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London, 14. Mai 1602 5 ñòðàíèöà






Lucas hatte die Augen hinter seiner Brille zusammengekniffen und versuchte offensichtlich verzweifelt, meinem Wortschwall irgendeinen Sinn zu entnehmen.»Ich habe keine Ahnung, was mit dem grü nen Reiter gemeint sein kö nnte«, sagte er.»Es tut mir leid, aber das hö re ich heute zum ersten Mal. Vielleicht ist es ein Filmtitel? Warum fragst du denn nicht... du kö nntest mich das doch einfach im Jahr 2011 fragen.«

Ich sah ihn erschrocken an.

»Oh, verstehe«, sagte Lucas schnell.»Du kannst mich nicht fragen, weil ich da lä ngst tot bin oder alt, taub und blind in einem Pflegeheim vor mich hin dä mmere... - nein, nein, bitte, ich will es gar nicht wissen.«

Dieses Mal konnte ich meine Trä nen nicht zurü ckhalten. Mindestens eine halbe Minute lang schluchzte ich vor mich hin, weil ich - so seltsam das klingt - meinen Groß vater plö tzlich furchtbar vermisste.»Ich hatte dich sehr lieb«, sagte ich schließ lich.

Lucas reichte mir ein Taschentuch und sah mich mitleidig an.»Bist du sicher? Ich mag Kinder nicht mal. Nervensä gen, irgendwie... Aber vielleicht warst du ja ein besonders nettes Exemplar. Bestimmt sogar.«

»Ja, war ich. Aber du warst zu allen Kindern nett.«Ich putzte mir gerä uschvoll die Nase.»Sogar zu Charlotte.«

Eine Weile schwiegen wir, dann nahm Lucas eine Uhr aus seiner Tasche und sagte:»Wie lange haben wir noch? «

»Sie haben mich fü r genau zwei Stunden hergeschickt.«

»Das ist nicht besonders viel. Wir haben schon viel zu viel Zeit vertrö delt.«Er stand auf.»Ich besorge Stifte und Papier und wir versuchen, ein bisschen System in dieses Chaos zu bringen. Du bleibst am besten hier und rü hrst dich nicht von der Stelle.«

Ich nickte nur. Als Lucas verschwunden war, starrte ich vor mich hin, das Gesicht in den Hä nden vergraben. Er hatte recht, es war wichtig, gerade jetzt einen klaren Kopf zu bewahren.

Wer wusste schon, wann ich meinem Groß vater noch einmal begegnen wü rde? Ü ber welche Dinge, die erst noch passieren wü rden, sollte ich ihn in Kenntnis setzen und ü ber welche nicht? Umgekehrt ü berlegte ich verzweifelt, welche Informationen er mir geben konnte, die mir nü tzlich sein wü rden. Im Grunde war er mein einziger Verbü ndeter. Nur eben in der falschen Zeit. Und in welches der vielen dunklen Rä tsel konnte er von hier aus ü berhaupt Licht bringen?

Lucas blieb lange weg und mit jeder Minute, die verging, begann ich an meinem Gefü hl zu zweifeln. Mö glicherweise hatte er doch gelogen und wü rde gleich mit Lucy und Paul und einem groß en Messer wieder auftauchen, um mir Blut abzunehmen. Unruhig stand ich schließ lich auf und suchte nach etwas, das ich als Waffe benutzen konnte. In einer Ecke lag ein Brett mit einem rostigen Nagel darin, aber als ich es aufhob, zerbrö selte es unter meinen Fingern. Genau in diesem Augenblick ging die Tü r wieder auf und mein junger Groß vater erschien mit einem Block Papier unter dem Arm und einer Banane in der Hand.

Ich atmete erleichtert auf.

»Hier, gegen den Hunger.«Lucas warf mir die Banane zu, nahm einen dritten Stuhl vom Stapel, stellte ihn zwischen uns und legte den Schreibblock darauf.»Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Dieser dä mliche Kenneth de Villiers hat oben im Weg rumgestanden. Ich kann diese Villiers nicht ausstehen, sie stecken ihre neugierigen langen Nasen einfach ü berall hinein, alles wollen sie kontrollieren und bestimmen und immer wissen sie alles besser! «

»Allerdings«, murmelte ich.

Lucas schü ttelte sein Handgelenk.»Dann wollen wir mal - Enkeltochter. Du bist der Rubin, der Zwö lfte im Kreis. Der Diamant aus der Familie de Villiers wurde zwei Jahre vor dir geboren. Er muss also in deiner Zeit ungefä hr neunzehn Jahre alt sein. Und er heiß t noch mal wie? «

»Gideon«, sagte ich und nur durch das Aussprechen seines Namens wurde mir warm.»Gideon de Villiers.«

Lucas' Stift huschte ü ber das Papier.»Und er ist ein Ekel, wie alle de Villiers, aber du hast ihn trotzdem gekü sst, wenn ich das vorhin richtig verstanden habe. Bist du nicht ein bisschen jung fü r so was? «

»Wohl kaum«, sagte ich.»Im Gegenteil - ich bin total spä t dran. Auß er mir nehmen alle Mä dchen in der Klasse die Pille.«Naja, alle auß er Aishani, Peggy und Cassie Clarke, aber Aishanis Eltern waren konservative Inder und wü rden Aishani umbringen, wenn sie einen Jungen auch nur angucken wü rde, Peggy stand wohl eher auf Mä dchen, und was Cassie betraf - sicher gingen die Pickel irgendwann von alleine weg und dann war sie auch wieder netter zu ihren Mitmenschen und hö rte auf,»Was guckst du denn so blö d«zu keifen, wenn jemand auch nur in ihre Richtung schaute.»Oh, und Charlotte hat mit Sex natü rlich auch nichts am Hut. Gordon Gelderman nennt sie deshalb nur die Eiskö nigin. Aber mittlerweile bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob das wirklich passt...«Ich knirschte mit den Zä hnen, weil ich daran dachte, wie Charlotte Gideon angesehen hatte -und umgekehrt. Wenn man sich ü berlegte, wie schnell Gideon auf die Idee gekommen war, mich zu kü ssen, nä mlich exakt am zweiten Tag unserer Bekanntschaft, dann durfte ich mir gar nicht ausmalen, was zwischen ihm und Charlotte in den vielen Jahren, die sie sich kannten, alles passiert sein mochte.

»Was denn fü r eine Pille? «, fragte Lucas.

»Wie bitte? «Oh Gott, die verhü teten im Jahr 1948 wohl noch mit Kondomen aus Kuhdarm oder so - wenn ü berhaupt. Aber ich wollte es lieber gar nicht wissen.»Ich mö chte mit dir nicht ü ber Sex sprechen, Grandpa, wirklich nicht.«

Lucas sah mich kopfschü ttelnd an.»Und ich mö chte nicht mal das Wort aus deinem Mund hö ren. Und damit meine ich nicht das Wort Grandpa.«

»Okay.«Ich schä lte die Banane, wä hrend Lucas sich Notizen machte.»Was sagt ihr denn dazu? «

»Wozu? «

»Anstelle von Sex? «

»Wir reden nicht darü ber«, sagte Lucas, tief ü ber seinen Block gebeugt.»Jedenfalls nicht mit sechzehnjä hrigen Mä dchen. Also weiter: Der Chronograf wurde von Lucy und Paul gestohlen, bevor das Blut der letzten beiden Zeitreisenden eingelesen werden konnte. Daher wurde der zweite Chronograf in Betrieb genommen, aber dem fehlt jetzt natü rlich das Blut aller anderen Zeitreisenden.«

»Nein, nicht mehr. Gideon hat beinahe alle Zeitreisenden aufsuchen und ihnen Blut abnehmen kö nnen. Es fehlen nur noch Lady Tilney und der Opal, Elise irgendwas.«

»Elaine Burghley«, sagte Lucas.»Eine Hofdame Elizabeth L, die mit achtzehn Jahren im Kindbettfieber starb.«

»Richtig. Und das Blut von Lucy und Paul, natü rlich. Also sind wir hinter ihrem Blut her und sie hinter unserem. So jedenfalls habe ich das verstanden.«

»Jetzt gibt es zwei Chronografen, mit denen der Kreis komplett gemacht werden kann? Das ist wirklich - unglaublich! «

»Was passiert, wenn der Kreis komplett ist? «

»Dann wird das Geheimnis sich offenbaren«, sagte Lucas feierlich.

»Ach herrje! Nicht du auch noch.«Ich schü ttelte ä rgerlich den Kopf.»Geht es vielleicht einmal etwas konkreter? «

»Die Prophezeiungen sprechen vom Aufstieg des Adlers, vom Sieg der Menschheit ü ber Krankheit und Tod, vom Anbruch eines neuen Zeitalters.«

»Aha«, sagte ich, genauso schlau wie vorher.»Es ist also etwas Gutes, oder? «

»Etwas sehr Gutes sogar. Etwas, das die ganze Menschheit entscheidend weiterbringt. Deshalb hat der Graf von Saint Germain die Gesellschaft der Wä chter gegrü ndet, deshalb sind in unseren Reihen die klü gsten und mä chtigsten Mä nner der Welt vertreten. Wir alle wollen das Geheimnis bewahren, damit es sich zum gegebenen Zeitpunkt entfalten und die Welt erretten kann.«

Okay. Das war doch mal eine klare Aussage. Zumindest die klarste, die ich in Sachen Geheimnis bisher bekommen hatte.»Aber warum wollen Lucy und Paul nicht, dass der Kreis sich schließ t? «

Lucas seufzte.»Ich habe keine Ahnung. Wann, sagtest du, hast du die beiden getroffen? «

»Im Jahr 1912«, sagte ich.»Juni. 22. Juni. Oder 24., ich hab's mir nicht genau gemerkt.«Je stä rker ich versuchte, mich zu erinnern, desto unsicherer wurde ich.»Mö glicherweise war es auch der 12.? Eine gerade Zahl war's, da bin ich mir ganz sicher. 18.? Jedenfalls irgendwann am Nachmittag. Lady Tilney hatte alles fü r einen High Tea auf dem Tisch stehen.«Dann dä mmerte mir, was ich gerade gesagt hatte, und ich schlug mir die Hand vor den Mund.»Oh! «»Was ist? «

»Jetzt habe ich es dir erzä hlt und du wirst es Lucy und Paul verraten, und deshalb kö nnen sie uns dort auflauern. Also bist du im Grunde der Verrä ter, nicht ich. Obwohl - das kommt vermutlich aufs Gleiche hinaus.«

»Was? Oh nein! «Lucas schü ttelte energisch den Kopf.»Das werde ich nicht tun. Ich werde ihnen ü berhaupt nichts von dir erzä hlen - das wä re doch Wahnsinn! Wenn ich ihnen morgen sage, dass sie irgendwann den Chronografen stehlen und damit in die Vergangenheit reisen werden, fallen sie auf der Stelle tot um. Man muss sich sehr genau ü berlegen, was man jemandem ü ber die Zukunft mitteilt, hö rst du? «

»Na ja, vielleicht sagst du es ihnen noch nicht morgen, du hast ja noch viele Jahre Zeit.«Ich kaute nachdenklich an meiner Banane.»Andererseits... in welche Zeit sind sie wohl mit dem Chronografen gesprungen? Warum nicht in diese? Hier hä tten sie immerhin schon einen Freund, nä mlich dich. Vielleicht lü gst du mich an und sie warten lä ngst vor der Tü r, um mir Blut abzuzapfen.«

»Ich habe nicht die geringste Ahnung, wohin sie gesprungen sein kö nnten.«Lucas seufzte.»Ich kann mir nicht mal vorstellen, dass sie so etwas Verrü cktes tun werden. Oder warum! «Mutlos setzte er hinzu:»Ich habe ü berhaupt von nichts eine Ahnung.«

»Offensichtlich sind wir also alle beide zu diesem Zeitpunkt vollkommen ahnungslos«, sagte ich ebenso mutlos.

Lucas schrieb grü ner Reiter, zweiter Chronograf und Lady Tilney auf den Block und versah alles mit einem groß en Fragezeichen.»Was wir brauchen, ist ein weiteres Treffen - spä ter! Bis dahin kö nnte ich eine Menge in Erfahrung bringen...«

Das leuchtete mir ein.»Ursprü nglich sollte ich zum Elapsieren ins Jahr 1956 geschickt werden. Vielleicht kö nnten wir uns also morgen Abend schon wiedersehen.«

»Haha! «, machte Lucas.»Fü r dich ist 1956 vielleicht morgen Abend - fü r mich ist es... Aber gut, lass uns mal ü berlegen. Wenn du zum Elapsieren in eine Zeit nach dieser geschickt wirst, dann auch in diesen Raum? «

Ich nickte.»Ich denke schon. Aber du kannst ja schlecht Tag und Nacht hier unten auf mich warten. Auß erdem kö nnte Gideon jederzeit hier aufkreuzen, er muss schließ lich auch elapsieren.«

»Ich weiß, wie wir es machen«, sagte Lucas mit zunehmender Begeisterung.»Wenn du das nä chste Mal in diesem Raum landest, kommst du einfach zu mir! Ich habe ein Bü ro im zweiten Stock. Du musst nur an zwei Wachposten vorbei, aber das ist kein Problem, wenn du sagst, du hä ttest dich verlaufen. Du bist meine Cousine. Hazel. Vom Land. Ich werde gleich heute anfangen, allen von dir zu erzä hlen.«

»Aber Mr Whitman sagt, hier ist immer abgeschlossen, und auß erdem weiß ich gar nicht genau, wo wir ü berhaupt sind.«

»Du brauchst natü rlich einen Schlü ssel. Und die Parole des Tages.«Lucas sah sich um.»Ich werde dir einen Schlü ssel nachmachen lassen und ihn irgendwo hier fü r dich deponieren. Das Gleiche gilt fü r die Parole. Ich werde sie auf einen Zettel schreiben und in unser Versteck legen. Am besten irgendwo im Mauerwerk. Dorthinten sind die Ziegel ein bisschen locker, siehst du? Vielleicht kö nnen wir dahinter einen Hohlraum schaffen.«Er stand auf, bahnte sich einen Weg durch das Gerumpel und kniete sich vor die Wand.»Guck mal, hier. Ich werde mit Werkzeug wiederkommen und ein perfektes Versteck bauen. Wenn du das nä chste Mal hierherspringst, musst du nur diesen Stein herausziehen, dann findest du den Schlü ssel und die Parole.«

»Das sind aber verdammt viele Steine«, sagte ich.

»Merk dir einfach diesen hier, fü nfte Reihe von unten, ungefä hr in der Raummitte. Mist! Das war mein Fingernagel! Egal, das ist jedenfalls der Plan und ich finde ihn gut.«

»Aber du mü sstest ab jetzt jeden Tag hier runterkommen, um die Parole zu erneuern«, sagte ich.»Wie willst du das machen? Studierst du nicht in Oxford? «

»Die Parole wird nicht jeden Tag erneuert«, erwiderte Lucas.»Wir haben manchmal wochenlang dieselbe. Auß erdem ist das die einzige Mö glichkeit, ein weiteres Treffen zu arrangieren. Merk dir diesen Stein. Ich werde auch einen Plan dazulegen, damit du nach oben findest. Von hier gehen geheime Gä nge durch halb London.«Er blickte auf seine Uhr.»Und jetzt setzen wir uns wieder hin und machen uns Notizen. Ganz systematisch. Du wirst sehen, am Ende sind wir beide klü ger.«

»Oder immer noch zwei Ahnungslose in einem modrigen Keller.«

Lucas legte den Kopf schief und grinste mich an.»Vielleicht kö nntest du mir auch so ganz nebenbei verraten, ob der Name deiner Groß mutter mit einem A anfä ngt. Oder vielleicht mit einem C? «

Ich musste lä cheln.»Was wä re dir denn lieber? «

 

Der Kreis der Zwö lf

 

Name Edelstein Alchimistische Entsprechung Tier Baum

Lancelot de Villiers 1560-1607 Bernstein Calcinatio Frosch Buche

Elaine Burghley 1562-1580 Opal Putrefactio et mortificio Eule Walnuss

William de Villiers 1636-1689 Achat Sublimatio Bä r Kiefer

Cecilia Woodville 1628-1684 Aquamarin Solutio Pferd Ahorn

Robert Leopold Graf von Saint Germain 1703-1784 SmaragdDistiliatio Adler Eiche

Jeanne de

Pontcarree Madame

d'Urfe

1705-1775 Citrin Coagulatio Schlange Gingko

Jonathan und Timothy de Villiers 1875-1944 1875-1930 Karneole Extractio Falke Apfelbaum

Margarete Tilney 1877-1944 Jade Digestio Fuchs Linde

Paul de Villiers 1974 Schwarzer Turmalin Ceratio Wolf Eberesche

Lucy Montrose *1976 Saphir Fermentatio Luchs Weide

Gideon de Villiers *1992 Diamant Multiplicatio Lö we Eibe

Gwendolyn

Shepherd

M994 Rubin Projectio Rabe Birke

Aus den Chroniken der Wä chter, Band 4, Der Kreis der Zwö lf

 

 


Gwenny! Gwenny, du musst aufwachen! «

Ich tauchte schwerfä llig aus den Tiefen meines Traums empor - im Traum war ich eine uralte, bucklige Frau gewesen, die einem blendend aussehenden Gideon gegenü bersaß und behauptete, ihr Name sei Gwendolyn Shepherd und sie kä me aus dem Jahr 2080 - und sah in das vertraute, stupsnasige Gesicht meiner kleinen Schwester Caroline.

»Na endlich! «, sagte sie.»Ich dachte schon, ich kriege dich nie wach. Ich habe schon geschlafen, als du gestern Abend nach Hause gekommen bist, dabei habe ich wirklich versucht, wach zu bleiben. Hast du wieder so ein irres Kleid mitgebracht? «

»Nein, dieses Mal nicht.«Ich setzte mich auf.»Dieses Mal konnte ich mich dort umziehen.«

»Wird das jetzt immer so sein? Wirst du immer erst nach Hause kommen, wenn ich schon schlafe? Mum ist so merkwü rdig, seit diese Sache mit dir passiert ist. Und Nick und ich vermissen dich - ohne dich sind die Abendessen seltsam.«

»Das waren sie vorher auch schon«, versicherte ich ihr und ließ mich wieder auf das Kissen zurü cksinken.

Ich war gestern Abend von einer Limousine nach Hause gefahren worden, den Chauffeur kannte ich nicht, aber der rothaarige Mr Marley hatte mich begleitet, exakt bis vor die Haustü r.

Gideon hatte ich nicht noch einmal zu Gesicht bekommen und das war mir auch ganz recht so gewesen. Es reichte, dass ich die ganze Nacht von ihm trä umen wü rde.

An der Haustü r hatte mich Mr Bernhard, der Butler meiner Groß mutter, in Empfang genommen, wie immer hö flich und ansonsten absolut regungslos. Meine Mum war mir auf der Treppe entgegengekommen und hatte mich umarmt, als sei ich gerade von einer Sü dpolexpedition zurü ckgekehrt. Ich freute mich auch, sie zu sehen, aber ich war immer noch ein wenig sauer auf sie. Es war so befremdlich gewesen, feststellen zu mü ssen, von der eigenen Mutter belogen worden zu sein. Und die Grü nde dafü r wollte sie mir ja nicht verraten. Auß er ein paar kryptischen Sä tzen -»vertraue niemandem -gefä hrlich - Geheimnis - blablabla«- hatte ich von ihr nichts erfahren, was ihr Verhalten erklä rt hä tte. Deshalb und weil ich vor Mü digkeit beinahe umkam, hatte ich recht wortkarg ein kleines Stü ck kaltes Hä hnchen verzehrt und war dann ins Bett gegangen, ohne Mum ü ber die Geschehnisse des Tages in Kenntnis zu setzen. Was genau sollte sie auch mit den Informationen anfangen? Sie machte sich ohnehin viel zu viele Sorgen. Ich fand, dass sie beinahe so erschö pft aussah wie ich.

Caroline rü ttelte erneut an meinem Arm.»Hey, nicht wieder einschlafen! «

»Schon gut.«Ich schob mit Schwung meine Fü ß e ü ber die Bettkante und stellte fest, dass ich trotz des langen Telefonats, das ich mit Leslie noch vor dem Einschlafen gefü hrt hatte, einigermaß en ausgeschlafen war. Aber wo war Xemerius? Er war verschwunden, als ich gestern Abend ins Bad gegangen war, und seitdem nicht mehr wieder aufgetaucht.

Unter der Dusche wurde ich endgü ltig wach. Ich wusch meine Haare verbotenerweise mit Mums teurem Shampoo und ihrer Haarspü lung, auch auf die Gefahr hin, dass mich der wunderbare Duft nach Rosen und Pampelmusen verraten wü rde. Wä hrend ich meinen Kopf trocken nibbelte, fragte ich mich unwillkü rlich, ob Gideon wohl Rosen und Pampelmusen mochte, um mich gleich darauf wieder streng zur Ordnung zu rufen.

Kaum hatte ich ein, zwei Stunden geschlafen, schon dachte ich wieder an diesen bekloppten Typen! Was, bitte schö n, war denn schon groß passiert? Gut, wir hatten ein bisschen im Beichtstuhl geknutscht, aber kurz danach hatte er wieder die Rolle des Ekelpakets ü bernommen und mein Sturz von Wolke sieben war nichts, woran ich mich gerne erinnern wollte, ausgeschlafen hin oder her. Was ich im Ü brigen auch Leslie gesagt hatte, die gestern Abend so gar nicht mehr von dem Thema hatte aufhö ren wollen.

Ich fö hnte meine Haare, zog mich an und trabte dann die vielen Treppen nach unten, Richtung Esszimmer. Caroline, Nick, ich und meine Mum bewohnten den dritten Stock unseres Hauses. Dort war es im Gegensatz zu dem restlichen Kasten, der sich seit Anbeginn aller Zeiten (mindestens!) im Besitz meiner Familie befand, wenigstens einigermaß en gemü tlich.

Das restliche Haus dagegen war vollgestopft mit Antiquitä ten und Bildern von diversen Urahnen, von denen die wenigsten eine Augenweide waren. Und wir hatten einen Ballsaal, in dem Nick mit meiner Hilfe Fahrrad fahren gelernt hatte, natü rlich heimlich, aber heutzutage war der Verkehr in der Groß stadt entsetzlich gefä hrlich, wie jeder wusste.

Wie so oft bedauerte ich, dass meine Mum und wir nicht oben bei uns essen konnten, aber meine Groß mutter, Lady Arista, bestand darauf, dass wir uns im dü steren Esszimmer einfanden, dessen Tä felung die Farbe von Vollmilchschokolade hatte, das zumindest war der einzig schö ne Vergleich, der mir jemals eingefallen war. Der andere war... ä h... eher unappetitlich.

Wenigstens war heute die Stimmung deutlich besser als am Vortag, wie mir gleich auffiel, als ich ins Zimmer kam.

Lady Arista, die immer etwas von einer Ballettlehrerin hatte, die einem gleich auf die Finger klopft, sagte freundlich:»Guten Morgen, mein Kind«, und Charlotte und ihre Mutter lä chelten mich an, als ob sie etwas wü ssten, wovon ich wiederum keine Ahnung hatte.

Da Tante Glenda mich sonst niemals anlä chelte (ü berhaupt kaum jemanden, von einem sä uerlichen Heben ihrer Mundwinkel mal abgesehen) und Charlotte mir gestern erst ein paar grä ssliche Dinge an den Kopf geworfen hatte, wurde ich sofort misstrauisch.

»Ist etwas passiert? «, fragte ich.

Mein zwö lfjä hriger Bruder Nick grinste mir zu, als ich mich auf meinen Platz neben Caroline setzte, und meine Mum schob mir einen riesigen Teller mit Toast und Rü hrei hin. Ich wurde fast ohnmä chtig vor Hunger, als mir der Duft in die Nase stieg.

»Ach du liebe Gü te«, sagte Tante Glenda.»Du willst wohl, dass deine Tochter ihren Bedarf an Fett und Cholesterin fü r diesen Monat gleich heute deckt, nicht wahr, Grace? «

»Ja genau«, sagte Mum gleichmü tig.

»Spä ter wird sie dich dafü r hassen, dass du nicht besser auf ihre Figur achtgegeben hast«, sagte Tante Glenda und lä chelte wieder.

»Gwendolyns Figur ist tadellos«, sagte meine Mum.»Noch - vielleicht«, sagte Tante Glenda. Sie lä chelte immer noch.

»Habt ihr Tante Glenda was in den Tee gekippt? «, flü sterte ich Caroline zu.

»Jemand hat vorhin angerufen und seitdem sind Tante Glenda und Charlotte ganz aufgekratzt«, raunte Caroline zurü ck.»Wie umgewandelt! «

In diesem Augenblick landete Xemerius drauß en auf der Fensterbank, faltete seine Flü gel zusammen und schob sich durch die Glasscheibe.

»Guten Morgen! «, sagte ich erfreut.

»Guten Morgen! «, erwiderte Xemerius und hopste von der Fensterbank auf einen leeren Stuhl.

Wä hrend die anderen mich ein wenig erstaunt anschauten, kratzte Xemerius sich am Bauch.»Eine ziemlich groß e Familie hast du da - ich habe mir noch nicht so ganz einen Ü berblick verschaffen kö nnen, aber es ist mir aufgefallen, dass es auffallend viele Weiber in diesem Haushalt gibt. Zu viele, wü rde ich mal sagen. Und die Hä lfte davon sehen die meiste Zeit aus, als ob sie dringend durchgekitzelt werden mü ssten.«Er schü ttelte die Flü gel aus.»Wo sind die Vä ter zu all den Kinderchen? Und wo sind die Haustiere? So ein riesiges Haus und nicht mal ein Kanarienvogel - ich bin enttä uscht.«

Ich grinste.»Wo ist Groß tante Maddy? «, fragte ich, wä hrend ich selig zu essen begann.

»Ich fü rchte, das Schlafbedü rfnis meiner lieben Schwä gerin ist grö ß er als ihre Neugier«, sagte Lady Arista wü rdevoll. Kerzengerade saß sie am Frü hstü ckstisch und aß mit abgespreizten Fingern einen halben gebutterten Toast. (Ich hatte meine Groß mutter ü brigens noch nie anders als kerzengerade erlebt.)»Durch das frü he Aufstehen gestern war sie den ganzen Tag unerträ glich schlecht gelaunt. Ich glaube nicht, dass wir sie noch mal vor zehn Uhr morgens zu Gesicht bekommen werden.«

»Das ist mir nur recht«, sagte Tante Glenda mit ihrer schrillen Stimme.»Ihr Geschwä tz von Saphireiern und Turmuhren kann einem wirklich den letzten Nerv rauben. Und - wie fü hlst du dich, Gwendolyn? Ich kann mir vorstellen, dass das alles sehr verwirrend fü r dich ist.«

»Hm«, machte ich.

»Es muss furchtbar sein, plö tzlich feststellen zu mü ssen, dass man zu Hö herem geboren ist, ohne den Erwartungen genü gen zu kö nnen.«Tante Glenda spieß te ein Stü ckchen Tomate von ihrem Teller auf.

»Mr George berichtet, dass Gwendolyn sich bisher sehr gut geschlagen hat«, sagte Lady Arista, und ehe ich mich ü ber ihre Solidaritä tsbezeugung freuen konnte, setzte sie hinzu:»Jedenfalls den Umstä nden entsprechend. Gwendolyn, du wirst heute wieder von der Schule abgeholt und nach Temple gebracht werden. Charlotte wird dich dieses Mal begleiten.«Sie nahm einen Schluck Tee.

Ich konnte meinen Mund nicht ö ffnen, ohne dass Rü hrei hinausgefallen wä re, also glotzte ich nur erschrocken, wä hrend Nick und Caroline an meiner Stelle fragten:»Warum das denn? «

»Weil«, sagte Tante Glenda und wackelte dabei eigenartig mit dem Kopf,»weil Charlotte alles das kann, was Gwendolyn kö nnen mü sste, um ihrer Aufgabe einigermaß en gerecht zu werden. Und nun, aufgrund der - wie wir uns alle lebhaft vorstellen kö nnen - chaotischen Ereignisse der letzten beiden Tage, wü nscht man in Temple, dass Charlotte ihrer Cousine hilft, sich auf ihre nä chsten Zeitsprü nge vorzubereiten.«Sie sah aus, als ob ihre Tochter gerade die Olympiade gewonnen hä tte. Mindestens.

Auf die nä chsten Zeitsprü nge? Wie bitte?

»Wer ist denn dieser dü rre rothaarige boshafte Besen? «, erkundigte sich Xemerius.»Ich hoffe fü r dich, dass es sich nur um entfernte Verwandtschaft handelt.«

»Nicht, dass diese Bitte fü r uns ü berraschend kam, aber wir haben dennoch ü berlegt, ob wir ihr nachkommen sollen. Schließ lich bestehen fü r Charlotte eigentlich keinerlei Verpflichtungen mehr. Aber«, an dieser Stelle seufzte der dü rre, rothaarige, boshafte Be... ä h... Tante Glenda theatralisch,»Charlotte ist sich der Wichtigkeit dieser Mission sehr wohl bewusst und selbstlos bereit, ihren Anteil zum Gelingen beizutragen.«

Meine Mutter seufzte ebenfalls und bedachte mich mit einem mitleidigen Blick. Charlotte strich sich eine Strä hne ihres glä nzenden roten Haares hinter das Ohr und klimperte mit ihren Wimpern in meine Richtung.

»Hä? «, machte Nick.»Was soll Charlotte denn Gwenny beibringen? «

»Oh«, sagte Tante Glenda und ihre Wangen fä rbten sich rosig vor lauter Eifer.»Da gibt es wohl eine Menge, aber es wä re absurd zu denken, dass Gwendolyn in so kurzer Zeit nachholen kann, was sich Charlotte ü ber viele Jahre angeeignet hat, ganz zu schweigen von der - nun - doch eher ungerechten Verteilung natü rlicher Talente in diesem Fall. Man kann nur versuchen, das Allernö tigste zu vermitteln. Vor allem anderen mangelt es Gwendolyn wohl auf geradezu tragische Weise an Allgemeinwissen und den der jeweiligen Epoche angepassten Manieren - wie ich hö rte.«

Frechheit! Von wem sollte sie das denn gehö rt haben?

»Ja und Manieren braucht man auch dringend, wenn man allein in einem verschlossenen Kellerraum rumsitzt«, sagte ich.»Es kö nnte einem ja eine Kellerassel dabei zusehen, wie man sich in der Nase popelt.«

Caroline kicherte.

»Oh, nein, Gwenny, tut mir leid, dir das sagen zu mü ssen, aber in der nä chsten Zeit wird es ein bisschen kniffliger fü r dich.«Charlotte schenkte mir einen Blick, der wohl mitfü hlend sein sollte, aber eher hä misch und schadenfroh wirkte.

»Deine Cousine hat recht.«Schon immer hatte ich ein bisschen Angst vor Lady Aristas durchdringendem Blick gehabt, aber jetzt zuckte ich regelrecht darunter zusammen.»Auf allerhö chste Order wirst du viel Zeit im achtzehnten Jahrhundert verbringen«, sagte sie.

»Und zwar unter Menschen«, ergä nzte Charlotte.»Menschen, die es sehr seltsam finden wü rden, wenn du nicht mal wü sstest, wie der Kö nig heiß t, der das Land regiert. Oder was ein Retikü l ist.«

Ein bitte was?

»Was ist ein Retikü l? «, fragte Caroline.

Charlotte lä chelte fein.»Lass es dir von deiner Schwester erklä ren.«

Ich starrte sie verä rgert an. Warum bereitete es ihr nur immer eine so groß e Freude, mich dumm und unwissend dastehen zu lassen? Tante Glenda lachte leise.

»Ist 'ne Art Handtasche, 'n blö der Beutel, meist mit ü berflü ssigem Stickkram gefü llt«, sagte Xemerius.»Und Taschentü chern. Und Riechsalzflä schchen.«

Ah!

»Ein Retikü l ist ein ü berholter Ausdruck fü r Handtasche, Caroline«, sagte ich, ohne den Blick von Charlotte zu lassen. Sie zuckte ü berrascht mit den Lidern, behielt aber das feine Lä cheln bei.

»Auf allerhö chste Order? Was sollte das denn heiß en? «Meine Mutter hatte sich an Lady Arista gewandt.»Ich dachte, wir wä ren uns einig gewesen, dass Gwendolyn aus der ganzen Sache herausgehalten wird, so gut es geht. Dass sie lediglich zum Elapsieren in ungefä hrliche Zeiten geschickt wird. Wie kö nnen sie jetzt beschließ en, sie einer solchen Gefahr auszusetzen? «

»Das ist nicht deine Sache, Grace«, sagte meine Groß mutter kü hl.»Du hast wirklich schon genug Unheil gestiftet.«Meine Mutter biss sich auf ihre Lippen. Ihr zorniger Blick wanderte einmal zwischen mir und Lady Arista hin und her, dann schob sie kurzerhand ihren Stuhl zurü ck und stand auf.»Ich muss zur Arbeit«, sagte sie. Sie drü ckte Nick einen Kuss aufs Haar und sah hinü ber zu Caroline und mir.»Viel Spaß in der Schule. Caroline, denk an den Schal fü r den Handarbeitsunterricht. Wir sehen uns heute Abend.«

»Arme Mum«, flü sterte Caroline, als meine Mutter den Raum verlassen hatte.»Gestern Abend hat sie geweint. Ich glaube, es passt ihr gar nicht, dass du dieses Zeitreise-Gen hast.«


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