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London, 14. Mai 1602 3 ñòðàíèöà






Das Gebä ude der Loge unterschied sich ä uß erlich nicht von den anderen Hä usern in den engen Gassen rund um die Temple-Church, in denen sich ü berwiegend Anwaltsbü ros und Rä umlichkeiten von Dozenten des Rechtswissenschaftlichen Instituts befanden. Ich wusste aber, dass das Quartier viel grö ß er und deutlich weniger bescheiden war, als es von auß en wirkte, und dass es sich vor allem unter der Erde ü ber eine riesige Flä che erstreckte.

Kurz vor der Tü r hielt mich Gideon zurü ck und zischte mir leise zu:»Ich habe gesagt, du wä rst vollkommen verä ngstigt, also guck ein bisschen verstö rt, wenn du heute frü h nach Hause willst.«

»Ich dachte, das mache ich schon die ganze Zeit«, murmelte ich.

»Sie warten im Drachensaal auf euch«, keuchte Mr George oben im Hausflur.»Ihr solltet schon mal vorgehen, ich werde Mrs Jenkins noch schnell damit beauftragen, euch etwas zu essen zu bringen. Ihr mü sst ziemlich hungrig sein. Irgendwelche besonderen Wü nsche? «

Ehe ich meine Wü nsche ä uß ern konnte, hatte Gideon schon meinen Arm gefasst und mich weitergezogen.»Mö glichst viel von allem! «, rief ich Mr George noch ü ber meine Schulter hinweg zu, bevor Gideon mich durch eine Tü r in einen weiteren Gang zerrte. Ich hatte Mü he, mit meinem langen Rock nicht ins Stolpern zu geraten.

Der Wasserspeier hü pfte leichtfü ß ig neben uns her.»Ich finde, dein Knutschfreund hat keine besonders guten Manieren«, sagte er.»So zerrt man normalerweise eine Ziege zum Markt.«

»Jetzt hetz nicht so«, sagte ich zu Gideon.

»Je frü her wir das hinter uns bringen, desto eher kannst du nach Hause.«War das nun Fü rsorglichkeit in seiner Stimme oder wollte er mich einfach loswerden?

»Ja, aber... vielleicht wä re ich auch gern dabei, hast du mal daran gedacht? Ich habe auch eine Menge Fragen und ich habe es satt, dass mir niemand Antworten darauf gibt.«

Gideon verlangsamte seine Schritte ein wenig.»Heute wü rde dir ohnehin niemand mehr Antworten geben - heute wollen sie nur wissen, wie es sein kann, dass Lucy und Paul uns abpassen konnten. Und leider bist du da immer noch unsere Hauptverdä chtige.«

Das unsere gab mir einen Stich ins Herz, was mich gleich darauf ziemlich wurmte.

»Ich bin die Einzige, die von alldem ü berhaupt nichts weiß! «

Gideon seufzte.»Ich habe es dir doch schon mal versucht zu erklä ren. Jetzt bist du mö glicherweise vollkommen unwissend und... unschuldig, aber niemand weiß, was du in der Zukunft tun wirst. Vergiss nicht, auch dann kannst du in die Vergangenheit reisen und so kö nntest du Lucy und Paul von unserem Besuch berichten.«Er brach ab.»Ä h - du wü rdest berichten kö nnen.«

Ich rollte mit den Augen.»Du doch genauso! Und ü berhaupt - wieso muss es ausgerechnet einer von uns sein? Kö nnte Margret Tilney nicht sich selber eine Botschaft in der Vergangenheit hinterlassen haben? Oder die Wä chter? Sie kö nnten einem der Zeitreisenden einen Brief mitgeben, aus jeder Zeit in jede Zeit...«

»Hä? «, machte der Wasserspeier, der nun ü ber uns flog.»Kann mir mal einer erklä ren, wovon ihr redet? Ich verstehe nur Bahnhof.«

»Sicher gibt es ein paar Erklä rungsmö glichkeiten«, sagte Gideon und wurde noch langsamer.»Aber ich hatte heute den Eindruck, dass Lucy und Paul dich irgendwie - sagen wir mal beeindruckt haben.«Er blieb stehen, ließ meinen Arm los und sah mich ernst an.»Du hä ttest mit ihnen geredet, du hä ttest ihre Lü gengeschichten angehö rt, vielleicht hä ttest du ihnen sogar freiwillig dein Blut fü r den gestohlenen Chronografen gegeben, wenn ich nicht dabei gewesen wä re.«

»Nein, das hä tte ich nicht«, widersprach ich.»Aber ich hä tte wirklich gern gehö rt, was sie uns sagen wollten. Sie haben auf mich keinen bö sen Eindruck gemacht.«

Gideon nickte.»Siehst du, das ist genau, was ich meine. Gwendolyn, diese Leute haben vor, ein Geheimnis zu zerstö ren, das ü ber Hunderte von Jahren gehü tet wurde. Sie wollen etwas fü r sich, das ihnen nicht zusteht. Und dafü r brauchen sie nur noch unser Blut. Ich glaube nicht, dass sie vor irgendetwas zurü ckscheuen wü rden, um es zu bekommen.«Er strich sich eine braun gelockte Haarsträ hne aus der Stirn und ich hielt unwillkü rlich die Luft an.

Gott, er sah so gut aus! Diese grü nen Augen, die schö n geschwungenen Linien seiner Lippen, die blasse Haut - alles an ihm war einfach perfekt. Auß erdem roch er so gut, dass ich fü r eine Sekunde mit dem Gedanken spielte, einfach meinen Kopf an seine Brust sinken zu lassen. Aber natü rlich tat ich das nicht.

»Vielleicht hast du es vergessen, dass wir auch ihr Blut wollten. Und du hast Lucy eine Pistole an den Kopf gehalten und nicht umgekehrt«, sagte ich.»Sie hatte keine Waffe.«

Zwischen Gideons Augenbrauen erschien eine Zornesfalte.»Gwendolyn, jetzt sei bitte nicht so naiv. Wir sind - wie auch immer - in einen Hinterhalt gelockt worden. Lucy und Paul hatten bewaffnete Verstä rkung, das waren mindestens vier gegen einen! «

»Zwei! «, rief ich aus.»Ich war auch noch da! «

»Fü nf, wenn man Lady Tilney mitzä hlt. Ohne meine Pistole wä ren wir jetzt mö glicherweise tot. Zumindest hä tten sie uns mit Gewalt Blut abnehmen kö nnen, denn genau deshalb waren sie da. Und du wolltest mit ihnen reden? «

Ich biss mir auf die Lippe.

»Hallo? «, sagte der Wasserspeier.»Denkt vielleicht auch mal jemand an mich? Ich blicke hier nä mlich ü berhaupt nicht durch! «

»Ich verstehe, dass du verwirrt bist«, sagte Gideon jetzt viel sanfter, aber mit unverkennbarer Ü berheblichkeit in der Stimme.»Du hast in den vergangenen Tagen einfach zu viel erlebt und erfahren. Du bist vollkommen unvorbereitet gewesen. Wie solltest du auch verstehen, worum es hier geht? Du gehö rst nach Hause ins Bett. Also, lass uns das jetzt schnell hinter uns bringen.«Er griff wieder nach meinem Arm und zog mich vorwä rts.»Ich werde reden und du wirst meine Geschichte bestä tigen, okay? «

»Ja, das hast du jetzt mindestens zwanzig Mal gesagt! «, erwiderte ich gereizt und stemmte meine Beine vor einem Messingschild mit der Aufschrift Ladys in den Boden.»Ihr kö nnt schon mal ohne mich anfangen, ich muss nä mlich schon seit Juni 1912 auf die Toilette.«

Gideon ließ mich los.»Findest du den Weg allein nach oben? «

»Natü rlich«, sagte ich, obwohl ich mir nicht ganz sicher war, ob ich mich auf meinen Orientierungssinn verlassen konnte. Dieses Haus hatte zu viele Gä nge, Treppen, Winkel und Tü ren.

»Sehr gut! Den Ziegenpeter sind wir schon mal los«, sagte der Wasserspeier.»Jetzt kannst du mir in Ruhe erklä ren, worum es hier eigentlich geht! «

Ich wartete, bis Gideon um die nä chste Ecke gebogen war, dann ö ffnete ich die Toilettentü r und schnauzte den Wasserspeier an:»Na los, komm hier rein! «

»Wie bitte? «Der Wasserspeier guckte beleidigt.»Ins Klo? Also, das finde ich jetzt irgendwie...«

»Mir egal, wie du das findest. Es gibt nicht viele Orte, an denen man sich in Ruhe mit Dä monen unterhalten kann, und ich will nicht riskieren, dass uns jemand hö rt! Los jetzt.«

Der Wasserspeier hielt sich die Nase zu und folgte mir widerwillig in die Toilette. Hier roch es lediglich schwach nach Desinfektionsmittel und Zitrone. Ich warf einen kurzen Blick in die Kabine. Niemand da.»So. Jetzt hö rst du mir mal zu: Ich weiß, dass ich dich vermutlich so schnell nicht loswerde, aber wenn du bei mir bleiben willst, dann musst du dich an ein paar Regeln halten, ist das klar? «

»Nicht in der Nase bohren, keine unanstä ndigen Wö rter benutzen, keine Hunde erschrecken...«, leierte der Wasserspeier.

»Was? Nein, was ich mö chte, ist, dass du meine Privatsphä re akzeptierst. Ich mö chte nachts und im Badezimmer allein sein und falls mich noch mal jemand kü sst«- an dieser Stelle musste ich schlucken -»dann mö chte ich dabei keinen Zuschauer haben, ist das klar? «

»Tss«, machte der Wasserspeier.»Und das aus dem Mund von jemandem, der mich in ein Klo gezerrt hat! «

»Also, wir sind uns einig? Du wirst meine Privatsphä re akzeptieren? «

»Auf keinen Fall will ich dir beim Duschen oder - igitt, bewahre mich! - Kü ssen zusehen«, sagte der Wasserspeier mit Nachdruck.»Davor brauchst du nun wirklich keine Angst zu haben. Und in der Regel finde ich es auch eher langweilig, Menschen beim Schlafen zu beobachten. Dieses Geschnarche und Gesabbere, von den anderen Sachen will ich lieber gar nicht erst reden...«

»Auß erdem sollst du nicht dazwischenquatschen, wenn ich in der Schule bin oder mit jemandem rede - und bitte: Wenn du schon singen musst, dann wenn ich nicht dabei bin! «

»Ich kann auch richtig gut eine Trompete nachmachen«, sagte der Wasserspeier.»Oder ein Posthorn. Hast du einen Hund? «

»Nein! «Ich atmete tief durch. Fü r diesen Kerl wü rde ich Nerven wie Drahtseile brauchen.

»Kannst du dir nicht einen anschaffen? Eine Katze ginge zur Not auch, aber die sind immer so arrogant und lassen sich nicht so gut ä rgern. Manche Vö gel kö nnen mich auch sehen. Hast du einen Vogel? «

»Meine Groß mutter kann Haustiere nicht ausstehen«, sagte ich und verkniff es mir hinzuzufü gen, dass sie vermutlich auch etwas gegen unsichtbare Haustiere hatte.»Okay, fangen wir jetzt noch mal ganz von vorne an: Mein Name ist Gwendolyn Shepherd. Nett, dich kennenzulernen.«

»Xemerius«, sagte der Wasserspeier und strahlte ü ber die ganze Fratze.»Sehr erfreut.«Er kletterte auf das Waschbecken und sah mir tief in die Augen.»Wirklich! Sehr, sehr erfreut! Kaufst du mir eine Katze? «

»Nein. Und jetzt raus hier, ich muss nä mlich wirklich mal! «

»Urgs.«Xemerius stolperte hastig durch die Tü r, ohne sie vorher zu ö ffnen, und ich hö rte ihn drauß en im Gang wieder Friends will be friends anstimmen.

Ich blieb viel lä nger in der Toilette, als nö tig gewesen wä re. Ich wusch mir grü ndlich die Hä nde und schaufelte mir reichlich kaltes Wasser ins Gesicht, in der Hoffnung, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Aber damit brachte ich das wirbelnde Gedankenkarussell nicht zum Stehen. Meine Haare sahen im Spiegel aus, als hä tten Krä hen darin genistet, und ich versuchte, sie mit den Fingern wieder glatt zu kä mmen und mich selbst ein wenig aufzumuntern. So, wie meine Freundin Leslie es getan hä tte, wenn sie hier gewesen wä re.

»Nur noch ein paar Stunden, dann hast du es geschafft, Gwendolyn. Hey und dafü r, dass du so furchtbar mü de und hungrig bist, siehst du gar nicht mal so schlecht aus.«

Mein Spiegelgesicht schaute mich aus groß en, dunkel umschatteten Augen vorwurfsvoll an.

»Gut, das war gelogen«, gab ich zu.»Du siehst furchtbar aus. Aber alles in allem hast du schon schlimmer ausgesehen. Zum Beispiel damals, als du die Windpocken hattest. Also, Kopf hoch! Du schaffst das.«

Xemerius hatte sich drauß en im Gang wie eine Fledermaus an einen Kronleuchter gehä ngt.»Bisschen gruselig hier«, meinte er.»Gerade kam ein einarmiger Tempelritter vorbei, kennst du den? «

»Nein«, sagte ich.»Gott sei Dank nicht. Komm, wir mü ssen hier lang.«

»Erklä rst du mir das mit den Zeitreisen? «

»Das verstehe ich selber nicht.«

»Kaufst du mir eine Katze? «

»Nein.«

»Ich weiß aber, wo es welche umsonst gibt. Oh, hey, in der Ritterrü stung da steht ein Mensch.«

Ich warf der Ritterrü stung einen verstohlenen Blick zu. Tatsä chlich hatte ich das Gefü hl, hinter dem geschlossenen Visier ein Augenpaar glitzern zu sehen. Es war dieselbe Ritterstatue, der ich gestern noch ü bermü tig auf die Schulter geklopft hatte, natü rlich in dem Glauben, sie sei nur Zierrat.

Gestern schien irgendwie Jahre her zu sein.

Vor der Tü r des Drachensaales traf ich auf Mrs Jenkins, die Sekretä rin. Sie trug ein Tablett vor sich her und war dankbar, dass ich ihr die Tü r aufhalten konnte.

»Erst mal nur Tee und Kekse, Schä tzchen«, sagte sie mit einem entschuldigenden Lä cheln.»Mrs Mallory ist lä ngst nach Hause gegangen und ich muss in der Kü che nachschauen, was ich euch hungrigen Kindern ü berhaupt noch machen kann.«

Ich nickte wohlerzogen, aber ich war sicher, dass man meinen Magen»Bestell doch einfach was beim Chinesen«knurren hö ren hä tte kö nnen, wenn man sich nur etwas anstrengte.

Im Saal wartete man bereits auf uns: Gideons Onkel Falk, der mich mit seinen bernsteinfarbenen Augen und der grauen Haarmä hne immer an einen Wolf erinnerte, der steife, grimmig dreinschauende Dr. White in seinem ewig schwarzen Anzug und - zu meiner Ü berraschung - auch mein Lehrer fü r Englisch und Geschichte, Mr Whitman, genannt das Eichhö rnchen. Sofort fü hlte ich mich doppelt unwohl und zupfte unbehaglich an der hellblauen Schleife meines Kleides. Heute Morgen noch hatte Mr Whitman mich und meine Freundin Leslie beim Schwä nzen erwischt und uns eine Strafpredigt gehalten. Auß erdem hatte er Leslies gesammelte Recherchen konfisziert. Dass er zum Inneren Kreis der Wä chter gehö rte, war bislang nur eine Vermutung von uns gewesen, aber hiermit war sie wohl offiziell bestä tigt.

»Da bist du ja, Gwendolyn«, sagte Falk de Villiers freundlich, aber ohne zu lä cheln. Er sah aus, als kö nne er eine Rasur vertragen, aber vielleicht gehö rte er auch zu den Mä nnern, die sich morgens rasieren und abends schon einen Drei-Tage-Bart haben. Mö glicherweise lag es an den dunklen Bartschatten rund um den Mund, auf jeden Fall wirkte er deutlich angespannter und ernster als gestern oder noch am Mittag. Ein nervö ser Leitwolf.

Mr Whitman zwinkerte mir immerhin zu und Dr. White knurrte etwas Unverstä ndliches, in dem die Worte»Weiber«und»Pü nktlichkeit«vorkamen.

Neben Dr. White stand wie immer der kleine blonde Geistjunge Robert, der sich als Einziger zu freuen schien, mich zu sehen, denn er lä chelte mich strahlend an. Robert war Dr. Whites Sohn, der im Alter von sieben Jahren in einem Swimmingpool ertrunken war und ihm seitdem als Geist auf Schritt und Tritt folgte. Auß er mir konnte ihn natü rlich niemand sehen, und weil Dr. White ja stä ndig dabei war, hatte ich noch kein vernü nftiges Gesprä ch mit Robert fü hren kö nnen, um beispielsweise herauszufinden, warum er immer noch auf der Erde herumspukte.

Gideon lehnte mit verschrä nkten Armen an einer der mit kunstvollen Schnitzereien verzierten Wä nde. Sein Blick streifte mich nur kurz und blieb dann an den Keksen auf Mrs Jenkins Tablett hä ngen. Hoffentlich knurrte sein Magen genauso laut wie meiner.

Xemerius war noch vor mir in den Raum geschlü pft und sah sich anerkennend um.»Donnerwetter«, sagte er.»Nicht ü bel, die Bude.«Er spazierte einmal rundherum und bewunderte dabei die kunstvollen Schnitzereien, an denen ich mich auch nicht sattsehen konnte. Besonders die Meerjungfrau, die ü ber dem Sofa schwamm, hatte es mir angetan. Jede Schuppe war detailliert herausgearbeitet und ihre Flossen schimmerten in allen Blau- und Tü rkistö nen. Seinen Namen hatte der Drachensaal aber dem riesigen Drachen zu verdanken, der sich zwischen den Kronleuchtern an der hohen Decke entlangschlä ngelte und so lebensecht wirkte, als kö nne er jederzeit seine Flü gel entfalten und einfach losfliegen.

Bei Xemerius' Anblick riss der kleine Geistjunge verblü fft seine Augen auf und versteckte sich hinter Dr. Whites Beinen.

Ich hä tte gern»Der tut nichts, der will nur spielen«gesagt (in der Hoffnung, dass das auch stimmte), aber mit einem Geist ü ber einen Dä mon zu sprechen, wenn lauter Menschen im Raum sind, die weder das eine noch das andere sehen kö nnen, ist nicht zu empfehlen.

»Ich schau dann mal, ob ich noch etwas zu essen in der Kü che finde«, sagte Mrs Jenkins.

»Sie mü ssten doch lä ngst Feierabend haben, Mrs Jenkins«, sagte Falk de Villiers.»Sie machen zu viele Ü berstunden in letzter Zeit.«

»Ja, gehen Sie nach Hause«, wies Dr. White sie barsch an.»Hier wird schon niemand verhungern.«

Doch, ich! Und ich war sicher, dass Gideon gerade dasselbe dachte. Als unsere Blicke sich trafen, lä chelte er.

»Aber Kekse sind nicht gerade das, was man unter einem gesunden Abendessen fü r Kinder versteht«, sagte Mrs Jenkins, allerdings sagte sie es recht leise. Natü rlich waren Gideon und ich keine Kinder mehr, aber eine anstä ndige Mahlzeit stand uns ja wohl trotzdem zu. Schade, dass Mrs Jenkins hier die Einzige war, die meine Meinung teilte, denn leider hatte sie nicht viel zu sagen. An der Tü r stieß sie mit Mr George zusammen, der immer noch auß er Atem war und zudem zwei schwere, in Leder gebundene Folianten mit sich schleppte.

»Ah, Mrs Jenkins«, sagte er.»Vielen Dank fü r den Tee. Bitte machen Sie doch Feierabend und schließ en Sie das Bü ro ab.«

Mrs Jenkins verzog zwar missbilligend das Gesicht, aber sie erwiderte nur hö flich:»Bis morgen frü h.«

Mr George schloss die Tü r mit einem lauten Schnaufen hinter ihr und legte die dicken Bü cher auf den Tisch.»So, da bin ich. Es kann losgehen. Mit vier Mitgliedern des Inneren Kreises sind wir nicht beschlussfä hig, aber morgen werden wir beinahe vollzä hlig sein. Sinclair und Hawkins sind wie erwartet unabkö mmlich, beide haben ihr Stimmrecht auf mich ü bertragen. Heute geht es nur darum, eine grobe Marschrichtung festzulegen.«

»Am besten setzen wir uns.«Falk zeigte auf die Stü hle, die rund um den Tisch direkt unter dem geschnitzten Drachen standen, und alle suchten sich einen Platz.

Gideon hä ngte seinen Gehrock ü ber die Stuhllehne schrä g gegenü ber von meinem Platz und krempelte die Hemdsä rmel hoch.»Ich sage es noch einmal: Gwendolyn sollte bei diesem Gesprä ch nicht dabei sein. Sie ist mü de und vollkommen verä ngstigt. Sie sollte elapsieren und dann muss sie jemand nach Hause bringen.«

Und vorher sollte ihr bitte noch jemand eine Pizza bestellen, mit extra Kä se.

»Keine Sorge, Gwendolyn soll nur kurz die Gelegenheit haben, uns ihre Eindrü cke zu schildern«, sagte Mr George.»Dann werde ich sie selber hinunter zum Chronografen bringen.«

»Einen besonders verä ngstigten Eindruck macht sie auf mich eigentlich nicht«, murmelte der schwarze Dr. White. Robert, der kleine Geistjunge, stand hinter der Lehne seines Stuhls und schaute neugierig hinü ber zum Sofa, auf dem sich Xemerius herumflä zte.

»Was ist das fü r ein Dings? «, fragte er mich.

Ich sagte natü rlich nichts.

»Ich bin kein Dings. Ich bin ein guter Freund von Gwendolyn«, antwortete Xemerius an meiner Stelle und streckte ihm die Zunge heraus.»Wenn nicht sogar ihr bester. Sie kauft mir einen Hund.«

Ich warf dem Sofa einen strengen Blick zu.

»Das Unmö gliche ist eingetroffen«, sagte Falk.»Als Gideon und Gwendolyn Lady Tilney aufgesucht haben, wurden sie bereits erwartet. Alle hier Anwesenden kö nnen bezeugen, dass wir Datum und Uhrzeit ihres Besuches vollkommen willkü rlich ausgesucht haben. Und dennoch haben sie Lucy und Paul schon erwartet. Das kann unmö glich ein Zufall sein.«

»Das heiß t, irgendjemand muss ihnen von diesem Treffen berichtet haben«, sagte Mr George, der in einem der Folianten blä tterte.»Die Frage ist nur, wer.«

»Eher wann«, sagte Dr. White, wobei er mich ansah.

»Und zu welchem Zweck«, sagte ich.

Gideon runzelte prompt seine Stirn.»Der Zweck liegt auf der Hand. Sie brauchen unser Blut, um es in ihren gestohlenen Chronografen einlesen zu kö nnen. Deshalb hatten sie sich auch Verstä rkung mitgebracht.«

»In den Annalen steht kein einziges Wort ü ber euren Besuch verzeichnet«, sagte Mr George.»Dabei hattet ihr mit mindestens drei Wä chtern Kontakt, von den Wachen, die an den Aufgä ngen postiert sind, mal ganz abgesehen. Kö nnt ihr euch an die Namen erinnern? «

»Der erste Sekretä r hat uns persö nlich empfangen.«Gideon strich sich eine Locke aus der Stirn.»Burghes oder so ä hnlich. Er sagte, dass die Brü der Jonathan und Timothy de Villiers am frü hen Abend zum Elapsieren erwartet wü rden, wä hrend Lady Tilney bereits am frü hen Morgen elapsiert habe. Und ein Mann namens Winsley hat uns in einer Droschke nach Belgravia gebracht. Er hä tte dort vor der Tü r auf uns warten sollen, aber als wir aus dem Haus kamen, war die Droschke verschwunden. Wir mussten zu Fuß fliehen und in einem Versteck auf unseren Zeitsprung warten.«

Ich spü rte, wie ich errö tete, als ich mir unseren Aufenthalt in dem Versteck in Erinnerung rief. Hastig nahm ich mir einen Keks und ließ meine Haare ins Gesicht fallen.

»Der Bericht an diesem Tag wurde von einem Wä chter aus dem Inneren Kreis verfasst, einem gewissen Frank Mine. Er besteht nur aus ein paar Zeilen, ein bisschen ü ber das Wetter, dann ü ber einen Protestmarsch der Suffragetten in der City und darü ber, dass Lady Tilney pü nktlich zum Elapsieren erschienen sei. Keine besonderen Vorkommnisse. Die De-Villiers-Zwillinge werden nicht erwä hnt, sie waren aber in jenen Jahren ebenfalls Mitglieder des Inneren Kreises.«Mr George seufzte und klappte den Folianten zu.»Sehr seltsam. Das alles spricht wohl fü r ein Komplott in den eigenen Reihen.«

»Und die Hauptfrage bleibt: Wie konnten Lucy und Paul wissen, dass ihr beide an diesem Tag, zu dieser Uhrzeit bei Lady Tilney erscheinen wü rdet? «, sagte Mr Whitman.

»Puh«, sagte Xemerius vom Sofa.»Bisschen viele Namen - da schwirrt einem ja der Kopf.«

»Die Erklä rung liegt doch auf der Hand«, sagte Dr. White, wobei sein Blick wieder auf mir ruhte.

Alle starrten nachdenklich und finster vor sich hin, ich eingeschlossen. Ich hatte nichts getan, aber offensichtlich gingen hier alle davon aus, dass ich irgendwann in der Zukunft das Bedü rfnis verspü ren wü rde, Lucy und Paul zu verraten, wann wir Lady Tilney besuchen wü rden - warum auch immer. Das war alles sehr verwirrend, und je lä nger ich darü ber nachdachte, desto unlogischer erschien es mir. Und plö tzlich fü hlte ich mich sehr allein.

»Was seid ihr denn hier alles fü r Freaks? «, sagte Xemerius und sprang vom Sofa, um sich kopfü ber an einen der riesigen Kronleuchter zu hä ngen.»Zeitreisen - was? Unsereins hat ja schon viel erlebt, aber das ist selbst fü r mich Neuland.«

»Eins verstehe ich nicht«, sagte ich.»Warum haben Sie erwartet, dass etwas ü ber unseren Besuch in diesen Annalen steht, Mr George? Ich meine, wenn da etwas stü nde, hä tten Sie es doch vorher schon gesehen und gewusst, dass wir an diesem Tag dorthin reisen und was wir dort erleben wü rden. Oder ist das wie in diesem Film mit Ashton Kutcher? Jedes Mal, wenn einer von uns aus der Vergangenheit zurü ckkehrt, hat sich auch die ganze Zukunft verä ndert? «

»Das ist eine interessante und sehr philosophische Frage, Gwendolyn«, sagte Mr Whitman, als befä nden wir uns in seinem Unterricht.»Ich kenne zwar den Film nicht, von dem du sprichst, aber tatsä chlich kann den Gesetzen der Logik zufolge schon die winzigste Verä nderung in der Vergangenheit die Zukunft extrem beeinflussen. Da gibt es eine Kurzgeschichte von Ray Bradbury, in der...«

»Vielleicht verschieben wir die philosophischen Diskussionen auf einen anderen Zeitpunkt«, fiel ihm Falk ins Wort.»Ich wü rde jetzt gern die Einzelheiten ü ber den Hinterhalt in Lady Tilneys Haus hö ren und wie es euch gelingen konnte zu fliehen.«

Ich sah zu Gideon hinü ber. Sollte er doch bitte seine pistolenfreie Version zum Besten geben. Ich nahm mir noch einen Keks.

»Wir hatten Glü ck«, sagte Gideon und er sprach dabei genauso ruhig wie vorher.»Ich habe gleich gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Lady Tilney schien so gar nicht ü berrascht, uns zu sehen. Der Tisch war gedeckt, und als Paul und Lucy auftauchten und sich der Butler in der Tü r aufbaute, sind Gwendolyn und ich durchs Nachbarzimmer und die Dienstbotentreppe abgehauen. Die Droschke war verschwunden, also sind wir gelaufen.«Das Lü gen schien ihm nicht besonders schwerzufallen. Keine verrä terische Rö te, kein Liderflattern, kein angestrengtes Nach-oben-Schauen, nicht der Hauch einer Unsicherheit in der Stimme. Trotzdem fand ich, dass seiner Version der Geschichte das gewisse Etwas fehlte, das sie glaubwü rdig gemacht hä tte.

»Merkwü rdig«, sagte Dr. White.»Wenn der Hinterhalt richtig geplant gewesen wä re, wä ren sie bewaffnet gewesen und hä tten dafü r gesorgt, dass ihr nicht fliehen kö nntet.«

»Mein Kopf fä ngt an, sich zu drehen«, sagte Xemerius vom Sofa.»Ich hasse diese verdrehten Verbformen, die Zukunft und Vergangenheit mit einem Konjunktiv mischen.«

Ich sah erwartungsvoll zu Gideon hinü ber. Jetzt musste er sich aber was einfallen lassen, wenn er bei seiner pistolenfreien Version bleiben wollte.

»Ich glaube, wir haben sie einfach ü berrumpelt«, sagte Gideon.

»Hm«, machte Falk. Auch die Mienen der anderen sahen nicht wirklich ü berzeugt aus. Kein Wunder! Gideon hatte es verpatzt! Wenn man schon log, dann musste man mit verwirrenden Details aufwarten, die keine Menschenseele interessierten.

»Wir waren wirklich schnell«, sagte ich hastig.»Die Dienstbotentreppe war offenbar frisch gebohnert, ich wä re beinahe ausgerutscht, eigentlich bin ich die Treppe mehr hinuntergerutscht als gelaufen. Wenn ich mich nicht am Gelä nder festgehalten hä tte, lä ge ich jetzt mit gebrochenem Genick im Jahr 1912. Was passiert eigentlich, wenn man bei einem Zeitsprung stirbt? Kommt der tote Kö rper von allein wieder zurü ckgesprungen? Na ja, auf jeden Fall hatten wir Glü ck, dass die Tü r unten aufstand, weil gerade ein Dienstmä dchen mit einem Einkaufskorb hereinkam. So eine dicke Blonde. Ich dachte schon, Gideon wü rde sie auch noch umrennen, es waren Eier im Korb, das hä tte eine fü rchterliche Schweinerei gegeben. Aber wir rannten an ihr vorbei und so schnell wir konnten die Straß e entlang. Ich habe eine Blase am Zeh.«

Gideon hatte sich in seinem Stuhl zurü ckgelehnt und seine Arme verschrä nkt. Ich konnte seinen Blick nicht deuten, aber anerkennend oder gar dankbar sah er nicht aus.

»Nä chstes Mal ziehe ich Turnschuhe an«, sagte ich in das allgemeine Schweigen hinein. Dann nahm ich mir noch einen Keks. Auß er mir wollte die offenbar keiner essen.

»Ich habe eine Theorie«, sagte Mr Whitman langsam, wobei er mit dem Siegelring an seiner rechten Hand spielte.»Und je lä nger ich darü ber nachdenke, desto sicherer bin ich mir, dass ich damit richtig liege. Wenn...«

»Ich komme mir langsam wirklich dä mlich vor, weil ich es schon so oft gesagt habe. Aber sie sollte bei diesem Gesprä ch nicht dabei sein«, sagte Gideon.

Ich spü rte, wie aus dem Stich in meinem Herzen etwas Schlimmeres wurde. Jetzt war ich nicht lä nger verletzt - ich war sauer.

»Er hat recht«, stimmte Dr. White zu.»Es ist purer Leichtsinn, sie an unseren Ü berlegungen teilhaben zu lassen.«

»Aber wir sind auch auf Gwendolyns Erinnerungen angewiesen«, sagte Mr George.»Jede noch so kleine Erinnerung an Kleidung, Worte und Aussehen kö nnte uns den entscheidenden Hinweis auf Lucys und Pauls Basiszeit liefern.«

»Das alles wird sie morgen und ü bermorgen auch noch wissen«, sagte Falk de Villiers.»Ich denke, es ist wirklich das Beste, du gehst mit ihr nach unten zum Elapsieren, Thomas.«

Mr George verschrä nkte die Arme ü ber seinem dicken Bauch und schwieg.

»Ich werde mit Gwendolyn ins... zum Chronografen gehen und die Zeitreise ü berwachen«, sagte Mr Whitman und schob seinen Stuhl nach hinten.

»Gut.«Falk nickte.»Zwei Stunden werden mehr als genü gen. Einer der Adepten kann auf ihren Rü cksprung warten, wir brauchen dich hier oben.«

Ich sah Mr George fragend an. Er zuckte lediglich resigniert mit den Schultern.

»Komm, Gwendolyn.«Mr Whitman war schon aufgesprungen.»Je frü her du es hinter dich bringst, desto frü her bist du im Bett, dann kannst morgen in der Schule wenigstens wieder richtig mitmachen. Ich bin ü brigens schon sehr gespannt auf deinen Shakespeare-Aufsatz.«

Meine Gü te. Der hatte vielleicht Nerven! Jetzt von Shakespeare anzufangen, war ja wirklich das Letzte!

Ich ü berlegte noch einen Moment, ob ich protestieren sollte, aber dann entschied ich mich dagegen. Im Grunde genommen wollte ich dieses idiotische Geschwä tz gar nicht lä nger mitverfolgen. Ich wollte nach Hause und diesen ganzen Zeitreisekram inklusive Gideon einfach vergessen. Sollten sie doch in ihrem bekloppten Saal Geheimnisse hin und her wä lzen, bis sie vor Mü digkeit umkippten. Besonders Gideon wü nschte ich das. Inklusive eines Albtraums danach, der sich gewaschen hatte!


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