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Das neue Lernen im Netz






 

Schon heute sind das «Studium digitale» und die virtuelle Universitä t ganz real. In Deutschland machen sich zahlreiche Initiativen die neuen Mö glichkeiten des vernetzten Lernens zunutze. Die meisten bauen aber auf ein ergä nzendes Angebot zur traditionellen «Prä senzlehre» — nicht auf deren vö lligen Ersatz. Computer-Based-Learning, Webeducation, Teleleaming, E-Leaming, Teletutoring — Schlü sselworte aus der Welt des neuen Lernens, die versprechen Anker im Meer der vernetzten Wissensgesellschaft zu sein.

Seit Sommer 2000 gibt die Website www.studieren-im-netz.de einen Ü berblick ü ber die virtuellen Studienangebote in Deutschland: 1500 online abrufbare Seminare, Vorlesungen und Ü bungen an deutschen Universitä ten, Fachhochschulen und Berufsakademien verzeichnet dieses von der Bund-Lä nder-Kommission fü r Bildungs­planung und Forschungsfö rderung initiierte Angebot zurzeit. Folker Schrö del, Redaktionsleiter des Dienstes, rechnet mit einem weiteren Boom, wenn die vom Bildungsministerium unlä ngst ausgeschriebenen Fö rderprogramme fü r «Neue Medien in der Bildung» greifen. Lä ngst beschrä nken sich die angebotenen Kurse nicht mehr auf die Pionier-


Fachbereiche Informatik oder Elektrotechnik — bis hin zur Literatur­oder Erziehungswissenschaft erarbeiten Professoren und Multimedia-Experten neue Lehrformen fü r ihre Fä cher.

Und was ist nun das wirklich Neue am neuen Lernen? Interaktivitä t und Visualisierung des Lehrstoffs bei Unabhä ngigkeit von Zeit und Ort heiß en die wichtigsten Schlagworte. Die jü ngsten Formen der Wissensvermittlung haben eine groß e Bandbreite: Vom Anfang der 90er Jahre entwickelten Computer-Based-Training (CBT), das das zu vermittelnde Wissen in interaktiven Lerneinheiten auf einer CD gespeichert anbietet, bis zum ü ber Internet abrufbaren Web-Based-Training (WBT). Eine Variante sind auf Video aufgezeichnete Vorlesungen, die jederzeit aus dem Internet heruntergeladen werden kö nnen.

In virtuellen Seminaren kö nnen Studenten, die sich nie persö nlich kennen lernen, gemeinsam ein Thema erarbeiten. Dabei halten sie vielleicht mit einem Tele-Tutor ü ber E-Mail Rü cksprache oder stellen den Dozenten direkt im Chat Fragen. In virtuellen Labors lassen sich Experimente simulieren und auch Frö sche mit Mausklicks sezieren.

Keine Frage, dass diese neuen Kulturtechniken im Umgang mit dem Wissen auch neue pä dagogische und didaktische Ansä tze nach sich ziehen mü ssen. Anders als im Buch wird das Wissen im Internet in den besseren Fä llen nicht linear, also Kapitel fü r Kapitel, sondern in vernetzten Wissensmodulen dargeboten. Ein Modul, als minimale Lerneinheit verstanden, ist mit anderen Modulen verknü pft und lä sst sich zu einem Themenkomplex kombinieren — das der Lernende entsprechend seinen Bedü rfnissen zusammenstellt. Der visuellen Information kommt dabei ein immer grö ß eres Gewicht gegenü ber dem geschriebenen Wort zu.

Dies spiegelt auch die Vielzahl der netzbasierenden Lehrangebote wider. Der Bund und auch jedes der 16 Bundeslä nder fö rdern mittlerweile die unterschiedlichsten Online-Projekte fü r Bildung, Ausbildung und Weiterbildung. Die Website studieren-im-netz.de, die tä glich von 740 Neugierigen angeklickt wird, verzeichnet allein 15 Institutionen, die sich als «Virtuelle Hochschulen» bezeichnen. Ein Trend ist dabei klar: Viele Hochschulen arbeiten zusammen. Bei Vi-Kar, dem Virtuellen Hochschulverbund Karlsruhe, entwickeln die sechs Hochschulen der Stadt gemeinsame Online-Studienangebote (www.vikar.de). Fü r die Virtuelle Hochschule Bayern haben sich gleich alle Hochschulen des Bundeslandes zusammengeschlossen (www.vhb.org). An der «Virtuellen Fachhochschule» (www.on-campus.de) wird man sich vom Wintersemester 2001/2002 an zu einem Online-Vollstudium einschreiben kö nnen. Zu ihr haben sich


12 Fachhochschulen und zwei Universitä ten aus sieben Bundeslä ndern zusammengetan. «Es ist neu, dass die Hochschulen jetzt auch in der Lehre kooperieren — nicht nur in der Forschung», urteilt Claudia Bremer, Expertin fü r virtuelles Studieren von der Uni Frankfurt am Main. Diese Kooperationen bergen vielleicht auch einmal Einsparpotenziale —" warum an jeder Uni einen Grundkurs Literaturwissenschaft anbieten, wenn es auch ein virtueller fü r alle tut? Aber noch ist digitales Lernen vor allem teuer: Noch ein Grund, das virtuelle Studium nicht im Alleingang anzubieten.

Ein Wirtschaftsseminar an der London School of Economics, ein Literaturseminar an der Sorbonne, eine IT-Vorlesung in Bangalore in Indien — das alles von zu Hause aus, ganz ohne ü berfü llte Hö rsä le und Engpä sse in Bibliotheken. Am Bildschirm sitzt jeder in der ersten Reihe. Schö ne neue Studienwelt. Vielerorts wird schon mit Hochdruck an ihrer Umsetzung gearbeitet: Im Herbst 2000 haben sich unter Federfü hrung der Europauniversitä t Viadrina in Frankfurt/Oder zum Beispiel WirtschaftsinfoiTnatiker aus Deutschland, Ö sterreich, der Schweiz und Polen zur Initiative «Virtual Global University» (www.vg-u.de) zusammengeschlossen. Die Karlsruher von ViKar arbeiten an einem Projekt mit den europä ischen Regionen Baden-Wü rttemberg, Katalonien, Lombardei, Rhone-Alpes und Wales. Grö ß tes Handicap beim grenzü berschreitenden Studium, so ViKar-Sprecher Professor Peter Deussen, sei keineswegs die Sprache, sondern die gegenseitige Anerkennung von Studienleistungen. Genau diesem Problem widmet sich das von der Europä ischen Union gefö rderte Projekt «Cuber» (www.cuber.net), dessen Leitung bei der Fernuniversitä t Hagen liegt: Ziel soll sein, sich aus den Angeboten von neun europä ischen Internet-Universitä ten in acht Lä ndern einen Stundenplan zusammenstellen zu kö nnen — so dass man einzelne Lerneinheiten in Helsinki, Linz oder Barcelona absolvieren kann — und die Studienleistung am Ende in eine allgemein anerkannte Prü fung mü ndet. Ohnehin ist die Femuniversitä t Hagen, seit 25 Jahren Deutsch­lands Institution fü r «Distance Learning», Vorreiter der «virtuellen Universitä t». Kein Wunder, denn die Unabhä ngigkeit des Lernens von Ort und Zeit gehö rt hier seit jeher zum Programm. Pioniere sind die Hagener auch beim Thema virtuelle Prü fungen. Sie haben inzwischen schon rund 100 Videokonferenzprü fungen abgenommen.

Der Trend zum virtuellen Studium birgt Begleiterscheinungen — die negativen lassen sich unschwer aufzä hlen: Abhä ngigkeit von der Technik, soziale Isolierung, die fehlende «Atmosphä re» einer Universitä t. Die Reihe ließ e sich fortsetzen. Dem entgegen stehen die erfreulichen Nebenwirkungen: «Durch die Hintertü r des Online-


Lernens kö nnen didaktische Neuerungen auch im traditionellen Hochschulalltag ankommen», sagt E-Leaming-Expertin Claudia Bremer. Die stringente Strukturierung mit vielen Fallbeispielen, Tests und Ansä tzen zum «problemlö sungsorientierten» Lernen tue auch dem «realen» Unterricht gut und finde bestimmt Eingang in die traditionelle Lehre, wenn die Professoren sich mit dem «neuen Unterrichten» auseinandersetzen. Online-Dozent Bernhard Koring sieht noch einen weiteren Vorteil: die Transparenz. «Im Internet kann jeder sehen, was der Professor fü r sein Geld tut — oder nicht.» Das bringe einen «gewissen Zwang zur Qualitä t» mit sich. Nicht die schlechteste Voraussetzung fü r «neues Lernen».


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