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Homo Faber 8 ñòðàíèöà






Was mir Mü he machte, war lediglich ihr Kunstbedü rfnis, ihre Manie, alles anzuschauen. Kaum in Italien, gab es keine Ortschaft mehr, wo ich nicht stoppen muß te: Pisa, Florenz, Siena, Perugia, Arezzo, Orvieto, Assisi. — Ich bin nicht gewohnt, so zu reisen. In Florenz rebellierte ich, indem ich ihren Fra Angelico, offen gesagt, etwas kitschig fand. Ich verbesserte mich dann: Naiv. Sie bestritt es nicht, im Gegenteil, sie war begeistert; es kann ihr nicht naiv genug sein.

Was ich genoß: Campari!

Meinetwegen auch Mandolinen-Bettler —

Was mich interessierte: Straß enbau, Brü ckenbau, der neue Fiat, der neue Bahnhof in Rom, der neue Rapido-Triebwagen, die neue Olivetti —

Ich kann mit Museen nichts anfangen.

Ich saß drauß en auf der Piazza San Marco, wä hrend Sabeth aus purem Trotz, glaube ich, das ganze Kloster besichtigte, und trank meinen Campari wie ü blich. Ich hatte mir in diesen letzten Tagen, seit Avignon, schon allerhand angeschaut, bloß um in ihrer Nä he zu sein. Ich sah keinen Grund, eifersü chtig zu sein, und war es doch. Ich wuß te nicht, was so ein junges Mä dchen sich eigentlich denkt. Bin ich ihr Chauffeur? Dann gut; dann habe ich das Recht, unterdessen einen Campari zu trinken, bis meine Herrschaft aus der nä chsten Kirche kommt. Es hä tte mir nichts ausgemacht, ihr Chauffeur zu sein, wä re nicht Avignon gewesen. Ich zweifelte manchmal, wofü r ich sie halten sollte. Ihre Idee: mit Autostop nach Rom! Auch wenn sie es schließ lich nicht getan hatte, die bloß e Idee machte mich eifersü chtig. Was in Avignon gewesen ist, wä re es mit jedem Mann gewesen?

Ich dachte an Heirat wie noch nie —

Ich wollte ja das Kind, je mehr ich es liebte, nicht in ein solches Fahrwasser bringen. Ich hoffte von Tag zu Tag, daß ich einmal mit ihr sprechen kann, ich war entschlossen, offen zu sein, nur hatte ich Angst, daß sie mir dann nicht glauben, beziehungsweise mich auslachen wü rde... Noch immer fand sie mich zynisch, glaube ich, sogar schnoddrig (nicht ihr gegenü ber, aber gegenü ber dem Leben ganz allgemein) und ironisch, was sie nicht vertrug, und oft wuß te ich ü berhaupt nichts mehr zu sagen. Hö rte sie mich ü berhaupt? Ich hatte gerade das Gefü hl, daß ich die Jugend nicht mehr verstehe. Ich kam mir oft wie ein Betrü ger vor. Warum eigentlich? Ich wollte ihre Erwartung, daß Tivoli alles ü bertreffe, was ich auf dieser Welt gesehen habe, und daß ein Nachmittag in Tivoli beispielsweise das Glü ck im Quadrat wä re, nicht zerstö ren; nur konnte ich's nicht glauben. Ihre stete Sorge, ich nehme sie nicht ernst, war verkehrt; ich nahm mich selbst nicht ernst, und irgend etwas machte mich immer eifersü chtig, obschon ich mir Mü he gab, jung zu sein. Ich fragte mich, ob die Jugend heute (1957) vollkommen anders ist als zu unsrer Zeit, und stellte nur fest, daß ich ü berhaupt nicht weiß, wie die derzeitige Jugend ist. Ich beobachtete sie. Ich folgte ihr in etliche Museen, bloß um in ihrer Nä he zu sein, um Sabeth wenigstens zu sehen in der Spiegelung einer Vitrine, wo es von etruskischen Scherben wimmelte, ihr junges Gesicht, ihren Ernst, ihre Freude! Sabeth glaubte nicht, daß ich nichts davon verstehe, und hatte einerseits ein maß loses Vertrauen zu mir, bloß weil man dreiß ig Jahre ä lter ist, ein kindisches Vertrauen, anderseits ü berhaupt keinen Respekt. Es verstimmte mich, daß ich Respekt erwarte. Sabeth hö rte zu, wenn ich von meinen Erfahrungen redete, jedoch wie man einem Alten zuhö rt: ohne zu unterbrechen, hö flich, ohne zu glauben, ohne sich zu ereifern. Hö chstens unterbrach sie, um mir vorzugreifen in der Erzä hlung und dadurch anzudeuten, daß ich all das schon einmal erzä hlt hatte. Dann schä mte ich mich. Ü berhaupt zä hlte fü r sie nur die Zukunft, ein biß chen auch die Gegenwart; aber auf Erfahrung ließ sie sich ü berhaupt nicht ein, wie alle Jungen. Es interessierte sie keinen Deut, daß alles schon dagewesen ist und was unsereiner daraus gelernt hat, beziehungsweise hä tte lernen kö nnen. Ich achtete drauf, was sich Sabeth eigentlich von der Zukunft versprach, und stellte fest: sie weiß es selbst nicht, aber sie freut sich einfach. Hatte ich von der Zukunft etwas zu erwarten, was ich nicht schon kenne? Fü r Sabeth war alles ganz anders. Sie freute sich auf Tivoli, auf Mama, auf das Frü hstü ck, auf die Zukunft, wenn sie einmal Kinder haben wird, auf ihren Geburtstag, auf eine Schallplatte, auf Bestimmtes und vor allem Unbestimmtes: auf alles, was noch nicht ist. Das machte mich eifersü chtig, mag sein, aber daß ich mich meinerseits nicht freuen kann, stimmt nicht; ich freute mich ü ber jeden Augenblick, der sich einigermaß en dazu eignete. Ich mache keine Purzelbä ume, ich singe nicht, aber ich freue mich schon auch. Und nicht nur ü ber ein gutes Essen! Ich kann mich vielleicht nicht immer ausdrü cken. Wieviele von den Menschen, die unsereiner trifft, haben denn ein Interesse an meiner Freude, ü berhaupt an meinen Gefü hlen! Sabeth fand, ich untertreibe immer, beziehungsweise ich verstelle mich. Was mich am meisten freute, war ihre Freude. Ich staunte manchmal, wie wenig sie brauchte, um zu singen, eigentlich ü berhaupt nichts; sie zog die Vorhä nge auseinander und stellte fest, daß es nicht regnete, und sang. Leider hatte ich einmal meine Magenbeschwerden erwä hnt; nun meinte sie immer, ich hä tte Magenbeschwerden, mü tterlich besorgt, als wä re ich unmü ndig. Insofern war sie nicht immer leicht, unsere Reise, oft komisch: ich langweilte sie mit Lebenserfahrung, und sie machte mich alt, indem sie von Morgen bis Abend ü berall auf meine Begeisterung wartete...

In einem groß en Kreuzgang (Museo Nazionale) weigerte ich mich, ihren Baedeker anzuhö ren, ich hockte auf der Brü stung und versuchte eine italienische Zeitung zu lesen, ich hatte sie satt, diese Sammlungen von steinernen Trü mmern. Ich streikte, aber Sabeth war noch immer ü berzeugt, ich halte sie zum Besten mit meinem Gestä ndnis, daß ich nichts von Kunst verstehe — ihrerseits gestü tzt auf einen Ausspruch ihrer Mama, jeder Mensch kö nne ein Kunstwerk erleben, bloß der Bildungsspieß er nicht.

»Eine gnä dige Mama! «sagte ich.

Ein italienisches Paar, das durch den groß en Kreuzgang ging, interessierte mich mehr als alle Statuen, vor allem der Vater, der ihr schlafendes Kind auf den Armen trug — Sonst kein Mensch.

Vö gel zwitscherten, sonst Grabesstille.

Dann, als Sabeth mich allein gelassen hatte, steckte ich die Zeitung ein, die ich sowieso nicht lesen konnte, und stellte mich vor irgendeine Statue, um den Ausspruch ihrer Mama zu prü fen. Jeder Mensch kö nne ein Kunstwerk erleben! — aber Mama, fand ich, irrte sich.

Ich langweilte mich bloß.

Im kleinen Kreuzgang (Verglasung) hatte ich Glü ck: eine ganze Gruppe deutscher Touristen, gefü hrt von einem katholischen Priester, drä ngte sich vor dem Relief wie vor einer Unglü cksstä tte, so daß ich neugierig wurde, und als Sabeth mich fand (»Da bist du ja, Walter, ich dachte schon, du bist zu deinem Campari verschwunden! «), sagte ich, was ich eben von dem Priester gehö rt hatte: Geburt der Venus. Vor allem das Mä dchen auf der Seite, Flö tenblä serin, fand ich entzü ckend... Entzü ckend, fand Sabeth, das sei kein Wort fü r ein solches Relief; sie fand es toll, geradezu irrsinnig, maximal, genial, terrific.

Zum Glü ck kamen Leute —

Ich kann es nicht ausstehen, wenn man mir sagt, was ich zu empfinden habe; dann komme ich mir, obschon ich sehe, wovon die Rede ist, wie ein Blinder vor.

Kopf einer schlafenden Erinnye.

Das war meine Entdeckung (im selben Seitensaal links) ohne Hilfe eines bayerischen Priesters; ich wuß te allerdings den Titel nicht, was mich keineswegs stö rte, im Gegenteil, meistens stö ren mich die Titel, weil ich mich mit antiken Namen sowieso nicht auskenne, dann fü hlt man sich wie im Examen... Hier fand ich: Groß artig, ganz groß artig, beeindruckend, famos, tiefbeeindruckend. Es war ein steinerner Mä dchenkopf, so gelegt, daß man drauf blickt wie auf das Gesicht einer schlafenden Frau, wenn man sich auf die Ellbogen stü tzt.

»Was sie wohl zusammenträ umt —? «

Keine Art der Kunstbetrachtung, mag sein, aber es interessierte mich mehr als die Frage, ob viertes Jahrhundert oder drittes Jahrhundert v. Chr... Als ich nochmals die Geburt der Venus besichtigte, sagt sie plö tzlich: Bleib! Ich darf mich nicht rü hren. Was ist los? frage ich. Bleib! sagt sie: Wenn du dort stehst, ist sie viel schö ner, die Erinnye hier, unglaublich, was das ausmacht! Ich muß mich davon ü berzeugen, Sabeth besteht darauf, daß wir die Plä tze wechseln. Es macht etwas aus, in der Tat, was mich aber nicht verwundert; eine Belichtungssache. Wenn Sabeth (oder sonst jemand) bei der Geburt der Venus steht, gibt es Schatten, das Gesicht der schlafenden Erinnye wirkt, infolge einseitigen Lichteinfalls, sofort viel wacher, lebendiger, geradezu wild.

»Toll«, sagt sie,»was das ausmacht! «

Wir tauschten noch einmal oder zweimal die Plä tze, dann war ich dafü r, endlich weiterzugehen, es gab noch ganze Sä le voll Statuen, die Sabeth gesehen haben wollte —

Ich hatte Hunger.

Von einem Ristorante zu sprechen, das mir durch den Kopf ging, war ausgeschlossen; ich bekam nicht einmal Antwort auf meine Frage, woher Sabeth all ihre gescheiten

Wö rter bezieht, nur diese Wö rter selbst — archaisch, linear, hellenistisch, dekorativ, sakral, naturalistisch, expressiv, kubisch, allegorisch, kultisch, kompositorisch und so weiter, ein ganzes highbrow-Vokabular. Erst beim Ausgang, wo es nichts mehr zu sehen gibt als Bö gen aus antikem Ziegelstein, eine simple, aber korrekte Maurerarbeit, die mich interessierte, antwortete sie auf meine Frage, indem sie durch das Drehkreuz voranging, beilä ufig wie ü blich, wenn von Mama die Rede war:

»Von Mama.«

Das Mä dchen gefiel mir, wenn wir in einem Ristorante saß en, jedesmal aufs neue, ihre Freude am Salat, ihre kinderhafte Art, Brö tchen zu verschlingen, ihre Neugierde ringsherum, sie kaute Brö tchen um Brö tchen und blickte ringsherum, ihre festliche Begeisterung vor einem Hors d'œ uvre, ihr Ü bermut —

Betreffend ihre Mama:

Wir rupften unsere Artischocken, tauchten Blatt um Blatt in die Mayonnaise und zogen's durch unsere Zä hne, Blatt um Blatt, wä hrend ich einiges von der gescheiten Dame erfuhr, die ihre Mama ist. Ich war nicht sehr neugierig, offen gestanden, da ich intellektuelle Damen nicht mag. Ich erfuhr: sie hat eigentlich nicht Archä ologie studiert, sondern Philologie; sie arbeitet aber in einem Archä ologischen Institut, sie muß ja Geld verdienen, weil von Herrn Piper getrennt — ich wartete, mein Glas in der Hand, um anzustoß en; Herr Piper interessierte mich schon gar nicht, ein Mann, der aus Ü berzeugung in Ostdeutschland lebt. Ich hob mein Glas und unterbrach: Prosit! und wir tranken...

Ferner erfuhr ich:

Mama ist auch mal Kommunistin gewesen, aber mit Herrn Piper geht es trotzdem nicht, daher die Trennung, das kann ich verstehen, und nun arbeitet Mama eben in Athen, weil sie das derzeitige Westdeutschland auch nicht mag, das kann ich verstehen, und Sabeth ihrerseits leidet an dieser Trennung keineswegs im Gegenteil, sie hatte einen herrlichen Appetit, wä hrend sie davon erzä hlte, und trank von dem weiß en Orvieto — der mir immer zu sü ß war, aber ihr Lieblingswein: Orvieto Abbocato... Sie hat ihren Vater nicht allzusehr geliebt, beziehungsweise ist Herr Piper gar nicht ihr Vater, denn Mama ist frü her schon einmal verheiratet gewesen, Sabeth also ein Kind aus erster Ehe, ihre Mama hat Pech gehabt mit den Mä nnern, so schien mir, vielleicht weil zu intellektuell, so dachte ich, sagte natü rlich nichts, sondern bestellte nochmals ein halbes Flä schchen Orvieto Abbocato, und dann sprach man wieder ü ber alles mö gliche, ü ber Artischocken, ü ber Katholizismus, ü ber Cassata, ü ber die Schlafende Erinnye, ü ber Verkehr, die Not unsrer Zeit, und wie man zur Via Appia kommt —

Sabeth mit ihrem Baedeker:

»Die Via Appia, die 312 vor Christus vom Censor Appius Claudius Caecus angelegte Kö nigin der Straß en, fü hrte ü ber Terracina nach Capua, von wo sie spä ter bis Brindisi verlä ngert wurde —«

Wir waren die Via Appia hinaus gepilgert, drei Kilometer zu Fuß, wir lagen auf einem solchen Grabmal, Steinhü gel, Schutzhü gel mit Unkraut, worü ber zum Glü ck nichts im Baedeker steht. Wir lagen im Schatten einer Pinie und rauchten eine Zigarette.

»Walter, schlä fst du? «

Ich genoß es, nichts besichtigen zu mü ssen.

»Du«, sagt sie,»dort drü ben ist Tivoli.«

Sabeth wie ü blich in ihren schwarzen Cowboy-Hosen mit den ehemals weiß en Nä hten, dazu ihre ehemals weiß en

Espadrilles, obschon ich ihr ein Paar italienische Schuhe gekauft hatte schon in Pisa.

»Interessiert es dich wirklich nicht? «

»Es interessiert mich wirklich nicht«, sagte ich,»aber ich werde mir alles ansehen, mein Liebes. Was tut man nicht alles auf einer Hochzeitsreise! «

Sabeth fand mich wieder zynisch.

Es genü gte mir, im Gras zu liegen, Tivoli hin oder her, Hauptsache: ihr Kopf an meiner Schulter.

»Du bist ein Wildfang«, sagte ich,»keine Viertelstunde hast du Ruhe —«

Sie kniete und hielt Ausschau.

Man hö rte Stimmen —

»Soll ich? «fragte sie, ihr Mund dabei, wie wenn man spucken will.»Soll ich? «

Ich zog sie an ihrem Roß schwanz herunter, aber sie duldete es nicht. Ich fand es auch schade, daß wir nicht allein sind, aber nicht zu ä ndern. Auch nicht, wenn man ein Mann ist! Ihre komische Idee immer: Du bist ein Mann! Offenbar hatte sie erwartet, daß ich aufspringe und Steine schleudere, um die Leute zu vertreiben wie eine Gruppe von Ziegen. Sie war allen Ernstes enttä uscht, ein Kind, das ich als Frau behandelte, oder eine Frau, die ich als Kind behandelte, das wuß te ich selber nicht.

»Ich finde«, sagte sie,»das ist unser Platz! «

Offenbar waren es Amerikaner, ich hö rte bloß die Stimmen, eine Gesellschaft, die um unser Grabmal schlenderte; nach den Stimmen zu schließ en, hä tten es die Stenotypistinnen von Cleveland sein kö nnen.

Oh, isn't it lovely?

Oh, this is the Campagna?

Oh, how lovely here!

Oh, usw.

Ich richtete mich auf, um ü ber das Gestrü pp zu spä hen. Die violetten Frisuren von Damen, dazwischen Glatzen von Herren, die ihre Panama-Hü te abnehmen — Ausbruch aus einem Altersheim! dachte ich, sagte es aber nicht.

»Unser Grabhü gel«, sagte ich,»scheint doch ein berü hmter Grabhü gel zu sein —«

Sabeth ganz ungehalten:

»Du, da kommen immer mehr! «

Sie stand, ich lag wieder im Gras.

»Du«, sagt sie, —»ein ganzer Autocar! «

Wie Sabeth ü ber mir steht beziehungsweise neben mir: Ihre Espadrilles, dann ihre bloß en Waden, ihre Schenkel, die noch in der Verkü rzung sehr schlank sind, ihr Becken in den straffen Cowboy-Hosen; sie hatte beide Hä nde in den Hosentaschen, als sie so stand. Ihre Taille nicht zu sehen; wegen der Verkü rzung. Dann ihre Brust und ihre Schultern, Kinn, Lippen, darü ber schon die Wimpern, ihre Augenbogen blaß wie Marmor, weil Widerschein von unten, dann ihr Haar im knallblauen Himmel, man hä tte meinen kö nnen, es werde sich im Geä st der schwarzen Pinie verfangen, ihr rö tliches Haar. So stand sie, wä hrend ich auf der Erde lag, im Wind. Schlank und senkrecht, dabei sprachlos wie eine Statue.

»Hello! «rief jemand von unten.

Sabeth ganz mü rrisch:»Hello —«

Sabeth konnte es nicht fassen.

»Du«, sagte sie, —»die machen Picnic! «

Dann, wie zum Trotz gegen die amerikanischen Belagerer, kam sie herunter und legte sich auf meine Brust, als wollte sie einschlafen; aber nicht lange. Sie stü tzte sich auf und fragte, ob sie schwer sei.

»Nein«, sagte ich,»du bist leicht —«

»Aber? «

»Kein Aber! «sagte ich.

»Doch«, sagte sie,»du denkst etwas.«

Meinerseits keine Ahnung, was ich gedacht hatte; irgend etwas denkt man meistens, aber ich wuß te es wirklich nicht. Ich fragte, was sie denn gedacht hä tte. Sie bat um eine Zigarette, ohne zu antworten.

»Du rauchst zuviel! «sagte ich.»Als ich in deinem Alter war —«

Ihre Ä hnlichkeit mit Hanna ist mir immer seltener in den Sinn gekommen, je vertrauter wir uns geworden sind, das Mä dchen und ich. Seit Avignon ü berhaupt nicht mehr! Ich wunderte mich hö chstens, daß mir eine Ä hnlichkeit mit Hanna je in den Sinn gekommen ist. Ich musterte sie daraufhin. Von Ä hnlichkeit keine Spur! Ich gab ihr Feuer, obschon ü berzeugt, daß sie viel zu frü h raucht, ein Kind von zwanzig Jahren —

Dann immer ihr Spott:

»Du tust wie ein Papa! «

Vielleicht hatte ich (wieder einmal) daran gedacht, daß ich fü r Sabeth, wenn sie sich auf meine Brust stü tzt und mein Gesicht mustert, eigentlich ein alter Mann bin.

»Du«, sagte sie,»das ist also der Ludovisische Altar, was uns heute vormittag so gefallen hat. Wahnsinnig berü hmt! «Ich ließ mich belehren.

Wir hatten unsere Schuhe ausgezogen, unsere bloß en Fü ß e auf der warmen Erde, ich genoß es, barfuß zu sein, und ü berhaupt.

Ich dachte an unser Avignon. (Hotel Henri IV.)

Sabeth mit ihrem offenen Baedeker wuß te von Anfang an, daß ich ein Techniker bin, daß ich nach Italien fahre, um mich zu erholen. Trotzdem las sie vor:

»Die Via Appia, die 312. vor Christus vom Censor Appius Claudius Caecus angelegte Kö nigin der Straß en —«

Heute noch hö re ich ihre Baedeker-Stimme!

»Der interessantere Teil der Straß e beginnt, das alte Pflaster liegt mehrfach zutage, links die groß artigen Bogenreihen der Aqua Marcia (vergleiche Seite 261).«

Dann blä tterte sie jedesmal nach.

Einmal meine Frage:

»Wie heiß t eigentlich deine Mama mit Vornamen? «

Sie ließ sich nicht unterbrechen.

»Wenige Minuten weiter das Grabmal der Caecilia Metella, die bekannteste Ruine der Campagna, ein Rundbau von zwanzig Meter Durchmesser, auf viereckiger Basis, mit Travertin verkleidet. Die Inschrift auf einer Marmortafel lautet: Caecilia Q. Cretici f(iliae) Metellae Crassi, der Tochter des Metellus Cretius, Schwiegertochter des Triumvirn Crassus. Das Innere (Trkg.) enthielt die Grabkammern. «

Sie hielt inne und sann.

»Trkg. — was heiß t denn das? «

»Trinkgeld«, sagte ich.»Aber ich habe dich etwas anderes gefragt —«

»Entschuldigung. «

Sie klappte den Baedeker zusammen.

»Was hast du gefragt? «

Ich ergriff ihren Baedeker und ö ffnete ihn.

»Das dort drü ben«, fragte ich,»das ist Tivoli? «

In der Ebene vor Tivoli muß te ein Flugplatz liegen, wenn auch auf den Karten in diesem Baedeker nicht zu finden; die ganze Zeit hö rte man Motoren, genau dieses vibrierende Summen wie ü ber meinem Dachgarten am Central Park West, ab und zu eine DC-4 oder Super-Constellation, die ü ber unsere Pinie flog, das Fahrgestell ausgeschwenkt, um zur Landung anzusetzen und irgendwo in dieser Campagna zu verschwinden.

»Dort muß der Flugplatz sein«, sagte ich. Es interessierte mich tatsä chlich.»Was du gefragt hast? «fragte sie.»Wie deine Mama eigentlich heiß t.«

»Piper! «sagte sie.»Wie sonst? «Ich meinte natü rlich den Vornamen.»Hanna.«

Sie hatte sich schon wieder erhoben, um ü ber das Gestrü pp zu spä hen, ihre beiden Hä nde in den Hosentaschen, ihr rö tlicher Roß schwanz auf der Schulter. Sie merkte mir nichts an.

»My goodness! «sagte sie.»Was die zusammenfressen da unten, das nimmt ja kein Ende — jetzt fangen sie noch mit Frü chten an! «

Sie stampfte wie ein Kind.»Herrgott«, sagte sie,»ich sollte verschwinden.«Dann meine Fragen: Hat Mama einmal in Zü rich studiert? Was? Wann?

Ich fragte weiter, obschon das Mä dchen, wie gesagt, verschwinden sollte. Ihre Antworten etwas unwillig, aber ausreichend.

»Walter, das weiß ich doch nicht! «Es ging mir, versteht sich, um genaue Daten.»Damals war ich noch nicht dabei! «sagte sie. Es amü sierte sie, was ich alles wissen wollte. Ihrerseits keine Ahnung, was ihre Antworten bedeuten. Es amü sierte sie, aber das ä nderte nichts daran, daß Sabeth eigentlich verschwinden muß te. Ich saß, ich hatte ihren Unterarm gefaß t, damit sie nicht davonlä uft.»Bitte«, sagte sie,»bitte«. Meine letzte Frage:

»Und ihr Mä dchenname: — Landsberg? «

Ich hatte ihren Unterarm losgelassen. Wie erschö pft. Ich brauchte meine ganze Kraft, nur um dazusitzen. Vermutlich mit Lä cheln. Ich hatte gehofft, daß sie nun davonlä uft.

Stattdessen setzte sie sich, um ihrerseits Fragen zu stellen.»Hast du Mama denn gekannt? «

Mein Nicken —

»Aber nein«, sagte sie,»wirklich? «

Ich konnte einfach nicht sprechen.

»Ihr habt euch gekannt«, sagte sie,»als Mama noch studiert hat? «

Sie fand es toll; nur toll.

»Du«, sagte sie beim Weggehen,»das werde ich ihr aber schreiben, Mama wird sich freuen —«

Heute, wo ich alles weiß, ist es fü r mich unglaublich, daß ich nicht schon damals, nach dem Gesprä ch an der Via Appia, alles wuß te. Was ich gedacht habe in diesen zehn Minuten, bis das Mä dchen zurü ckkam, weiß ich nicht. Eine Art von Bilanz, das schon. Ich weiß nur: Am liebsten wä re ich auf den Flugplatz gegangen. Kann sein, daß ich ü berhaupt nichts dachte. Eine Ü berraschung war es ja nicht, bloß eine Gewiß heit. Ich schä tze es, Gewiß heit zu haben. Wenn sie einmal da ist, dann amü siert sie mich fast. Sabeth: die Tochter von Hanna! Was mir dazu einfiel: eine Heirat kam wohl nicht in Frage. Dabei dachte ich nicht einen Augenblick daran, daß Sabeth sogar mein eignes Kind sein kö nnte. Es lag im Bereich der Mö glichkeit, theoretisch, aber ich dachte nicht daran. Genauer gesagt, ich glaubte es nicht. Natü rlich dachte ich daran: unser Kind damals, die ganze Geschichte, bevor ich Hanna verlassen habe, unser Beschluß, daß Hanna zu einem Arzt geht, zu Joachim — Natü rlich dachte ich daran, aber ich konnte es einfach nicht glauben, weil zu unglaublich, daß dieses Mä dchen, das kurz darauf wieder auf unseren Grabhü gel zurü ckkletterte, mein eignes Kind sein soll.

»Walter«, fragte sie,»was ist los? «

Sabeth ganz ahnungslos.

»Weiß t du«, sagte sie,»du rauchst auch zuviel! «

Dann unser Gesprä ch ü ber Aquaedukte —

Um zu reden!

Meine Erklä rung der Kommunizierenden Rö hre.

»Jaja«, sagte sie,»das haben wir gehabt.«

Ihr Spaß, als ich beweise, daß die alten Rö mer, wä ren sie bloß im Besitz dieser Skizze auf meiner Zigarettenschachtel gewesen, mindestens 90% ihrer Maurerarbeit hä tten sparen kö nnen.

Wir lagen wieder im Gras.

Die Flugzeuge ü ber uns —

»Weiß t du«, sagte sie,»eigentlich solltest du nicht zurü ckfliegen.«

Es war unser vorletzter Tag.

»Einmal mü ssen wir uns doch trennen, mein liebes Kind, so oder so —«

Ich beobachtete sie.

»Natü rlich«, sagte sie — sie hatte sich aufgesetzt, um einen Halm zu nehmen, dann Blick gradaus; der Gedanke, daß wir uns trennen, machte ihr nichts aus, so schien mir, ü berhaupt nichts. Sie steckte den Halm nicht zwischen die Zä hne, sondern wickelte ihn um den Finger und sagte:»Natü rlich —«

Ihrerseits kein Gedanke an Heirat!

»Ob Mama sich noch an dich erinnert? «

Es amü sierte sie.

»Mama als Studentin«, sagte sie,»das kann ich mir nicht vorstellen, weiß t du, Mama als Studentin mit einer Bude, sagst du, mit einer Dachbude — davon hat Mama nie erzä hlt.«

Es amü sierte sie.

»Wie war sie denn? «

Ich hielt den Kopf so, daß sie sich nicht rü hren konnte, mit beiden Hä nden, wie man beispielsweise den Kopf eines Hundes hä lt. Ich spü rte ihre Kraft, die ihr aber nichts nü tzte, die Kraft ihres Nackens; meine Hä nde wie ein Schraubstock. Sie schloß die Augen. Ich kü ß te nicht. Ich hielt bloß ihren Kopf. Wie eine Vase, leicht und zerbrechlich, dann immer schwerer.

»Du«, sagte sie,»du tust mir weh —«

Meine Hä nde hielten ihren Kopf, bis sie langsam die Augen aufmachte, um zu sehen, was ich eigentlich will: ich wuß te es selber nicht.

»Im Ernst«, sagte sie,»du tust mir weh! «

Es war an mir, irgend etwas zu sagen; sie schloß wieder ihre Augen, wie ein Hund, wenn man ihn so festhä lt.

Dann meine Frage —

»Laß mich! «sagte sie.

Ich wartete auf Antwort.

»Nein«, sagte sie,»du bist nicht der erste Mann in meinem Leben, das hast du doch gewuß t —«

Nichts hatte ich gewuß t.

»Nein«, sagte sie,»mach dir keine Sorge —«

Wie sie sich das gepreß te Haar aus den Schlä fen strich, man hä tte meinen kö nnen, es geht nur um die Haare. Sie nahm den Kamm aus ihrer schwarzen Cowboy-Hose, um sich zu kä mmen, wä hrend sie erzä hlte, beziehungsweise nicht erzä hlte, sondern nur so bekanntgab: He's teaching in Yale. Sie hatte eine Spange zwischen den Zä hnen.

»Und der andere«, sagte sie mit der Spange zwischen den Zä hnen, wä hrend sie den Roß schwanz auskä mmte,»den hast du ja gesehen.«

Gemeint war wohl der Pingpong-Jü ngling.

»Er will mich heiraten«, sagte sie,»aber das war ein Irrtum von mir, weiß t du, ich mag ihn gar nicht.«

Dann brauchte sie die Spange, nahm sie aus dem Mund, der nun offenblieb, dabei stumm, wä hrend sie sich zu Ende kä mmte. Dann blies sie den Kamm aus, Blick gegen Tivoli, und war fertig.

»Gehen wir? «fragte sie.

Eigentlich wollte ich nicht sitzenbleiben, sondern mich aufrichten, meine Schuhe holen, meine Schuhe anziehen, zuerst natü rlich die Socken, dann die Schuhe, damit wir gehen kö nnen —

»Du findest mich schlimm? «

Ich fand gar nichts.

»Walter! «sagte sie —

Ich nahm mich zusammen.

»It's okay«, sagte ich,»it's okay.«

Dann zu Fuß auf der Via Appia zurü ck.

Wir saß en bereits im Wagen, als Sabeth nochmals damit anfing (»Du findest mich schlimm? «) und wissen wollte, was ich die ganze Zeit denke — ich steckte das Schlü sselchen, um den Motor anzulassen.

»Komm«, sagte ich,»reden wir nicht.«

Ich wollte jetzt fahren.

Sabeth redete, wä hrend wir im Wagen saß en, ohne zu fahren, von ihrem Papa, von Scheidung, von Krieg, von Mama, von Emigration, von Hitler, von Ruß land —

»Wir wissen nicht einmal«, sagte sie,»ob Papa noch lebt.«

Ich stellte den Motor ab.

»Hast du den Baedeker? «fragte sie.

Sie studierte die Karte.

»Das ist die Porta San Sebastiano«, sagte sie,»jetzt rechts, dann kommen wir zu San Giovanni in Laterano! «

Ich ließ den Motor wieder an.

»Ich habe ihn gekannt«, sagte ich —

»Papa? «

»Joachim«, sagte ich,»ja —«

Dann fuhr ich, wie befohlen: zur Porta San Sebastiane, dann rechts, bis wieder eine Basilika vor uns stand.

Wir besichtigten weiter.

Vielleicht bin ich ein Feigling. Ich wagte nichts mehr zu sagen, Joachim betreffend, oder zu fragen. Ich rechnete im stillen (wä hrend ich redete, mehr als sonst, glaube ich) pausenlos, bis die Rechnung aufging, wie ich sie wollte: Sie konnte nur das Kind von Joachim sein! Wie ich's rechnete, weiß ich nicht; ich legte mir die Daten zurecht, bis die Rechnung wirklich stimmte, die Rechnung als solche. In der Pizzeria, als Sabeth eine Weile weggegangen war, genoß ich es, die Rechnung auch noch schriftlich zu ü berprü fen. Sie stimmte; ich hatte ja die Daten (die Mitteilung von Hanna, daß sie ein Kind erwartet, und meine Abreise nach Bagdad) so gewä hlt, daß die Rechnung stimmte; fix blieb nur der Geburtstag von Sabeth, der Rest ging nach Adam Riese, bis mir ein Stein vom Herzen fiel.

Ich weiß, daß das Mä dchen mich an jenem Abend lustiger fand als je, geradezu witzig. Wir saß en bis Mitternacht in dieser volkstü mlichen Pizzeria zwischen Pantheon und Piazza Colonna, wo die Gitarrensä nger, nachdem sie vor den Touristen-Restaurants gebettelt hatten, ihre Pizza essen und Chianti per Glas trinken; ich zahlte ihnen Runde um Runde, und die Stimmung war ganz groß.


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