sicher gedacht haben: das ist die Fee des Berges, und sie hat eben den Zauber ausgesprochen, wodurch dort unten alles so wunderbar erscheint. Ja, in hohem Grade wunderbar erscheint uns alles beim ersten Hinabschauen vom Brocken, alle Seiten unseres Geistes empfangen neue Eindrü cke, und diese, meistens verschiedenartig, sogar sich widersprechend, verbinden sich in unserer Seele zu einem groß en, noch unentworrenen, unverstandenen Gefü hl. Gelingt es uns, dieses Gefü hl in seinem Begriffe zu erfassen, so erkennen wir den Charakter des Berges. Dieser Charakter ist ganz deutsch, sowohl in Hinsicht seiner Fehler scher. Mit deutscher Grü ndlichkeit zeigt er uns, klar und deutlich, wie ein Riesenpanorama, die vielen hundert Stä dte, Stä dtchen und Dö rfer, die meistens nö rdlich liegen, und ringsum alle Berge, Wä lder, Flü sse, Flä chen, unendlich weit. Aber eben dadurch erscheint alles wie eine scharf gezeichnete, rein illuminierte Spezialkarte, nirgends wird das Auge durch eigentlich schö ne Landschaften erfreut; wie es denn immer geschieht, daß wir deutschen Kompilatoren wegen der ehrlichen Genauigkeit, womit wir alles und alles hingeben wollen, nie daran denken kö nnen, das einzelne auf eine schö ne Weise zu geben. Der Berg hat auch so etwas Deutschruhiges, Verstä ndiges, Tolerantes; eben weil er die Dinge so weit und klar ü berschauen kann. Und wenn solch ein Berg seine Riesenaugen ö ffnet, mag er wohl noch etwas mehr sehen als wir Zwerge, die wir mit unsern blö den Ä uglein auf ihm herumklettern. Viele wollen zwar behaupten, der Brocken sei sehr philiströ se, und Claudius sang: «Der Blocksberg ist der lange Herr Philister!» Aber das ist Irrtum. Durch seinen Kahlkopf, den er zuweilen mit einer weiß en Nebelkappe bedeckt, gibt er sich zwar einen Anstrich von Philiströ sitä t; aber wie bei manchen andern groß en Deutschen geschieht es aus purer Ironie. Es ist sogar notorisch, daß der Brocken seine burschikosen, phantastischen Zeiten hat, z.B. die erste Mainacht. Dann wirft er seine Nebelkappe jubelnd in die Lü fte und wird, ebensogut wie wir ü brigen, recht echtdeutsch romantisch verrü ckt.

 


Heinrich Heine


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