Ñòóäîïåäèÿ

Ãëàâíàÿ ñòðàíèöà Ñëó÷àéíàÿ ñòðàíèöà

ÊÀÒÅÃÎÐÈÈ:

ÀâòîìîáèëèÀñòðîíîìèÿÁèîëîãèÿÃåîãðàôèÿÄîì è ñàäÄðóãèå ÿçûêèÄðóãîåÈíôîðìàòèêàÈñòîðèÿÊóëüòóðàËèòåðàòóðàËîãèêàÌàòåìàòèêàÌåäèöèíàÌåòàëëóðãèÿÌåõàíèêàÎáðàçîâàíèåÎõðàíà òðóäàÏåäàãîãèêàÏîëèòèêàÏðàâîÏñèõîëîãèÿÐåëèãèÿÐèòîðèêàÑîöèîëîãèÿÑïîðòÑòðîèòåëüñòâîÒåõíîëîãèÿÒóðèçìÔèçèêàÔèëîñîôèÿÔèíàíñûÕèìèÿ×åð÷åíèåÝêîëîãèÿÝêîíîìèêàÝëåêòðîíèêà






Es war furchtbar.






 

— — —

 

Was den Unfall betrifft, habe ich nichts zu verheimlichen. Es ist ein flacher Strand. Man watet hier mindestens dreiß ig Meter, bis Schwimmen mö glich, und im Augenblick, als ich ihren Schrei hö re, bin ich mindestens fü nfzig Meter vom Ufer entfernt. Ich sehe, daß Sabeth aufgesprungen ist. Ich rufe: Was ist los? Sie rennt — Wir haben, nach unsrer schlaflosen Nacht auf Akrokorinth, im Sand geschlafen, dann das Bedü rfnis meinerseits, ins Wasser zu gehen und eine Weile allein zu sein, wä hrend sie schlä ft. Vorher habe ich noch ihre Schultern bedeckt mit ihrer Wä sche, ohne sie zu wecken; wegen Sonnenbrand. Es gibt hier wenig Schatten, eine vereinzelte Pinie; hier haben wir uns in die Mulde gebettet. Dann aber, wie vorauszusehen, ist der Schatten gewandert, beziehungsweise die Sonne, und daran, scheint es, bin ich erwacht, weil plö tzlich in Schweiß, dazu die Mittagsstille, ich bin erschrocken, vielleicht weil ich irgendetwas geträ umt oder gemeint habe, Schritte zu hö ren. Wir sind aber vollkommen allein. Vielleicht habe ich den Kieskarren gehö rt, Schaufeln von Kies; ich sehe aber nichts, Sabeth schlä ft, und es ist kein Grund zum Erschrecken, ein gewö hnlicher Mittag, kaum eine Brandung, nur ein schwaches Zischeln von Wellen, die im Kies verlaufen, manchmal ein schwaches Rollen von Kies, geradezu Klingeln, sonst Stille, ab und zu eine Biene. Ich ü berlegte, ob Schwimmen vernü nftig ist, wenn man Herzklopfen hat. Eine Weile stand ich unschlü ssig; Sabeth merkte, daß niemand mehr neben ihr lag, und reckte sich, ohne zu erwachen. Ich streute Sand auf ihren Nacken, aber sie schlief. Schließ lich ging ich schwimmen — im Augenblick, als Sabeth schreit, bin ich mindestens fü nfzig Meter drauß en.

Sabeth rennt, ohne zu antworten.

Ob sie mich gehö rt hat, weiß ich nicht. Dann mein Versuch, im Wasser zu rennen! Ich rufe, sie soll stehenbleiben, meinerseits wie gelä hmt, als ich endlich aus dem Wasser komme; ich stapfe ihr nach, bis sie stehenbleibt —

Sabeth oben auf der Bö schung:

Sie hä lt ihre rechte Hand auf die linke Brust, wartet und gibt keinerlei Antwort, bis ich die Bö schung ersteige (es ist mir nicht bewuß t gewesen, daß ich nackt bin) und mich nä here — dann der Unsinn, daß sie vor mir, wo ich ihr nur helfen will, langsam zurü ckweicht, bis sie rü cklings (dabei bin ich sofort stehengeblieben!) rü cklings ü ber die Bö schung fä llt.

Das war das Unglü ck.

Es sind keine zwei Meter, eine Mannshö he, aber als ich zu ihr komme, liegt sie bewuß tlos im Sand. Vermutlich Sturz auf den Hinterkopf. Erst nach einer Weile sehe ich die Biß wunde, drei kleine Blutstropfen, die ich sofort abwische, ich ziehe sofort meine Hosen an, mein Hemd, keine Schuhe, dann mit dem Mä dchen im Arm hinauf zur Straß e, wo der Ford vorbeifä hrt, ohne mich zu hö ren —

Hanna, wie sie an diesem Unglü cksort stand, Hanna mit ihrer Zigarette, wä hrend ich berichtete, so genau ich es konnte, und die Bö schung zeigte und alles, sie war unglaublich, Hanna wie ein Freund, dabei war ich ja gefaß t darauf, daß sie, die Mutter, mich in Grund und Boden verflucht, obschon ich anderseits, sachlich betrachtet, wirklich nichts dafü r kann.

»Komm«, sagt sie,»nimm deine Sachen.«

Wä ren wir nicht ü berzeugt gewesen, daß das Kind gerettet ist, hä tten wir natü rlich nicht so geredet wie damals am Strand.

»Du weiß t«, sagt sie,»daß es dein Kind ist? «

Ich wuß te es.

»Komm«, sagt sie,»nimm deine Sachen —«

Wir standen, die Sachen auf dem Arm; ich trug meine staubigen Schuhe in der Hand, Hanna die schwarze Cowboy-Hose unsrer Tochter.

Ich wuß te selbst nicht, was ich sagen will.

»Komm«sagt sie,»gehen wir! «

Einmal meine Frage:

»Warum hast du's mir verheimlicht? «

Darauf keine Antwort.

Wieder die blaue Hitze ü ber dem Meer — wie gestern um diese Zeit, Mittag mit flachen Wellen, die sich kaum ü berschlagen, nur auslaufen in Schaum, dann Klirren im Kies, Stille, bis es sich wiederholt.

Hanna verstand mich sehr genau.

»Du vergiß t«, sagt sie,»daß ich verheiratet bin —«

Ein andermal:

»Du vergiß t, daß Elsbeth dich liebt —«

Ich war nicht imstande, alles zugleich in meine Rechnung zu nehmen; aber irgendeine Lö sung, fand ich, muß es immer geben.

Wir standen noch lange.

»Warum sollte ich in diesem Land keine Arbeit finden? «sage ich.»Techniker braucht man ü berall, du hast gesehen, auch Griechenland wird industrialisiert —«

Hanna verstand genau, wie ich's meinte, nicht romantisch, nicht moralisch, sondern praktisch: gemeinsames Wohnen, gemeinsame Ö konomie, gemeinsames Alter. Warum nicht? Hanna hat es gewuß t, als ich noch nichts habe ahnen kö nnen, seit zwanzig Jahren hat sie es gewuß t; trotzdem war sie verwunderter als ich.

»Hanna«, frage ich,»warum lachst du? «

Irgendeine Zukunft, fand ich, gibt es immer, die Welt ist noch niemals einfach stehengeblieben, das Leben geht weiter!

»Ja«, sagt sie.»Aber vielleicht ohne uns.«

Ich hatte ihre Schulter gefaß t.

»Komm! «sagt sie.»Wir sind verheiratet, Walter, wir sind es! — rü hr mich nicht an.«

Dann zum Wagen zurü ck.

Hanna hatte recht; irgendetwas vergaß ich stets; aber auch dann, wenn sie mich erinnerte, war ich unter allen Umstä nden entschlossen, mich nach Athen versetzen zu lassen oder zu kü ndigen, um mich in Athen anzusiedeln, auch wenn ich im Augenblick selbst nicht sah, wie es sich machen ließ, unser gemeinsames Wohnen; ich bin gewohnt, Lö sungen zu suchen, bis sie gefunden sind... Hanna ließ mich ans Steuer, ich habe noch nie einen Opel-Olympia gefahren, und Hanna hatte auch die ganze Nacht nicht geschlafen; sie tat jetzt, als schliefe sie.

In Athen kauften wir noch Blumen.

Kurz vor fü nfzehn Uhr.

Noch im Wartezimmer, wo man uns warten lä ß t, sind wir vollkommen ahnungslos, Hanna wickelt das Papier von den Blumen —

Dann dieses Gesicht der Diakonissin!

Hanna am Fenster wie gestern, kein Wort zwischen uns, wir sehen einander nicht an —

Dann kam Dr. Eleutheropulos.

Alles griechisch; aber ich verstehe alles.

Ihr Tod kurz nach vierzehn Uhr.

— Dann vor ihrem Bett, Hanna und ich, man kann es einfach nicht glauben, unser Kind mit geschlossenen Augen, genau wie wenn sie schlä ft, aber weiß lich wie Gips, ihr langer Kö rper unter dem Leinentuch, ihre Hä nde neben den Hü ften, unsere Blumen auf ihrer Brust, ich meine es nicht als Trost, sondern wirklich: Sie schlä ft! Ich kann es ja heute noch nicht glauben. Sie schlä ft! sage ich — gar nicht zu Hanna, die plö tzlich mich anschreit, Hanna mit ihren kleinen Fä usten vor mir, ich erkenne sie nicht mehr, ich wehre mich nicht, ich merke es nicht, wie ihre Fä uste mich auf die Stirne schlagen. Was ä ndert das! Sie schreit und schlä gt mich ins Gesicht, bis sie nicht mehr kann, die ganze Zeit hatte ich nur meine Hand vor den Augen.

 

— — —

 

Wie heute feststeht, ist der Tod unsrer Tochter nicht durch Schlangengift verursacht gewesen, das durch die Serum-Injektion erfolgreich bekä mpft worden ist; ihr Tod war die Folge einer nichtdiagnostizierten Fraktur der Schä delbasis, compressio cerebri, hervorgerufen durch ihren Sturz ü ber die kleine Bö schung. Verletzung der arteria meningica media, sog. Epidural-Haematom, was durch chirurgischen Eingriff (wie man mir sagt) ohne weiteres hä tte behoben werden kö nnen.

 

Geschrieben in Caracas, 2.1. Juni bis 8. Juli

 

Zweite Station

 

Athen, Krankenhaus

Beginn der Aufzeichnungen 19. Juli

 

Sie haben meine Hermes-Baby genommen und in den weiß en Schrank geschlossen, weil Mittag, weil Ruhestunde. Ich solle von Hand schreiben! Ich kann Handschrift nicht leiden, ich sitze mit nacktem Oberkö rper auf dem Bett, und mein kleiner Ventilator (Geschenk von Hanna) saust von Morgen bis Abend; sonst Totenstille. Heute wieder vierzig Grad im Schatten! Diese Ruhestunden (13.00-17.00) sind das Schlimmste. Dabei habe ich nur noch wenig Zeit, um meinen Kalender nachzufü hren. Hanna besucht mich tä glich, mein Schreck jedesmal, wenn es an die weiß e Doppeltü r klopft; Hanna in Schwarz, ihr Eintreten in mein weiß es Zimmer. Warum setzt sie sich nie? Sie geht tä glich ans Grab, das ist zurzeit alles, was ich von Hanna weiß, und tä glich ins Institut. Ihr Stehen am offenen Fenster, wä hrend ich liegen muß, macht mich nervö s, ihr Schweigen. Kann sie verzeihen? Kann ich wiedergutmachen? Ich weiß nicht einmal, was Hanna seither getan hat; kein Wort davon. Ich habe gefragt, warum Hanna sich nicht setzt. Ich verstehe Hanna ü berhaupt nicht, ihr Lä cheln, wenn ich frage, ihr Blick an mir vorbei, manchmal habe ich Angst, sie wird noch verrü ckt. Heute sind es sechs Wochen.

 

1. VI. New York.

Die ü bliche Saturday-Party drauß en bei Williams, ich wollte nicht gehen, aber ich muß te, das heiß t: eigentlich konnte mich niemand zwingen, aber ich ging. Ich wuß te nicht, was anfangen. Zum Glü ck erwartete mich wenigstens die Meldung, daß die Turbinen fü r Venezuela endlich zur Montage bereit sind, also Weiterflug sobald wie mö glich — ich fragte mich, ob ich meiner Aufgabe gewachsen bin. Wä hrend Williams, der Optimist, seine Hand auf meine Schulter legte, nickte ich; aber ich fragte mich.

Come on, Walter, have a drink!

Die ü bliche Umhersteherei —

Roman Holidays, oh, how marvellous!

Ich habe niemand gesagt, daß meine Tochter gestorben ist, denn niemand weiß, daß es diese Tochter je gegeben hat, und ich trage auch keine Trauer im Knopfloch, denn ich will nicht, daß sie mich fragen, denn es geht sie ja alle nichts an.

Come on, Walter, another drink!

Ich trinke viel zu viel —

Walter has trouble, sagt Williams ringsum, Walter can't find the key of his home!

Williams meint, ich mü sse eine Rolle spielen, besser eine komische als keine. Man kann nicht einfach in der Ecke stehen und Mandeln essen.

Fra Angelico, oh, I just love it!

Alle verstehen mehr als ich —

How did you enjoy the Masaccio-fresco?

Ich weiß nicht, was reden —

Semantics! You've never heard of semantics?

Ich komme mir wie ein Idiot vor —

Ich wohnte im Hotel Times Square. Mein Namensschild war noch an der Wohnung; aber Freddy, der doorman, wuß te nichts von einem Schlü ssel. Ivy hä tte ihn abliefern sollen, ich klingelte an meiner eignen Tü r. Ich war ratlos. Alles offen: Office und Kino und Subway, bloß meine Wohnung nicht. Spä ter auf ein Sightseeingboat, bloß um Zeit loszuwerden; die Wolkenkratzer wie Grabsteine (das habe ich schon immer gefunden), ich hö rte mir den Lautsprecher an: Rockefeiler Center, Empire State, United Nations und so weiter, als hä tte ich nicht elf Jahre in diesem Manhattan gelebt. Dann ins Kino. Spä ter fuhr ich mit der Subway, wie ü blich: IRT, Express Uptown, ohne Umsteigen am Columbus Circle, obschon ich mit der Independent nä her zu meiner Wohnung gelangen kö nnte, aber ich bin in elf Jahren nie eingestiegen, ich stieg aus, wo ich immer ausgestiegen bin, und ging wie ü blich, im Vorbeigehen, zu meiner Chinese Laundry, wo man mich noch kennt. Hello Mister Faber, dann mit drei Hemden, die monatelang auf mich gewartet hatten, zurü ck zum Hotel, wo ich nichts zu tun hatte, wo ich mehrmals meine eigene Nummer anrief — natü rlich ohne Erfolg! — dann leider hierher.

Nice to see you, etc.

Vorher ging ich noch zu meiner Garage, um zu fragen, ob es meinen Studebaker noch gibt; ich brauchte aber nicht zu fragen, man sah ihn von weither (sein Lippenstiftrot) im Hof zwischen schwarzen Brandmauern.

Dann, wie gesagt, hierher.

Walter, what's the matter with you?

Ich habe diese Saturday-Party eigentlich von jeher gehaß t. Es ist mir nicht gegeben, witzig zu sein. Aber deswegen brauche ich keine Hand auf meiner Schulter —

Walter, don't be silly!

Ich wuß te, daß ich meiner Aufgabe nicht gewachsen bin. Ich war betrunken, ich wuß te es. Sie meinten, ich merke es nicht. Ich kannte sie. Wenn man nicht mehr da ist, wird niemand es bemerken. Ich war schon nicht mehr da. Ich ging ü ber den nä chtlichen Times Square (zum letzten Mal, hoffe ich), um in einer ö ffentlichen Kabine nochmals meine Nummer einzustellen — ich verstehe heute noch nicht, wieso jemand abgenommen hat.

»This is Walter«, sage ich.

»Who? «

»Walter Faber«, sage ich,»this is Walter Faber —«

Unbekannt.

»Sorry«, sage ich.

Vielleicht eine falsche Nummer; ich nehme das riesige Manhattan-Buch, um meine Nummer nachzusehen, und versuche es nochmals.

»Who's calling? «

»Walter«, sage ich.»Walter Faber.«

Es antwortet dieselbe Stimme wie vorher, so daß ich eine Weile verstumme; ich begreife nicht.

»Yes — what do you want? «

Eigentlich kann mir nichts geschehen, wenn ich antworte. Ich fasse mich, bevor der andere aufhä ngt, und frage, bloß um zu sprechen, nach der Nummer.

»Yes — this is Trafalgar 4-5571.«

Ich bin betrunken.

»That's impossible! «sage ich —

Vielleicht ist meine Wohnung vermietet, vielleicht hat die Nummer gewechselt, alles mö glich, ich sehe es ein, aber es hilft mir nichts.

»Trafalgar 4-5571«, sage ich,»that's me! «

Ich hö re, wie er seine Hand auf die Muschel legt und mit jemand spricht (mit Ivy?), ich hö re Gelä chter, dann:»Who are you? «

Ich frage zurü ck:

»Are you Walter Faber? «

Schließ lich hä ngte er ein, ich saß in einer Bar, schwindlig, ich vertrage keinen Whisky mehr, spä ter bat ich den Barmann, die Nummer von Mister Walter Faber zu suchen und mir die Nummer einzustellen, was er tat; er gab mir den Hö rer, ich hö rte langes Klingeln, dann wurde abgenommen:

»Trafalgar 4-5571 — Hello? «

Ich hä ngte auf, ohne einen Ton zu sagen.

 

Meine Operation wird mich von sä mtlichen Beschwerden fü r immer erlö sen, laut Statistik eine Operation, die in 94, 6 von 100 Fä llen gelingt, und was mich nervö s macht, ist lediglich diese Warterei von Tag zu Tag. Ich bin nicht gewohnt, krank zu sein. Was mich auch nervö s macht: wenn Hanna mich trö stet, weil sie nicht an Statistik glaubt. Ich bin wirklich voll Zuversicht, dazu froh, daß ich's nicht in New York oder Dü sseldorf oder Zü rich habe machen lassen; ich muß Hanna sehen, beziehungsweise sprechen mit ihr. Ich kann mir nicht vorstellen, was Hanna auß erhalb dieses Zimmers tut. Iß t sie? Schlä ft sie? Sie geht tä glich ins Institut (08.00-11.00 und 17.00-19.00) und tä glich ans Grab unsrer Tochter. Was auß erdem? Ich habe Hanna gebeten, daß sie sich setzt. Warum spricht sie nicht? Wenn Hanna sich setzt, vergeht keine Minute, bis irgendetwas fehlt, Aschenbecher oder Feuerzeug, so daß sie sich erhebt und wieder stehenbleibt. Wenn Hanna mich nicht aushalten kann, warum kommt sie? Sie richtet mir die Kissen. Wenn es Krebs wä re, dann hä tten sie mich sofort unters Messer genommen, das ist logisch, ich habe es Hanna erklä rt, und es ü berzeugt sie, hoffe ich. Heute ohne Spritze! Ich werde Hanna heiraten.

 

2. VI. Flug nach Caracas.

Ich fliege diesmal ü ber Miami und Merida, Yucatan, wo man fast tä glich Anschluß nach Caracas hat, und unterbreche in Merida (Magenbeschwerden) —

Dann nochmal nach Campeche.

(6 1/2 Stunden mit Bus von Merida.)

Auf dem kleinen Bahnhof mit Schmalspurgeleise und Kakteen zwischen den Schwellen, wo ich mit Herbert Hencke schon einmal auf den Zug gewartet habe vor zwei Monaten, Kopf an die Mauer gelehnt mit geschlossenen Augen und Beine und Arme gespreizt, kommt mir alles, was seit dem letzten Warten auf diesen Zug geschehen ist, wie eine Halluzination vor — hier ist alles unverä ndert:

Die klebrige Luft —

Geruch von Fisch und Ananas —

Die mageren Hunde —

Die toten Hunde, die niemand bestattet, die Zopilote auf den Dä chern ü ber dem Markt, die Hitze, der flaue Gestank vom Meer, die filzige Sonne ü ber dem Meer, ü ber dem Land blitzte es aus schwarzem Gewö lk blä ulich-weiß wie das zuckende Licht einer Quarzlampe.

Nochmals die Bahnfahrt!

Das Wiedersehen mit Palenque machte mich geradezu froh, alles unverä ndert: die Veranda mit unseren Hä ngematten, unser Bier, unsere Pinte mit dem Papagei, man kennt mich noch, sogar die Kinder kennen mich, ich kaufe und verteile mexikanisches Zuckerzeug, einmal fahre ich sogar zu den Ruinen hinaus, wo sowieso alles unverä ndert ist, kein Mensch, die schwirrenden Vö gel wie damals, es ist noch genau wie vor zwei Monaten — auch die Nacht, nachdem der Dieselmotor von Palenque verstummt ist: der Truthahn im Gehege vor der Veranda, sein Kreischen, weil er das Wetterleuchten nicht mag, das Reh, die schwarze Sau am Pflock, der wattige Mond, das grasende Pferd in der Nacht.

Ü berall mein mü ß iger Gedanke:

Wä re es doch damals! nur zwei Monate zurü ck, die hier nichts verä ndert haben; warum kann es nicht sein, daß es April ist! und alles andere eine Halluzination von mir. Dann allein mit Landrover —

Ich rede mit Herbert.

Ich rede mit Marcel.

Ich bade im Rio Usumacinta, der sich verä ndert hat; er hat mehr Wasser, keine Blä schen auf dem Wasser, weil es rascher fließ t, und es ist zweifelhaft, ob man jetzt noch mit einem Landrover durchkommt, ohne zu ersaufen —

Es ist gegangen.

Herbert war verä ndert, man sah es auf den ersten Blick, Herbert mit einem Bart, aber auch sonst — sein Miß trauen:

»Mensch, was willst denn du hier? «

Herbert meint, ich reise im Auftrag seiner Familie, beziehungsweise Firma, um ihn nach Dü sseldorf zurü ckzuholen, und glaubt nicht, daß ich gekommen bin, bloß um ihn wiederzusehen, aber es ist so; man hat nicht soviel Freunde.

Er hat seine Brille zerbrochen.

»Warum flickst du sie nicht? «frage ich.

Ich flicke seine Brille.

Wä hrend der Regengü sse sitzen wir in der Baracke sozusagen wie in einer Arche Noah, ohne Licht, weil die Batterie, die seinerzeit noch das Radio betrieben hat, lä ngst verbraucht ist, und was man aus der Welt berichtet, interessiert ihn ü berhaupt nicht, auch Ereignisse aus Deutschland nicht, Aufruf der Gö ttinger Professoren; ich rede nicht von persö nlichen Dingen.

Ich erkundige mich nach seinem Nash —

Herbert ist nie in Palenque gewesen!

Ich habe Gasoline gebracht, fü nf Kanister fü r Herbert, damit er jederzeit fahren kann; aber er denke nicht daran.

Sein Grinsen im Bart.

Wir verstanden uns ü berhaupt nicht.

Sein Grinsen, als er sieht, wie ich mich mit einer alten Klinge rasiere, weil es hier keinen Strom gibt und weil ich keinen Bart will, weil ich ja weiter muß —

Seinerseits keinerlei Plä ne!

Sein Nash 55 stand unter dem dü rren Blä tterdach wie das vorige Mal, sogar der Schlü ssel steckte noch; offenbar wissen diese Indios nicht einmal, wie man einen Motor anlä ß t, alles war unversehrt, aber in einem sagenhaften Zustand, so daß ich mich sogleich an die Arbeit machte.

»Wenn's dir Spaß macht«, sagt er,»bitte.«

Herbert auf Guana-Fang.

Ich finde den Motor vollkommen verschlammt von Regengü ssen, alles muß gereinigt werden, alles verfilzt und verschleimt, Geruch von Blutenstaub, der auf Maschinenö l klebt und verwest, aber ich bin froh um Arbeit —

Die Maya-Kinder ringsum.

Sie schauen tagelang zu, wie ich den Motor zerlege, Bananenblä tter auf dem Boden, die Maschinenteile drauf —Wetterleuchten ohne Regen.

Die Mü tter gaffen auch zu, sie kommen nicht aus dem Gebä ren heraus, scheint es, sie halten ihren letzten Sä ugling an der braunen Brust, abgestü tzt auf ihrer neuen Schwangerschaft, so stehen sie da, wä hrend ich den Motor putze, und gaffen, ohne ein Wort zu sagen, da ich sie nicht verstehe.

Herbert mit seinem Guana-Bü ndel —

Sie leben, sie sind vollkommen reglos, bis man sie anrü hrt, ihr Eidechsenmaul zusammengebunden mit Stroh, weil sie sehr bissig sind, gekocht schmecken sie wie Hü hnerfleisch.

Abends in Hä ngematten.

Kein Bier, nur diese Kokos-Milch —

Wetterleuchten.

Meine Sorge, es kö nnte etwas gestohlen werden, was nicht zu ersetzen ist, berü hrt Herbert nicht; er ist ü berzeugt, daß sie keine Maschinenteile anrü hren. Kein Wort mehr von Revolte! Sie arbeiten sogar tü chtig, sagt Herbert, sie gehorchen, obschon ü berzeugt, daß es nichts nü tzt.

Sein Grinsen im Bart —

Die Zukunft der deutschen Zigarre!

Ich frage Herbert, was er sich eigentlich denke; ob er bleiben wolle oder nach Dü sseldorf zurü ckkehre; was er vorhabe —

Nada!

Einmal sage ich, daß ich Hanna getroffen habe, daß ich Hanna heiraten werde; aber ich weiß nicht einmal, ob Herbert es gehö rt hat.

Herbert wie ein Indio!

Die Hitze —

Die Leuchtkä fer —

Man tropft wie in einer Sauna.

Am andern Tag gab es Regen, plö tzlich, nur eine Viertelstunde lang, Sintflut, dann wieder Sonne; aber das Wasser stand in braunen Teichen, und ich hatte den Nash aus der Hü tte gestoß en, um in der Luft arbeiten zu kö nnen, hatte nicht wissen kö nnen, daß gerade hier ein Teich entstehen wü rde. Ich konnte es nicht komisch finden, im Gegensatz zu Herbert. Das Wasser reichte ü ber die Achsen, ganz zu schweigen von Teilen des zerlegten Motors, die ich auf der Erde ausgebreitet hatte. Ich war entsetzt, als ich's sah. Herbert gab mir zwanzig Indios, um mich zu beruhigen, und tat, als ginge es ihn selbst nichts an, das Baumfä llen, das ich anordnete, das Aufbocken, damit man von unten zukam. Ich verlor einen ganzen Tag, bis ich nur die Bestandteile des Motors gesammelt hatte, das Waten in dem trü ben Tü mpel, das Austasten des warmen Schlammes, alles muß te ich allein machen, da Herbert sich nicht interessierte.

»Gib's auf! «sagte er nur.»Wozu! «

Ich stellte die zwanzig Indios an, um Grä ben auszuheben, damit das Wasser endlich ablief; nur so war es mö glich, sä mtliche Bestandteile zu finden, noch immer schwierig genug, da sie zum Teil im Schlamm bereits versunken waren, einfach verschluckt.

Sein zweites Wort: Nada!

Ich ließ ihn blö deln, ohne zu antworten. Ohne Nash war Herbert verloren. Ich ließ mich nicht anstecken und arbeitete.

»Was machst du ohne einen Wagen? «sagte ich.

Als ich den Motor endlich beisammen hatte, so daß er lief, grinste er und sagte Bravo, nichts weiter, er schlug seine Hand auf meine Schulter: ich soll ihn haben, seinen Nash, er schenke ihn mir.

»Was soll ich damit! «sagte er —

Herbert war nicht abzubringen von seiner Blö delei: Herbert als Verkehrspolizist, wä hrend ich in dem aufgebockten Wagen, um nochmals alles zu prü fen, am Steuer sitze und schalte, ringsum Mayakinder, die Mü tter mit ihren weiß en Hemden, alle mit Sä ugling, spä ter auch Mä nner, die im Dickicht stehen, alle mit ihrem krummen Messer, sie haben seit Monaten keinen Motor gehö rt, ich schalte und gebe Vollgas, Leerlauf der Rä der in der Luft, Herbert winkt: Stop! ich stoppe, ich hupe, Herbert winkt: Durchfahrt! Die Indios (es werden immer mehr) gaffen uns zu,

ohne zu lachen, wä hrend wir blö deln, alle ganz stumm, geradezu andä chtig, wä hrend wir (wozu eigentlich!) Stoß verkehr in Dü sseldorf spielen —

 

Diskussion mit Hanna! — ü ber Technik (laut Hanna) als Kniff, die Welt so einzurichten, daß wir sie nicht erleben mü ssen. Manie des Technikers, die Schö pfung nutzbar zu machen, weil er sie als Partner nicht aushä lt, nichts mit ihr anfangen kann; Technik als Kniff, die Welt als Widerstand aus der Welt zu schaffen, beispielsweise durch Tempo zu verdü nnen, damit wir sie nicht erleben mü ssen. (Was Hanna damit meint, weiß ich nicht.) Die Weltlosigkeit des Technikers. (Was Hanna damit meint, weiß ich nicht.) Hanna macht keine Vorwü rfe, Hanna findet es nicht unbegreiflich, daß ich mich gegenü ber Sabeth so verhalten habe; ich habe (meint Hanna) eine Art von Beziehung erlebt, die ich nicht kannte, und sie miß deutet, indem ich mir einredete, verliebt zu sein. Es ist kein zufä lliger Irrtum gewesen, sondern ein Irrtum, der zu mir gehö rt (?) wie mein Beruf, wie mein ganzes Leben sonst. Mein Irrtum: daß wir Techniker versuchen, ohne den Tod zu leben. Wö rtlich: Du behandelst das Leben nicht als Gestalt, sondern als bloß e Addition, daher kein Verhä ltnis zur Zeit, weil kein Verhä ltnis zum Tod. Leben sei Gestalt in der Zeit. Hanna gibt zu, daß sie nicht erklä ren kann, was sie meint. Leben ist nicht Stoff, nicht mit Technik zu bewä ltigen. Mein Irrtum mit Sabeth: Repetition, ich habe mich so verhalten, als gebe es kein Alter, daher widernatü rlich. Wir kö nnen nicht das Alter aufheben, indem wir weiter addieren, indem wir unsere eigenen Kinder heiraten.

 

20. VI. Ankunft in Caracas.

Endlich klappte es; die Turbinen waren an Ort und Stelle, ebenso die angeforderten Arbeitskrä fte. Ich riß mich zusammen, solange es ging, und daß ich jetzt, wo die Montage endlich lief, meinerseits ausfiel wegen Magenbeschwerden, war Pech, aber nicht zu ä ndern; anlä ß lich meines vorigen Besuches (19. und 20. IV.) war ich fit gewesen, aber alles ü brige nicht bereit. Es war insofern meine Schuld, daß ich die Montage nicht ü berwachen konnte; ich muß te im Hotel liegen, was kein Spaß ist, mehr als zwei Wochen. In Caracas hatte ich auf einen Brief von Hanna gehofft. Ein Telegramm nach Athen, das ich damals aufgab, blieb ebenfalls ohne Antwort. Ich wollte Hanna schreiben und fing mehrere Briefe an; aber ich hatte keine Ahnung, wo Hanna steckt, und es blieb mir nichts anderes ü brig (etwas muß te ich in diesem Hotel ja tun!) als einen Bericht abzufassen, ohne denselben zu adressieren.

Die Montage ging in Ordnung — ohne mich.

 

Die Diakonissin hat mir endlich einen Spiegel gebracht —ich bin erschrocken. Ich bin immer hager gewesen, aber nicht so wie jetzt; nicht wie der alte Indio in Palenque, der uns die feuchte Grabkammer zeigte. Ich bin wirklich etwas erschrocken. Auß er beim Rasieren pflege ich nicht in den Spiegel zu schauen; ich kä mme mich ohne Spiegel, trotzdem weiß man, wie man aussieht, beziehungsweise ausgesehen hat. Meine Nase ist von jeher zu lang gewesen, doch meine Ohren sind mir nicht aufgefallen. Ich trage allerdings ein Pyjama ohne Kragen, daher mein zu langer Hals, die Sehnen am Hals, wenn ich den Kopf drehe, und Gruben zwischen den Sehnen, Hö hlen, die mir nie aufgefallen sind. Meine Ohren: wie bei geschorenen Hä ftlingen! Ich kann mir im Ernst nicht vorstellen, daß mein Schä del kleiner geworden ist. Ich frage mich, ob meine Nase sympathischer ist, und komme zum Schluß, daß Nasen nie sympathisch sind, eher absurd, geradezu obszö n. Sicher habe ich damals in Paris (vor zwei Monaten!) nicht so ausgesehen, sonst wä re Sabeth nie mit mir in die Opé ra gekommen. Dabei ist meine Haut noch ziemlich gebrä unt, nur der Hals etwas weiß lich. Mit Poren wie bei einem gerupften Hü hnerhals! Mein Mund ist mir noch sympathisch, ich weiß nicht warum, mein Mund und meine Augen, die ü brigens nicht braun sind, wie ich immer gemeint habe, weil es im Paß so heiß t, sondern graugrü nlich; alles andere kö nnte auch einem ä ndern gehö ren, der sich ü berarbeitet hat. Meine Zä hne habe ich schon immer verflucht. Sobald ich wieder auf den Beinen bin, muß ich zum Zahnarzt. Wegen Zahnstein, vielleicht auch wegen Granulom; ich spü re keinerlei Schmerz, nur Puls im Kiefer. Meine Haare habe ich stets sehr kurz getragen, weil es praktischer ist, und auf den Seiten ist mein Haarwuchs keineswegs dü nner geworden, auch hinten nicht. Grau bin ich eigentlich schon lange, silberblond, was mich nicht kü mmert. Wenn ich auf dem Rü cken liege und den Spiegel ü ber mich halte, sehe ich immer noch aus, wie ich ausgesehen habe; nur etwas magerer, was von der Diä t kommt, begreiflicherweise. Vielleicht ist es auch das weiß liche Jalousie-Licht in diesem Zimmer, was einen bleich macht sozusagen hinter der gebrä unten Haut; nicht weiß, aber gelb. Schlimm nur die Zä hne. Ich habe sie immer gefü rchtet; was man auch dagegen tut: ihre Verwitterung. Ü berhaupt der ganze Mensch! — als Konstruktion mö glich, aber das Material ist verfehlt: Fleisch ist kein Material, sondern ein Fluch.

 

PS. Es hat noch nie so viele Todesfä lle gegeben, scheint mir, wie in diesem letzten Vierteljahr. Jetzt ist Professor O., den ich in Zü rich noch vor einer Woche persö nlich gesprochen habe, auch gestorben.

PS. Ich habe mich eben rasiert, dann die Haut massiert. Lä cherlich, was man sich vor lauter Mü ß iggang alles einbildet! Kein Grund zum Erschrecken, es fehlt mir nur an Bewegung und frischer Luft, das ist alles.

 

9.-13 VII. in Cuba.

Was ich in Habana zu tun hatte: — das Flugzeug wechseln, weil ich keinesfalls ü ber New York fliegen wollte, KLM von Caracas, Cubana nach Lissabon, ich blieb vier Tage. Vier Tage nichts als Schauen —

El Prado:

Die alte Straß e mit den alten Platanen, wie die Ramblas in Barcelona, Corso am Abend, die Allee der schö nen Menschen, unglaublich, ich gehe und gehe, ich habe nichts anderes zu tun —

Die gelben Vö gel, ihr Krawall bei Dä mmerung.

Alle wollen meine Schuhe putzen —

Die Neger-Spanierin, die mir ihre Zunge herausstreckt, weil ich sie bewundere, ihre Rosa-Zunge im braunen Gesicht, ich lache und grü ß e — sie lacht auch, ihr weiß es Gebiß in der roten Blume ihrer Lippen (wenn man so sagen kann) und ihre Augen, ich will nichts von ihr.

»How do you like Habana? «

Mein Zorn, daß sie mich immer fü r einen Amerikaner halten, bloß weil ich ein Weiß er bin; die Zuhä lter auf Schritt und Tritt:

»Something very beautiful! D'you know what I mean? Something very young! «

Alles spaziert, alles lacht.

Alles wie Traum —

Die weiß en Polizisten, die Zigarren rauchen; die Soldaten der Marine, die Zigarren rauchen: — Buben, ihre Hü ften in den engen Hosen.

Castillo del Morro (Philipp II.).

Ich lasse meine Schuhe putzen.

Mein Entschluß, anders zu leben —

Meine Freude —

Ich kaufe Zigarren, zwei Kistchen.

Sonnenuntergang —

Die nackten Buben im Meer, ihre Haut, die Sonne auf ihrer nassen Haut, die Hitze, ich sitze und rauche eine Zigarre, Gewitterwolken ü ber der weiß en Stadt: schwarzviolett, dazu der letzte Sonnenschein auf den Hochhä usern.

El Prado:

Die grü ne Dä mmerung, die Eisverkä ufer; auf der Mauer unter den Laternen sitzen die Mä dchen (in Gruppen) und lachen.

Tantales:

Das ist Mais, eingewickelt in Bananenblä tter, ein Imbiß, den sie auf den Straß en verkaufen — man iß t im Gehen und verliert keine Zeit.

Meine Unrast? Wieso eigentlich?

Ich hatte in Habana gar nichts zu tun.

Meine Rast im Hotel — immer wieder — mit Duschen, dann kleiderlos auf dem Bett, Ventilator-Wind, ich liege und rauche Zigarren. Ich schließ e meine Zimmertü r nicht ab; drauß en das Girl, das im Korridor putzt und singt, auch eine Neger-Spanierin, ich rauche pausenlos.

Meine Begierde —

Warum kommt sie nicht einfach!

Meine Mü digkeit dabei, ich bin zu mü de, um mir einen Aschenbecher zu holen; ich liege auf dem Rü cken und rauche meine Zigarre, so daß ihre weiß liche Asche nicht abfä llt, senkrecht.

Partagas.

Wenn ich wieder auf den Prado gehe, so ist es wieder wie eine Halluzination: — lauter schö ne Mä dchen, auch die Mä nner sehr schö n, lauter wunderbare Menschen, die Mischung von Neger und Spanier, ich komme nicht aus dem Gaffen heraus: ihr aufrechter und fließ ender Gang, die Mä dchen in blauen Glockenrö ckchen, ihr weiß es Kopftuch, Fesseln wie bei Negerinnen, ihre nackten Rü cken sind gerade so dunkel wie der Schatten unter den Platanen, infolgedessen sieht man auf den ersten Blick bloß ihre Rö cke, blau oder lila, ihr weiß es Kopftuch und das weiß e Gebiß, wenn sie lachen, das Weiß ihrer Augen; ihre Ohrringe blinken —

The Caribbean Bar.

Ich rauche schon wieder —

Romeo y Julieta.

Ein junger Mann, den ich zuerst fü r einen Zuhä lter halte, besteht darauf, meinen Whisky zu zahlen, weil er Vater geworden ist:

»For the first time! «

Er umarmt mich, dazu immer wieder:

»Isn't it a wonderful thing? «

Er stellt sich vor und will wissen, wie man heiß t, wieviel Kinder man hat, vor allem Sö hne; ich sage:

»Five.«

Er will sofort fü nf Whiskys bestellen.

»Walter«, sagt er,»you're my brother! «

Kaum hat man angestoß en, ist er weg, um den andern einen Whisky zu zahlen, um zu fragen, wieviel Kinder sie haben, vor allem Sö hne —

Alles wie verrü ckt.

Endlich das Gewitter: — wie ich allein unter den Arkaden sitze in einem gelben Schaukelstuhl, ringsum rauscht es, ein plö tzlicher Platzregen mit Wind, die Allee ist plö tzlich ohne Menschen, wie Alarm, Knall der Storen, drauß en die Spritzer ü ber dem Pflaster: wie ein plö tzliches Beet von Narzissen (vor allem unter den Laternen) weiß —

Wie ich schaukle und schaue.

Meine Lust, jetzt und hier zu sein —

Ab und zu duscht es unter die Arkaden, Blü ten-Konfetti, dann der Geruch von heiß em Laub und die plö tzliche Kü hle auf der Haut, ab und zu Blitze, aber der Wasserfall ist lauter als alles Gedonner, ich schaukle und lache, Wind, das Schaukeln der leeren Sessel neben mir, die Flagge von Cuba.

Ich pfeife.

Mein Zorn auf Amerika!

Ich schaukle und frö stle —

The American Way of Life!

Mein Entschluß, anders zu leben —

Licht der Blitze; nachher ist man wie blind, einen Augenblick lang hat man gesehen: die schwefelgrü ne Palme im Sturm, Wolken, violett mit der blä ulichen Schweiß brenner-Glut, das Meer, das flatternde Wellblech; der Hall von diesem flatternden Wellblech, meine kindliche Freude daran, meine Wollust — ich singe.

The American Way of Life:

Schon was sie essen und trinken, diese Bleichlinge, die nicht wissen, was Wein ist, diese Vitamin-Fresser, die kalten Tee trinken und Watte kauen und nicht wissen, was Brot ist, dieses Coca-Cola-Volk, das ich nicht mehr ausstehen kann —

Dabei lebe ich von ihrem Geld!

Ich lasse mir die Schuhe putzen —

Mit ihrem Geld!

Der Siebenjä hrige, der mir schon einmal die Schuhe geputzt hat, jetzt wie eine ersoffene Katze; ich greife nach seinem Kruselhaar —

Sein Grinsen —

Es ist nicht schwarz, sein Haar, eher grau wie Asche, braungrau, jung, wie Roß haar fü hlt es sich an, aber kruselig und kurz, man spü rt den kindlichen Schä del darunter, warm, wie wenn man einen geschorenen Pudel greift.

Er grinst nur und putzt weiter —

Ich liebe ihn.

Seine Zä hne —

Seine junge Haut —

Seine Augen erinnern mich an Houston, Texas, an die putzende Negerin, die in der Toilette, als ich meinen Schweiß anfall mit Schwindel hatte, neben mir kniete, das Weiß ihrer groß en Augen, die ü berhaupt anders sind, schö n wie Tier-Augen. Ü berhaupt ihr Fleisch!

Wir plaudern ü ber Auto-Marken.

Seine flinken Hä nde —

Es gibt keine Menschen mehr auß er uns, ein Bub und ich, die Sintflut ringsum, er hockt und glä nzt meine Schuhe mit seinem Lappen, daß es nur so klatscht —

The American Way o f Life:

Schon ihre Hä ß lichkeit, verglichen mit Menschen wie hier: ihre rosige Bratwurst-Haut, grä ß lich, sie leben, weil es Penicillin gibt, das ist alles, ihr Getue dabei, als wä ren sie glü cklich, weil Amerikaner, weil ohne Hemmungen, dabei sind sie nur schlaksig und laut — Kerle wie Dick, die ich mir zum Vorbild genommen habe! — wie sie herumstehen, ihre linke Hand in der Hosentasche, ihre Schulter an die Wand gelehnt, ihr Glas in der andern Hand, ungezwungen, die Schutzherren der Menschheit, ihr Schulterklopfen, ihr Optimismus, bis sie besoffen sind, dann Heulkrampf, Ausverkauf der weiß en Rasse, ihr Vakuum zwischen den Lenden. Mein Zorn auf mich selbst!

(Wenn man nochmals leben kö nnte.)

Mein Nacht-Brief an Hanna —

Am andern Tag fuhr ich hinaus an den Strand, es war wolkenlos und heiß, Mittag mit schwacher Brandung: die auslaufenden Wellen, dann das Klirren im Kies, jeder Strand erinnert mich an Theodohori.

Ich weine.

Das klare Wasser, man sieht den Meeresgrund, ich schwimme mit dem Gesicht im Wasser, damit ich den Meeresgrund sehe; mein eigener Schatten auf dem Meeresgrund: ein violetter Frosch.

Brief an Dick.

Was Amerika zu bieten hat: Komfort, die beste Installation der Welt, ready for use, die Welt als amerikanisiertes Vakuum, wo sie hinkommen, alles wird Highway, die Welt als Plakat-Wand zu beiden Seiten, ihre Stä dte, die keine sind, Illumination, am andern Morgen sieht man die leeren Gerü ste, Klimbim, infantil, Reklame fü r Optimismus als Neon-Tapete vor der Nacht und vor dem Tod —

Spä ter mietete ich ein Boot.

Um allein zu sein!

Noch im Badkleid sieht man ihnen an, daß sie Dollar haben; ihre Stimmen (wie an der Via Appia), nicht auszuhalten, ihre Gummi-Stimmen ü berall, Wohlstand-Plebs.

Brief an Marcel.

Marcel hat recht: ihre falsche Gesundheit, ihre falsche Jugendlichkeit, ihre Weiber, die nicht zugeben kö nnen, daß sie ä lter werden, ihre Kosmetik noch an der Leiche, ü berhaupt ihr pornografisches Verhä ltnis zum Tod, ihr Prä sident, der auf jeder Titelseite lachen muß wie ein rosiges Baby, sonst wä hlen sie ihn nicht wieder, ihre obszö ne Jugendlichkeit —

Ich ruderte weit hinaus.

Hitze auf dem Meer —

Sehr allein.

Ich las meine Briefe an Dick und an Marcel und zerriß sie, weil unsachlich; die weiß en Fetzchen auf dem Wasser; mein weiß es Brusthaar —

Sehr allein.

Spä ter wie ein Schulbub: ich zeichne eine Frau in den heiß en Sand und lege mich in diese Frau, die nichts als Sand ist, und spreche laut zu ihr —

Wildlingin!

Ich wuß te nicht, was anfangen mit diesem Tag, mit mir, ein komischer Tag, ich kannte mich selbst nicht, keine Ahnung, wie er vergangen ist, ein Nachmittag, der geradezu wie Ewigkeit aussah, blau, unerträ glich, aber schö n, aber endlos — bis ich wieder auf der Prado-Mauer sitze (abends) mit geschlossenen Augen; ich versuche mir vorzustellen, daß ich in Habana bin, daß ich auf der Prado-Mauer sitze. Ich kann es mir nicht vorstellen, Schrecken.

Alle wollen meine Schuhe putzen —

Lauter schö ne Menschen, ich bewundere sie wie fremde Tiere, ihr weiß es Gebiß in der Dä mmerung, ihre braunen Schultern und Arme, ihre Augen — ihr Lachen, weil sie gerne leben, weil Feierabend, weil sie schö n sind.

Meine Wollust, zu schauen —

Meine Begierde —

Vakuum zwischen den Lenden —

Ich existiere nur noch fü r Schuhputzer!

Die Zuhä lter —

Die Eisverkä ufer —

Ihr Vehikel; Kombination aus alten Kinderwagen und Bü ffet, dazu ein halbes Fahrrad, Baldachin aus verrosteten Jalousien; Karbid-Licht; ringsum die grü ne Dä mmerung mit ihren blauen Glockenrö cken.

Der lila Mond —

Dann meine Taxi-Geschichte: es war noch frü h am Abend, aber ich ertrug es nicht lä nger als Leiche im Corso der Lebenden zu gehen und wollte in mein Hotel, um ein Schlafpulver zu nehmen, ich winkte einem Taxi, und als ich die Tü re aufreiß e, sitzen bereits die zwei Damen darin, eine schwarze, eine blonde, ich sage: Sorry! schlage die Wagentü r zu, aber der Driver springt heraus, um mich zurü ckzurufen: Yes, Sir! ruft er und reiß t die Wagentü re wieder auf: For you, Sir! ich muß lachen ü ber soviel»service«, steige ein —

Unser kostbares Souper!

Dann die Blamage —

Ich habe gewuß t, daß es einmal so kommen wird, spä ter liege ich in meinem Hotel — schlaflos, aber gelassen, es ist eine heiß e Nacht, ab und zu dusche ich meinen Kö rper, der mich verlä ß t, aber ich nehme kein Schlafpulver, mein Kö rper taugt gerade noch, um den Ventilator-Wind zu genieß en, der hin und her schwenkt, Wind auf Brust, Wind auf Beine, Wind auf Brust.

Mein Hirngespinst: Magenkrebs.

Sonst glü cklich —

Krawall der Vö gel im Morgengrauen, ich nehme meine Hermes-Baby und tippe endlich meinen Unesco-Rapport, betreffend die Montage in Venezuela, die erledigt ist.

Dann Schlaf bis Mittag.

Ich esse Austern, weil ich nicht weiß, was tun, meine Arbeit ist erledigt, ich rauche viel zu viel Zigarren.

(Daher meine Magenschmerzen.)

Die Ü berraschung abends:

Wie ich mich auf der Prado-Mauer einfach zu dem fremden Mä dchen setze und sie anspreche, meines Erachtens dieselbe, die vorgestern die Rosa-Zunge herausgestreckt hat. Sie erinnert sich nicht. Ihr Lachen, als ich sage, daß ich kein American bin.

Mein Spanisch zu langsam —

»Say it in English! «

Ihre langen und dü nnen Hä nde —

Mein Spanisch reicht fü r berufliche Verhandlungen, die Komik: ich sage nicht, was ich will, sondern was die Sprache will. Ihr Lachen dazu. Ich bin das Opfer meines kleinen Wortschatzes. Ihr Staunen, ihre geradezu lieben Augen, wenn ich manchmal selber staune: ü ber mein Leben, das mir selber, so gesagt, belanglos vorkommt.

Juana ist achtzehn.

(Noch jü nger als unser Kind.)

Suiza: sie meint immer Schweden.

Ihre braunen Arme als Stü tzen rü ckwä rts gespreizt, ihr Kopf an der Guß eisen-Laterne, ihr weiß es Kopftuch und das schwarze Haar, ihre unglaublich schö nen Fü ß e; wir rauchen; meine beiden weiß en Hä nde um mein rechtes Hosenknie gespannt —

Ihre Unbefangenheit.

Sie hat Cuba noch nie verlassen —

Das ist mein dritter Abend hier, aber alles schon vertraut: die grü ne Dä mmerung mit Neon-Reklame darin, die Eisverkä ufer, die gescheckte Rinde der Platanen, die Vö gel mit ihrem Zwitschern und das Schattennetz auf dem Boden, die rote Blume ihrer Mü nder.

Ihr Lebensziel: New York!

Der Vogelmist von oben —

Ihre Unbefangenheit:

Juana ist Packerin, Freudenmä dchen nur ü bers Wochenende, sie hat ein Kind, sie wohnt nicht in Habana selbst.

Wieder die jungen Matrosen schlendernd.

Ich erzä hle von meiner Tochter, die gestorben ist, von der Hochzeitsreise mit meiner Tochter, von Korinth, von der Aspisviper, die ü ber der linken Brust gebissen hat, und von ihrem Begrä bnis, von meiner Zukunft.

»I’m going to marry her.«

Sie versteht mich falsch:

»I think she's dead.«

Ich berichtige.

»Oh«, lacht sie,»you're going to marry the mother of the girl, I see! «

»As soon as possible.«

»Fine! «sagt sie.

»My wife is living in Athens —«

Ihre Ohrringe, ihre Haut.

Sie wartet hier auf ihren Bruder —

Meine Frage, ob Juana an eine Todsü nde glaubt, beziehungsweise an Gö tter; ihr weiß es Lachen; meine Frage, ob Juana glaubt, daß die Schlangen (ganz allgemein) von Gö ttern gesteuert werden, beziehungsweise von Dä monen.

»What's your opinion, Sir? «

Spä ter der Kerl mit gestreiftem Hollywood-Hemd, der jugendliche Zuhä lter, der mich auch schon angesprochen hat, ihr Bruder. Sein Handschlag:»Hello, camerad! «

Es ist nichts dabei, alles ganz munter, Juana legt ihre Zigarette unter den Absatz, um sie zu lö schen, und ihre braune Hand auf meiner Schulter:

»He's going to marry bis wife — he's a gentleman! «Juana verschwunden —

»Wait here! «sagt er und blickt zurü ck, um mich festzuhalten.»Just a moment, Sir, just a moment! «

Meine letzte Nacht in Habana.

Keine Zeit auf Erden, um zu schlafen!

Ich hatte keinen besonderen Anlaß, glü cklich zu sein, ich war es aber. Ich wuß te, daß ich alles, was ich sehe, verlassen werde, aber nicht vergessen: — die Arkade in der Nacht, wo ich schaukle und schaue, beziehungsweise hö re, ein Droschkenpferd wiehert, die spanische Fassade mit den gelben Vorhä ngen, die aus schwarzen Fenstern flattern, dann wieder das Wellblech irgendwo, sein Hall durch Mark und Bein, mein Spaß dabei, meine Wollust, Wind, nichts als Wind, der die Palmen schü ttelt, Wind ohne Wolken, ich schaukle und schwitze, die grü ne Palme ist biegsam wie eine Gerte, in ihren Blä ttern tö nt es wie Messerwetzen, Staub, dann die Guß eisen-Laterne, die zu flö ten beginnt, ich schaukle und lache, ihr zuckendes und sterbendes Licht, es muß ein beträ chtlicher Sog sein, das wiehernde Pferd kann die Droschke kaum halten, alles will fliehen, das Schild von einem barber-shop, Messing, sein Klingeln in der Nacht, und das unsichtbare Meer spritzt ü ber die Mauern, dann jedesmal Donner im Boden, darü ber zischt es wie eine Espresso-Maschine, mein Durst, Salz auf den Lippen, Sturm ohne Regen, kein Tropfen will fallen, es kann nicht, weil keine Wolken, nichts als Sterne, nichts als der heiß e und trockene Staub in der Luft, Backofenluft, ich schaukle und trinke einen Scotch, einen einzigen, ich vertrage nichts mehr, ich schaukle und singe. Stundenlang. Ich singe! Ich kann ja nicht singen, aber niemand hö rt mich, das Droschkenpferd auf dem leeren Pflaster, die letzten Mä dchen in ihren fliegenden Rö cken, ihre braunen Beine, wenn die Rö cke fliegen, ihr schwarzes Haar, das ebenfalls fliegt, und die grü ne Jalousie, die sich losgerissen hat, ihr weiß es Gelä chter im Staub, und wie sie ü ber das Pflaster rutscht, die grü ne Jalousie, hinaus zum Meer, das Himbeer-Licht im Staub ü ber der weiß en Stadt in der Nacht, die Hitze, die Fahne von Cuba — ich schaukle und singe, nichts weiter, das Schaukeln der leeren Sessel neben mir, das flö tende Guß eisen, die Wirbel von Blü ten. Ich preise das Leben!

Samstag, 13. VII., Weiterflug.

Morgen auf dem Prado, nachdem ich auf der Bank gewesen bin, um Geld zu wechseln, die menschenleere Allee, glitschig von Vogelmist und weiß en Blü ten —

Die Sonne —

Alles an die Arbeit.

Die Vö gel —

Dann ein Mann, der mich um Feuer bittet fü r seine Zigarre, geschä ftig, er begleitet mich trotzdem, um zu fragen:

»How do you like Habana? «

»I love it! «sage ich.

Wieder ein Zuhä lter, seine Teilnahme.

»You're happy, aren't you? «

Er bewundert meine Kamera.

»Something very beautiful! D'you know what I mean? Something very young! «

Als ich ihm sage, daß ich verreise, will er wissen, wann ich im Flughafen sein mü sse.

»Ten o'clock, my friend, ten o'clock.«

Sein Blick auf die Uhr.

»Well«, sagt er,»now it's nine o'clock — Sir, that's plenty of time! «

Ich schlendere nochmals zum Meer.

Weit drauß en die Fischerboote —

Abschied.

Ich sitze nochmals auf den Uferblö cken und rauche nochmals eine Zigarre — ich filme nichts mehr. Wozu! Hanna hat recht: nachher muß man es sich als Film ansehen, wenn es nicht mehr da ist, und es vergeht ja doch alles — Abschied.

 

Hanna ist dagewesen. Ich sagte ihr, sie sehe aus wie eine Braut. Hanna in Weiß! Sie kommt plö tzlich nicht mehr in ihrem Trauerkleid; ihre Ausrede: es sei zu heiß drauß en. Ich habe ihr soviel von Zopiloten geredet, jetzt will sie nicht als schwarzer Vogel neben meinem Bett sitzen — und meint, ich merke ihre liebe Rü cksicht nicht, weil ich frü her (noch vor wenigen Wochen) soviel nicht gemerkt habe. Hanna hat viel erzä hlt.

P.S. Einmal, als Kind, hat Hanna mit ihrem Bruder gerungen und sich geschworen, nie einen Mann zu lieben, weil es dem jü ngeren Bruder gelungen war, Hanna auf den Rü cken zu werfen.

Sie war dermaß en empö rt ü ber den lieben Gott, weil er diejungens einfach krä ftiger gemacht hat, sie fand ihn unfair, nicht ihren Bruder, aber den lieben Gott. Hanna beschloß, gescheiter zu sein als alle Jungens von Mü nchen-Schwabing, und grü ndete einen geheimen Mä dchenklub, um Jehova abzuschaffen. Jedenfalls kam nur ein Himmel in Frage, wo es auch Gö ttinnen gibt. Hanna wandte sich vorerst an die Mutter Gottes, veranlaß t durch Kirchenbilder, wo Maria in der Mitte thront; sie kniete nieder wie ihre katholischen Freundinnen und bekreuzigte sich, was Papa nicht wissen durfte. Der einzige Mann, dem sie vertraute, war ein Greis namens Armin, der in ihren Mä dchenjahren eine gewisse Rolle gespielt hat. Ich habe nicht gewuß t, daß Hanna einen Bruder hat. Hanna sagt: er lebt in Canada und ist tü chtig, glaube ich, er legt alle auf den Rü cken. Ich habe gefragt, wie sie mit Joachim lebte, damals, wie und wo und wie lange. Ich habe viel gefragt, dann sagt Hanna immer: aber das weiß t du doch! Am meisten erzä hlt sie von Armin. Er war ein Blinder. Hanna liebt ihn noch, obschon er lä ngst gestorben, beziehungsweise verschollen ist. Hanna war noch Schü lerin, ein Mä dchen mit Kniestrü mpfen, sie traf ihn regelmä ß ig im Englischen Garten, wo er stets auf der gleichen Bank saß, und fü hrte ihn dann durch Mü nchen. Er liebte Mü nchen. Er war alt, nach ihren damaligen Begriffen sogar uralt: zwischen 50 und 60. Sie hatten immer nur wenig Zeit, je Dienstag und Freitag, wenn Hanna ihre Geigenstunde hatte, und sie trafen sich bei jedem Wetter, sie fü hrte ihn und zeigte ihm die Schaufenster. Armin war vollkommen blind, aber er konnte sich alles vorstellen, wenn man es ihm sagte. Hanna sagt: es war einfach wunderbar, mit ihm durch die Welt zu gehen. Ich habe auch gefragt, wie es bei der Geburt unseres Kindes gegangen ist. Ich war ja nicht dabei; wie soll ich's mir vorstellen kö nnen? Joachim war natü rlich dabei. Er hatte gewuß t, daß er nicht der Vater ist; aber er war wie ein richtiger Vater. Eine leichte Geburt, laut Hanna; sie erinnert sich nur, daß sie als Mutter sehr glü cklich war. Was ich auch nicht gewuß t habe: meine Mutter wuß te, daß das Kind von mir ist, sonst niemand in Zü rich, mein Vater hatte keine Ahnung. Ich habe gefragt, warum meine Mutter in keinem Brief je erwä hnt hat, daß sie es weiß. Bund der Frauen? Sie erwä hnen einfach nicht, was wir nicht verstehen, und behandeln uns wie Unmü ndige. Meine Eltern sollen ü berhaupt, laut Hanna, anders gewesen sein, als ich meine; anders jedenfalls gegenü ber Hanna. Wenn Hanna von meiner Mutter berichtet, kann ich bloß zuhö ren. Wie ein Blinder! Sie hatten noch jahrelang einen Briefwechsel, Hanna und meine Mutter, die ü brigens nicht an einer Embolie gestorben ist, wie ich gemeint habe. Hanna ist verwundert, was ich alles nicht gewuß t habe. Hanna ist bei ihrer Beerdigung gewesen, 1937. Ihre Liebe zu den alten Griechen, meint Hanna, begann auch im Englischen Garten; Armin konnte Griechisch, und das Mä dchen muß te ihm aus den Schulbü chern vorlesen, damit er's auswendiglernen konnte. Das war sozusagen seine Vergewaltigung. Er nahm Hanna nie in seine Wohnung. Sie weiß nicht, wo er wohnte und wie. Hanna traf ihn im Englischen Garten und verließ ihn im Englischen Garten, und niemand in der Welt wuß te von ihrer Vereinbarung, daß sie zusammen nach Griechenland fahren, Armin und sie, sobald sie erwachsen ist und frei, und Hanna wird ihm die griechischen Tempel zeigen. Ob der alte Mann es ernst meinte, ist ungewiß; Hanna meinte es ernst. Hanna in Kniestrü mpfen! Einmal, ich erinnere mich, saß im Café Odé on, Zü rich, ein alter Herr, den Hanna regelmä ß ig abholen muß te, um ihn ins Tram zu fü hren. Ich habe dieses Café Odé on eigentlich gehaß t; Emigranten und Intellektuelle, Boheme. Professoren und die alten Kokotten fü r Geschä ftsleute vom Lande, ich ging nur Hanna zuliebe in dieses Café. Er wohnte in der Pension Fontana, ich wartete dann in einer kleinen Anlage (versteckt) an der Gloriastraß e, bis Hanna ihren alten Onkel abgeliefert hatte. Das also ist Armin gewesen! Ich habe ihn nicht eigentlich wahrgenommen. Hanna sagt: aber er hat dich wahrgenommen. Hanna redet heute noch von Armin, als lebe er, als sehe er alles. Ich habe gefragt, warum Hanna nie mit ihm nach Griechenland gefahren ist. Hanna lacht mich aus, als wä re alles nur ein Scherz gewesen, Kinderei. In Paris (1938 bis 1940) lebte Hanna mit einem franzö sischen Schriftsteller, der ziemlich bekannt sein soll; ich habe seinen Namen vergessen. Was ich auch nicht gewuß t habe: Hanna ist in Moskau gewesen (1948) mit ihrem zweiten Mann. Einmal ist sie wieder durch Zü rich gefahren (1953) ohne unsere

Tochter; sie hat Zü rich ganz gern, als wä re nichts gewesen, und war auch im Café Odé on. Ich habe gefragt, wie Armin gestorben ist. In London (1942) hat Hanna ihn nochmals getroffen. Armin wollte auswandern, und Hanna hat ihn noch auf das Schiff gefü hrt, das er nicht sehen konnte und das wahrscheinlich von einem deutschen U-Boot versenkt wurde; jedenfalls ist es nie angekommen.

 

15. VII. Dü sseldorf.

Was der junge Techniker, den mir die Herren von Hencke-Bosch zur Verfü gung stellten, von mir denken mag, weiß ich nicht; ich kann nur sagen, daß ich mich an diesem Vormittag zusammennahm, solange ich konnte.

Hochhaus in Chrom —

Ich hielt es fü r meine Freundespflicht, die Herren zu informieren, wie ihre Plantage in Guatemala aussieht, das heiß t, ich war von Lissabon nach Dü sseldorf geflogen, ohne zu ü berlegen, was ich in Dü sseldorf eigentlich zu tun oder zu sagen habe, und saß nun einfach da, hö flich empfangen.

»Ich habe Filme«, sagte ich —

Ich hatte den Eindruck, sie haben die Plantage bereits abgeschrieben; sie interessierten sich aus purer Hö flichkeit.

»Wie lange dauern denn Ihre Filme? «

Eigentlich stö rte ich bloß.

»Wieso Unfall? «sagte ich.»Mein Freund hat sich erhä ngt — das wissen Sie nicht? «

Man wuß te es natü rlich.

Ich hatte das Gefü hl, man nimmt mich nicht ernst, aber es muß te nun sein, Vorfü hrung meines Farbfilms aus Guatemala. Der Techniker, der mir zur Verfü gung gestellt wurde, um im Sitzungszimmer des Verwaltungsrates herzurichten, was zur Vorfü hrung nö tig war, machte mich nur nervö s; er war sehr jung, dabei nett, aber ü berflü ssig, ich brauchte Apparatur, Bildschirm, Kabel, ich brauchte keinen Techniker.

»Ich danke Ihnen! «sagte ich.

»Bitte sehr, mein Herr.«

»Ich kenne die Apparatur«— sagte ich.

Ich wurde ihn nicht los.

Es war das erste Mal, daß ich die Filme selber sah (alle noch ungeschnitten), gefaß t, daß es von Wiederholungen wimmelt, unvermeidlich; ich staunte, wieviel Sonnenuntergä nge, drei Sonnenuntergä nge allein in der Wü ste von Tamaulipas, man hä tte meinen kö nnen, ich reise als Vertreter von Sonnenuntergä ngen, lä cherlich; ich schä mte mich geradezu vor dem jungen Techniker, daher meine Ungeduld —

»Geht nicht schä rfer, mein Herr.«

Unser Landrover am Rio Usumacinta —

Zopilote an der Arbeit —

»Weiter«, sagte ich,»bitte.«

Dann die ersten Indios am Morgen, die uns melden, ihr Senor sei tot, dann Ende der Spule —Wechsel der Spule, was einige Zeit in Anspruch nimmt; unterdessen Gesprä ch ü ber Ektachrom. Ich sitze in einem Polstersessel und rauche, weil untä tig, die leeren Verwaltungsratssessel neben mir; nur schaukeln sie nicht im Wind.

»Bitte«, sagte ich,»weiter —«

Jetzt Joachim am Draht.

»Stop«, sage ich,»bitte! «

Es ist eine sehr dunkle Aufnahme geworden, leider, man sieht nicht sogleich, was es ist, unterbelichtet, weil in der Baracke aufgenommen mit der gleichen Blende wie vorher die Zopilote auf dem Esel drauß en in der Morgensonne, ich sage:

»Das ist Dr. Joachim Hencke.«

Sein Blick auf die Leinwand:

»Geht nicht schä rfer, mein Herr, — bedaure.«

Das ist alles, was er zu sagen hat.

»Bitte«, sage ich,»weiter! «

Nochmals Joachim am Draht, aber diesmal von der Seite, so daß man besser sieht, was los ist; es ist merkwü rdig, es macht nicht nur meinem jungen Techniker, sondern auch mir ü berhaupt keinen Eindruck, ein Film, wie man schon manche gesehen hat, Wochenschau, es fehlt der Gestank, die Wirklichkeit, wir sprechen ü ber Belichtung, der junge Mann und ich, unterdessen das Grab mit den betenden Indios ringsum, alles viel zu lang, dann plö tzlich die Ruinen von Palenque, der Papagei von Palenque. Ende der Spule.

»Vielleicht kann man hier ein Fenster aufmachen«, sagte ich,»das ist ja wie in den Tropen.«

»Bitte sehr, mein Herr.«

Das Miß geschick kam daher, daß der Zoll meine Spulen durcheinander gebracht hatte, beziehungsweise daß die Spulen der letzten Zeit (seit meiner Schiffspassage) nicht mehr angeschrieben waren; ich wollte ja den Herrn von Hencke-Bosch, die auf 11.30 Uhr kommen sollten, lediglich vorfü hren, was Guatemala betrifft. Was ich brauchte: mein letzter Besuch bei Herbert.

»Stop«, sagte ich,»das ist Griechenland.«

»Griechenland? «

»Stop! «schrie ich, —»stop! «

»Bitte sehr, mein Herr.«

Der Junge machte mich krank, sein gefä lliges Bitte-sehr, sein herablassendes Bitte-sehr, als wä re er der erste Mensch, der sich auf eine solche Apparatur versteht, sein Quatsch ü ber Optik, wovon er nichts versteht, vor allem aber sein Bitte-sehr, seine Besserwisserei dabei.

»Gibt nichts anderes, mein Herr, durchlassen und sehen! Gibt nichts anderes, wenn die Spulen nicht angeschrieben sind.«

Es war nicht sein Fehler, daß die Spulen nicht angeschrieben waren; insofern gab ich ihm recht.

»Es fä ngt an«, sagte ich,»mit Herrn Herbert Hencke, ein Mann mit Bart in der Hä ngematte — soviel ich mich erinnere.«

Licht aus, Dunkel, Surren des Films.

Ein pures Glü cksspiel! Es genü gten die ersten Meter: —Ivy auf dem Pier in Manhattan, ihr Winken durch mein Tele-Objektiv, Morgensonne auf Hudson, die schwarzen Schlepper, Manhattan-Skyline, Mö wen...

»Stop«, sagte ich,»bitte die nä chste.«

Wechsel der Spulen.

»Sie sind wohl um die halbe Welt gereist, mein Herr, das mö chte ich auch —«

Es war 11.00 Uhr.

Ich muß te meine Tabletten nehmen, um fit zu sein, wenn die Herren der Firma kommen, Tabletten ohne Wasser, ich wollte nichts merken lassen.

»Nein«, sagte ich,»die auch nicht.«

Wieder Wechsel der Spulen.

»Das war der Bahnhof in Rom, was? «

Meinerseits keine Antwort. Ich wartete auf die nä chste Spule. Ich lauerte, um sofort stoppen zu kö nnen. Ich wuß te: Sabeth auf dem Schiff, Sabeth beim Pingpong auf dem Promenadendeck (mit ihrem Schnä uzchen-Freund) und Sabeth in ihrem Bikini, Sabeth, die mir die Zunge herausstreckt, als sie merkt, daß ich filme — das alles muß te in der ersten Spule gewesen sein, die mit Ivy begonnen hatte; also abgelegt. Es lagen aber noch sechs oder sieben Spulen auf dem Tisch und plö tzlich, wie nicht anders mö glich, ist sie da — lebensgroß — Sabeth auf dem Bildschirm. In Farben.

Ich stand auf.

Sabeth in Avignon.

Ich stoppte aber nicht, sondern ließ die ganze Spule laufen, obschon der Techniker mehrmals meldete, das kö nnte nicht Guatemala sein.

Ich sehe diesen Streifen noch jetzt:

Ihr Gesicht, das nie wieder da sein wird —

Sabeth im Mistral, sie geht gegen den Wind, die Terrasse, Jardin des Papes, alles flattert, Haare, ihr Rock wie ein Ballon, Sabeth am Gelä nder, sie winkt.

Ihre Bewegungen —

Sabeth, wie sie Tauben fü ttert.

Ihr Lachen, aber stumm —

Pont d'Avignon, die alte Brü cke, die in der Mitte einfach aufhö rt. Sabeth zeigt mir etwas, ihre Miene, als sie bemerkt, daß ich filme statt zu schauen, ihr Rü mpfen der Stirne zwischen den Brauen, sie sagt etwas.

Landschaften —

Das Wasser der Rhone, kalt, Sabeth versucht es mit den Zehen und schü ttelt den Kopf, Abendsonne, mein langer Schatten ist drauf.

Ihr Kö rper, den es nicht mehr gibt —

Das antike Theater in Nî mes.

Frü hstü ck unter Platanen, der Kellner, der uns nochmals Brioches bringt, ihr Gepla


Ïîäåëèòüñÿ ñ äðóçüÿìè:

mylektsii.su - Ìîè Ëåêöèè - 2015-2024 ãîä. (0.15 ñåê.)Âñå ìàòåðèàëû ïðåäñòàâëåííûå íà ñàéòå èñêëþ÷èòåëüíî ñ öåëüþ îçíàêîìëåíèÿ ÷èòàòåëÿìè è íå ïðåñëåäóþò êîììåð÷åñêèõ öåëåé èëè íàðóøåíèå àâòîðñêèõ ïðàâ Ïîæàëîâàòüñÿ íà ìàòåðèàë