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Homo Faber 1 ñòðàíèöà






Max Frisch

 

Ein Bericht

 

(1955/57)

 

Erste Station

 

Wir starteten in La Guardia, New York, mit dreistü ndiger Verspä tung infolge Schneestü rmen. Unsere Maschine war, wie ü blich auf dieser Strecke, eine Super-Constellation. Ich richtete mich sofort zum Schlafen, es war Nacht. Wir warteten noch weitere vierzig Minuten drauß en auf der Piste, Schnee vor den Scheinwerfern, Pulverschnee, Wirbel ü ber der Piste, und was mich nervö s machte, so daß ich nicht sogleich schlief, war nicht die Zeitung, die unsere Stewardeß verteilte, First Pictures Of World's Greatest Air Crash In Nevada, eine Neuigkeit, die ich schon am Mittag gelesen hatte, sondern einzig und allein diese Vibration in der stehenden Maschine mit laufenden Motoren — dazu der junge Deutsche neben mir, der mir sogleich auffiel, ich weiß nicht wieso, er fiel auf, wenn er den Mantel auszog, wenn er sich setzte und sich die Bü gelfalten zog, wenn er ü berhaupt nichts tat, sondern auf den Start wartete wie wir alle und einfach im Sessel saß, ein Blonder mit rosiger Haut, der sich sofort vorstellte, noch bevor man die Gü rtel geschnallt hatte. Seinen Namen hatte ich ü berhö rt, die Motoren drö hnten, einer nach dem andern auf Vollgasprobe —

Ich war todmü de.

Ivy hatte drei Stunden lang, wä hrend wir auf die verspä tete Maschine warteten, auf mich eingeschwatzt, obschon sie wuß te, daß ich grundsä tzlich nicht heirate.

Ich war froh, allein zu sein.

Endlich ging's los —

Ich habe einen Start bei solchem Schneetreiben noch nie erlebt, kaum hatte sich unser Fahrgestell von der weiß en Piste gehoben, war von den gelben Bodenlichtern nichts mehr zu sehen, kein Schimmer, spä ter nicht einmal ein Schimmer von Manhattan, so schneite es. Ich sah nur das grü ne Blinklicht an unsrer Tragflä che, die heftig schwankte, zeitweise wippte; fü r Sekunden verschwand sogar dieses grü ne Blinklicht im Nebel, man kam sich wie ein Blinder vor.

Rauchen gestattet.

Er kam aus Dü sseldorf, mein Nachbar, und so jung war er auch wieder nicht, anfangs Dreiß ig, immerhin jü nger als ich; er reiste, wie er mich sofort unterrichtete, nach Guatemala, geschä ftlich, soviel ich verstand —

Wir hatten ziemliche Bö en.

Er bot mir Zigaretten an, mein Nachbar, aber ich bediente mich von meinen eignen, obschon ich nicht rauchen wollte, und dankte, nahm nochmals die Zeitung, meinerseits keinerlei Bedü rfnis nach Bekanntschaft. Ich war unhö flich, mag sein. Ich hatte eine strenge Woche hinter mir, kein Tag ohne Konferenz, ich wollte Ruhe haben, Menschen sind anstrengend. Spä ter nahm ich meine Akten aus der Mappe, um zu arbeiten; leider gab es gerade eine heiß e Bouillon, und der Deutsche (er hatte, als ich seinem schwachen Englisch entgegenkam mit Deutsch, sofort gemerkt, daß ich Schweizer bin) war nicht mehr zu stoppen. Er redete ü ber Wetter, beziehungsweise ü ber Radar, wovon er wenig verstand; dann machte er, wie ü blich nach dem zweiten Weltkrieg; sofort auf europä ische Brü derschaft. Ich sagte wenig. Als man die Bouillon gelö ffelt hatte, blickte ich zum Fenster hinaus, obschon nichts andres zu sehen war als das grü ne Blinklicht drauß en an unsrer nassen Tragflä che, ab und zu Funkenregen wie ü blich, das rote Glü hen in der Motor-Haube. Wir stiegen noch immer —

Spä ter schlief ich ein.

Die Bö en ließ en nach.

Ich weiß nicht, warum er mir auf die Nerven ging, irgendwie kannte ich sein Gesicht, ein sehr deutsches Gesicht. Ich ü berlegte mit geschlossenen Augen, aber vergeblich. Ich versuchte, sein rosiges Gesicht zu vergessen, was mir gelang, und schlief etwa sechs Stunden, ü berarbeitet wie ich war — kaum war ich erwacht, ging er mir wieder auf die Nerven.

Er frü hstü ckte bereits.

Ich tat, als schliefe ich noch.

Wir befanden uns (ich sah es mit meinem rechten Auge) irgendwo ü ber dem Mississippi, flogen in groß er Hö he und vollkommen ruhig, unsere Propeller blinkten in der Morgensonne, die ü blichen Scheiben, man sieht sie und sieht hindurch, ebenso glä nzten die Tragflä chen, starr im leeren Raum, nichts von Schwingungen, wir lagen reglos in einem wolkenlosen Himmel, ein Flug wie hundert andere zuvor, die Motoren liefen in Ordnung.

» Guten Tag! «sagte er —

Ich grü ß te zurü ck.

»Gut geschlafen? «fragte er —

Man erkannte die Wasserzweige des Mississippi, wenn auch unter Dunst, Sonnenglanz drauf, Geriesel wie aus Messing oder Bronze; es war noch frü her Morgen, ich kenne die Strecke, ich schloß die Augen, um weiterzuschlafen.

Er las ein Heftlein, rororo.

Es hatte keinen Zweck, die Augen zu schließ en, ich war einfach wach, und mein Nachbar beschä ftigte mich ja doch, ich sah ihn sozusagen mit geschlossenen Augen. Ich bestellte mein Frü hstü ck... Er war zum ersten Mal in den Staaten, wie vermutet, dabei mit seinem Urteil schon fix und fertig, wobei er das eine und andere (im ganzen fand er die Amerikaner kulturlos) trotzdem anerkennen muß te, beispielsweise die Deutschfreundlichkeit der meisten Amerikaner.

Ich widersprach nicht.

Kein Deutscher wü nsche Wiederbewaffnung, aber der Russe zwinge Amerika dazu, Tragik, ich als Schweizer (Schwyzzer, wie er mit Vorliebe sagte) kö nne alldies nicht beurteilen, weil nie im Kaukasus gewesen, er sei im Kaukasus gewesen, er kenne den Iwan, der nur durch Waffen zu belehren sei. Er kenne den Iwan! Das sagte er mehrmals. Nur durch Waffen zu belehren! sagte er, denn alles andere mache ihm keinen Eindruck, dem Iwan —

Ich schä lte meinen Apfel.

Unterscheidung nach Herrenmenschen und Untermenschen, wie's der gute Hitler meinte, sei natü rlich Unsinn; aber Asiaten bleiben Asiaten —

Ich aß meinen Apfel.

Ich nahm meinen elektrischen Rasierapparat aus der Mappe, um mich zu rasieren, beziehungsweise um eine Viertelstunde allein zu sein, ich mag die Deutschen nicht, obschon Joachim, mein Freund, auch Deutscher gewesen ist... In der Toilette ü berlegte ich mir, ob ich mich nicht anderswohin setzen kö nnte, ich hatte einfach kein Bedü rfnis, diesen Herrn nä her kennenzulernen, und bis Mexico-City, wo mein Nachbar umsteigen muß te, dauerte es noch mindestens vier Stunden. Ich war entschlossen, mich anderswohin zu setzen; es gab noch freie Sitze. Als ich in die Kabine zurü ckkehrte, rasiert, so daß ich mich freier fü hlte, sicherer — ich vertrage es nicht, unrasiert zu sein — hatte er sich gestattet, meine Akten vom Boden aufzuheben, damit niemand drauf tritt, und ü berreichte sie mir, seinerseits die Hö flichkeit in Person. Ich bedankte mich, indem ich die Akten in meine Mappe versorgte, etwas zu herzlich, scheint es, denn er benutzte meinen Dank sofort, um weitere Fragen zu stellen.

Ob ich fü r die Unesco arbeite?

Ich spü rte den Magen — wie ö fter in der letzten Zeit, nicht schlimm, nicht schmerzhaft, ich spü rte nur, daß man einen Magen hat, ein blö des Gefü hl. Vielleicht war ich drum so unausstehlich. Ich setzte mich an meinen Platz und berichtete, um nicht unausstehlich zu sein, von meiner Tä tigkeit, technische Hilfe fü r unterentwickelte Vö lker, ich kann darü ber sprechen, wä hrend ich ganz andres denke. Ich weiß nicht, was ich dachte. Die Unesco, scheint es, machte ihm Eindruck, wie alles Internationale, er behandelte mich nicht mehr als Schwyzzer, sondern hö rte zu, als sei man eine Autoritä t, geradezu ehrfü rchtig, interessiert bis zur Unterwü rfigkeit, was nicht hinderte, daß er mir auf die Nerven ging.

Ich war froh um die Zwischenlandung.

Im Augenblick, als wir die Maschine verließ en und vor dem Zoll uns trennten, wuß te ich, was ich vorher gedacht hatte: Sein Gesicht (rosig und dicklich, wie Joachim nie gewesen ist) erinnerte mich doch an Joachim. —

Ich vergaß es wieder.

Das war in Houston, Texas.

Nach dem Zoll, nach der ü blichen Schererei mit meiner Kamera, die mich schon um die halbe Welt begleitet hat, ging ich in die Bar, um einen Drink zu haben, bemerkte aber, daß mein Dü sseldorfer bereits in der Bar saß, sogar einen Hocker freihielt — vermutlich fü r mich! — und ging gradaus in die Toilette hinunter, wo ich mir, da ich nichts anderes zu tun hatte, die Hä nde wusch.

Aufenthalt: 20 Minuten.

Mein Gesicht im Spiegel, wä hrend ich Minuten lang die Hä nde wasche, dann trockne: weiß wie Wachs, mein Gesicht, beziehungsweise grau und gelblich mit violetten Adern darin, scheuß lich wie eine Leiche. Ich vermutete, es kommt vom Neon-Licht, und trocknete meine Hä nde, die ebenso gelblich-violett sind, dann der ü bliche Lautsprecher, der alle Rä ume bedient, somit auch das Untergeschoß: Your attention please, your attention please! Ich wuß te nicht, was los ist. Meine Hä nde schwitzten, obschon es in dieser Toilette geradezu kalt ist, drauß en ist es heiß. Ich weiß nur soviel: — Als ich wieder zu mir kam, kniete die dicke Negerin neben mir, Putzerin, die ich vorher nicht bemerkt hatte, jetzt in nä chster Nä he, ich sah ihr Riesenmaul mit den schwarzen Lippen, das Rosa ihres Zahnfleisches, ich hö rte den hallenden Lautsprecher, wä hrend ich noch auf allen vieren war —

Plane is ready for departure.

Zweimal:

Plane is ready for departure.

Ich kenne diese Lautsprecherei.

All passengers for Mexico-Guatemala-Panama, dazwischen Motorenlä rm, kindly requested, Motorenlä rm, gate number five, thank you.

Ich erhob mich.

Die Negerin kniete noch immer —

Ich schwor mir, nie wieder zu rauchen, und versuchte, mein Gesicht unter die Rö hre zu halten, was nicht zu machen war wegen der Schü ssel, es war ein Schweiß anfall, nichts weiter, Schweiß anfall mit Schwindel.

Your attention please

Ich fü hlte mich sofort wohler.

Passenger Faber, passenger Faber!

Das war ich.

Please to the information-desk.

Ich hö rte es, ich tauchte mein Gesicht in die ö ffentliche Schü ssel, ich hoffte, daß sie ohne mich weiterfliegen, das Wasser war kaum kä lter als mein Schweiß, ich begriff nicht, wieso die Negerin plö tzlich lachte — es schü ttelte ihre Brust wie einen Pudding, so muß te sie lachen, ihr Riesenmaul, ihr Kruselhaar, ihre weiß en und schwarzen Augen, Groß aufnahme aus Afrika, dann neuerdings: Plane is ready for departure. Ich trocknete mein Gesicht mit dem Taschentuch, wä hrend die Negerin an meinen Hosen herumwischte. Ich kä mmte mich sogar, bloß um Zeit zu verlieren, der Lautsprecher gab Meldung um Meldung, Ankü nfte, Abflü ge, dann nochmals:

Passenger Faber, passenger Faber

Sie weigerte sich, Geld anzunehmen, es wä re ein Vergnü gen (pleasure) fü r sie, daß ich lebe, daß der Lord ihr Gebet erhö rt habe, ich hatte ihr die Note einfach hingelegt, aber sie folgte mir noch auf die Treppe, wo sie als Negerin nicht weitergehen durfte, und zwang mir die Note in die Hand.

In der Bar war es leer —

Ich rutschte mich auf einen Hocker, zü ndete mir eine Zigarette an, schaute zu, wie der Barmann die ü bliche Olive ins kalte Glas wirft, dann aufgieß t, die ü bliche Geste: mit dem Daumen hä lt er das Sieb vor dem silbernen Mischbecher, damit kein Eis ins Glas plumpst, und ich legte meine Note hin, drauß en rollte eine Super-Constellation vorbei und auf die Piste hinaus, um zu starten. Ohne mich! Ich trank meinen Martini-Dry, als wieder der Lautsprecher mit seinem Knarren einsetzte: Your attention please! Eine Weile hö rte man nichts, drauß en brü llten gerade die Motoren der startenden Super-Constellation, die mit dem ü blichen Drö hnen ü ber uns hinwegflog — dann neuerdings:

Passenger Faber, passenger Faber

Niemand konnte wissen, daß ich gemeint war, und ich sagte mir, lange kö nnen sie nicht mehr warten — ich ging aufs Observation-Dach, um unsere Maschine zu sehen. Sie stand, wie es schien, zum Start bereit; die Shell-Tanker waren weg, aber die Propeller liefen nicht. Ich atmete auf, als ich das Rudel unsrer Passagiere ü ber das leere Feld gehen sah, um einzusteigen, mein Dü sseldorfer ziemlich voran. Ich wartete auf das Anspringen der Propeller, der Lautsprecher hallte und schepperte auch hier:

Please to the information-desk!

Aber es geht mich nicht an.

Miß Sherbon, Mr. and Mrs. Rosenthal

Ich wartete und wartete, die vier Propellerkreuze blieben einfach starr, ich hielt sie nicht aus, diese Warterei auf meine Person, und begab mich neuerdings ins Untergeschoß, wo ich mich hinter der geriegelten Tü r eines Cabinets versteckte, als es nochmals kam:

Passenger Faber, passenger Faber.

Es war eine Frauenstimme, ich schwitzte wieder und muß te mich setzen, damit mir nicht schwindlig wurde, man konnte meine Fü ß e sehen.

This is our last call.

Zweimal: This is our last call.

Ich weiß nicht, wieso ich mich eigentlich versteckte. Ich schä mte mich; es ist sonst nicht meine Art, der letzte zu sein. Ich blieb in meinem Versteck, bis ich festgestellt hatte, daß der Lautsprecher mich aufgab, mindestens zehn Minuten. Ich hatte einfach keine Lust weiterzufliegen. Ich wartete hinter der geriegelten Tü r, bis man das Donnern einer startenden Maschine gehö rt hatte — eine Super-Constellation, ich kenne ihren Ton! — dann rieb ich mein Gesicht, um nicht durch Blä sse aufzufallen, und verließ das Cabinet wie irgendeiner, ich pfiff vor mich hin, ich stand in der Halle und kaufte irgendeine Zeitung, ich hatte keine Ahnung, was ich in diesem Houston, Texas, anfangen sollte. Es war merkwü rdig; plö tzlich ging es ohne mich! Ich horchte jedes Mal, wenn der Lautsprecher ertö nte — dann ging ich, um etwas zu tun, zur Western Union: um eine Depesche aufzugeben, betreffend mein Gepä ck, das ohne mich nach Mexico flog, ferner eine Depesche nach Caracas, daß unsere Montage um vierundzwanzig Stunden verschoben werden sollte, ferner eine Depesche nach New York, ich steckte gerade meinen Kugelschreiber zurü ck, als unsere Stewardeß, die ü bliche Liste in der andern Hand, mich am Ellbogen faß te:

»There you are! «

Ich war sprachlos —

»We're late, Mister Faber, we're late! «

Ich folgte ihr, meine ü berflü ssigen Depeschen in der Hand, mit allerlei Ausreden, die nicht interessierten, hinaus zu unsrer Super-Constellation; ich ging wie einer, der vom Gefä ngnis ins Gericht gefü hrt wird — Blick auf den Boden beziehungsweise auf die Treppe, die sofort, kaum war ich in der Kabine, ausgeklinkt und weggefahren wurde.

»I’m sorry! «sagte ich,»I’m sorry.«

Die Passagiere, alle schon angeschnallt, drehten ihre Kö pfe, ohne ein Wort zu sagen, und mein Dü sseldorfer, den ich vergessen hatte, gab mir sofort den Fensterplatz wieder, geradezu besorgt: Was denn geschehen wä re? Ich sagte, meine Uhr sei stehengeblieben, und zog meine Uhr auf.

Start wie ü blich —

Das Nä chste, was mein Nachbar erzä hlte, war interessant — ü berhaupt fand ich ihn jetzt, da ich keine Magenbeschwerden mehr hatte, etwas sympathischer; er gab zu, daß die deutsche Zigarre noch nicht zur Weltklasse gehö rt, Voraussetzung einer guten Zigarre, sagte er, sei ein guter Tabak.

Er entfaltete eine Landkarte.

Die Plantage, die seine Firma auszubauen hoffte, lag allerdings, wie mir schien, am Ende der Welt, Staatsgebiet von Guatemala, von Flores nur mit Pferd zu erreichen, wä hrend man von Palenque (Staatsgebiet von Mexico) mit einem Jeep ohne weiteres hinkommt; sogar ein Nash, behauptete er, wä re schon durch diesen Dschungel gefahren.

Er selbst flog zum ersten Mal dahin.

Bevö lkerung: Indios.

Es interessierte mich, insofern ich ja auch mit der Nutzbarmachung unterentwickelter Gebiete beschä ftigt bin; wir waren uns einig, daß Straß en erstellt werden mü ssen, vielleicht sogar ein kleiner Flugplatz, alles nur eine Frage der Verbindungen, Einschiffungen in Puerto Barrios — Ein kü hnes Unternehmen, schien mir, jedoch nicht unvernü nftig, vielleicht wirklich die Zukunft der deutschen Zigarre.

Er faltete die Karte zusammen —

Ich wü nschte Glü ck.

Auf seiner Karte (1: 500000) war sowieso nichts zu erkennen, Niemandsland, weiß, zwei blaue Linien zwischen grü nen Staatsgrenzen, Flü sse, die einzigen Namen (rot, nur mit der Lupe zu lesen) bezeichneten Maya-Ruinen —

Ich wü nschte Glü ck.

Ein Bruder von ihm, der schon seit Monaten da unten lebte, hatte offenbar Mü he mit dem Klima, ich konnte es mir vorstellen, Flachland, tropisch, Feuchte der Regenzeit, die senkrechte Sonne.

Damit war dieses Gesprä ch zu Ende.

Ich rauchte, Blick zum Fenster hinaus: unter uns der blaue Golf von Mexico, lauter kleine Wolken, und ihre violetten Schatten auf dem grü nlichen Meer, Farbspiel wie ü blich, ich habe es schon oft genug gefilmt — ich schloß die Augen, um wieder etwas Schlaf nachzuholen, den Ivy mir gestohlen hatte; unser Flug war nun vollkommen ruhig, mein Nachbar ebenso.

Er las seinen Roman.

Ich mache mir nichts aus Romanen — sowenig wie aus Trä umen, ich trä umte von Ivy, glaube ich, jedenfalls fü hlte ich mich bedrä ngt, es war in einer Spielbar in Las Vegas (wo ich in Wirklichkeit nie gewesen bin), Klimbim, dazu Lautsprecher, die immer meinen Namen riefen, ein Chaos von blauen und roten und gelben Automaten, wo man Geld gewinnen kann, Lotterie, ich wartete mit lauter Splitternackten, um mich scheiden zu lassen (dabei bin ich in Wirklichkeit gar nicht verheiratet), irgendwie kam auch Professor O. vor, mein geschä tzter Lehrer an der Eidgenö ssischen Technischen Hochschule, aber vollkommen sentimental, er weinte immerfort, obschon er Mathematiker ist, beziehungsweise Professor fü r Elektrodynamik, es war peinlich, aber das Blö dsinnigste von allem: — Ich bin mit dem Dü sseldorfer verheiratet!... Ich wollte protestieren, aber konnte meinen Mund nicht aufmachen, ohne die Hand davor zu halten, da mir soeben, wie ich spü rte, sä mtliche Zä hne ausgefallen sind, alle wie Kieselsteine im Mund —

Ich war, kaum erwacht, sofort im Bild:

Unter uns das offene Meer —

Es war der Motor links, der die Panne hatte; ein Propeller als starres Kreuz im wolkenlosen Himmel — das war alles.

Unter uns, wie gesagt, der Golf von Mexico.

Unsere Stewardeß, ein Mä dchen von zwanzig Jahren, ein Kind mindestens ihrem Aussehen nach, hatte mich an der linken Schulter gefaß t, um mich zu wecken, ich wuß te aber alles, bevor sie's erklä rte, indem sie mir eine grü ne Schwimmweste reichte; mein Nachbar war eben dabei, seine Schwimmweste anzuschnallen, humorig wie bei Alarm-Ü bungen dieser Art —

Wir flogen mindestens auf zweitausend Meter Hö he.

Natü rlich sind mir keine Zä hne ausgefallen, nicht einmal mein Stiftzahn, der Vierer oben rechts; ich war erleichtert, geradezu vergnü gt.

Im Korridor, vorn, der Captain:

There is no danger at all

Alles nur eine Maß nahme der Vorsicht, unsere Maschine ist sogar imstande mit zwei Motoren zu fliegen, wir befinden uns 8, 5 Meilen von der mexikanischen Kü ste entfernt, Kurs auf Tampico, alle Passagiere freundlich gebeten, Ruhe zu bewahren und vorlä ufig nicht zu rauchen.

Thank you.

Alle saß en wie in einer Kirche, alle mit grü nen Schwimmwesten um die Brust, ich kontrollierte mit meiner Zunge, ob mir wirklich keine Zä hne wackelten, alles andere regte mich nicht auf.

Zeit 10.25 Uhr.

Ohne unsere Verspä tung wegen Schneesturin in den nö rdlichen Staaten wä ren wir jetzt in Mexico-City gelandet, ich sagte es meinem Dü sseldorfer — bloß um zu reden. Ich hasse Feierlichkeit.

Keine Antwort.

Ich fragte nach seiner genauen Zeit —

Keine Antwort.

Die Motoren, die drei anderen, liefen in Ordnung, von Ausfall nichts zu spü ren, ich sah, daß wir die Hö he hielten, dann Kü ste im Dunst, eine Art von Lagune, dahinter Sü mpfe. Aber von Tampico noch nichts zu sehen. Ich kannte Tampico von frü her, von einer Fischvergiftung, die ich nicht vergessen werde bis ans Ende meiner Tage.

»Tampico«, sagte ich,»das ist die dreckigste Stadt der Welt. Ö lhafen, Sie werden sehen, entweder stinkt's nach Ö l oder nach Fisch —«

Er fingerte an seiner Schwimmweste.

»Ich rate Ihnen wirklich«, sagte ich,»essen Sie keinen Fisch, mein Herr, unter keinen Umstä nden —«

Er versuchte zu lä cheln.

»Die Einheimischen sind natü rlich immun«, sagte ich,»aber unsereiner —«

Er nickte, ohne zu hö ren. Ich hielt ganze Vorträ ge, scheint es, ü ber Amö ben, beziehungsweise ü ber Hotels in Tampico. Sobald ich merkte, daß er gar nicht zuhö rte, mein Dü sseldorfer, griff ich ihn am Ä rmel, was sonst nicht meine Art ist, im Gegenteil, ich hasse diese Manie, einander am Ä rmel zu greifen. Aber anders hö rte er einfach nicht zu. Ich erzä hlte ihm die ganze Geschichte meiner langweiligen Fischvergiftung in Tampico, 1951, also vor sechs Jahren — Wir flogen indessen, wie sich zeigte, gar nicht der Kü ste entlang, sondern plö tzlich landeinwä rts. Also doch nicht Tampico! Ich war sprachlos, ich wollte mich bei der Stewardeß erkundigen.

Rauchen wieder gestattet!

Vielleicht war der Flughafen von Tampico zu klein fü r unsere Super-Constellation (damals ist es eine DC-4 gewesen) oder sie hatten Weisung bekommen, trotz der Motorpanne nach Mexico-City durchzufliegen, was ich allerdings angesichts der Sierra Madre Oriental, die uns noch bevorstand, nicht begriff. Unsere Stewardeß — ich griff sie am Ellenbogen, was sonst, wie gesagt, nicht meine Art ist — hatte keine Zeit fü r Auskü nfte, sie wurde zum Captain gerufen.

Tatsä chlich stiegen wir.

Ich versuchte an Ivy zu denken —

Wir stiegen.

Unter uns immer noch Sü mpfe, seicht und trü be, dazwischen Zungen von Land, Sand, die Sü mpfe teilweise grü n und dann wieder rö tlich, Lippenstiftrot, was ich mir nicht erklä ren konnte, eigentlich keine Sü mpfe, sondern Lagunen, und wo die Sonne spiegelt, glitzert es wie Lametta beziehungsweise wie Stanniol, jedenfalls metallisch, dann wieder himmelblau und wä sserig (wie die Augen von Ivy) mit gelben Untiefen, Flecken wie violette Tinte, finster, vermutlich ein Unterwassergewä chs, einmal eine Einmü ndung, braun wie amerikanischer Milchkaffee, widerlich, Quadratmeilen nichts als Lagunen. Auch der Dü sseldorfer hatte das Gefü hl, wir steigen.

Die Leute redeten wieder.

Eine anstä ndige Landkarte, wie bei der Swissair immer zur Hand, gab es hier nicht, und was mich nervö s machte, war lediglich diese idiotische Information: Kurs nach Tampico, wä hrend die Maschine landeinwä rts fliegt — steigend, wie gesagt, mit drei Motoren, ich beobachtete die drei glitzernden Scheiben, die manchmal zu stocken scheinen, was auf optischer Tä uschung beruht, ein schwarzes Zucken wie ü blich. Es war kein Grund, sich aufzuregen, komisch nur der Anblick: das starre Kreuz eines stehenden Propellers bei voller Fahrt.

Unsere Stewardeß tat mir leid.

Sie muß te von Reihe zu Reihe gehen, lä chelnd wie Reklame, und fragen, ob jedermann sich wohlfü hle in seiner Schwimmweste; sobald man ein Witzchen machte, verlor sie ihr Lä cheln. Ob man im Gebirge schwimmen kö nne? fragte ich —

Order war Order.

Ich hielt sie am Arm, die junge Person, die meine Tochter hä tte sein kö nnen, beziehungsweise am Handgelenk; ich sagte ihr (natü rlich zum Spaß!) mit erhobenem Finger, sie habe mich zu diesem Flug gezwungen, jawohl, niemand anders als sie — sie sagte:

»There is no danger, Sir, no danger at all. We're going to land in Mexico-City in about one hour and twenty minutes.«

Das sagte sie jedem.

Ich ließ sie los, damit sie wieder lä cheln und ihre Pflicht erfü llen konnte, schauen, ob jedermann angeschnallt war. Kurz darauf hatte sie Order, Lunch zu bringen, obschon es noch nicht Lunchtime war... Zum Glü ck hatten wir schö nes Wetter auch ü ber Land, fast keine Wolken, jedoch Bö en wie ü blich vor Gebirgen, die normale Thermik, so daß unsere Maschine sackte, schaukelte, bis sie sich wieder im Gleichgewicht hatte und stieg, um neuerdings zu sacken mit schwingenden Tragflä chen; Minuten lang flog man vollkommen ruhig, dann wieder ein Stoß, so daß die Tragflä chen wippten, und wieder das Schlenkern, bis die Maschine sich fing und stieg, als wä re es fü r immer in Ordnung, und wieder sackte — wie ü blich bei Bö en.

In der Ferne die blauen Gebirge.

Sierra Madre Oriental.

Unter uns die rote Wü ste.

Als kurz darauf — wir erhielten gerade unsren Lunch, mein Dü sseldorfer und ich, das Ü bliche: Juice, ein schneeweiß es Sandwich mit grü nem Salat — plö tzlich ein zweiter Motor aussetzte, war die Panik natü rlich da, unvermeidlich, trotz Lunch auf dem Knie. Jemand schrie.

Von diesem Augenblick an ging alles sehr rasch —

Offenbar befü rchtete man noch den Ausfall der anderen Motoren, so daß man sich zur Notlandung entschloß. Jedenfalls sanken wir, der Lautsprecher knackte und knarrte, so daß man von den Anweisungen, die gegeben werden, kaum ein Wort versteht.

Meine erste Sorge: wohin mit dem Lunch?

Wir sanken, obschon zwei Motoren, wie gesagt, genü gen sollten, das reglose Pneu-Paar in der Luft, wie ü blich vor einer Landung, und ich stellte meinen Lunch einfach auf den Boden des Korridors, dabei befanden wir uns noch mindestens fü nfhundert Meter ü ber dem Boden.

Jetzt ohne Bö en.

No smoking.

Die Gefahr, daß unsere Maschine bei der Notlandung zerschellt oder in Flammen aufgeht, war mir bewuß t — ich staunte ü ber meine Ruhe.

Ich dachte an niemand.

Alles ging sehr geschwind, wie schon gesagt, unter uns Sand, ein flaches Tal zwischen Hü geln, die felsig zu sein schienen, alles vollkommen kahl, Wü ste —

Eigentlich war man nur gespannt.

Wir sanken, als lä ge eine Piste unter uns, ich preß te mein Gesicht ans Fenster, man sieht ja diese Pisten immer erst im letzten Augenblick, wenn schon die Bremsklappen drauß en sind. Ich wunderte mich, daß die Bremsklappen nicht kommen. Unsere Maschine vermied offensichtlich jede Kurve, um nicht abzusacken, und wir flogen ü ber die gü nstige Ebene hinaus, unser Schatten flog immer nä her, er sauste schneller als wir, so schien es, ein grauer Fetzen auf dem rö tlichen Sand, er flatterte.

Dann Felsen —

Jetzt stiegen wir wieder.

Dann, zum Glü ck, neuerdings Sand, aber Sand mit Agaven, beide Motoren auf Vollgas, so flogen wir Minuten lang auf Haushö he, das Fahrgestell wurde wieder eingezogen. Also Bauchlandung! Wir flogen, wie man sonst in groß en Hö hen fliegt, ziemlich ruhig und ohne Fahrgestell —aber auf Haushö he, wie gesagt, und ich wuß te, es wird keine Piste kommen, trotzdem preß te ich das Gesicht ans Fenster.

Plö tzlich war unser Fahrgestell neuerdings ausgeschwenkt, ohne daß eine Piste kam, dazu die Bremsklappen, man spü rte es wie eine Faust gegen den Magen, Bremsen, Sinken wie im Lift, im letzten Augenblick verlor ich die Nerven, so daß die Notlandung — ich sah nur noch die flitzenden Agaven zu beiden Seiten, dann beide Hä nde vors Gesicht! — nichts als ein blinder Schlag war, Sturz vornü ber in die Bewuß tlosigkeit.

Dann Stille.

Wir hatten ein Affenschwein, kann ich nur sagen, niemand hatte auch nur eine Nottü re aufgetan, ich auch nicht, niemand rü hrte sich, wir hingen vornü ber in unseren Gurten.

»Go on«, sagte der Captain,»go on! «

Niemand rü hrte sich.

»Go on! «

Zum Glü ck kein Feuer, man muß te den Leuten sagen, sie dü rften sich abschnallen, die Tü re war offen, aber es kam natü rlich keine Treppe angerollt, wie man's gewohnt ist, bloß Hitze, wie wenn man einen Ofen aufmacht, Glutluft.

Ich war unverletzt.

Endlich die Strickleiter!

Man versammelte sich, ohne daß es eine Order brauchte, im Schatten unter der Tragflä che, alle stumm, als wä re Sprechen in der Wü ste strengstens verboten. Unsere Super-Constellation stand etwas vornü ber gekippt, nicht schlimm, nur das vordere Fahrgestell war gestaucht, weil eingesunken im Sand, nicht einmal gebrochen. Die vier Propeller-Kreuze glä nzten im knallblauen Himmel, ebenso die drei Schwanzsteuer. Niemand rü hrte sich, wie gesagt, offenbar warteten alle, daß der Captain etwas sagte.


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