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London, 14. Mai 1602 2 ñòðàíèöà






Also nahm ich mit steinerner Miene im Taxi Platz und guckte beim Anfahren starr geradeaus. Gideon neben mir sah aus dem Fenster. Der Taxifahrer musterte unsere Kostü me im Rü ckspiegel mit hochgezogenen Augenbrauen, sagte aber nichts. Das musste man ihm hoch anrechnen.

»Es ist gleich halb sieben«, sagte Gideon zu mir, offensichtlich um neutrale Konversation bemü ht.»Kein Wunder, dass ich vor Hunger sterbe.«

Jetzt wo er es aussprach, merkte ich, dass es mir ganz ä hnlich ging. Meinen Frü hstü ckstoast hatte ich wegen der miesen Stimmung am Familienfrü hstü ckstisch nicht mal halb heruntergewü rgt und das Schulessen war wie immer ungenieß bar gewesen. Mit einer gewissen Sehnsucht dachte ich an die appetitlich hergerichteten Sandwichs und Scones auf Lady Tilneys Teetafel, die uns leider entgangen waren.

Lady Tilney! Jetzt erst fiel mir ein, dass Gideon und ich uns besser absprechen sollten, was unser Abenteuer im Jahr 1912 anging. Schließ lich war die Sache mehr als aus dem Ruder gelaufen und ich hatte keine Ahnung, was die Wä chter, die in Sachen Zeitreisemission so gar keinen Spaß verstanden, davon halten wü rde. Gideon und ich waren mit dem Auftrag in die Zeit gereist, Lady Tilney in den Chronografen einzulesen (die Grü nde dafü r hatte ich, ganz nebenbei bemerkt, noch immer nicht ganz kapiert, aber das Ganze schien ungeheuer wichtig zu sein; soweit ich wusste, ging es um die Rettung der Welt, mindestens). Bevor wir das allerdings erledigen konnten, kamen meine Cousine Lucy und Paul ins Spiel - ihres Zeichens die Bö sewichte der ganzen Geschichte. Davon war zumindest Gideons Familie ü berzeugt und er mit ihnen. Lucy und Paul hatten angeblich den zweiten Chronografen gestohlen und sich damit in der Zeit versteckt. Seit Jahren hatte niemand von ihnen gehö rt - bis sie bei Lady Tilney auftauchten und unsere kleine Teegesellschaft ziemlich durcheinanderwirbelten.

Wann allerdings genau die Pistolen ins Spiel gekommen waren, das hatte ich vor lauter Schreck verdrä ngt, aber irgendwann hatte Gideon eine Waffe an Lucys Kopf gehalten, eine Pistole, die er genau genommen gar nicht hä tte mitnehmen dü rfen. (Wie ich nicht mein Handy, aber mit einem Handy konnte man wenigstens niemanden erschieß en!) Daraufhin waren wir in die Kirche geflü chtet. Aber die ganze Zeit war ich das Gefü hl nicht losgeworden, dass die Sache mit Lucy und Paul nicht ganz so schwarz-weiß war, wie die de Villiers es gerne behaupteten.

»Was sagen wir denn nun wegen Lady Tilney? «, fragte ich.

»Naja.«Gideon rieb sich mü de ü ber die Stirn.»Nicht, dass wir lü gen sollten, aber vielleicht wä re es in diesem Fall klü ger, die eine oder andere Sache wegzulassen. Am besten, du ü berlä sst das Reden komplett mir.«

Da war er wieder, der altvertraute Kommandoton.»Ja, klar«, sagte ich.»Ich werde nicken und die Klappe halten, wie sich das fü r ein Mä dchen gehö rt.«

Unwillkü rlich verschrä nkte ich die Arme vor der Brust. Warum konnte sich Gideon nicht einmal normal benehmen? Erst kü sste er mich (und zwar nicht nur einmal!), um gleich darauf wieder einen auf Groß meister der Wä chter-Loge zu machen?

Wir schauten angelegentlich aus unseren jeweiligen Fenstern.

Es war Gideon, der schließ lich das Schweigen brach, und das erfü llte mich mit einer gewissen Genugtuung.»Was ist los, hat die Katze deine Zunge gestohlen? «So wie er es sagte, klang es fast verlegen.

»Wie bitte? «

»Das hat meine Mutter immer gefragt, als ich klein war. Wenn ich so verstockt vor mich hin geguckt habe wie du gerade.«

»Du hast eine Mutter? « Erst als ich es ausgesprochen hatte, merkte ich, wie dä mlich diese Frage war. Meine Gü te!

Gideon zog eine Augenbraue hoch.»Was hast du denn gedacht? «, fragte er amü siert.»Dass ich ein Androide bin und von Onkel Falk und Mr George zusammengeschraubt wurde? «

»Das ist gar nicht mal so abwegig. Hast du Babyfotos von dir? «Bei dem Versuch, mir Gideon als Baby vorzustellen, mit einem runden, weichen Pausbackengesicht und einer Babyglatze, musste ich grinsen.»Wo sind denn deine Mum und dein Dad? Leben sie auch hier in London? «

Gideon schü ttelte den Kopf.»Mein Vater ist tot und meine Mutter lebt in Antibes in Sü dfrankreich.«Fü r einen kurzen Moment presste er seine Lippen aufeinander und ich dachte schon, er wü rde wieder in sein Schweigen zurü ckfallen. Aber dann fuhr er fort:»Mit meinem kleinen Bruder und ihrem neuen Mann, Monsieur Nenn-mich-doch-Papa Bertelin. Er hat eine Firma, die Mikroteile aus Platin und Kupfer fü r elektronische Gerä te herstellt, und offensichtlich lä uft das Geschä ft super: Seine protzige Jacht hat er jedenfalls Krö sus genannt.«

Ich war ehrlich verblü fft. So viele persö nliche Informationen auf einmal, das sah Gideon gar nicht ä hnlich.»Oh, aber das ist doch sicher cool, dort Ferien zu machen, oder nicht? «

»Ja, klar«, sagte er spö ttisch.»Es gibt einen Pool so groß wie drei Tennisplä tze und die bescheuerte Jacht hat goldene Wasserhä hne.«

»Stelle ich mir auf jeden Fall besser vor als ein unbeheiztes Cottage in Peebles.«In meiner Familie verbrachte man die Sommerferien grundsä tzlich in Schottland.

»Wenn ich du wä re und eine Familie in Sü dfrankreich hä tte, wü rde ich sie jedes Wochenende besuchen. Selbst, wenn sie keinen Pool und keine Jacht hä tten.«

Gideon sah mich kopfschü ttelnd an.»Ach ja? Und wie wü rdest du das anstellen, wenn du dabei alle paar Stunden in die Vergangenheit springen mü sstest? Nicht unbedingt ein prickelndes Erlebnis, wenn man gerade mit hundertfü nfzig Sachen auf der Autobahn entlangfä hrt.«

»Oh.«Diese Zeitreisegeschichte war irgendwie noch zu neu fü r mich, als dass ich mich mit allen Konsequenzen auseinandergesetzt hä tte. Es gab nur zwö lf Trä ger des Gens - quer ü ber alle Jahrhunderte verteilt - und ich konnte immer noch nicht recht fassen, dass ich einer von ihnen war. Vorgesehen war eigentlich meine Cousine Charlotte gewesen, die sich mit Feuereifer auf ihre Rolle vorbereitet hatte. Aber meine Mutter hatte aus unerfindlichen Grü nden mit den Daten meiner Geburt getrickst und nun hatten wir den Salat. Genau wie Gideon hatte ich nun die Wahl, entweder kontrolliert mithilfe des Chronografen in die Zeit zu springen oder aber jederzeit und an jedem Ort von einem Zeitreisesprung ü berrascht zu werden, was, wie ich aus eigener Erfahrung wusste, nicht gerade angenehm war.

»Du mü sstest natü rlich den Chronografen mitnehmen, damit du zwischendurch immer in ungefä hrliche Zeiten elapsieren kö nntest«, ü berlegte ich laut.

Gideon stieß ein freudloses Schnauben aus.»Ja, auf diese Weise ist natü rlich sehr entspanntes Reisen mö glich und man lernt auch gleich noch so viele historische Orte an der Strecke kennen. Aber mal abgesehen davon, dass man mir niemals erlauben wü rde, mit dem Chronografen im Rucksack durch die Gegend zu fahren - was wü rdest du denn solange ohne das Ding machen? «Er sah an mir vorbei aus dem Fenster.»Dank Lucy und Paul gibt es nur noch einen oder hast du das vergessen? «Seine Stimme war wieder hitzig geworden, wie immer, wenn von Lucy und Paul die Rede war.

Ich zuckte mit den Schultern und sah ebenfalls aus dem Fenster. Das Taxi schlich in Schrittgeschwindigkeit in Richtung Picadilly. Na super. Feierabendverkehr in der City. Wahrscheinlich wä ren wir zu Fuß schneller gewesen.

»Dir ist offensichtlich noch nicht ganz klar, dass du nicht mehr viel Gelegenheit haben wirst, von dieser Insel herunterzukommen, Gwendolyn! «In Gideons Stimme schwang Bitterkeit mit.»Oder aus dieser Stadt heraus. Anstatt dich Urlaub in Schottland machen zu lassen, hä tte deine Familie dir lieber mal die groß e weite Welt gezeigt. Jetzt ist es dafü r zu spä t. Stell dich darauf ein, dass du dir alles, wovon du trä umst, nur noch ü ber Google Earth anschauen kannst.«

Der Taxifahrer kramte ein zerfleddertes Taschenbuch hervor, lehnte sich in seinem Sitz zurü ck und begann ungerü hrt zu lesen.»Aber... du bist doch in Belgien gewesen und in Paris«, sagte ich.»Um von dort in die Vergangenheit zu reisen und das Blut von wie hieß er noch gleich und dieser Dings...«

»Ja, klar«, fiel er mir ins Wort.»Zusammen mit meinem Onkel, drei Wä chtern und einer Kostü mbildnerin. Ganz tolle Reise! Abgesehen davon, dass Belgien ja auch so ein wahnsinnig exotisches Land ist. Trä umen wir nicht alle davon, mal fü r drei Tage nach Belgien zu reisen? «

Von seiner plö tzlichen Heftigkeit eingeschü chtert, fragte ich leise:»Wo wü rdest du denn hinfahren, wenn du es dir aussuchen kö nntest? «

»Du meinst, wenn ich nicht mit diesem Zeitreisefluch geschlagen wä re? Oh Gott - ich wü sste gar nicht, wo ich anfangen wü rde. Chile, Brasilien, Peru, Costa Rica, Nicaragua, Kanada, Alaska, Vietnam, Nepal, Australien, Neuseeland...«Er grinste schwach.»Naja, so ziemlich ü berall hin auß er auf den Mond. Aber es macht nicht wirklich Spaß, darü ber nachzudenken, was man im Leben niemals tun kann. Wir mü ssen uns damit abfinden, dass unser Leben reisetechnisch eher eintö nig ausfallen wird.«

»Wenn man von den Zeitreisen mal absieht.«Ich wurde rot, weil er»unser Leben«gesagt hatte und es irgendwie so... intim klang.

»Das ist wenigstens so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit fü r diese ewige Kontrolle und das Eingesperrtsein«, sagte Gideon.»Wenn es die Zeitreisen nicht gä be, wä re ich vor Langeweile lä ngst gestorben. Paradox, aber wahr.«

»Mir wü rde es als Nervenkitzel genü gen, ab und zu einen spannenden Film anzuschauen, ehrlich.«

Sehnsü chtig sah ich einem Radfahrer nach, der sich durch den Stau schlä ngelte. Ich wollte endlich nach Hause! Die Autos vor uns bewegten sich keinen Millimeter, was unserem lesenden Fahrer ganz recht zu sein schien.

»Wenn deine Familie in Sü dfrankreich lebt - wo wohnst du denn dann? «, fragte ich Gideon.

»Seit Neustem habe ich eine Wohnung in Chelsea. Aber da bin ich eigentlich nur zum Duschen und Schlafen. Wenn ü berhaupt.«Er seufzte. Zumindest in den letzten drei Tagen hatte er offensichtlich genauso wenig Schlaf abbekommen wie ich. Wenn nicht noch weniger.»Vorher habe ich bei meinem Onkel Falk in Greenwich gelebt, seit meinem elften Lebensjahr. Als meine Mutter Monsieur Ohrfeigengesicht kennengelernt hat und England verlassen wollte, hatten die Wä chter natü rlich etwas dagegen. Schließ lich waren es nur noch ein paar Jahre bis zu meinem Initiationssprung und ich hatte noch so viel zu lernen.«

»Und da hat deine Mutter dich alleingelassen? «Das hä tte meine Mum niemals ü bers Herz gebracht, da war ich sicher.

Gideon zuckte mit den Schultern.»Ich mag meinen Onkel, er ist in Ordnung, wenn er nicht gerade den Logen-Groß meister raushä ngen lä sst. Er ist mir auf jeden Fall tausendmal lieber als mein sogenannter Stiefvater.«

»Aber...«Ich traute mich beinahe nicht zu fragen und flü sterte deshalb.»Aber vermisst du sie denn nicht? «

Wieder ein Schulterzucken.»Bis ich fü nfzehn war und noch gefahrlos verreisen durfte, war ich in den Ferien immer dort zu Besuch. Und dann kommt meine Mutter ja auch mindestens zweimal im Jahr nach London, offiziell, um mich zu besuchen, in Wirklichkeit aber wohl eher, um Monsieur Bertelins Geld auszugeben. Sie hat ein Faible fü r Klamotten, Schuhe und antiken Schmuck. Und fü r makrobiotische Sterne-Restaurants.«

Die Frau schien ja wirklich eine Bilderbuch-Mum zu sein.»Und dein Bruder? «

»Raphael? Der ist mittlerweile ein richtiger Franzose. Er sagt Papa zum Ohrfeigengesicht und soll einmal das Platinen-Imperium ü bernehmen. Obwohl es im Augenblick so aussieht, als wü rde er nicht mal seinen Schulabschluss schaffen, der alte Faulpelz. Er beschä ftigt sich lieber mit Mä dchen anstatt mit seinen Bü chern.«Gideon legte den Arm hinter mir auf die Rü ckenlehne und prompt reagierte meine Atemfrequenz.»Warum guckst du so schockiert? Tu ich dir jetzt etwa leid? «

»Ein bisschen«, sagte ich ehrlich und dachte an den elfjä hrigen Jungen, der ganz allein in England hatte zurü ckbleiben mü ssen. Bei geheimnistuerischen Mä nnern, die ihn dazu zwangen, Fechtunterricht zu nehmen und Violine zu spielen. Und Polo!»Falk ist doch nicht mal dein richtiger Onkel. Nur ein entfernter Verwandter.«

Hinter uns hupte es wü tend. Der Taxifahrer sah nur flü chtig hoch und setzte dann den Wagen in Bewegung, ohne sich groß von seiner Lektü re ablenken zu lassen. Ich hoffte nur, dass das Kapitel nicht allzu spannend war.

Gideon schien gar nicht auf ihn zu achten.»Falk war zu mir immer wie ein Vater«, sagte er. Er lä chelte mich schief von der Seite an.»Wirklich, du musst mich nicht ansehen, als wä re ich David Copperfield.«

Wie bitte? Warum sollte ich denken, er sei David Copperfield?

Gideon stö hnte.»Ich meine die Romanfigur von Charles Dickens, nicht den Zauberer. Liest du eigentlich ab und zu ein Buch? «

Und da war er wieder, der alte, ü berhebliche Gideon. Mir hatte ja schon der Kopf geschwirrt vor lauter Freundlichkeit und Vertraulichkeiten. Seltsamerweise war ich beinahe erleichtert, das alte Ekelpaket zurü ckzuhaben. Ich setzte eine mö glichst hochnä sige Miene auf und rü ckte etwas von ihm ab.»Ehrlich gesagt bevorzuge ich moderne Literatur.«

»Ach ja? «Gideons Augen glitzerten amü siert.»Was denn so, zum Beispiel? «

Er konnte nicht wissen, dass meine Cousine Charlotte mir diese Frage jahrelang ebenfalls regelmä ß ig gestellt hatte, und zwar mit genau der gleichen Arroganz. Eigentlich las ich nicht mal wenig und hatte deshalb immer bereitwillig Auskunft gegeben, aber da Charlotte meine Lektü re stets verä chtlich als»nicht anspruchsvoll«und»albernen Mä dchenkram«abgetan hatte, war mir irgendwann der Kragen geplatzt und ich hatte ihr den Spaß ein fü r alle Mal verdorben. Manchmal muss man die Leute mit ihren eigenen Waffen schlagen. Der Trick ist, dass man beim Sprechen nicht das geringste Zö gern erkennen lassen darf, und man sollte mindestens einen anerkannten Bestsellerautorennamen einflechten, am besten einen, dessen Buch man auch wirklich gelesen hat. Auß erdem gilt: je exotischer und auslä ndischer die Namen, desto besser.

Ich hob mein Kinn und sah Gideon fest in die Augen.»Na, George Matussek lese ich zum Beispiel gern, Wally Lamb, Pjotr Selyjeniki, Liisa Tikaanenen, ü berhaupt finde ich finnische Autoren toll, die haben so einen besonderen Humor, dann alles von Jack August Merrywether, obwohl mich das letzte ein bisschen enttä uscht hat, Helen Marundi selbstverstä ndlich, Tahuro Yashamoto, Lawrence Delaney, und natü rlich Grimphook, Tscherkowsky, Maland, Pitt...«

Gideon sah eindeutig verdutzt aus.

Ich verdrehte die Augen. »Rudolf Pitt, nicht Brad.«

In seinen Mundwinkeln zuckte es leicht.

»Obwohl ich sagen muss, dass mir Amethystschnee ü berhaupt nicht gefallen hat«, fuhr ich rasch fort.»Zu viele schwü lstige Metaphern, fandest du nicht auch? Beim Lesen habe ich die ganze Zeit gedacht, das hat jemand anders fü r ihn geschrieben.«

»Amethystschnee? «, wiederholte Gideon und jetzt lä chelte er richtig.»Ah, ja, das fand ich auch furchtbar schwü lstig. Wohingegen mir Die Bernsteinlawine unheimlich gut gefallen hat.«

Ich konnte nicht anders, ich musste zurü cklä cheln.»Ja, mit Die Bernsteinlawine hat er sich den ö sterreichischen Literaturstaatspreis wirklich verdient. Was hä ltst du denn von Takoshi Mahuro? «

»Das Frü hwerk ist okay, aber ich finde es ein wenig ermü dend, dass er immer und immer wieder seine Kindheitstraumata verarbeitet«, sagte Gideon.»Von den japanischen Literaten liegt mir Yamamoto Kawasaki mehr oder Haruki Murakami.«

Ich kicherte jetzt haltlos.»Murakami gibt es aber wirklich! «»Ich weiß «, sagte Gideon.»Charlotte hat mir ein Buch von ihm geschenkt. Wenn wir das nä chste Mal ü ber Bü cher reden, werde ich ihr Amethystschnee empfehlen. Von - wie hieß er noch? «

»Rudolf Pitt.«Charlotte hatte ihm ein Buch geschenkt? Wie - ä h - nett von ihr. Auf so eine Idee musste man erst mal kommen. Und was taten sie wohl sonst noch miteinander, auß er ü ber Bü cher zu reden? Meine Kicherlaune war wie weggeblasen. Wie konnte ich ü berhaupt einfach so hier sitzen und mit Gideon plaudern, als wä re nie etwas zwischen uns passiert? Zuerst einmal hä tten wir doch da noch ein paar grundsä tzliche Dinge zu klä ren. Ich starrte ihn an und holte tief Luft, ohne genau zu wissen, was ich ihn ü berhaupt fragen wollte.

Warum hast du mich gekü sst?

»Wir sind gleich da«, sagte Gideon.

Aus dem Konzept gebracht schaute ich aus dem Fenster. Tatsä chlich - irgendwann wä hrend unseres Schlagabtausches hatte der Taxifahrer offenbar sein Buch zur Seite gelegt und die Fahrt fortgesetzt und nun war er kurz davor, in die Crown Office Row im Temple Bezirk abzubiegen, wo die Geheimgesellschaft der Wä chter ihr Hauptquartier hatte. Wenig spä ter parkte er den Wagen auf einem der reservierten Parkplä tze neben einem glä nzenden Bentley.

»Und Sie sind ganz sicher, dass wir hier stehen bleiben dü rfen? «

»Das geht schon in Ordnung«, versicherte ihm Gideon und stieg aus.»Nein, Gwendolyn, du bleibst im Taxi, wä hrend ich das Geld hole«, sagte er, als ich hinterherklettern wollte.»Und vergiss nicht: Egal, was sie uns auch fragen werden: Du lä sst mich reden. Ich bin gleich wieder da.«

»Die Uhr lä uft«, sagte der Taxifahrer mü rrisch.

Er und ich sahen Gideon zwischen den altehrwü rdigen Hä usern von Temple verschwinden und ich begriff jetzt erst, dass ich als Pfand fü r das Fahrgeld zurü ckgelassen worden war.

»Sind Sie vom Theater? «, fragte der Taxifahrer.

»Wie bitte? «Was war das fü r ein flatternder Schatten ü ber uns?

»Ich mein ja nur, wegen der komischen Kostü me.«

»Nein. Museum.«Vom Autodach kamen seltsame kratzende Gerä usche. Als wä re ein Vogel darauf gelandet. Ein groß er Vogel.»Was ist das? «

»Was denn? «, fragte der Taxifahrer.

»Ich glaube, da ist eine Krä he oder so auf dem Auto«, sagte ich hoffnungsvoll. Aber es war natü rlich keine Krä he, die ihren Kopf ü ber das Dach neigte und zum Fenster hereinschaute. Es war der kleine Wasserspeier aus Belgravia. Als er meinen entsetzten Gesichtsausdruck sah, verzog sich sein Katzengesicht zu einem triumphierenden Lä cheln und er spuckte einen Schwall Wasser ü ber die Windschutzscheibe.

Die Liebe hemmet nichts; sie kennt nicht Tü r noch Riegel

Und dringt durch alles sich.

Sie ist ohn' Anbeginn, schlug ewig ihre Flü gel

Und schlä gt sie ewiglich.

Matthias Claudius (1740-1815)

 

 


Da staunst du aber, was? «, rief der kleine Wasserspeier. Seit ich aus dem Taxi gestiegen war, redete er unaufhö rlich auf mich ein.»So einfach kann man unsereins nicht abschü tteln.«

»Ja, schon gut. Hö r mal...«Ich schaute nervö s zum Taxi zurü ck. Dem Taxifahrer hatte ich gesagt, ich mü sse dringend an die frische Luft, weil mir schlecht war, und jetzt starrte er misstrauisch zu uns hinü ber und wunderte sich, warum ich mit der Hauswand sprach. Von Gideon war noch nichts zu sehen.

»Auß erdem kann ich fliegen.«Zum Beweis fä cherte der Wasserspeier seine Flü gel auseinander.»Wie eine Fledermaus. Schneller als jedes Taxi.«

»Jetzt hö r doch mal: Nur, weil ich dich sehen kann, heiß t das noch lange nicht...«

»Sehen und hö ren! «, fiel mir der Wasserspeier ins Wort.»Weiß t du, wie selten das ist? Die Letzte, die mich sehen und hö ren konnte, war Madame Tussaud und sie legte leider nicht besonders viel Wert auf meine Gesellschaft. Meistens hat sie mich mit Weihwasser beträ ufelt und gebetet. Die Ä rmste war ein bisschen empfindlich.«Er rollte mit den Augen.»Du weiß t schon: zu viele abgeschlagene Kö pfe...«Wieder spuckte er einen Schwall Wasser aus, direkt vor meine Fü ß e.

»Hö r auf damit! «

»Entschuldige! Das ist nur die Aufregung. Kleine Erinnerung an meine Zeit als Regenrinne.«

Ich hatte wenig Hoffnung, ihn wieder loszuwerden, aber ich wollte es zumindest versuchen. Auf die freundliche Tour. Also beugte ich mich zu ihm hinunter, bis unsere Augen auf einer Hö he waren.»Du bist bestimmt ein netter Kerl, aber du kannst unmö glich bei mir bleiben! Mein Leben ist schon kompliziert genug und ehrlich gesagt reichen mir die Geister, die ich kenne, vollkommen. Also bitte verschwinde einfach wieder.«

»Ich bin kein Geist«, sagte der Wasserspeier beleidigt.»Ich bin ein Dä mon. Oder vielmehr das, was von einem Dä mon ü brig geblieben ist.«

»Wo ist denn da der Unterschied? «, rief ich verzweifelt.»Ich dü rfte weder Geister noch Dä monen sehen, versteh das doch! Du musst wieder zu deiner Kirche zurü ck.«

»Wo da der Unterschied ist? Also wirklich! Geister sind lediglich Abbilder verstorbener Menschen, die aus irgendeinem Grund diese Welt nicht verlassen wollen. Aber ich war ein Dä mon, als ich noch gelebt habe. Du kannst mich doch nicht mit gewö hnlichen Geistern in einen Topf werfen. Im Ü brigen ist das nicht weine Kirche. Ich hä ng da nur gern rum.«

Der Taxifahrer starrte mich mit weit aufgesperrtem Mund an. Durch das offene Autofenster konnte er vermutlich jedes Wort hö ren - jedes meiner Worte.

Ich rieb mir mit der Hand ü ber die Stirn.»Mir egal. Auf jeden Fall kannst du nicht bei mir bleiben.«

»Wovor hast du Angst? «Der Wasserspeier kam zutraulich nä her und legte seinen Kopf schief.»Heutzutage wird niemand mehr als Hexe verbrannt, nur weil er etwas mehr sieht und weiß als gewö hnliche Menschen.«

»Aber heutzutage wird jemand, der mit Geistern - ä h, und Dä monen - redet, in die Psychiatrie eingeliefert«, sagte ich.»Verstehst du denn nicht, dass...«Ich brach ab. Es hatte doch keinen Zweck. Auf die freundliche Tour wü rde ich hier nicht weiterkommen. Deshalb runzelte ich die Stirn und sagte so barsch wie mö glich:»Nur, weil ich das Pech habe, dich sehen zu kö nnen, hast du noch lange keinen Anspruch auf meine Gesellschaft.«

Der Wasserspeier zeigte sich vollkommen unbeeindruckt.»Aber du auf meine, du Glü ckliche...«

»Um es mal ganz klar zu sagen: Du stö rst! Also bitte, geh einfach! «, fauchte ich.

»Nein, tu ich nicht! Du wü rdest es hinterher noch bereuen. Da kommt ü brigens dein Knutschfreund zurü ck.«Er spitzte seine Lippen und machte laute Kussgerä usche.

»Ach, halt den Mund.«Ich sah, wie Gideon mit groß en Schritten um die Ecke bog.»Und hau endlich ab.«Letzteres zischte ich, ohne die Lippen zu bewegen, wie eine Bauchrednerin. Natü rlich war der Wasserspeier davon nicht im Geringsten beeindruckt.

»Nicht in dem Ton junge Dame! «, sagte er vergnü gt.»Denk immer daran: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es auch wieder heraus.«

Gideon war nicht allein, hinter ihm sah ich Mr Georges rundliche Gestalt heranschnaufen, er musste laufen, um mit Gideon Schritt halten zu kö nnen. Dafü r strahlte er mich schon von Weitem an.

Ich richtete mich auf und strich mein Kleid glatt.

»Gwendolyn, Gott sei Dank«, sagte Mr George, wä hrend er sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn tupfte.»Alles in Ordnung mit dir, mein Mä dchen? «

»Das Dickerchen ist aber ganz schö n aus der Puste«, sagte der Wasserspeier.

»Alles bestens, Mr George. Wir hatten nur ein paar ä h Probleme.«

Gideon, der dem Taxifahrer einige Pfundnoten gab, sah mich ü ber das Autodach warnend an.

»... mit dem Timing«, murmelte ich und schaute dem Taxifahrer hinterher, der kopfschü ttelnd aus der Parklü cke steuerte und davonfuhr.

»Ja, Gideon sagte bereits, dass es Komplikationen gegeben hat. Es ist nicht zu fassen, da ist irgendwo eine Lü cke im System, wir mü ssen das grü ndlich analysieren. Und mö glicherweise umdenken. Aber Hauptsache, euch beiden ist nichts passiert.«Mr George bot mir seinen Arm an, was ein bisschen merkwü rdig aussah, weil er fast einen halben Kopf kleiner war als ich.»Komm, mein Mä dchen, es gibt noch einiges zu tun.«

»Ich wollte eigentlich so schnell wie mö glich nach Hause«, sagte ich. Der Wasserspeier turnte ein Fallrohr hinauf und hangelte sich ü ber uns an der Dachrinne entlang, wobei er lauthals Friends will be friends sang.

»Oh, ja, sicher«, sagte Mr George.»Aber du hast heute erst drei Stunden in der Vergangenheit verbracht. Um bis morgen Nachmittag auf Nummer sicher zu gehen, musst du jetzt noch ein paar Stunden elapsieren. Keine Sorge, nichts Anstrengendes. In einen gemü tlichen Kellerraum, wo du deine Hausaufgaben machen kannst.«

»Aber - meine Mum wartet sicher schon und macht sich Sorgen! «Auß erdem war heute Mittwoch und das war zu Hause unser Grillhä hnchen-und-Pommes-Tag. Abgesehen davon, dass dort eine Badewanne und mein Bett warteten!

Mich in so einer Lage auch noch mit Hausaufgaben zu behelligen, war eigentlich eine Unverschä mtheit. Jemand sollte mir einfach eine Entschuldigung schreiben. Da Gwendolyn neuerdings tä glich auf wichtigen Zeitreise-Missionen ist, muss sie von den Hausaufgaben in Zukunft befreit werden.

Der Wasserspeier grö lte weiter oben vom Dach und es kostete mich einiges an Ü berwindung, ihn nicht zu verbessern. Dank Singstar und den Karaokenachmittagen bei meiner Freundin Leslie zu Hause war ich nä mlich selbst bei Queen ausgesprochen textfest und wusste genau, dass in diesem Lied keine Gurke vorkam.

»Zwei Stunden werden genü gen«, sagte Gideon, der wieder so groß e Schritte machte, dass Mr George und ich kaum hinterherkamen.»Dann kann sie nach Hause und sich ausschlafen.«

Ich hasste es, wenn er in meiner Gegenwart von mir in der dritten Person sprach.»Ja, und darauf freut sie sich schon«, sagte ich.»Denn sie ist wirklich sehr mü de.«

»Wir werden deine Mutter anrufen und erklä ren, dass du um spä testens zehn Uhr nach Hause gebracht wirst«, sagte Mr George.

Zehn Uhr? Ade, ihr Brathä hnchen. Jede Wette, dass meins lange vorher meinem verfressenen kleinen Bruder zum Opfer fallen wü rde.

»When you're through with life and all hope is lost«, sang der Wasserspeier und ließ sich halb fliegend, halb kletternd an der Ziegelwand hinuntergleiten, um anmutig neben mir auf dem Pflaster zu landen.

»Wir werden behaupten, dass du noch Unterricht hast«, sagte Mr George, mehr zu sich selber als zu mir.»Von deinem Ausflug ins Jahr 1912 solltest du ihr vielleicht nichts erzä hlen, sie war ja der Meinung, dass du zum Elapsieren ins Jahr 1956 geschickt wurdest.«

Wir waren vor dem Hauptquartier der Wä chter angekommen. Von hier aus wurden seit Jahrhunderten die Zeitreisen kontrolliert. Die Familie de Villiers stammte angeblich direkt vom Grafen von Saint Germain ab, einem der berü hmtesten Zeitreisenden in der mä nnlichen Linie. Wir Montroses dagegen waren die weibliche Linie, was fü r die de Villiers vorwiegend zu heiß en schien, dass wir nicht wirklich zä hlten.

Der Graf von Saint Germain war es gewesen, der die kontrollierten Zeitreisen mithilfe des Chronografen erfunden hatte, und er hatte auch die bekloppte Order gegeben, dass alle zwö lf Zeitreisenden unbedingt in den Chronografen eingelesen werden mussten.

Inzwischen fehlten nur noch Lucy, Paul, Lady Tilney und eine weitere Tussi, eine Hofdame, deren Namen ich mir nie merken konnte. Denen sollten wir noch ein paar Milliliter Blut abluchsen.

Die ultimative Frage war nur: Was genau passierte, wenn alle zwö lf Zeitreisenden tatsä chlich einmal eingelesen waren und der Kreis sich schloss? Das schien keiner so genau zu wissen. Ü berhaupt benahmen sich die Wä chter wie die reinsten Lemminge, wenn die Rede auf den Grafen kam. Blinde Verehrung war nichts dagegen!

Mir dagegen schnü rte es bei dem Gedanken an Saint Germain buchstä blich den Hals zu, denn meine einzige Begegnung mit ihm in der Vergangenheit war alles andere als angenehm gewesen.

Vor mir schnaufte Mr George die Eingangsstufen hinauf. Seine kleine kugelige Figur strahlte wie immer etwas Trö stliches aus. Jedenfalls war er so ziemlich der Einzige von dem ganzen Verein, dem ich ein bisschen vertraute. Abgesehen von Gideon - obwohl, nein, Vertrauen konnte man das nicht nennen.


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