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Homo Faber 3 страница






Dann fuhren wir wieder.

»Haben sie denn Kinder? «fragte ich.

»Eine Tochter —«

Wir richteten uns zum Schlafen, die Jacke unter den Nacken, die Beine gestreckt auf die leeren Sitze gegenü ber.

»Hast du sie gekannt? «

»Ja«, sagte ich,»warum? «

Kurz darauf schlief er —

Beim Morgengrauen noch immer Dickicht, die erste Sonne ü ber dem flachen Dschungel-Horizont, viel Reiher, die in weiß en Scharen aufflatterten vor unserem langsamen Zug, Dickicht ohne Ende, unabsehbar, dann und wann eine Gruppe indianischer Hü tten, verborgen unter Bä umen mit Luftwurzeln, manchmal eine einzelne Palme, sonst meistens Laubhö lzer, Akazien und Unbekanntes, vor allem Bü sche, ein vorsintflutliches Farnkraut, es wimmelte von schwefelgelben Vö geln, die Sonne wieder wie hinter Milchglas, Dunst, man sah die Hitze.

Ich hatte geträ umt — (Nicht von Hanna!)

Als wir neuerdings auf offener Strecke hielten, war es Palenque, ein Bahnhö flein irgendwo, wo niemand einsteigt und niemand aussteigt auß er uns, ein kleiner Schopf neben dem Geleise, ein Signal, nichts weiter, nicht einmal Verdopplung des Geleises (wenn ich mich richtig erinnere), wir erkundigten uns dreimal, ob das Palenque ist.

Sofort rann wieder der Schweiß —

Wir standen mit unserem Gepä ck, als der Zug weiterfuhr, wie am Ende der Welt, mindestens am Ende der Zivilisation, und von einem Jeep, der hier hä tte warten sollen, um den Herrn aus Dü sseldorf sofort zur Plantage hinü berzufahren, war natü rlich keine Spur.

»There we are! «

Ich lachte.

Immerhin gab es ein Strä ß lein, und nach einer halben Stunde, die uns ziemlich erschö pft hatte, kamen Kinder aus den Bü schen, spä ter ein Eseltreiber, der unser Gepä ck nahm, ein Indio natü rlich, ich behielt nur meine gelbe Aktenmappe mit Reiß verschluß.

Fü nf Tage hingen wir in Palenque.

Wir hingen in Hä ngematten, allzeit ein Bier in greifbarer Nä he, schwitzend, als wä re Schwitzen unser Lebenszweck, unfä hig zu irgendeinem Entschluß, eigentlich ganz zufrieden, denn das Bier ist ausgezeichnet, Yucateca, besser als das Bier im Hochland, wir hingen in unseren Hä ngematten und tranken, um weiter schwitzen zu kö nnen, und ich wuß te nicht, was wir eigentlich wollten.

Wir wollten einen Jeep!

Wenn man es sich nicht immer wieder sagte, so vergaß man es, und sonst sagten wir wenig den ganzen Tag, ein sonderbarer Zustand.

Ein Jeep, ja, aber woher?

Sprechen machte nur durstig.

Der Wirt unsres winzigen Hotels (Lacroix) hatte einen Landrover, offensichtlich das einzige Fahrzeug in Palenque, das er aber selber brauchte, um Bier und Gä ste von der Bahn zu holen, Leute, die sich etwas aus indianischen Ruinen machen, Liebhaber von Pyramiden; zur Zeit war nur ein einziger da, ein junger Amerikaner, der zuviel redete, aber zum Glü ck war er tagsü ber immer weg — drauß en auf den Ruinen, die auch wir, meinte er, besichtigen sollten.

Ich dachte ja nicht daran!

Jeder Schritt lö ste Schweiß aus, der sofort mit Bier ersetzt werden muß te, und es ging nur, indem man in der Hä ngematte hing mit bloß en Fü ß en und sich nicht rü hrte, rauchend, Apathie als einzig mö glicher Zustand — sogar das Gerü cht, die Plantage jenseits der Grenze sei seit Monaten verlassen, regte uns nicht auf; wir blickten einander an, Herbert und ich, und tranken unser Bier.

Unsere einzige Chance: der Landrover.

Der stand tagelang vor dem Hotelchen —

Aber der Wirt, wie gesagt, brauchte ihn!

Erst nach Sonnenuntergang (die Sonne geht eigentlich nicht unter, sondern ermattet im Dunst) wurde es kü hler, so daß man wenigstens blö deln konnte. Ü ber die Zukunft der deutschen Zigarre! Ich fand es zum Lachen, nichts weiter, unsere ganze Reiserei und ü berhaupt. Revolte der Eingeborenen! Daran glaubte ich nicht einen Augenblick lang; dazu sind diese Indios viel zu sanft, zu friedlich, geradezu kindisch. Abende lang hocken sie in ihren weiß en Strohhü ten auf der Erde, reglos wie Pilze, zufrieden ohne Licht, still. Sonne und Mond sind ihnen Licht genug, ein weibisches Volk, unheimlich, dabei harmlos.

Herbert fragte, was ich denn glaube.

Nichts!

Was man denn machen solle, fragte er.

Duschen —

Ich duschte mich von morgens bis abends, ich hasse Schweiß, weil man sich wie ein Kranker vorkommt. (Ich bin in meinem Leben nie krank gewesen, ausgenommen Masern.) Ich glaube, Herbert fand es nicht gerade kameradschaftlich von mir, daß ich ü berhaupt nichts glaubte, aber es war einfach zu heiß, um etwas zu glauben, oder dann glaubte man geradezu alles — wie Herbert.

»Komm«, sagte ich,»gehen wir ins Kino! «

Herbert glaubte im Ernst, daß es in Palenque, das aus lauter indianischen Hü tten besteht, ein Kino gibt, und er war wü tend, als ich lachte.

Zum Regnen kam es nie.

Es wetterleuchtete jede Nacht, unsere einzige Abendunterhaltung, Palenque besitzt einen Dieselmotor, der elektrischen Strom erzeugt, aber um 21.00 Uhr abgestellt wird, so daß man plö tzlich in der Finsternis des Dschungels hing und nur noch das Wetterleuchten sah, blä ulich wie Quarzlampenlicht, dazu die roten Leuchtkä fer, spä ter Mond, schleimig, Sterne sah man nicht, dazu war es zu dunstig... Joachim schreibt einfach keine Briefe, weil es zu heiß ist, ich konnte es verstehen; er hä ngt in seiner Hä ngematte wie wir, gä hnend, oder er ist tot — da gab es nichts zu glauben, fand ich, bloß zu warten, bis wir einen Jeep bekommen, um ü ber die Grenze zu fahren und zu sehen.

Herbert schrie mich an:

»Ein Jeep! — woher? «

Kurz darauf schnarchte er.

Sonst herrschte, sobald der Dieselmotor abgestellt war, meistens Stille; ein Pferd graste im Mondschein, im gleichen Gehege ein Reh, aber lautlos, ferner eine schwarze Sau, ein Truthahn, der das Wetterleuchten nicht vertrug und kreischte, ferner Gä nse, die plö tzlich, vom Truthahn aufgeregt, ebenfalls schnatterten, plö tzlich ein Alarm, dann wieder Stille, Wetterleuchten ü ber dem platten Land, nur das grasende Pferd hö rte man die ganze Nacht.

Ich dachte an Joachim —

Aber was eigentlich?

Ich war einfach wach.

Nur unser Ruinen-Freund schwatzte viel, und wenn man zuhö rte, sogar ganz interessant; von Tolteken, Zapoteken, Azteken, die zwar Tempel erbaut, aber das Rad nicht gekannt haben. Er kam aus Boston und war Musiker. Manchmal ging er mir auf die Nerven wie alle Kü nstler, die sich fü r hö here oder tiefere Wesen halten, bloß weil sie nicht wissen, was Elektrizitä t ist.

Schließ lich schlief ich auch.

Am Morgen, jedesmal, weckte mich ein sonderbarer Lä rm, halb Industrie, halb Musik, ein Gerä usch, das ich mir nicht erklä ren konnte, nicht laut, aber rasend wie Grillen, metallisch, monoton, es muß te eine Mechanik sein, aber ich erriet sie nicht, und spä ter, wenn wir zum Frü hstü ck ins Dorf gingen, war es verstummt, nichts zu sehen. Wir waren die einzigen Gä ste in der einzigen Pinte, wo wir immer das gleiche bestellten: Huevos à la mexicana, sauscharf, aber vermutlich gesund, dazu Tortilla, dazu Bier. Die indianische Wirtin, eine Matrone mit schwarzen Zö pfen, hielt uns fü r Forscher. Ihre Haare erinnern an Gefieder: schwarz mit einem blä ulich-grü nen Glanz darin; dazu ihre Elfenbein-Zä hne, wenn sie einmal lä cheln, ihre ebenfalls schwarzen und weichen Augen.

»Frag sie doch«, sagte Herbert,»ob sie meinen Bruder kennt und wann sie ihn zuletzt gesehen hat.«

Viel war nicht zu erfahren.

»Sie erinnert sich an ein Auto«, sagte ich,»das ist alles —«Auch der Papagei wuß te nichts.

Gracias, hihi!

Ich redete spanisch mit ihm.

Hihi, gracias, hihi!

Am zweiten oder dritten Morgen, als wir wie ü blich frü hstü ckten, begafft von lauter Maya-Kindern, die ü brigens nicht betteln, sondern einfach vor unserem Tisch stehen und von Zeit zu Zeit lachen, war Herbert von der fixen Idee besessen, es mü ß te irgendwo in diesem Hü hnerdorf, wenn man es grü ndlich untersuchte, irgendeinen Jeep geben — irgendwo hinter einer Hü tte, irgendwo im Dickicht von Kü rbis und Bananen und Mais. Ich ließ ihn. Es war Blö dsinn, schien mir, wie alles, aber es war mir einerlei, ich hing in meiner Hä ngematte, und Herbert zeigte sich den ganzen Tag nicht.

Sogar zum Filmen war ich zu faul.

Auß er Bier, Yucateca, das ausgezeichnet war, aber ausgegangen, gab es in Palenque nur noch Rum, miserabel, und Coca-Cola, was ich nicht ausstehen kann —

Ich trank Rum und schlief.

Jedenfalls dachte ich stundenlang an nichts —

Herbert, der erst in der Dä mmerung zurü ckkam, bleich vor Erschö pfung, hatte einen Bach entdeckt und gebadet, ferner zwei Mä nner entdeckt, die mit krummen Sä beln (so behauptete er) durch den Mais gingen, Indios mit weiß en Hosen und weiß en Strohhü ten, genau wie die Mä nner im Dorf — aber mit krummen Sä beln in der Hand.

Von Jeep natü rlich kein Wort!

Er hatte Angst, glaube ich.

Ich rasierte mich, solange es noch elektrischen Strom gab. Herbert erzä hlte wieder von seinem Kaukasus, seine Schauergeschichten vom Iwan, die ich kenne; spä ter gingen wir, da es kein Bier mehr gab, ins Kino, gefü hrt von unserem Ruinen-Freund, der sein Palenque kannte — es gab tatsä chlich ein Kino, Schopf mit Wellblechdach, wir sahen als Vorfilm: Harald Lloyd, Fassadenkletterei in der Mode der Zwanzigerjahre; als Hauptfilm: Liebesleidenschaft in den besten Kreisen von Mexico, Ehebruch mit Cadillac und Browning, alles in Marmor und Abendkleid. Wir lachten uns krumm, wä hrend die vier oder fü nf Indios reglos vor der zerknitterten Leinwand hockten, ihre groß en Strohhü te auf dem Kopf, vielleicht zufrieden, vielleicht auch nicht, man weiß es nie, undurchsichtig, mongolisch... Unser neuer Freund, Musiker aus Boston, wie gesagt, Amerikaner franzö sischer Herkunft, war von Yucatan begeistert und konnte nicht fassen, daß wir uns nicht fü r Ruinen interessieren; er fragte, was wir hier machten.

Achselzucken unsrerseits —

Wir blickten uns an, Herbert und ich, indem es jeder dem andern ü berließ, zu sagen, daß wir auf einen Jeep warten. Ich weiß nicht, wofü r der andere uns hielt.

Rum hat den Vorteil, daß man nicht einen Schweiß ausbruch hat wie nach jedem Bier, dafü r Kopfschmerzen am anderen Morgen, wenn wieder der unverstä ndliche Lä rm losgeht, halb Klavier, halb Maschinengewehr, dazu Gesang — jedesmal zwischen 6.00 und 7.00 Uhr, jedesmal will ich der Sache nachgehen, vergesse es aber im Lauf des Tages.

Man vergiß t hier alles.

Einmal — wir wollten baden, aber Herbert fand seinen sagenhaften Bach nicht wieder, und wir gerieten plö tzlich zu den Ruinen — trafen wir unseren Kü nstler an seiner Arbeit. In dem Gestein, das einen Tempel vorstellen soll, glü hte eine Hö llenhitze. Seine einzige Sorge: kein Schweiß tropfen auf sein Papier! Er grü ß te kaum; wir stö rten ihn. Seine Arbeit: er spannte Pauspapier ü ber die steinernen Reliefs, um dann stundenlang mit einer schwarzen Kreide darü ber hinzustreichen, eine irrsinnige Arbeit, bloß um Kopien herzustellen; er behauptete steif und fest, man kö nne diese Hieroglyphen und Gö tterfratzen nicht fotografieren, sonst wä ren sie sofort tot. Wir ließ en ihn.

Ich bin kein Kunsthistoriker —

Nach einiger Pyramidenkletterei aus purer Langeweile (die Stufen sind viel zu steil, gerade das verkehrte Verhä ltnis von Breite und Hö he, so daß man auß er Atem kommt) legte ich mich, schwindlig vor Hitze, irgendwo in den Schatten eines sogenannten Palastes, meine Arme und Beine von mir gestreckt, atmend.

Die feuchte Luft —

Die schleimige Sonne —

Ich war entschlossen, meinerseits umzukehren: wenn wir bis morgen keinen Jeep hä tten... Es war schwü ler als je, moosig und moderig, es schwirrte von Vö geln mit langen blauen Schwä nzen, jemand hatte den Tempel als Toilette benutzt, daher die Fliegen. Ich versuchte zu schlafen. Es schwirrte und lä rmte wie im Zoo, wenn man nicht weiß, was da eigentlich pfeift und kreischt und trillert, Lä rm wie moderne Musik, es kö nnen Affen sein, Vö gel, vielleicht eine Katzenart, man weiß es nicht, Brunst oder Todesangst, man weiß es nicht. —

Ich spü rte meinen Magen. (Ich rauchte zuviel!)

Einmal, im elften oder dreizehnten Jahrhundert, soll hier eine ganze Stadt gestanden haben, sagte Herbert, eine Maya-Stadt —

Meinetwegen!

Meine Frage, ob er eigentlich noch an die Zukunft der deutschen Zigarre glaube, beantwortete Herbert schon nicht mehr: er schnarchte, nachdem er eben noch von der Religion der Maya geredet hatte, von Kunst und Derartigem.

Ich ließ ihn schnarchen.

Ich zog meine Schuhe aus, Schlangen hin oder her, ich brauchte Luft, ich hatte Herzklopfen vor Hitze, ich staunte ü ber unseren Pauspapier-Kü nstler, der an der prallen Sonne arbeiten konnte und dafü r seine Ferien hergibt, seine Ersparnisse, um Hieroglyphen, die niemand entziffern kann, nach Hause zu bringen —

Menschen sind komisch!

Ein Volk wie diese Maya, die das Rad nicht kennen und Pyramiden bauen, Tempel im Urwald, wo alles vermoost und in Feuchtigkeit ver brö ckelt — wozu?

Ich verstand mich selbst nicht.

Vor einer Woche hä tte ich in Caracas und heute (spä testens) wieder in New York landen sollen; statt dessen hockte man hier — um einem Jugendfreund, der meine Jugendfreundin geheiratet hat, Gutentag zu sagen.

Wozu!

Wir warteten auf den Landrover, der unseren Ruinen-Kü nstler tä glich hierher bringt, um ihn gegen Abend wieder abzuholen mit seinen Pauspapierrollen... Ich war entschlossen, Herbert zu wecken und ihm zu sagen, daß ich mit dem nä chsten Zug, der dieses Palenque verlä ß t, meine Rü ckkehr antrete.

Die schwirrenden Vö gel —

Nie ein Flugzeug!

Wenn man den Kopf zur Seite dreht, um nicht immer diesen Milchglashimmel zu sehen, meint man jedesmal, man sei am Meer, unsere Pyramide eine Insel oder ein Schiff, ringsum das Meer; dabei ist es nichts als Dickicht, uferlos, grü n-grau, platt wie ein Ozean — Dickicht!

Drü ber Vollmond lila im Nachmittag.

Herbert schnarchte nach wie vor.

Man staunt, wie sie diese Quader herbeigeschafft haben, wenn sie das Rad nicht kannten, also auch den Flaschenzug nicht. Auch das Gewö lbe nicht! Abgesehen von den Verzierungen, die mir sowieso nicht gefallen, weil ich fü r Sachlichkeit bin, finde ich ja diese Ruinen sehr primitiv — im Widerspruch zu unserem Ruinen-Freund, der die Maya liebt, gerade weil sie keinerlei Technik hatten, dafü r Gö tter, er findet es hinreiß end, daß man alle zweiundfü nfzig Jahre einfach ein neues Zeitalter startet, nä mlich alles vorhandene Geschirr zerschmettert, alle Herdfeuer lö scht, dann vom Tempel her das gleiche Feuer wieder ins ganze Land hinausträ gt, die ganze Tö pferei neuerdings herstellt; ein Volk, das einfach aufbricht und seine Stä dte (unzerstö rt) verlä ß t, einfach aus Religion weiterzieht, um nach fü nfzig oder hundert Meilen irgendwo in diesem immergleichen Dschungel eine vollkommen neue Tempel-Stadt zu bauen — Er findet es sinnvoll, obschon unwirtschaftlich, geradezu genial, tiefsinnig (profond), und zwar im Ernst.

Manchmal muß te ich an Hanna denken —

Als ich Herbert weckte, schoß er auf. Was los sei? Als er sah, daß nichts los war, schnarchte er weiter — um sich nicht zu langweilen.

Von Motor kein Ton!

Ich versuche, mir vorzustellen, wie es wä re, wenn es plö tzlich keine Motoren mehr gä be wie zur Zeit der Maya. Irgend etwas muß te man ja denken. Ich fand es ein kindisches Staunen, betreffend die Herbeischaffung dieser Quader: — sie haben einfach Rampen erstellt, dann ihre Quader geschleift mit einem idiotischen Verschleiß an Menschenkraft, das ist ja gerade das primitive daran. Anderseits ihre Astronomie! Ihr Kalender errechnete das Sonnenjahr, laut Ruinen-Freund, auf 365, 2420 Tage, statt 365, 2422 Tage; trotzdem brachten sie es mit ihrer Mathematik, die man anerkennen muß, zu keiner Technik und waren daher dem Untergang geweiht —

Endlich unser Landrover!

Das Wunder geschah, als unser Ruinen-Freund hö rte, daß wir hinü ber nach Guatemala mü ß ten. Er war begeistert. Er zog sofort sein Kalenderchen, um die restlichen Tage seiner Ferien zu zä hlen. In Guatemala, sagte er, wimmle es von Maya-Stä tten, teilweise kaum ausgegraben, und wenn wir ihn mitnä hmen, wollte er alles versuchen, um den Landrover zu bekommen, den wir nicht bekommen, dank seiner Freundschaft mit dem Lacroix -Wirt — und er bekam ihn.

(Hundert Pesos pro Tag.)

Es war Sonntag, als wir packten, eine heiß e Nacht mit schleimigem Mond, und der sonderbare Lä rm, der mich jeden Morgen geweckt hatte, erwies sich als Musik, Geklimper einer altertü mlichen Marimba, Gehä mmer ohne Klang, eine fü rchterliche Musik, geradezu epileptisch. Es war irgendein Fest, das mit dem Vollmond zu tun hat. Jeden Morgen vor der Feldarbeit hatten sie trainiert, um jetzt zum Tanz aufzuspielen, fü nf Indios, die mit rasenden Hä mmerchen auf ihr Instrument schlugen, eine Art hö lzernes Xylophon, lang wie ein Tisch. Ich ü berholte den Motor, um uns eine Panne im Dschungel zu ersparen, und hatte keine Zeit, die Tanzerei anzuschauen; ich lag unter unserem Landrover. Die Mä dchen saß en reihenweise um den Platz, die meisten mit einem Sä ugling an der braunen Brust, die Tä nzer schwitzten und tranken Kokos-Milch. Im Lauf der Nacht kamen immer mehr, schien es, ganze Vö lkerstä mme; die Mä dchen trugen keine Trachten wie sonst, sondern amerikanische Konfektion zur Feier ihres Mondes, ein Umstand, worü ber Marcel, unser Kü nstler, sich stundenlang aufregte. Ich hatte andere Sorgen! Wir besaß en keine Waffe, keinen Kompaß, nichts. Ich mache mir nichts aus Folklore. Ich packte unseren Landrover, jemand muß te es ja machen, und ich machte es gern, um weiterzukommen.

 

Hanna hatte Deutschland verlassen mü ssen und studierte damals Kunstgeschichte bei Professor Wö lfflin, eine Sache, die mir ferne lag, aber sonst verstanden wir uns sofort, ohne an Heiraten zu denken. Auch Hanna dachte nicht an Heiraten. Wir waren beide viel zu jung, wie schon gesagt, ganz abgesehen von meinen Eltern, die Hanna sehr sympathisch fanden, aber um meine Karriere besorgt waren, wenn ich eine Halbjü din heiraten wü rde, eine Sorge, die mich ä rgerte und geradezu wü tend machte. Ich war bereit, Hanna zu heiraten, ich fü hlte mich verpflichtet gerade in Anbetracht der Zeit. Ihr Vater, Professor in Mü nchen, kam damals in Schutzhaft, es war die Zeit der sogenannten Greuelmä rchen, und es kam fü r mich nicht in Frage, Hanna im Stich zu lassen. Ich war kein Feigling, ganz abgesehen davon, daß wir uns wirklich liebten. Ich erinnere mich genau an jene Zeit, Parteitag in Nü rnberg, wir saß en vor dem Radio, Verkü ndung der deutschen Rassengesetze. Im Grunde war es Hanna, die damals nicht heiraten wollte; ich war bereit dazu. Als ich von Hanna hö rte, daß sie die Schweiz binnen vierzehn Tagen zu verlassen habe, war ich in Thun als Offizier; ich fuhr sofort nach Zü rich, um mir Hanna zur Fremdenpolizei zu gehen, wo meine Uniform nichts ä ndern konnte, immerhin gelangten wir zum Chef der Fremdenpolizei. Ich erinnere mich noch heute, wie er das Schreiben betrachtete, das Hanna vorwies, und sich das Dossier kommen ließ, Hanna saß, ich stand. Dann seine wohlmeinende Frage, ob das Frä ulein meine Braut sei, und unsere Verlegenheit. Wir sollten verstehen: die Schweiz sei ein kleines Land, kein Platz fü r zahllose Flü chtlinge, Asylrecht, aber Hanna hä tte doch Zeit genug gehabt, ihre Auswanderung zu betreiben. Dann endlich das Dossier, und es stellt sich heraus, daß gar nicht Hanna gemeint war, sondern eine Emigrantin gleichen Namens, die bereits nach Ü bersee ausgewandert war. Erleichterung allerseits! Im Vorzimmer nahm ich meine Offiziershandschuhe, meine Offiziersmü tze, als Hanna nochmals an den Schalter gerufen wurde, Hanna kreidebleich. Sie muß te noch zehn Rappen zahlen, Porto fü r den Brief, den man fä lschlicherweise an ihre Adresse geschickt hatte. Ihre maß lose Empö rung darü ber! Ich fand es einen Witz. Leider muß te ich am selben Abend wieder nach Thun zu meinen Rekruten; auf jener Fahrt kam ich zum Entschluß, Hanna zu heiraten, falls ihr je die Aufenthaltsbewilligung entzogen werden sollte. Kurz darauf (wenn ich mich richtig erinnere) starb ihr alter Vater in Schutzhaft. Ich war entschlossen, wie gesagt, aber es kam nicht dazu. Ich weiß eigentlich nicht warum. Hanna war immer sehr empfindlich und sprunghaft, ein unberechenbares Temperament; wie Joachim sagte: manisch-depressiv. Dabei hatte Joachim sie nur ein oder zwei Mal gesehen, denn Hanna wollte mit Deutschen nichts zu tun haben. Ich schwor ihr, daß Joachim, mein Freund, kein Nazi ist; aber vergeblich. Ich verstand ihr Miß trauen, aber sie machte es mir nicht leicht, abgesehen davon, daß unsere Interessen sich nicht immer deckten. Ich nannte sie eine Schwä rmerin und Kunstfee. Dafü r nannte sie mich: Homo Faber. Manchmal hatten wir einen regelrechten Krach, wenn wir beispielsweise aus dem Schauspielhaus kamen, wohin sie mich immer wieder nö tigte; Hanna hatte einerseits einen Hang zum Kommunistischen, was ich nicht vertrug, und andererseits zum Mystischen, um nicht zu sagen: zum Hysterischen. Ich bin nun einmal der Typ, der mit beiden Fü ß en auf der Erde steht. Nichtsdestoweniger waren wir sehr glü cklich zusammen, scheint mir, und eigentlich weiß ich wirklich nicht, warum es damals nicht zur Heirat kam. Es kam einfach nicht dazu. Ich war, im Gegensatz zu meinem Vater, kein Antisemit, glaube ich; ich war nur zu jung wie die meisten Mä nner unter dreiß ig, zu unfertig, um Vater zu sein. Ich arbeitete noch an meiner Dissertation, wie gesagt, und wohnte bei meinen Eltern, was Hanna durchaus nicht begriff. Wir trafen uns immer in ihrer Bude. In jener Zeit kam das Angebot von Escher-Wyss, eine Chance sondergleichen fü r einen jungen Ingenieur, und was mir dabei Sorge machte, war nicht das Klima von Bagdad, sondern Hanna in Zü rich. Sie erwartete damals ein Kind. Ihre Offenbarung hö rte ich ausgerechnet an dem Tag, als ich von meiner ersten Besprechung mit Escher-Wyss kam, meinerseits entschlossen, die Stelle in Bagdad anzutreten sobald als mö glich. Ihre Behauptung, ich sei zu Tode erschrocken, bestreite ich noch heute; ich fragte bloß: Bist du sicher? Immerhin eine sachliche und vernü nftige Frage. Ich fü hlte mich ü bertö lpelt nur durch die Bestimmtheit ihrer Meldung; ich fragte: Bist du bei einem Arzt gewesen? Ebenfalls eine sachliche und erlaubte Frage. Sie war nicht beim Arzt gewesen. Sie wisse es! Ich sagte: Warten wir noch vierzehn Tage. Sie lachte, weil vollkommen sicher, und ich muß te annehmen, daß Hanna es schon lange gewuß t, aber nicht gesagt hatte; nur insofern fü hlte ich mich ü bertö lpelt. Ich legte meine Hand auf ihre Hand, im Augenblick fiel mir nicht viel dazu ein, das ist wahr; ich trank Kaffee und rauchte. Ihre Enttä uschung! Ich tanzte nicht vor Vaterfreude, das ist wahr, dazu war die politische Situation zu ernst. Ich fragte: Hast du denn einen Arzt, wo du hingehen kannst? Natü rlich meinte ich bloß: um sich einmal untersuchen zu lassen. Hanna nickte. Das sei keine Sache, sagte sie, das lasse sich schon machen! Ich fragte: Was meinst du? Spä ter behauptete Hanna, ich sei erleichtert gewesen, daß sie das Kind nicht haben wollte, und geradezu entzü ckt, drum hä tte ich meinen Arm um ihre Schultern gelegt, als sie weinte. Sie selber war es, die nicht mehr davon sprechen wollte, und dann berichtete ich von Escher-Wyss, von der Stelle in Bagdad, von den beruflichen Mö glichkeiten eines Ingenieurs ü berhaupt. Das war keineswegs gegen ihr Kind gerichtet. Ich sagte sogar, wieviel ich in Bagdad verdienen wü rde.

Und wö rtlich: Wenn du dein Kind haben willst, dann mü ssen wir natü rlich heiraten. Spä ter ihr Vorwurf, daß ich von Mü ssen gesprochen habe! Ich fragte offen heraus: Willst du heiraten, ja oder nein? Sie schü ttelte den Kopf, und ich wuß te nicht, woran ich bin. Ich besprach mich viel mit Joachim, wä hrend wir unser Schach spielten; Joachim unterrichtete mich ü ber das Medizinische, was bekanntlich kein Problem ist, dann ü ber das Juristische, bekanntlich auch kein Problem, wenn man sich die erforderlichen Gutachten zu verschaffen weiß, und dann stopfte er seine Pfeife, Blick auf unser Schach, denn Joachim war grundsä tzlich gegen Ratschlä ge. Seine Hilfe (er war Mediziner im Staatsexamen) hatte er zugesagt, falls wir, das Mä dchen und ich, seine Hilfe verlangen. Ich war ihm sehr dankbar, etwas verlegen, aber froh, daß er keine groß e Geschichte draus machte; er sagte bloß: Du bist am Zug! Ich meldete Hanna, daß alles kein Problem ist. Es war Hanna, die plö tzlich Schluß machen wollte; sie packte ihre Koffer, plö tzlich ihre wahnsinnige Idee, nach Mü nchen zurü ckzukehren. Ich stellte mich vor sie, um sie zur Vernunft zu bringen; ihr einziges Wort: Schluß! Ich hatte gesagt: Dein Kind, statt zu sagen: Unser Kind. Das war es, was mir Hanna nicht verzeihen konnte.

 

Die Strecke zwischen Palenque und der Plantage, in der Luftlinie gemessen, beträ gt kaum siebzig Meilen, sagen wir: hundert Meilen zum Fahren, eine Bagatelle, hä tte es so etwas wie eine Straß e gegeben, was natü rlich nicht der Fall war; die einzige Straß e, die in unsrer Richtung fü hrte, endete bereits bei den Ruinen, sie verliert sich einfach in Moos und Farnkraut —

Immerhin kamen wir voran.

37 Meilen am ersten Tag.

Wir wechselten am Steuer.

19 Meilen am zweiten Tag.

Wir fuhren einfach nach Himmelsrichtung, dabei natü rlich im Zickzack, wo es uns durchließ, das Dickicht, das ü brigens nicht so lü ckenlos ist, wie es aus der Ferne aussieht; ü berall gab es wieder Lichtungen, sogar Herden, aber ohne Hirten, zum Glü ck keine grö ß eren Sü mpfe.

Wetterleuchten —

Zum Regnen kam es nie.

Was mich nervö s machte: das Scheppern unsrer Kanister, ich stoppte ö fter und befestigte sie, aber nach einer halben Stunde unserer Fahrt ü ber Wurzeln und faule Stä mme schepperten sie wieder —

Marcel pfiff.

Obschon er hinten saß, wo es ihn hin und her schleuderte, pfiff er wie ein Bub und freute sich wie auf einer Schulreise, stundenlang sang er seine franzö sischen Kinderlieder:

II é tait un petit navire...

Herbert wurde eher still.

Ü ber Joachim redeten wir kaum —

Was Herbert nicht ertrug, waren die Zopilote; dabei tun sie uns, solange wir leben, ü berhaupt nichts, sie stinken nur, wie von Aasgeiern nicht anders zu erwarten, sie sind hä ß lich, und man trifft sie stets in Scharen, sie lassen sich kaum verscheuchen, wenn einmal an der Arbeit, alles Hupen ist vergeblich, sie flattern bloß, hü pfen um das aufgerissene Aas, ohne es aufzugeben... Einmal, als Herbert am Steuer saß, packte ihn ein regelrechter Koller; plö tzlich gab er Vollgas — los und hinein in die schwarze Meute, mitten hinein und hindurch, so daß es von schwarzen Federn nur so wirbelte!

Nachher hatte man es an den Rä dern.

Der sü ß liche Gestank begleitete uns noch stundenlang, bis man sich ü berwand; das Zeug klebte in den Pneu-Rillen, und es half nichts als peinliche Handarbeit, Rille um Rille. — Zum Glü ck hatten wir Rum! — Ohne Rum, glaube ich, wä ren wir umgekehrt — spä testens am dritten Tag —nicht aus Angst, aber aus Vernunft.

Wir hatten keine Ahnung, wo wir sind.

Irgendwo am 18. Breitengrad...

Marcel sang, il é tait un petit navire, oder er schwatzte wieder die halbe Nacht lang: —von Cortez und Montezuma (das ging noch, weil historische Tatsache) und vom Untergang der weiß en Rasse (es war einfach zu heiß und zu feucht, um zu widersprechen), vom katastrophalen Scheinsieg des abendlä ndischen Technikers (Cortez als Techniker, weil er Schieß pulver hatte!) ü ber die indianische Seele und was weiß ich, ganze Vorträ ge ü ber die unweigerliche Wiederkehr der alten Gö tter (nach Abwurf der H-Bombe!) und ü ber das Aussterben des Todes (wö rtlich!) dank Penicillin, ü ber Rü ckzug der Seele aus sä mtlichen zivilisierten Gebieten der Erde, die Seele im Maquis usw., Herbert erwachte an dem Wort Maquis, das er verstand, und fragte: Was sagt er? Ich sagte: Kü nstlerquatsch! und wir ließ en ihm seine Theorie ü ber Amerika, das keine Zukunft habe, The American Way of Life: Ein Versuch, das Leben zu kosmetisieren, aber das Leben lasse sich nicht kosmetisieren —


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