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Homo Faber 9 ñòðàíèöà






»Walter«, sagte sie,»haben wir es toll! «

Auf dem Weg zu unserem Hotel (Via Veneto) waren wir vergnü gt, nicht betrunken, aber geradezu geistreich — bis zum Hotel, wo man uns die groß e Glastü re hä lt und in der Alabaster-Halle sofort die Zimmerschlü ssel ü berreicht, gemä ß unsrer eignen Anmeldung:

»Mister Faber, Miß Faber — Goodnight! «

Ich weiß nicht, wie lange ich in meinem Zimmer stand, ohne die Vorhä nge zu ziehen, so ein Grandhotel-Zimmer: viel zu groß, viel zu hoch. Ich stand, ohne mich auszuziehen. Wie ein Apparat, der die Information bekommt: Wasch dich! — aber nicht funktioniert.

»Sabeth«, fragte ich,»was ist los? «

Sie stand vor meiner Tü re; ohne zu klopfen.

»Sag's doch! «sagte ich.

Sie stand barfuß und trug ihr gelbes Pyjama, darü ber ihren schwarzen Kapuzenmantel; sie wollte nicht eintreten, sondern nur nochmals Gutnacht sagen. Ich sah ihre verheulten Augen —

»Warum soll ich dich nicht mehr lieb haben? «fragte ich.»Wegen Hardy oder wie er heiß t? «

Plö tzlich ihr Schluchzen —

Spä ter schlief sie, ich hatte sie zugedeckt, denn die Nacht durchs offene Fenster war kü hl; die Wä rme, scheint es, beruhigte sie, so daß sie wirklich schlief trotz Lä rm drauß en in der Straß e, trotz ihrer Angst, daß ich fortgehe. Es muß te eine Stop-Straß e sein, daher der Lä rm: Motorrä der, die im Leerlauf aufheulen, dann schalten, am schlimmsten ein Alfa Romeo, der immer wieder kommt und jedesmal wie zu einem Rennstart ansetzt, sein Hall zwischen den Hä usern, kaum drei Minuten lang blieb es ruhig, dann und wann der Glockenschlag einer rö mischen Kirche, dann neuerdings Hupen, Stop mit quietschenden Pneus, Vollgas auf Leerlauf, sinnlos, Lausbü berei, dann wieder das blecherne Drö hnen, es schien wirklich der gleiche Alfa Romeo zu sein, der uns die ganze Nacht lang umkreiste. Ich wurde immer wacher. Ich lag neben ihr, nicht einmal die staubigen Schuhe und meine Krawatte hatte ich ausgezogen, ich konnte mich nicht rü hren, da ihr Kopf an meiner Schulter lag. In den Vorhä ngen blieb der Schein einer Bogenlampe, die ab und zu wankte, und ich lag wie gefoltert, da ich mich nicht rü hren konnte; das schlafende Mä dchen hatte ihre Hand auf meine Brust gelegt, beziehungsweise auf meine Krawatte, so daß sie zog, die Krawatte. Ich hö rte Stundenschlag um Stundenschlag, wä hrend Sabeth schlief, ein schwarzes Bü ndel mit heiß em Haar und Atem, meinerseits nicht imstande, vorwä rts zu denken. Dann wieder der Alfa Romeo, sein Hupen in den Gassen, Bremsen, Vollgas im Leerlauf, Schalten, sein blechernes Drö hnen in der Nacht —

 

Was ist denn meine Schuld? Ich habe sie auf dem Schiff getroffen, als man auf die Tischkarten wartete, ein Mä dchen mit baumelndem Roß schwanz vor mir. Sie war mir aufgefallen. Ich habe sie angesprochen, wie sich Leute auf einem solchen Schiff eben ansprechen; ich habe dem Mä dchen nicht nachgestellt. Ich habe dem Mä dchen nichts vorgemacht, im Gegenteil, ich habe offener mit ihr gesprochen, als es sonst meine Art ist, beispielsweise ü ber mein Junggesellentum. Ich habe einen Heiratsantrag gemacht, ohne verliebt zu sein, und wir haben sofort gewuß t, daß es Unsinn ist, und wir haben Abschied genommen. Warum habe ich sie in Paris gesucht! Wir sind zusammen in die Opé ra gegangen, und nachher nahmen wir noch ein Eis, dann fuhr ich sie, ohne sie lä nger aufzuhalten, zu ihrem billigen Hotel bei Saint Germain, ich habe ihr angeboten, ihre Autostop-Fahrt mit mir zu machen, da ich den Citroë n von Williams hatte, und in Avignon, wo wir zum ersten Mal ü bernachteten, wohnten wir selbstverstä ndlich (alles andere hä tte auf eine Absicht schließ en lassen, die ich gar nicht hatte) im gleichen Hotel, aber nicht einmal auf der gleichen Etage; ich dachte nicht einen Augenblick daran, daß es dazu kommen wü rde. Ich erinnere mich genau. Es war die Nacht (13. V.) mit der Mondfinsternis, die uns ü berraschte; ich hatte keine Zeitung gelesen, und wir waren nicht darauf gefaß t. Ich sagte: Was ist denn mit dem Mond los? Wir hatten im Freien gesessen, und es war ungefä hr zehn Uhr, Zeit zum Aufbrechen, da wir in der Morgenfrü he weiterfahren wollten. Die bloß e Tatsache, daß drei Himmelskö rper, Sonne und Erde und Mond, gelegentlich in einer Geraden liegen, was notwendigerweise eine Verdunkelung des Mondes verursacht, brachte mich aus der Ruhe, als wisse ich nicht ziemlich genau, was es mit einer Mondfinsternis auf sich hat — ich zahlte, als ich den runden Erdschatten auf dem Vollmond bemerkte, sofort unseren Kaffee, und wir gingen Arm in Arm hinauf zur Terrasse ü ber der Rhone, um eine volle Stunde lang, nach wie vor Arm in Arm, in der Nacht zu stehen und die verstä ndliche Erscheinung zu verfolgen. Ich erklä rte dem Mä dchen noch, wieso der Mond, vom Erdschatten gä nzlich ü berdeckt, trotzdem so viel Licht hat, daß wir ihn deutlich sehen konnten, im Gegensatz zum Neumond, deutlicher sogar als sonst: nicht als leuchtende Scheibe wie sonst, sondern deutlich als Kugel, als Ball, als Kö rper, als Gestirn, als eine ungeheure Masse im leeren All, orange. Ich erinnere mich nicht, was ich alles redete in jener Stunde. Das Mä dchen fand damals (daran erinnere ich mich) zum ersten Mal, daß ich uns beide ernst nehme, und kü ß te mich wie nie vorher. Dabei war es, als bloß er Anblick, eher beklemmend, eine immerhin ungeheure Masse, die da im Raum schwebt, beziehungsweise saust, was die sachlich gerechtfertigte Vorstellung nahelegte, daß wir, die Erde, ebenso im Finstern schweben, beziehungsweise sausen. Ich redete vom Tod und Leben, glaube ich, ganz allgemein, und wir waren beide aufgeregt, da wir noch nie eine dermaß en klare Mondfinsternis gesehen hatten, auch ich nicht, und zum ersten Mal hatte ich den verwirrenden Eindruck, daß das Mä dchen, das ich bisher fü r ein Kind hielt, in mich verliebt war. Jedenfalls war es das Mä dchen, das in jener Nacht, nachdem wir bis zum Schlottern drauß en gestanden hatten, in mein Zimmer kam —

 

Dann das Wiedersehen mit Hanna.

(26. V. in Athen.)

Ich erkannte sie schon, bevor ich erwacht war. Sie redete mit der Diakonissin. Ich wuß te, wo ich bin, und wollte fragen, ob die Operation gemacht ist — aber ich schlief, vollkommen erschö pft, ich verdurstete, aber ich konnte es nicht sagen. Dabei hö rte ich ihre Stimme, griechisch. Man hatte mir Tee gebracht, aber ich konnte ihn nicht nehmen; ich schlief, ich hö rte alles und wuß te, daß ich schlief, und ich wuß te: Wenn ich erwache, dann vor Hanna.

Plö tzlich die Stille —

Mein Schrecken, das Kind sei tot.

Plö tzlich liege ich mit offenen Augen: — das weiß e Zimmer, ein Laboratorium, die Dame, die vor dem Fenster steht und meint, ich schlafe und sehe sie nicht. Ihr graues Haar, ihre kleine Gestalt. Sie wartet, beide Hä nde in den Taschen ihres Jacketts, Blick zum Fenster hinaus. Sonst niemand im Zimmer. Eine Fremde. Ihr Gesicht ist nicht zu sehen, nur ihr Nacken, ihr Hinterkopf, ihr kurzgeschnittenes Haar. Ab und zu nimmt sie ihr Taschentuch, um sich zu schneuzen, und steckt es sofort wieder zurü ck, beziehungsweise knü llt es in ihrer nervö sen Hand zusammen. Sonst reglos. Sie trä gt eine Brille, schwarz, Hornbrille. Es kö nnte sich um eine Ä rztin handeln, eine Anwä ltin oder so etwas. Sie weint. Einmal greift sie mit der Hand unter ihre Hornbrille, als halte sie ihr Gesicht; eine ganze Weile. Dann braucht sie ihre beiden Hä nde, um das nasse Taschentuch nochmals aufzufalten, dann steckt sie's wieder ein und wartet, Blick zum Fenster hinaus, wo nichts zu sehen ist als Sonnenstores. Ihre Gestalt: sportlich, geradezu mä dchenhaft, wä ren nicht ihre grauen oder weiß en Haare. Dann nimmt sie's nochmals, ihr Taschentuch, um die Brille zu putzen, dabei sehe ich endlich ihr nacktes Gesicht, das braun ist — es kö nnte, abgesehen von ihren blauen Augen, das Gesicht von einem alten Indio sein.

Ich tat, als schliefe ich.

Hanna mit weiß en Haaren!

Offenbar hatte ich tatsä chlich nochmals geschlafen —eine halbe Minute oder eine halbe Stunde, bis mein Kopf von der Wand rutschte, so daß ich erschrak — sie sah, daß ich wach bin. Sie sagte kein Wort, sondern blickte mich nur an. Sie saß, ihre Beine verschrä nkt, und stü tzte ihren Kopf, sie rauchte.

»Wie geht es? «fragte ich.

Hanna rauchte weiter.

»Hoffen wir das Beste«, sagt sie,»es ist gemacht — hoffen wir das Beste.«

»Sie lebt? «

»Ja«, sagt sie —

Von Begrü ß ung kein Wort.

»Dr. Eleutheropulos war gerade hier«, sagt sie,»es ist keine Kreuzotter gewesen, meint er —«

Sie fü llte eine Tasse fü r mich.

»Komm«, sagt sie,»trink deinen Tee.«

Es kam mir (ohne Verstellung) nicht in den Sinn, daß man sich zwanzig Jahre nicht mehr gesprochen hatte; wir redeten ü ber die Operation, die vor einer Stunde gemacht worden war, oder nichts. Wir warteten gemeinsam auf weitere Meldungen des Arztes. Ich leerte Tasse um Tasse.

»Das weiß t du«, sagt sie,»daß sie dir auch eine Injektion gemacht haben? «

Davon hatte ich nichts gemerkt.

»Nur zehn Kubikzentimeter, nur prophylaktisch«, sagt sie,»wegen der Mundschleimhaut.«

Hanna ü berhaupt sehr sachlich.

»Wie ist das gekommen? «fragt sie.»Ihr seid heute in Korinth gewesen? «

Ich fror.

»Wo hast du denn deine Jacke? «

Meine Jacke lag am Meer.

»Seit wann seid ihr in Griechenland? «

Ich staunte ü ber Hanna; ein Mann, ein Freund, hä tte nicht sachlicher fragen kö nnen. Ich versuchte auch sachlich zu antworten. Wozu hundertmal versichern, daß ich nichts dafü r kann! Hanna machte ja keinerlei Vorwü rfe, sondern fragte bloß, Blick zum Fenster hinaus. Sie fragte, ohne mich anzublicken:

»Was hast du gehabt mit dem Kind? «

Dabei war sie sehr nervö s, ich sah es.

»Wieso keine Kreuzotter? «frage ich.

»Komm«, sagt sie,»trink deinen Tee! «

»Seit wann trä gst du eine Brille? «frage ich —

 

Ich hatte die Schlange nicht gesehen, nur gehö rt, wie Sabeth schrie. Als ich kam, lag sie bewuß tlos. Ich hatte gesehen, wie Sabeth gestü rzt war, und lief zu ihr. Sie lag im Sand, bewuß tlos infolge ihres Sturzes, vermutete ich. Dann erst sah ich die Biß wunde oberhalb der Brust, klein, drei Stiche nahe zusammen, ich begriff sofort. Sie blutete nur wenig. Natü rlich sog ich die Wunde sofort aus, wie vorgeschrieben, wuß te, daß man abbinden sollte gegen das Herz hin. Aber wie? Der Biß war oberhalb der linken Brust. Ich wuß te: sofortiges Ausschneiden der Wunde beziehungsweise Ausbrennen. Ich schrie um Hilfe, aber ich war schon auß er Atem, bevor ich die Straß e erreicht hatte, die Verunglü ckte auf den Armen, das Stapfen im weichen Sand, dazu die Verzweiflung, als ich den Ford vorbeifahren sah, ich schrie, so laut ich konnte. Aber der Ford fuhr vorbei. Ich stand auß er Atem, die Bewuß tlose auf den Armen, die immer schwerer wurde, ich konnte sie kaum noch halten, weil sie in keiner Weise half. Es war die richtige Straß e, aber kein Fahrzeug weit und breit. Ich verschnaufte, dann weiter auf dieser Straß e mit gekiestem Teer, zuerst Laufschritt, dann langsam und immer langsamer, ich war barfuß. Es war Mittag. Ich weinte und ging, bis endlich dieser Zweirä der kam. Vom Meer herauf. Ein Arbeiter, der nur griechisch redete, aber sofort verstand angesichts der Wunde. Ich saß auf dem holpernden Karren, der mit nassem Kies beladen war, mein Mä dchen auf den Armen, so wie es gerade war, nä mlich im Badkleid (Bikini) und sandig. Es schü ttelte den Kies, so daß ich die Bewuß tlose in den Armen tragen muß te weiterhin, und es schü ttelte auch mich. Ich bat den Arbeiter, geschwinder zu fahren. Der Esel gab nicht mehr Tempo als ein Fuß gä nger. Es war ein ä chzender Karren mit schiefen wackligen Rä dern, ein Kilometer wurde zur Ewigkeit; ich saß so, daß ich rü ckwä rts schaute. Aber von einem Auto keine Spur. Ich verstand nicht, was der Grieche redete, warum er stoppte bei einem Ziehbrunnen, er band den Esel an; dazu Zeichen, ich sollte warten. Ich beschwor ihn, weiterzufahren und keine Zeit zu verlieren; ich wuß te nicht, was er im Sinn hatte, als er mich allein auf dem Kieskarren ließ, allein mit der Verunglü ckten, die Serum brauchte. Ich sog neuerdings ihre Wunde aus. Offenbar ging er zu den Hü tten, um Hilfe zu holen. Ich wuß te nicht, wie er sich das vorstellte, Hilfe mit Krä utern oder Aberglauben oder was weiß ich. Er pfiff, dann ging er weiter, da keinerlei Antwort aus den Hü tten. Ich wartete ein paar Minuten, dann los, ohne zu ü berlegen, weiter, die Verunglü ckte auf den Armen, zuerst wieder im Laufschritt, bis ich neuerdings auß er Atem war. Ich konnte einfach nicht mehr. Ich legte sie an die Straß enbö schung, weil Laufen sowieso sinnlos; ich konnte sie ja nicht nach Athen tragen. Entweder kam ein Motorfahrzeug, das uns aufnimmt, oder es kam nicht. Als ich wieder ihre kleine Wunde oberhalb der Brust aussog, sah ich, daß Sabeth langsam zum Bewuß tsein kommt: ihre Augen weit offen, aber ohne Blick, sie klagt nur ü ber Durst, ihre Stimme vollkommen heiser, ihr Puls sehr langsam, dann Erbrechen, dazu Schweiß. Ich sah jetzt die blä ulichrote Schwellung um ihre Wunde. Ich lief, um Wasser zu suchen. Ringsum nichts als Ginster, Disteln, Oliven auf einem trockenen Acker, kein Mensch, ein paar Ziegen im Schatten, ich konnte rufen und schreien, soviel ich wollte — es war Mittag, Totenstille, ich kniete neben Sabeth; sie war nicht bewuß tlos, nur sehr schlä frig, wie gelä hmt. Zum Glü ck sah ich den Lastwagen noch zeitig genug, so daß ich auf die Straß e laufen konnte; er stoppte, ein Lastwagen mit einem Bü ndel langer Eisenrö hren. Sein Fahrziel war nicht Athen, sondern Megara, immerhin unsere Richtung. Ich saß nun neben dem Fahrer, die Verunglü ckte auf meinen Armen. Das Scheppern der langen Rö hren, dazu das mö rderische Tempo; kaum dreiß ig Stundenkilometer auf gerader Strecke! Ich hatte meine Jacke am Meer, mein Geld in der Jacke — in Megara, wo er stoppte, gab ich dem Fahrer, der ebenfalls nur Griechisch versteht, meine Omega-Uhr, damit er unverzü glich weiterfä hrt, ohne seine Rö hren abzuladen. In Eleusis, wo er tanken muß te, ging wieder eine Viertelstunde verloren. Ich werde diese Strecke nie vergessen. Ob er fü rchtete, daß ich meine Omega-Uhr zurü ckfordere, wenn ich mit einem schnelleren Vehikel weiterfahren kö nnte, oder was er sich dabei dachte, weiß ich nicht; jedenfalls verhinderte er es zweimal, daß ich umstieg. Einmal war es ein Bus, ein Pullman, einmal eine Limousine, die ich mit Winken hatte stoppen kö nnen; mein Fahrer redete griechisch, und die andern fuhren weiter. Er ließ es sich einfach nicht nehmen, unser Retter zu sein, dabei war er ein miserabler Fahrer. In der Steigung nach Daphni kamen wir kaum voran. Sabeth schlief, und ich wuß te nicht, ob sie ihre Augen je wieder aufmachen wü rde. Endlich die Vororte von Athen, aber es ging immer langsamer; die Verkehrslichter, die ü blichen Stockungen, unser Lastwagen mit langen Rö hren hinten heraus war unbeweglicher als alle anderen, die kein Serum brauchten, die scheuß liche Stadt, Wirrwarr mit Straß enbahn und Eselskarren, natü rlich wuß te unser Fahrer nicht, wo ein Hospital ist, er muß te fragen, ich hatte den Eindruck, er findet es nie, ich schloß meine Augen oder blickte auf Sabeth, die ganz langsam atmete. (Alle Krankenhä user liegen am andern Ende von Athen.) Unser Fahrer, da er vom Land kam, kannte nicht einmal die Straß ennamen, die man ihm nannte, ich verstand immer nur: Leofores, Leofores, ich versuchte zu helfen, aber ich konnte ja nicht einmal lesen — wir hä tten es nie gefunden, wä re nicht der junge Bursche auf unser Trittbrett gestiegen, um uns zu fü hren. Dann dieses Vorzimmer —

Lauter griechische Fragen —

Endlich die Diakonissin, die Englisch versteht, eine Person von satanischer Ruhe: ihre Hauptsorge, unsere Personalien zu wissen!

 

— — —

 

Der Arzt, der das Mä dchen behandelt hatte, beruhigte uns. Er verstand Englisch und antwortete Griechisch; Hanna ü bersetzte mir das Wichtige, seine Erklä rung, warum keine Kreuzotter, sondern eine Viper (Aspisviper), seines Erachtens hatte ich das Einzigrichtige unternommen: Transport ins Hospital. Von den volkstü mlichen Maß nahmen (Aussaugen der Biß wunde, Ausschneiden oder Ausbrennen, Abschnü ren der betroffenen Gliedmaß en) hielt er als Fachmann nicht viel; zuverlä ssig nur die Serum-Injektion innerhalb drei bis vier Stunden, das Ausschneiden der Biß wunde nur als zusä tzliche Maß nahme.

Er wuß te nicht, wer ich bin.

Ich war auch in einem Zustand; verschwitzt und verstaubt, wie der Arbeiter auf dem Kieskarren, dazu Teer an den Fü ß en, zu schweigen von meinem Hemd, ein Landstreicher, barfuß und ohne Jacke, der Arzt kü mmerte sich um meine Fü ß e, die er der Diakonissin ü berließ, und redete nur mit Hanna, bis Hanna mich vorstellte.

»Mister Faber is a friend of mine.«

Was mich beruhigte: Die Mortalitä t bei Schlangenbiß (Kreuzotter, Vipern aller Art) beträ gt drei bis zehn Prozent, sogar bei Biß von Kobra nicht ü ber fü nfundzwanzig Prozent, was in keinem Verhä ltnis steht zu der aberglä ubischen Angst vor Schlangen, die man allgemein noch hat. Hanna war auch ziemlich beruhigt —

Wohnen konnte ich bei Hanna.

Ich wollte aber das Hospital nicht verlassen, ohne das Mä dchen gesehen zu haben, ich bestand darauf, das Mä dchen zu sehen, wenn auch nur fü r eine Minute, und fand Hanna (der Arzt willigte sofort ein!) sehr sonderbar — sie ließ mich, als wollte ich ihr die Tochter stehlen, nicht eine Minute lang im Krankenzimmer.

»Komm«, sagt sie, —»sie schlä ft jetzt.«

Vielleicht ein Glü ck, daß das Kind uns nicht mehr erkannt hat; sie schlief mit offenem Mund (sonst nicht ihre Art) und war sehr blaß, ihr Ohr wie aus Marmor, sie atmete in Zeitlupentempo, jedoch regelmä ß ig, sozusagen zufrieden, und einmal, wä hrend ich vor ihrem Bett stand, dreht sie den Kopf nach meiner Seite. Aber sie schlief.

»Komm«, sagt Hanna,»laß sie! «

Ich wä re lieber in irgendein Hotel gefahren. Warum sagte ich's nicht? Vielleicht wä re es Hanna auch lieber gewesen. Wir hatten einander noch nicht einmal die Hand gegeben. Im Taxi, als es mir bewuß t wurde, sagte ich:

»Grü ß dich! «

Ihr Lä cheln, wie stets ü ber meine verfehlten Witze: mit einem Rü mpfen ihrer Stirne zwischen den Brauen.

Sie glich ihrer Tochter schon sehr.

Ich sagte natü rlich nichts.

»Wo hast du Elsbeth kennengelernt? «fragt sie.»Auf dem Schiff? «

Sabeth hatte geschrieben: von einem ä lteren Herrn, der ihr auf dem Schiff, kurz vor Le Havre, einen Heiratsantrag gemacht habe.

»Stimmt das? «fragt sie.

Unser Taxi-Gesprä ch: lauter Fragen, keine Antworten.

Wieso ich sie Sabeth nenne? Als Frage auf meine Frage: Wieso Elsbeth? Dazwischen ihre Hinweise: Das Dionysos-Theater. Wieso ich sie Sabeth nenne: weil Elisabeth, fand ich, ein unmö glicher Name ist. Dazwischen wieder ein Hinweis auf kaputte Sä ulen. Wieso gerade Elisabeth? Ich wü rde nie ein Kind so nennen. Dazwischen Stoplichter, die ü blichen Stockungen. Nun heiß t sie eben Elisabeth, nichts zu machen, auf Wunsch ihres Vaters. Dazwischen redete sie mit dem Fahrer, der einen Fuß gä nger beschimpfte, griechisch, ich hatte den Eindruck, wir fahren im Kreis herum und es machte mich nervö s, obschon wir jetzt, plö tzlich, Zeit hatten; dann ihre Frage:

»Hast du Joachim je wiedergesehen? «

Ich fand Athen eine grä ß liche Stadt, Balkan, ich konnte mir nicht vorstellen, wo man hier wohnt, Kleinstadt, teilweise sogar Dorf, levantinisch, Gewimmel von Leuten mitten auf der Straß e, dann wieder Einö de, Ruinen, dazwischen Imitation von Groß stadt, grä ß lich, wir hielten kurz nach ihrer Frage.

»Hier? «frage ich —

»Nein«, sagt sie,»ich komme gleich.«

Es war das Institut, wo Hanna arbeitet, und ich muß te im Taxi warten, ohne eine Zigarette zu haben; ich versuchte Anschriften zu lesen und kam mir wie ein Analphabet vor, vö llig verloren.

Dann zurü ck zur Stadt —

Als sie aus dem Institut gekommen war; hatte ich Hanna, offen gestanden, nicht wiedererkannt, sonst hä tte ich die Taxi-Tü re selbstverstä ndlich geö ffnet.

Dann ihre Wohnung.

»Ich geh voran«, sagt sie.

Hanna geht voran, die Dame mit grauem und kurzgeschnittenem Haar, mit Hornbrille, die Fremde, aber Mutter von Sabeth beziehungsweise Elsbeth (sozusagen meine Schwiegermutter!), ab und zu wundert es mich, daß man sich so ohne weiteres duzt.

»Komm«, sagt sie,»mach es dir bequem.«

Wiedersehen nach zwanzig Jahren, damit hatte ich nicht gerechnet, Hanna auch nicht, ü brigens hat sie recht: es sind einundzwanzig Jahre, genau gerechnet.

»Komm«, sagt sie,»setz dich.«

Meine Fü ß e schmerzten.

Ich wuß te natü rlich, daß sie ihre Frage (»Was hast du gehabt mit dem Mä dchen? «) frü her oder spä ter wiederholen wird, und ich hä tte schwö ren kö nnen: nichts! — ohne zu lü gen, denn ich glaubte es selbst nicht, sowie ich Hanna vor mir sah.

»Walter«, sagt sie,»warum setzt du dich nicht? «

Mein Trotz, zu stehen —

Hanna zog die Sonnenstores herauf.

Hauptsache, daß das Kind gerettet ist! — ich sagte es mir ununterbrochen, wä hrend ich irgend etwas redete oder schwieg, Zigaretten von Hanna rauchte; sie rä umte Bü cher aus den Sesseln, damit ich mich setzen kö nnte.

»Walter«, fragt sie,»hast du Hunger? «

Hanna als Mutter —

Ich wuß te nicht, was denken.

»Eine hü bsche Aussicht«, sage ich,»was du hier hast! Das also ist diese berü hmte Akropolis? «

»Nein«, sagt sie,»das ist der Lykabettos.«

Sie hatte immer schon diese Art, geradezu eine Manie, noch in Nebensachen ganz genau zu sein: Nein, das ist der Lykabettos!

Ich sage es ihr:

»Du hast dich nicht verä ndert! «

»Meinst du? «fragt sie.»Hast du dich verä ndert? «

Ihre Wohnung: wie bei einem Gelehrten, (auch das habe ich offenbar gesagt; spä ter hat Hanna, in irgendeinem Gesprä ch ü ber Mä nner, meinen damaligen Ausspruch von der Gelehrten-Wohnung zitiert als Beweis dafü r, daß auch ich die Wissenschaft fü r ein mä nnliches Monopol halte, ü berhaupt den Geist), — alle Wä nde voller Bü cher, ein Schreibtisch voller Scherben mit Etiketten versehen, im ü brigen fand ich auf den ersten Blick nichts Antiquarisches, im Gegenteil, die Mö bel waren durchaus modern, was mich bei Hanna wunderte.

»Hanna«, sage ich,»du bist ja fortschrittlich geworden! «

Sie lä chelte bloß.

»Ich meine es im Ernst! «sage ich —

»Noch immer? «fragt sie.

Manchmal verstand ich sie nicht.

»Bist du noch immer fortschrittlich? «fragt sie, und ich war froh, daß Hanna wenigstens lä chelte... Ich sah schon: die ü blichen Gewissensbisse, die man sich macht, wenn man ein Mä dchen nicht geheiratet hat, erwiesen sich als ü berflü ssig. Hanna brauchte mich nicht. Sie lebte ohne eigenen Wagen, aber dennoch zufrieden; auch ohne Television.

»Eine hü bsche Wohnung«, sage ich,»was du da hast —«

Ich erwä hnte ihren Mann.

»Der Piper«, sagt sie.

Auch ihn brauchte sie nicht, schien es, nicht einmal ö konomisch. Sie lebte seit Jahren von ihrer eignen Arbeit (worunter ich mir heute noch nichts Genaues vorstellen kann, offen gestanden) nicht groß artig, aber immerhin. Ich sah es. Ihre Kleidung hä tte sogar vor Ivy bestehen kö nnen, und abgesehen von einer archaischen Wanduhr mit zersprungenem Zifferblatt ist ihre Wohnung, wie gesagt, durchaus modern.

»Und wie geht's denn dir? «fragt sie.

Ich trug eine fremde Jacke, die man mir im Hospital geliehen hatte, und es stö rte mich, eine Jacke, die mir zu groß war, ich spü rte es schon die ganze Zeit: zu weit, da ich mager bin, und dabei zu kurz, Ä rmel wie von einer Bubenjacke. Ich zog sie sofort aus, als Hanna in die Kü che ging; jedoch mein Hemd ging auch nicht, weil blutig.

»Wenn du ein Bad nehmen willst«, sagt Hanna,»bevor ich koche —«

Sie deckte den Tisch.

»Ja«, sage ich,»ich habe geschwitzt —«

Sie war rü hrend, dabei immer sachlich; sie stellte den Gasbrenner an und erklä rte, wie man abstellt, und brachte ein frisches Frottiertuch, Seife.

»Wie geht's deinen Fü ß en? «fragt sie.

Dabei hantierte sie immer.

»Wieso ins Hotel? «fragt sie.»Das ist doch selbstverstä ndlich, daß du hier wohnen kannst —«

Ich fü hlte mich sehr unrasiert.

Das Bad fü llte sich nur sehr langsam und dampfte, Hanna ließ kaltes Wasser hinzu, als kö nnte ich es nicht selber tun; ich saß auf einem Hocker, untä tig wie ein Gast, meine Fü ß e schmerzten sehr, Hanna ö ffnete das Fensterchen, im Dampf sah ich nur noch ihre Bewegungen, die sich nicht verä ndert haben, ü berhaupt nicht.

»Ich habe immer gemeint, du bist wü tend auf mich«, sage ich,»wegen damals.«

Hanna nur verwundert.

»Wieso wü tend? Weil wir nicht geheiratet haben? «sagt sie.»Das wä re ein Unglü ck gewesen —«

Sie lachte mich geradezu aus.

»Im Ernst«, sagt sie,»das hast du wirklich gemeint, daß ich wü tend bin, Walter, einundzwanzig Jahre lang? «

Mein Bad war voll.

»Wieso ein Unglü ck? «frage ich —

Sonst haben wir nie wieder ü ber die Heiratsgeschichte von damals gesprochen. Hanna hatte recht, wir hatten andere Sorgen.

»Hast du gewuß t? «frage ich,»daß die Mortalitä t bei Schlangenbiß nur drei bis zehn Prozent beträ gt? «

Ich war erstaunt.

Hanna hä lt nichts von Statistik, das merkte ich bald. Sie ließ mich einen ganzen Vortrag halten — damals im Badezimmer — ü ber Statistik, um dann zu sagen:

»Dein Bad wird kalt.«

Ich weiß nicht, wie lange ich in jenem Bad gelegen habe, meine verbundenen Fü ß e auf dem Rand der Wanne — Gedanken ü ber Statistik, Gedanken an Joachim, der sich erhä ngt hat, Gedanken an die Zukunft, Gedanken, bis mich frö stelte, ich wuß te selbst nicht, was ich dachte, ich konnte mich sozusagen nicht entschließ en, zu wissen, was ich denke. Ich sah die Flä schchen und Dosen, Tuben, lauter damenhafte Utensilien, ich konnte mir Hanna schon nicht mehr vorstellen, Hanna damals, Hanna heute, eigentlich keine von beiden. Ich frö stelte, aber ich hatte keine Lust, mein blutiges Hemd nochmals anzuziehen — ich antwortete nicht, als Hanna mich rief.

Was mit mir los sei?

Ich wuß te es selbst nicht.

Ob Tee oder Kaffee?

Ich war erschö pft von diesem Tag, daher meine Entschluß losigkeit, was sonst nicht meine Art ist, und daher die Spintisiererei (die Badewanne als Sarkophag; etruskisch!), geradezu ein Delirium von frö stelnder Entschluß losigkeit —

»Ja«, sage ich,»ich komme.«

Eigentlich hatte ich nicht im Sinn gehabt, Hanna wiederzusehen; nach unsrer Ankunft in Athen wollte ich sofort auf den Flugplatz hinaus —

Meine Zeit war abgelaufen.

Wie ich den Citroë n, den Williams mir geliehen hatte und der in Bari stand, nach Paris zurü ckbringe, war mir rä tselhaft. Ich wuß te nicht einmal den Namen der betreffenden Garage!

»Ja! «rufe ich.»Ich komme! «

Dabei blieb ich liegen.

Die Via Appia —

Die Mumie im Vatikan —

Mein Kö rper unter Wasser —

Ich halte nichts von Selbstmord, das ä ndert ja nichts daran, daß man auf der Welt gewesen ist, und was ich in dieser Stunde wü nschte: Nie gewesen sein!

»Walter«, fragt sie,»kommst du? «

Ich hatte die Badezimmertü r nicht abgeschlossen, und Hanna (so dachte ich) kö nnte ohne weiteres eintreten, um mich von rü ckwä rts mit einer Axt zu erschlagen; ich lag mit geschlossenen Augen, um meinen alten Kö rper nicht zu sehen. —

Hanna telefonierte.

Warum ging's nicht ohne mich!


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