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Homo Faber 2 ñòðàíèöà






»Well«, sagte er,»there we are! «

Er lachte.

Ringsum nichts als Agaven, Sand, die rö tlichen Gebirge in der Ferne, ferner als man vorher geschä tzt hat, vor allem Sand und nochmals Sand, gelblich, das Flimmern der heiß en Luft darü ber, Luft wie flü ssiges Glas. —

Zeit: 11.05 Uhr.

Ich zog meine Uhr auf —

Die Besatzung holte Wolldecken heraus, um die Pneus vor der Sonne zu schü tzen, wä hrend wir in unseren grü nen Schwimmwesten umherstanden, untä tig. Ich weiß nicht, warum niemand die Schwimmweste auszog.

 

Ich glaube nicht an Fü gung und Schicksal, als Techniker bin ich gewohnt mit den Formeln der Wahrscheinlichkeit zu rechnen. Wieso Fü gung? Ich gebe zu: Ohne die Notlandung in Tamaulipas (2, 6. III.) wä re alles anders gekommen; ich hä tte diesen jungen Hencke nicht kennengelernt, ich hä tte vielleicht nie wieder von Hanna gehö rt, ich wü ß te heute noch nicht, daß ich Vater bin. Es ist nicht auszudenken, wie anders alles gekommen wä re ohne diese Notlandung in Tamaulipas. Vielleicht wü rde Sabeth noch leben. Ich bestreite nicht: Es war mehr als ein Zufall, daß alles so gekommen ist, es war eine ganze Kette von Zufä llen. Aber wieso Fü gung? Ich brauche, um das Unwahrscheinliche als Erfahrungstatsache gelten zu lassen, keinerlei Mystik; Mathematik genü gt mir.

Mathematisch gesprochen:

Das Wahrscheinliche (daß bei 6 000 000 000 Wü rfen mit einem regelmä ß igen Sechserwü rfel annä hernd 1 000 000 000 Einser vorkommen) und das Unwahrscheinliche (daß bei 6 Wü rfen mit demselben Wü rfel einmal 6 Einser vorkommen) unterscheiden sich nicht dem Wesen nach, sondern nur der Hä ufigkeit nach, wobei das Hä ufigere von vornherein als glaubwü rdiger erscheint. Es ist aber, wenn einmal das Unwahrscheinliche eintritt, nichts Hö heres dabei, keinerlei Wunder oder Derartiges, wie es der Laie so gerne haben mö chte. Indem wir vom Wahrscheinlichen sprechen, ist ja das Unwahrscheinliche immer schon inbegriffen und zwar als Grenzfall des Mö glichen, und wenn es einmal eintritt, das Unwahrscheinliche, so besteht fü r unsereinen keinerlei Grund zur Verwunderung, zur Erschü tterung, zur Mystifikation.

Vergleiche hierzu:

Ernst Mally Wahrscheinlichkeit und Gesetz, ferner Hans Reichenbach Wahrscheinlichkeitslehre, ferner Whitehead und Russell Principia Mathematica, ferner v. Mises Wahrscheinlichkeit, Statistik und Wahrheit.

 

Unser Aufenthalt in der Wü ste von Tamaulipas, Mexico, dauerte vier Tage und drei Nä chte, total 85 Stunden, worü ber es wenig zu berichten gibt — ein grandioses Erlebnis (wie jedermann zu erwarten scheint, wenn ich davon spreche) war es nicht. Dazu viel zu heiß! Natü rlich dachte ich auch sofort an den Disney-Film, der ja grandios war, und nahm sofort meine Kamera; aber von Sensation nicht die Spur, ab und zu eine Eidechse, die mich erschreckte, eine Art von Sandspinnen, das war alles.

Es blieb uns nichts als Warten.

Das erste, was ich in der Wü ste von Tamaulipas tat: ich stellte mich dem Dü sseldorfer vor, denn er interessierte sich fü r meine Kamera, ich erlä uterte ihm meine Optik.

Andere lasen.

Zum Glü ck, wie sich bald herausstellte, spielte er auch Schach, und da ich stets mit meinem Steck-Schach reise, waren wir gerettet; er organisierte sofort zwei leere Coca-Cola-Kistchen, wir setzten uns abseits, um das allgemeine Gerede nicht hö ren zu mü ssen, in den Schatten unter dem Schwanzsteuer — kleiderlos, bloß in Schuhen (wegen der Hitze des Sandes) und in Jockey-Unterhosen.

Unser Nachmittag verging im Nu.

Kurz vor Einbruch der Dä mmerung erschien ein Flugzeug, Militä r, es kreiste lange ü ber uns, ohne etwas abzuwerfen, und verschwand (was ich gefilmt habe) gegen Norden, Richtung Monterrey.

Abendessen: ein Kä se-Sandwich, eine halbe Banane.

Ich schä tze das Schach, weil man Stunden lang nichts zu reden braucht. Man braucht nicht einmal zu hö ren, wenn der andere redet. Man blickt auf das Brett, und es ist keineswegs unhö flich, wenn man kein Bedü rfnis nach persö nlicher Bekanntschaft zeigt, sondern mit ganzem Ernst bei der Sache ist —

»Sie sind am Zug! «sagte er —

Die Entdeckung, daß er Joachim, meinen Freund, der seit mindestens zwanzig Jahren einfach verstummt war, nicht nur kennt, sondern daß er geradezu sein Bruder ist, ergab sich durch Zufall... Als der Mond aufging (was ich ebenfalls gefilmt habe) zwischen schwarzen Agaven am Horizont, hä tte man noch immer Schach spielen kö nnen, so hell war es, aber plö tzlich zu kalt; wir waren hinausgestapft, um eine Zigarette zu rauchen, hinaus in den Sand, wo ich gestand, daß ich mir aus Landschaften nichts mache, geschweige denn aus einer Wü ste.

»Das ist nicht Ihr Ernst! «sagte er.

Er fand es ein Erlebnis.

»Gehen wir schlafen! «sagte ich,»— Hotel Super-Constellation, Holiday In Desert With All Accommodations! «

Ich fand es kalt.

Ich habe mich schon oft gefragt, was die Leute eigentlich meinen, wenn sie von Erlebnis reden. Ich bin Techniker und gewohnt, die Dinge zu sehen, wie sie sind. Ich sehe alles, wovon sie reden, sehr genau; ich bin ja nicht blind. Ich sehe den Mond ü ber der Wü ste von Tamaulipas — klarer als je, mag sein, aber eine errechenbare Masse, die um unseren Planeten kreist, eine Sache der Gravitation, interessant, aber wieso ein Erlebnis? Ich sehe die gezackten Felsen, schwarz vor dem Schein des Mondes; sie sehen aus, mag sein, wie die gezackten Rü cken von urweltlichen Tieren, aber ich weiß: Es sind Felsen, Gestein, wahrscheinlich vulkanisch, das mü ß te man nachsehen und feststellen. Wozu soll ich mich fü rchten? Es gibt keine urweltlichen Tiere mehr. Wozu sollte ich sie mir einbilden? Ich sehe auch keine versteinerten Engel, es tut mir leid; auch keine Dä monen, ich sehe, was ich sehe: die ü blichen Formen der Erosion, dazu meinen langen Schatten auf dem Sand, aber keine Gespenster. Wozu weibisch werden? Ich sehe auch keine Sintflut, sondern Sand, vom Mond beschienen, vom Wind gewellt wie Wasser, was mich nicht ü berrascht; ich finde es nicht fantastisch, sondern erklä rlich. Ich weiß nicht, wie verdammte Seelen aussehen; vielleicht wie schwarze Agaven in der nä chtlichen Wü ste. Was ich sehe, das sind Agaven, eine Pflanze, die ein einziges Mal blü ht und dann abstirbt. Ferner weiß ich, daß ich nicht (wenn es im Augenblick auch so aussieht) der erste oder letzte Mensch auf der Erde bin; und ich kann mich von der bloß en Vorstellung, der letzte Mensch zu sein, nicht erschü ttern lassen, denn es ist nicht so. Wozu hysterisch sein? Gebirge sind Gebirge, auch wenn sie in gewisser Beleuchtung, mag sein, wie irgend etwas anderes aussehen, es ist aber die Sierra Madre Oriental, und wir stehen nicht in einem Totenreich, sondern in der Wü ste von Tamaulipas, Mexico, ungefä hr sechzig Meilen von der nä chsten Straß e entfernt, was peinlich ist, aber wieso ein Erlebnis? Ein Flugzeug ist fü r mich ein Flugzeug, ich sehe keinen ausgestorbenen Vogel dabei, sondern eine Super-Constellation mit Motor-Defekt, nichts weiter, und da kann der Mond sie bescheinen, wie er will. Warum soll ich erleben, was gar nicht ist? Ich kann mich auch nicht entschließ en, etwas wie die Ewigkeit zu hö ren; ich hö re gar nichts, ausgenommen das Rieseln von Sand nach jedem Schritt. Ich schlottere, aber ich weiß: in sieben bis acht Stunden kommt wieder die Sonne. Ende der Welt, wieso? Ich kann mir keinen Unsinn einbilden, bloß um etwas zu erleben. Ich sehe den Sand-Horizont, weiß lich in der grü nen Nacht, schä tzungsweise zwanzig Meilen von hier, und ich sehe nicht ein, wieso dort, Richtung Tampico, das Jenseits beginnen soll. Ich kenne Tampico. Ich weigere mich, Angst zu haben aus bloß er Fantasie, beziehungsweise fantastisch zu werden aus bloß er Angst, geradezu mystisch.

»Kommen Sie! «sagte ich.

Herbert stand und erlebte noch immer.

»Ü brigens«, sagte ich,»sind Sie irgendwie verwandt mit einem Joachim Hencke, der einmal in Zü rich studiert hat? «Es kam mir ganz plö tzlich, als wir so standen, die Hä nde in den Hosentaschen, den Rockkragen heraufgestü lpt; wir wollten gerade in die Kabine steigen.

»Joachim? «sagte er,»das ist mein Bruder.«

»Nein! «sagte ich —

»Ja«, sagte er,»natü rlich — ich erzä hlte Ihnen doch, daß ich meinen Bruder in Guatemala besuche.«

Wir muß ten lachen.

»Wie klein die Welt ist! «

Die Nä chte verbrachte man in der Kabine, schlotternd in Mantel und Wolldecken; die Besatzung kochte Tee, solange Wasser vorhanden.

»Wie geht's ihm denn? «fragte ich.»Seit zwanzig Jahren habe ich nichts mehr von ihm gehö rt. «

»Danke«, sagte er,»danke —«

»Damals«, sagte ich,»waren wir sehr befreundet —«

Was ich erfuhr, war so das Ü bliche: Heirat, ein Kind (was ich offenbar ü berhö rt habe; sonst hä tte ich mich nicht spä ter danach erkundigt), dann Krieg, Gefangenschaft, Heimkehr nach Dü sseldorf und so fort, ich staunte, wie die Zeit vergeht, wie man ä lter wird.

»Wir sind besorgt«, sagte er —

»Wieso? «

»Er ist der einzige Weiß e da unten«, sagte er,»seit zwei Monaten keinerlei Nachrichten —«

Er berichtete.

Die meisten Passagiere schliefen schon, man muß te flü stern, das groß e Licht in der Kabine war lange schon gelö scht, um die Batterie zu schonen, war man gebeten, auch das kleine Lä mpchen ü ber dem Sitz auszuknipsen; es war dunkel, nur drauß en die Helligkeit des Sandes, die Tragflä chen im Mondlicht, glä nzend, kalt.

»Wieso Revolte? «fragte ich.

Ich beruhigte ihn.

»Wieso Revolte? «sagte ich,»vielleicht sind seine Briefe einfach verlorengegangen —«

Jemand bat uns, endlich zu schweigen.

Zweiundvierzig Passagiere in einer Super-Constellation, die nicht fliegt, sondern in der Wü ste steht, ein Flugzeug mit Wolldecken um die Motoren (um sie vor Sand zu schü tzen) und mit Wolldecken um jeden Pneu, die Passagiere genau so, wie wenn man fliegt, in ihren Sesseln schlafend mit schrä gen Kö pfen und meistens offenen Mü ndern, aber dazu Totenstille, drauß en die vier blanken Propeller-Kreuze, der weiß liche Mondglanz auch auf den Tragflä chen, alles reglos — es war ein komischer Anblick.

Jemand redete im Traum —

Beim Erwachen am Morgen, als ich zum Fensterchen hinausschaute und den Sand sah, die Nä he des Sandes, erschrak ich eine Sekunde lang, unnö tigerweise.

Herbert las wieder ein rororo.

Ich nahm mein Kalenderchen:

27. III. Montage in Caracas!

Zum Frü hstü ck gab es Juice, dazu zwei Biscuits, dazu Versicherungen, daß Lebensmittel unterwegs sind, Geträ nke auch, kein Grund zu Besorgnis — sie hä tten besser nichts gesagt; denn so wartete man natü rlich den ganzen Tag auf Motorengerä usch.

Wieder eine Irrsinnshitze!

In der Kabine war's noch heiß er —

Was man hö rte: Wind, dann und wann Pfiffe von Sandmä usen, die man allerdings nicht sah, das Rascheln einer Eidechse, vor allem ein steter Wind, der den Sand nicht aufwirbelte, wie gesagt, aber rieseln ließ, so daß unsere Trittspuren immer wieder gelö scht waren; immer wieder sah es aus, als wä re niemand hier gewesen, keine Gesellschaft von zweiundvierzig Passagieren und fü nf Leuten der Besatzung.

Ich wollte mich rasieren —

Zu filmen gab es ü berhaupt nichts.

Ich fü hle mich nicht wohl, wenn unrasiert; nicht wegen der Leute, sondern meinetwegen. Ich habe dann das Gefü hl, ich werde etwas wie eine Pflanze, wenn ich nicht rasiert bin, und ich greife unwillkü rlich an mein Kinn. Ich holte meinen Apparat und versuchte alles mö gliche, beziehungsweise unmö gliche, denn ohne elektrischen Strom ist mit diesem Apparat ja nichts zu machen, das weiß ich — das war es ja, was mich nervö s machte: daß es in der Wü ste keinen Strom gibt, kein Telefon, keinen Stecker, nichts. Einmal, mittags, hö rte man Motoren.

Alle, auß er Herbert und mir, standen drauß en in der brü tenden Sonne, um Ausschau zu halten in dem violetten Himmel ü ber dem gelblichen Sand und den grauen Disteln und den rö tlichen Gebirgen, es war nur ein dü nnes Summen, eine gewö hnliche DC-7, die da in groß er Hö he glä nzte, im Widerschein weiß wie Schnee, Kurs auf Mexico-City, wo wir gestern um diese Zeit hä tten landen sollen.

Die Stimmung war miserabler als je.

Wir hatten unser Schach, zum Glü ck.

Viele Passagiere folgten unserem Vorbild, indem sie sich mit Schuhen und Unterhosen begnü gten; die Damen hatten es schwieriger, einige saß en in aufgekrempelten Rö cken und in Bü stenhaltern, blau oder weiß oder rosa, ihre Bluse um den Kopf gewickelt wie einen Turban.

Viele klagten ü ber Kopfschmerz.

Jemand muß te sich erbrechen —

Wir hockten wieder abseits, Herbert und ich, im Schatten unter dem Schwanzsteuer, das, wie die Tragflä chen auch, im Widerschein des besonnten Sandes blendete, so daß man sogar im Schatten wie unter einem Scheinwerfer saß, und wir redeten wie ü blich wenig beim Schach. Einmal fragte ich:

»Ist Joachim denn nicht mehr verheiratet? «

»Nein«, sagte er.

»Geschieden? «

»Ja«, sagte er.

»Wir haben viel Schach gespielt — damals.«

»So«, sagte er.

Seine Einsilbigkeit reizte mich.

»Wen hat er denn geheiratet? «

Ich fragte zum Zeitvertreib, es machte mich nervö s, daß man nicht rauchen durfte, ich hatte eine Zigarette im Mund, feuerlos, weil Herbert sich so lange besann, obschon er sehen muß te, daß es nichts mehr zu retten gibt; ich lag mit einem Pferdchen-Gewinn im sicheren Vorteil, als er nach langem Schweigen, dann so beilä ufig, wie ich meinerseits gefragt hatte, den Namen von Hanna erwä hnte.

»— Hanna Landsberg, Mü nchnerin, Halbjü din.«

Ich sagte nichts.

»Sie sind am Zug! «sagte er.

Ich ließ nichts merken, glaube ich. Ich zü ndete versehentlich meine Zigarette an, was strengstens verboten war, und lö schte sofort aus. Ich tat, als ü berlegte ich meine Zü ge, und verlor Figur um Figur —

»Was ist los? «lachte er,»was ist los? «

Wir spielten die Partie nicht zu Ende, ich gab auf und drehte das Brettchen, um die Figuren neuerdings aufzustellen. Ich wagte nicht einmal zu fragen, ob Hanna noch am Leben sei. Stundenlang spielten wir ohne ein Wort, von Zeit zu Zeit genö tigt, unsere Coca-Cola-Kiste zu verrutschen, um im Schatten zu bleiben, das heiß t: genö tigt, immer wieder auf Sand zu sitzen, der gerade noch in der Sonne geglü ht hatte. Wir schwitzten wie in der Sauna, wortlos ü ber mein ledernes Steckschach gebeugt, das sich von unseren Schweiß tropfen leider verfä rbte.

Zu trinken gab es nichts mehr.

Warum ich nicht fragte, ob Hanna noch lebt, weiß ich nicht — vielleicht aus Angst, er wü rde mir sagen, Hanna sei nach Theresienstadt gekommen.

Ich errechnete ihr heutiges Alter.

Ich konnte sie mir nicht vorstellen.

Gegen Abend, kurz vor Dä mmerung, kam endlich das versprochene Flugzeug, eine Sportmaschine, die lange kreiste, bis sie endlich den Fallschirmabwurf wagte: drei Sä cke, zwei Kisten, die es im Umkreis von dreihundert Metern zu holen galt — wir waren gerettet: Carta blanca, Cerveza Mexicana, ein gutes Bier, das sogar Herbert, der Deutsche, anerkennen muß te, als man mit Bierdosen in der Wü ste stand, Gesellschaft in Bü stenhaltern und Unterhosen, dazu wieder Sonnenuntergang, den ich auf Farbfilm nahm.

Ich trä umte von Hanna.

Hanna als Krankenschwester zu Pferd!

Am dritten Tag endlich ein erster Helikopter, um wenigstens die argentinische Mama mit ihren zwei Kindern zu holen, Gott sei Dank, und um Post mitzunehmen; er wartete eine Stunde auf Post.

Herbert schrieb sofort nach Dü sseldorf.

Jedermann saß und schrieb.

Man muß te fast schreiben, bloß damit die lieben Leute nicht fragten, ob man denn keine Frau habe, keine Mutter, keine Kinder, — ich holte meine Hermes-Baby (sie ist heute noch voll Sand) und spannte einen Bogen ein, Bogen mit Durchschlag, da ich annahm, ich wü rde an Williams schreiben, tippte das Datum und schob — Platz fü r Anrede:

»My Dear! «

Ich schrieb also an Ivy. Lange schon hatte ich das Bedü rfnis, einmal sauberen Tisch zu machen. Endlich einmal hatte ich die Ruhe und Zeit, die Ruhe einer ganzen Wü ste.

»My Dear —«

Daß ich in der Wü ste hocke, sechzig Meilen von der befahrbaren Welt entfernt, war bald gesagt. Daß es heiß ist, schö nes Wetter, keine Spur von Verletzung und so weiter, dazu ein paar Details zwecks Anschaulichkeit: Coca-Cola-Kiste, Unterhosen, Helikopter, Bekanntschaft mit einem Schachspieler, all dies fü llte noch keinen Brief. Was weiter? Die blä ulichen Gebirge in der Ferne. Was weiter? Gestern Bier. Was weiter? Ich konnte sie nicht einmal um Zustellung von Filmen bitten und war mir bewuß t, daß Ivy, wie jede Frau, eigentlich nur wissen mö chte, was ich fü hle, beziehungsweise denke, wenn ich schon nichts fü hle, und das wuß te ich zwar genau: Ich habe Hanna nicht geheiratet, die ich liebte, und wieso soll ich Ivy heiraten? — aber das zu formulieren, ohne daß es verletzte, war verdammt nicht leicht, denn sie wuß te ja nichts von Hanna und war ein lieber Kerl, aber eine Art von Amerikanerin, die jeden Mann, der sie ins Bett nimmt, glaubt heiraten zu mü ssen. Dabei war Ivy durchaus verheiratet, ich weiß nicht zum wievielten Mal, und ihr Mann, Beamter in Washington, dachte ja nicht dran, sich scheiden zu lassen; denn er liebte Ivy. Ob er ahnte, warum Ivy regelmä ß ig nach New York flog, weiß ich nicht. Sie sagte, sie ginge zum Psychiater, und das ging sie nä mlich auch. Jedenfalls klopfte es nie an meiner Tü re, und ich sah nicht ein, wieso Ivy, sonst in ihren Ansichten modern, eine Ehe daraus machen wollte; sowieso hatten wir in letzter Zeit nur noch Krach, schien mir, Krach um jede Kleinigkeit. Krach wegen Studebaker-oder-Nash! Ich brauchte nur daran zu denken — und es tippte plö tzlich wie von selbst, im Gegenteil, ich muß te auf die Uhr sehen, damit mein Brief noch fertig wird, bis der Helikopter startet.

Sein Motor lief bereits —

Nicht ich, sondern Ivy hatte den Studebaker gewollt; vor allem die Farbe (Tomatenrot nach ihrer Meinung, Himbeerrot nach meiner Meinung) war ihr Geschmack, nicht meiner, denn das Technische kü mmerte sie wenig. Ivy war Mannequin, sie wä hlte ihre Kleider nach der Wagenfarbe, glaube ich, die Wagenfarbe nach ihrem Lippenstift oder umgekehrt, ich weiß es nicht. Ich kannte nur ihren ewigen Vorwurf: daß ich ü berhaupt keinen Geschmack habe und daß ich sie nicht heirate. Dabei war sie, wie gesagt, ein lieber Kerl. Aber daß ich daran dachte, ihren Studebaker zu verkaufen, das fand sie unmö glich, beziehungsweise typisch fü r mich, daß ich nicht eine Sekunde lang an ihre Garderobe dä chte, die mit dem Himbeer-Studebaker stand und fiel, typisch fü r mich, denn ich sei ein Egoist, ein Rohling, ein Barbar in bezug auf Geschmack, ein Unmensch in bezug auf die Frau. Ich kannte ihre Vorwü rfe und hatte sie satt. Daß ich grundsä tzlich nicht heirate, das hatte ich oft genug gesagt, zumindest durchblicken lassen, zuletzt aber auch gesagt, und zwar auf dem Flugplatz, als wir drei Stunden lang auf diese Super-Constellation hatten warten mü ssen. Ivy hatte sogar geweint, somit gehö rt, was ich sagte. Aber vielleicht brauchte Ivy es schwarz auf weiß. Wä ren wir bei dieser Notlandung verbrannt, kö nnte sie auch ohne mich leben! — schrieb ich ihr (zum Glü ck mit Durchschlag) deutlich genug, so meinte ich, um uns ein Wiedersehen zu ersparen.

Der Helikopter war startbereit —

Ich konnte meinen Brief nicht mehr durchlesen, nur in den Umschlag stecken, zukleben und geben — schauen, wie der Helikopter startete.

Langsam hatte man Bä rte.

Ich sehnte mich nach elektrischem Strom —

Langsam wurde die Sache doch langweilig, eigentlich ein Skandal, daß die zweiundvierzig Passagiere und fü nf Leute der Besatzung nicht lä ngst aus dieser Wü ste befreit waren, schließ lich reisten die meisten von uns in dringenden Geschä ften.

Einmal fragte ich doch:

»Lebt sie eigentlich noch? «

»Wer? «fragte er.

»Hanna — seine Frau.«

»Ach so«, sagte er und ü berlegte nur, wie er meine Gambit-Erö ffnung abwehren solle, dazu sein Pfeifen, das mir sowieso auf die Nerven ging, ein halblautes Pfeifen ohne jede Melodie, Gezisch wie bei einem Ventil, unwillkü rlich — ich muß te nochmals fragen:

»Wo lebt sie denn heute? «

»Weiß ich nicht«, sagte er.

»Aber sie lebt noch? «

»Ich nehme an.«

»Du weiß t es nicht? «

»Nein«, sagte er,»aber ich nehme an —«Er wiederholte alles wie sein eigenes Echo:»— ich nehme an.«

Unser Schach war ihm wichtiger.

»Vielleicht ist alles zu spä t«, sagte er spä ter,»vielleicht ist alles zu spä t.«

Damit meinte er das Schach.

»Hat sie denn noch emigrieren kö nnen? «

»Ja«, sagte er,»das hat sie —«

»Wann? «

»1938«, sagte er,»in letzter Stunde —«

»Wohin? «

»Paris«, sagte er,»dann vermutlich weiter, denn ein paar Jahre spä ter waren wir ja auch in Paris. — Ü brigens meine schö nste Zeit! Bevor ich in den Kaukasus kam. Sous les toits de Paris! «

Mehr war nicht zu erfragen.

»Du«, sagte er,»das ist eine beschissene Sache, scheint mir, wenn ich jetzt nicht abtausche.«

Wir spielten immer lustloser.

Wie man spä ter erfuhr, warteten damals acht Helikopter der US-Army an der mexikanischen Grenze auf die behö rdliche Bewilligung, uns zu holen.

Ich putzte meine Hermes-Baby.

Herbert las.

Es blieb uns nichts als Warten.

Was Hanna betrifft:

Ich hä tte Hanna gar nicht heiraten kö nnen, ich war damals, 1933 bis 1935, Assistent an der Eidgenö ssischen Technischen Hochschule, Zü rich, arbeitete an meiner Dissertation (Ü ber die Bedeutung des sogenannten Maxwell'schen Dä mons) und verdiente dreihundert Franken im Monat, eine Heirat kam damals nicht in Frage, wirtschaftlich betrachtet, abgesehen von allem anderen. Hanna hat mir auch nie einen Vorwurf gemacht, daß es damals nicht zur Heirat kam. Ich war bereit dazu. Im Grunde war es Hanna selbst, die damals nicht heiraten wollte.

 

Mein Entschluß, eine Dienstreise einfach zu ä ndern und einen privaten Umweg ü ber Guatemala zu machen, bloß um einen alten Jugendfreund wiederzusehen, fiel auf dem neuen Flugplatz in Mexico-City, und zwar im letzten Augenblick; ich stand schon an der Schranke, nochmals Hä ndeschü tteln, ich bat Herbert, seinen Bruder zu grü ß en von mir, sofern Joachim sich ü berhaupt noch an mich erinnerte — dazu wieder der ü bliche Lautsprecher: Your attention please, your attention please, es war wieder eine Super-Constellation, all passengers for Panama — Caracas — Pernambuco, es ö dete mich einfach an, schon wieder in ein Flugzeug zu steigen, schon wieder Gü rtel zu schnallen, Herbert sagte:

»Mensch, du muß t gehen! «

Ich gelte in beruflichen Dingen als ä uß erst gewissenhaft, geradezu pedantisch, jedenfalls ist es noch nicht vorgekommen, daß ich eine Dienstreise aus purer Laune verzö gerte, geschweige denn ä nderte — eine Stunde spä ter flog ich mit Herbert.

»Du«, sagte er,»das ist flott von dir! «

Ich weiß nicht, was es wirklich war.

»Nun warten die Turbinen einmal auf mich«, sagte ich,»ich habe auch schon auf Turbinen gewartet — nun warten sie einmal auf mich! «

Natü rlich ist das kein Standpunkt.

Schon in Campeche empfing uns die Hitze mit schleimiger Sonne und klebriger Luft, Gestank von Schlamm, der an der Sonne verwest, und wenn man sich den Schweiß aus dem Gesicht wischt, so ist es, als stinke man selbst nach Fisch. Ich sagte nichts. Schließ lich wischt man sich den Schweiß nicht mehr ab, sondern sitzt mit geschlossenen Augen und atmet mit geschlossenem Mund, Kopf an eine Mauer gelehnt, die Beine von sich gestreckt. Herbert war ganz sicher, daß der Zug jeden Dienstag fä hrt, laut Reisefü hrer von Dü sseldorf, er hatte es sogar schwarz auf weiß —aber es war, wie sich nach fü nfstü ndigem Warten plö tzlich herausstellte, nicht Dienstag, sondern Montag.

Ich sagte kein Wort.

Im Hotel gibt es wenigstens eine Dusche, ein Handtuch, das nach Campfer riecht wie ü blich in diesen Gegenden, und wenn man sich duschen will, fallen die fingerlangen Kä fer aus dem schimmligen Vorhang — ich ersä ufte sie, doch kletterten sie nach einer Weile immer wieder aus dem Ablauf hervor, bis ich sie mit der Ferse zertrat, um mich endlich duschen zu kö nnen.

Ich trä umte von diesen Kä fern.

Ich war entschlossen, Herbert zu verlassen und am andern Mittag zurü ckzufliegen, Kameradschaft hin oder her —

Ich spü rte wieder meinen Magen.

Ich lag splitternackt — Es stank die ganze Nacht. Auch Herbert lag splitternackt —Campeche ist immerhin noch eine Stadt, eine Siedlung mit elektrischem Strom, so daß man sich rasieren konnte, und mit Telefon; aber auf allen Drä hten hockten schon Zopilote, die reihenweise warten, bis ein Hund verhungert, ein Esel verreckt, ein Pferd geschlachtet wird, dann flattern sie herab... Wir kamen gerade hinzu, wie sie hin und her zerrten an einem solchen Geschlamp von Eingeweide, eine ganze Meute von schwarzvioletten Vö geln mit blutigen Dä rmen in ihren Schnä beln, nicht zu vertreiben, auch wenn ein Wagen kommt; sie zerren das Aas anderswohin, ohne aufzufliegen, nur hü pfend, nur huschend, alles mitten auf dem Markt. Herbert kaufte eine Ananas.

Ich war entschlossen, wie gesagt, nach Mexico-City zurü ckzufliegen. Ich war verzweifelt. Warum ich es nicht tat, weiß ich nicht.

Plö tzlich war's Mittag —

Wir standen drauß en auf einem Damm, wo es weniger stank, aber um so heiß er war, weil schattenlos, und aß en unsere Ananas, wir bü ckten uns vornü ber, so tropfte es, dann ü ber die Steine hinunter, um die zuckerigen Finger zu spü len; das warme Wasser war ebenfalls klebrig, nicht zuckerig, aber salzig, und die Finger stanken nach Tang, nach Motorö l, nach Muscheln, nach Fä ulnis unbestimmbarer Art, so daß man sie sofort am Taschentuch abwischte. Plö tzlich das Motorengerä usch! Ich stand gelä hmt. Meine DC-4 nach Mexico-City, sie flog gerade ü ber uns hinweg, dann Kurve aufs offene Meer hinaus, wo sie im heiß en Himmel sich sozusagen auflö ste wie in einer blauen Sä ure —Ich sagte nichts.

Ich weiß nicht, wie jener Tag verging.

Er verging —

Unser Zug (Campeche-Palenque-Coatzacoalcos) war besser als erwartet: Eine Dieselmaschine und vier Wagen mit air-condition, so daß wir die Hitze vergaß en, mit der Hitze auch den Unsinn dieser ganzen Reise.

»Ob Joachim mich noch kennt? «

Ab und zu hielt unser Zug auf offener Strecke in der Nacht, man hatte keine Ahnung wieso, nirgends ein Licht, nur dank eines fernen Gewitters erkannte man, daß es durch Dschungel geht, teilweise Sumpf, Wetterleuchten hinter einem Geflecht von schwarzen Bä umen, unsere Lokomotive tutete und tutete in die Nacht hinaus, man konnte das Fenster nicht ö ffnen, um zu sehen, was los ist... Plö tzlich fuhr er wieder: dreiß ig Stundenkilometer, obschon es topfeben ist, eine schnurgerade Strecke. Immerhin war man zufrieden, daß es weiterging.

Einmal fragte ich:

»Warum sind sie eigentlich geschieden? «

»Weiß ich nicht«, sagte er,»sie wurde Kommunistin, glaube ich —«

»Drum? «

Er gä hnte.

»Ich weiß es nicht«, sagte er,»es ging nicht. Ich habe nie danach gefragt.«

Einmal, als unser Zug neuerdings hielt, ging ich zur Wagentü r, um hinauszuschauen. Drauß en die Hitze, die man vergessen hatte, eine feuchte Finsternis und Stille. Ich ging aufs Trittbrett hinunter, Stille mit Wetterleuchten, ein Bü ffel stand auf dem schnurgeraden Geleise vor uns, nichts weiter. Er stand wie ausgestopft, weil vom Scheinwerfer unserer Lokomotive geblendet, stur. Sofort hatte man wieder Schweiß auf der Stirne und am Hals. Es tutete und tutete. Ringsum nichts als Dickicht. Nach einigen Minuten ging der Bü ffel (oder was es war) langsam aus dem Scheinwerfer, dann hö rte ich Rauschen im Dickicht, das Knicken von Ä sten, dann ein Klatschen, sein Platschen im Wasser, das man nicht sah —


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