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London, 14. Mai 1602 11 ñòðàíèöà






»In Southwark? «

Lucas nickte.»Ja, das war ziemlich aufwendig. Sie mussten ü ber die London Bridge auf die andere Themseseite, dort versuchen, so viel von Hamlet zu ergattern wie mö glich, und zurü ck sein, bevor der Zeitsprung erfolgte. Zwei Tage ging es gut, aber am dritten Tag gab es einen Unfall auf der London Bridge und Lucy und Paul wurden Zeugen eines Verbrechens. Sie schafften es nicht rechtzeitig zu ihrem Zeitsprung an dieses Ufer, sondern landeten im Southwark des Jahres 1948, halb in der Themse, wä hrend ich ganz wahnsinnig wurde vor Sorgen.«Offenbar nahm ihn schon die Erinnerung daran mit, er wurde blass um die Nase.»Nur ganz knapp, klatschnass und in ihren Kostü men des 17. Jahrhunderts erreichten sie Temple, bevor sie ins Jahr 1992 zurü cksprangen. Ich erfuhr das alles erst bei ihrem nä chsten Besuch...«

Mir schwirrte schon wieder der Kopf von den vielen unterschiedlichen Jahreszahlen.»Was war das fü r ein Verbrechen, dessen Zeugen sie wurden? «

Lucas rü ckte seinen Stuhl noch ein wenig nä her. Seine Augen hinter der Brille waren ganz dunkel vor lauter Ernsthaftigkeit.»Das ist genau der Punkt! Lucy und Paul sahen, wie der Graf von Saint Germain jemanden umbrachte.«

»Der Graf? «

»Lucy und Paul waren dem Grafen bis dahin nur zweimal begegnet. Trotzdem waren sie sich ganz sicher, dass er es war. Nach ihrem Initiationssprung wurden sie ihm jeweils im Jahr 1784 vorgestellt. Das hatte der Graf selber so bestimmt, er wollte die Zeitreisenden, die nach ihm geboren wurden, erst am Ende seines Lebens kennenlernen. Ich wü rde mich wundern, wenn es bei dir anders gewesen wä re.«Er rä usperte sich.»Sein wird. Wie auch immer. Jedenfalls reisten die Wä chter mit Lucy und Paul und dem Chronografen eigens nach Norddeutschland, wo der Graf seine letzten Lebensjahre verbrachte. Ich selber war dabei. Werde dabei sein. Als Groß meister der Loge - kannst du das glauben? «

Ich runzelte die Stirn.»Kö nnten wir vielleicht...? «

»Ah, ich verzettele mich wieder, richtig? Es ü bersteigt immer mein Fassungsvermö gen, dass die Dinge erst noch geschehen werden, obwohl sie lä ngst geschehen sind. Wo waren wir stehen geblieben? «

»Wie konnte der Graf im Jahr 1602 einen Mord begehen... oh, ich verstehe! Er tat es auf einer seiner Zeitreisen! «

»Genau. Und zwar als sehr viel jü ngerer Mann. Es war ein ungeheuerlicher Zufall, dass Lucy und Paul in genau demselben Augenblick an genau derselben Stelle waren. Wenn man in diesem Zusammenhang von Zufall sprechen kann. Der Graf selber schreibt in einer seiner zahlreichen Schriften: Wer an Zufä lle glaubt, hat die Macht des Schicksals nicht begriffen.«

»Wen ermordete er? Und warum? «

Lucas sah sich wieder im Cafe um.»Das, liebe Enkeltochter, wussten wir zunä chst auch nicht. Es dauerte Wochen, bis wir dahinterkamen. Sein Opfer war niemand anders als Lancelot de Villiers, der erste Zeitreisende im Kreis. Der Bernstein! «

»Er hat seinen eigenen Vorfahren ermordet? Aber warum das denn? «

»Lancelot de Villiers war ein belgischer Baron, der im Jahr 1602 mit seiner ganzen Familie nach England ü bersiedelte. In den Chroniken und Geheimschriften des Grafen von Saint Germain, die er den Wä chtern hinterlassen hat, steht, dass Lancelot 1607 gestorben ist, deshalb sind wir zunä chst nicht auf ihn gekommen. Tatsä chlich aber - ich erspare dir jetzt die Einzelheiten unserer detektivischen Nachforschungen - wurde dem Baron im Jahr 1602 in seiner eigenen Kutsche die Kehle durchgeschnitten...«

»Das verstehe ich nicht«, murmelte ich.

»Ich habe selber noch nicht alle Puzzleteile zusammenbringen kö nnen«, sagte Lucas, wä hrend er eine Packung Zigaretten aus seiner Tasche nahm und sich eine Zigarette anzü ndete.»Dazu kommt, dass ich Lucy und Paul seit dem 24. September 1949 nicht mehr gesehen habe. Ich vermute, dass sie mit dem Chronografen in eine Zeit vor meiner gesprungen sind, denn sonst hä tten sie mich lä ngst aufgesucht. Oh... verdammt! Sieh bloß nicht hin! «

»Was ist denn? Und seit wann rauchst du? «

»Da kommt Kenneth de Villiers mit seiner Schreckschraube von Schwester.«Lucas versuchte, hinter der Speisekarte in Deckung zu gehen.

»Sag doch einfach, wir wollen ungestö rt sein«, flü sterte ich.

»Das kann ich nicht - er ist mein Vorgesetzter: In der Loge wie im richtigen Leben. Ihm gehö rt diese verdammte Kanzlei... Wenn wir Glü ck haben, sehen sie uns nicht.«

Wir hatten kein Glü ck. Ein hochgewachsener Mittvierziger und eine Dame mit tü rkisfarbenem Hut hielten zielstrebig auf unseren Tisch zu und nahmen auf den beiden freien Stü hlen Platz, ohne dass jemand sie darum gebeten hatte.

»Da machen wir heute Nachmittag wohl alle beide blau, was, Lucas? «, sagte Kenneth de Villiers leutselig und schlug Lucas auf die Schulter.»Nicht, dass ich nicht alle beide Augen zudrü cken wü rde, nachdem du den Fall Parker gestern so bravourö s zu Ende gebracht hast. Noch einmal meinen Glü ckwunsch. Ich hö rte schon, dass du Besuch vom Lande hast.«Seine bernsteinfarbenen Augen unterzogen mich einer genauen Musterung. Ich versuchte, so unbefangen wie mö glich zurü ckzuschauen. Es war schon seltsam, wie sich die de Villiers mit ihren betonten Wangenknochen und der aristokratischen, geraden Nase in allen Zeiten ä hnlich sahen. Dieser hier war ebenfalls eine beeindruckende Erscheinung, wenn auch nicht ganz so gut aussehend wie zum Beispiel Falk de Villiers in meiner Zeit.

»Hazel Montrose, meine Cousine«, stellte Lucas mich vor.»Hazel, das sind Mr und Mrs de Villiers.«

»Ich bin aber seine Schwester«, sagte Mrs de Villiers und kicherte.»Oh, gut, Sie haben Zigaretten - ich muss sofort eine von Ihnen schnorren.«

»Leider wollten wir gerade gehen«, sagte Lucas, wä hrend er ihr galant eine Zigarette reichte und Feuer gab.»Ich habe da noch einiges an Akten aufzuarbeiten...«

»Aber nicht heute, mein Freund, nicht heute.«Sein Chef zwinkerte ihm freundlich zu.

»Mit Kenneth allein ist es immer so langweilig«, sagte Mrs de Villiers und pustete den Rauch der Zigarette durch ihre Nase wieder aus.»Man kann mit ihm ü ber nichts reden auß er ü ber Politik. Kenneth, bitte bestell doch noch einmal Tee fü r uns alle. Von wo genau kommen Sie, meine Liebe? «

»Gloucestershire«, sagte ich und hustete ein bisschen.

Lucas seufzte ergeben.»Mein Onkel, also Hazels Vater, hat dort ein groß es Gut mit vielen Tieren.«

»Ach, ich liebe das Landleben. Und ich liebe Tiere! «, sagte Mrs de Villiers enthusiastisch.

»Und ich erst«, sagte ich.»Vor allem Katzen.«

 

Aus den Annalen der Wä chter/Protokoll der Zerberuswache

 

24. Juli 1956 »Nam quod in iuventus non discitur, in matura aetate nescitur.«

 

7 Uhr: Novize Cartrell, der bei der nä chtlichen Ariadne-Prü fung als vermisst gemeldet worden war, erreicht den Aufgang mit sieben Stunden Verspä tung. Er taumelt leicht und riecht nach Alkohol, was vermuten lä sst, dass er zwar die Prü fung nicht bestanden, aber den verschollenen Weinkeller aufgespü rt hat. Ich lasse ihn ausnahmsweise mit der Parole des Vortages passieren.

 

Ansonsten keine besonderen Vorkommnisse.

Bericht: J. Smith, Novize, Vormittagsschicht

13.12 Uhr: Wir sichten eine Ratte. Ich will sie mit dem Degen aufspieß en, aber Leroy fü ttert sie mit Resten von seinem Sandwich und tauft sie auf den Namen Audrey.

 

15.15 Uhr: Miss Violet Purpleplum erreicht den Aufgang ü ber einen uns unbekannten Weg vom Justizpalast. Sie trä gt die Parole des Tages fehlerfrei vor, Leroy eskortiert sie wunschgemä ß nach oben in die Bü ros.

 

15: 24 Uhr: Audrey ist wieder da. Ansonsten keine besonderen Vorkommnisse.

Bericht: P. Ward, Novize, Nachmittagsschicht

18 Uhr bis 0.00 Uhr: Keine besonderen Vorkommnisse

Bericht: N. Cartrell, Novize, Abendschicht

0.00 Uhr bis 6.00 Uhr: Keine besonderen Vorkommnisse

Bericht: K. Elbereth/M. Ward, Novizen

 

 


Die Wache am Fuß e der Treppe schlief, den Kopf auf das Gelä nder gelegt.

»Armer Cartrell«, flü sterte Lucas, als wir an dem schnarchenden Mann vorbeischlichen.»Ich fü rchte, er wird es nicht zum Adepten schaffen, wenn er weiterhin so viel trinkt... Aber umso besser fü r uns. Komm, schnell! «

Ich war schon vollkommen auß er Atem, da wir den Weg vom Cafe hierher im Laufschritt hatten zurü cklegen mü ssen. Kenneth de Villiers und seine Schwester hatten uns Ewigkeiten aufgehalten, stundenlang hatten wir mit ihnen geplaudert, ü ber das Landleben im Allgemeinen und das in Gloucestershire im Besonderen (ich hatte ein paar hü bsche Anekdoten ü ber meine Cousine Madeleine und ein Schaf namens Clarisse beizusteuern), ü ber den Fall Parker (von dem ich nur verstand, dass mein Groß vater ihn gewonnen hatte), ü ber den niedlichen kleinen Thronfolger Charles (hallo?) und ü ber alle Filme von Grace Kelly und ihre Hochzeit mit einem monegassischen Fü rsten. Ab und an hustete ich und versuchte, das Gesprä ch auf die verheerenden Folgen des Rauchens fü r die Gesundheit zu bringen, aber das kam nicht gut an. Als wir das Cafe endlich verlassen konnten, war es so spä t, dass ich nicht mal Zeit hatte, die Toilette aufzusuchen, obwohl ich einen gefü hlten Liter Tee in der Blase hatte.

»Noch drei Minuten«, keuchte Lucas, wä hrend wir durch die Kellergä nge rannten.»Dabei gibt es noch unendlich viel, das ich dir sagen wollte. Wenn diese blö de Pestbeule von einem Chef nicht gekommen wä re...«

»Ich hatte nicht gewusst, dass du bei einem de Villiers angestellt bist«, sagte ich.»Du bist schließ lich der kü nftige Lord Montrose, Mitglied des Oberhauses.«

»Ja«, erwiderte Lucas griesgrä mig.»Aber bis ich das Erbe meines Vaters antrete, muss ich trotzdem den Unterhalt fü r meine Familie verdienen. Dieser Job hat sich einfach angeboten... Egal, hö r zu: Alles, was der Graf von Saint Germain den Wä chtern hinterlassen hat, die sogenannten Geheimschriften, die Briefe, die Chroniken, all diese Dinge gingen vorher durch seine Zensur. Die Wä chter wissen nur, was Saint Germain zuließ, und alle Informationen zielen darauf ab, dass die Generationen nach ihm alles daran setzen werden, den Kreis zu schließ en. Aber keiner der Wä chter kennt das ganze Geheimnis.«

»Aber du kennst es? «, rief ich aus.

»Schschsch! Nein. Ich kenne es auch nicht.«

Wir bogen um die letzte Ecke und ich riss die Tü r zum alten Aichemielabor auf. Meine Sachen lagen auf dem Tisch, genau, wie ich sie zurü ckgelassen hatte.

»Aber Lucy und Paul kennen das Geheimnis, davon bin ich ü berzeugt. Als wir uns das letzte Mal gesehen haben, waren sie kurz davor, die Dokumente zu finden.«Er sah auf seine Uhr.»Verdammt.«

»Weiter! «, drä ngte ich, wä hrend ich meine Schultasche und die Taschenlampe an mich nahm. In letzter Sekunde fiel mir noch ein, Lucas den Schlü ssel wiederzugeben. In meinem Magen machte sich bereits das altbekannte Achterbahngefü hl breit.»Und bitte, rasier dir den Schnurrbart ab, Grandpa! «

»Der Graf hatte Feinde, von denen in den Chroniken nur am Rande die Rede ist«, sprudelte Lucas hervor.»Insbesondere hatte es eine alte kirchennahe Geheimorganisation auf ihn abgesehen, die sich die Rakoczy Allianz nannte. Diese Organisation gelangte 1745, im Grü ndungsjahr der Loge hier in London, in den Besitz von Dokumenten aus dem Erbe des Grafen von Saint Germain... findest du, der Schnurrbart steht mir nicht? «

Der Raum begann, sich um mich zu drehen.

»Ich hab dich lieb, Grandpa! «, stieß ich hervor.

»... Dokumente, die unter anderem beweisen, dass es nicht damit getan ist, alle zwö lf Zeitreisenden mit ihrem Blut in den Chronografen einzulesen! Das Geheimnis offenbart sich erst, wenn...«, hö rte ich Lucas noch sagen, bevor es mich von den Fü ß en riss.

Bruchteile einer Sekunde spä ter blinzelte ich ins helle Licht. Und gegen eine weiß e Hemdenbrust. Einen Zentimeter weiter links und ich wä re direkt auf Mr Georges Fü ß en gelandet.

Ich stieß einen leisen Schreckensschrei aus und machte ein paar Schritte zurü ck.

»Wir mü ssen beim nä chsten Mal daran denken, dir Kreide fü r eine Markierung mitzugeben«, sagte Mr George kopfschü ttelnd und nahm mir die Taschenlampe aus der Hand. Er hatte nicht allein auf meine Rü ckkehr gewartet. Neben ihm stand Falk de Villiers, Dr. White saß auf einem Stuhl am Tisch, Robert, der kleine Geistjunge, lugte hinter seinen Beinen hervor und an der Wand neben der Tü r lehnte Gideon, mit einem riesigen weiß en Pflaster auf der Stirn.

Bei seinem Anblick musste ich tief Luft holen.

Er hatte seine ü bliche Haltung eingenommen, die Arme vor der Brust verschrä nkt, aber seine Gesichtsfarbe war kaum dunkler als das Pflaster und die Schatten unter seinen Augen ließ en seine Iris unnatü rlich grü n erscheinen. Ich spü rte ein geradezu ü bermä chtiges Verlangen, zu ihm zu laufen, ihn in die Arme zu nehmen und auf seine Wunde zu pusten, so wie ich es frü her immer mit Nick gemacht hatte, wenn er sich wehgetan hatte.

»Alles in Ordnung, Gwendolyn? «, fragte Falk de Villiers.

»Ja«, sagte ich, ohne Gideon aus den Augen zu lassen. Gott, ich hatte ihn vermisst, wie sehr, das wurde mir jetzt erst bewusst. War dieser Kuss auf dem grü nen Sofa erst einen Tag her? Obwohl - von einem Kuss konnte man wohl schlecht sprechen.

Gideon gab meinen Blick reglos zurü ck, beinahe unbeteiligt, als wü rde er mich gerade zum ersten Mal sehen. Keine Spur mehr von dem, was gestern gewesen war.

»Ich bringe Gwendolyn hinauf, damit sie nach Hause fahren kann«, sagte Mr George ruhig, legte eine Hand auf meinen Rü cken und schob mich sanft an Falk vorbei zur Tü r. Direkt auf Gideon zu.

»Hast du... geht es dir wieder gut? «, fragte ich.

Gideon sagte nichts, er sah mich nur an. Aber irgendetwas stimmte nicht mit der Art und Weise, wie er mich ansah. Als wä re ich keine Person, sondern ein Gegenstand. Irgendetwas Unbedeutendes, Alltä gliches, so etwas wie ein... Stuhl. Mö glicherweise hatte er doch eine Gehirnerschü tterung und wusste nicht mehr, wer ich war? Unvermittelt wurde mir kalt.

»Gideon gehö rt ins Bett, aber er muss einige Stunden elapsieren, wenn wir keinen unkontrollierten Zeitsprung riskieren wollen«, erklä rte Dr. White barsch.»Es ist Leichtsinn, ihn wieder allein...«

»Zwei Stunden in einem ruhigen Kellerraum im Jahr 1953, Jake«, fiel ihm Falk ins Wort.»Auf einem Sofa. Das wird er ü berleben.«

»Ja, allerdings«, sagte Gideon und sein Blick wurde, wenn ü berhaupt mö glich, noch finsterer. Plö tzlich war mir zum Heulen zumute.

Mr George ö ffnete die Tü r.»Komm, Gwendolyn.«

»Einen Moment noch, Mr George.«Gideon hielt mich am Arm fest.»Eins wü rde ich gern noch wissen: In welches Jahr schickten Sie Gwendolyn gleich? «

»Gerade eben? 1956, Juli«, sagte Mr George.»Warum? «

»Nun - weil sie nach Zigaretten riecht«, sagte Gideon, wä hrend sich der Griff um meinen Arm schmerzhaft verstä rkte. Beinahe hä tte ich die Schultasche fallen gelassen.

Automatisch roch ich an meinem Jackenä rmel. Richtig - der stundenlange Aufenthalt in dem verqualmten Cafe hatte eindeutig Spuren hinterlassen. Wie um Himmels willen sollte ich das erklä ren?

Alle Blicke im Raum waren jetzt auf mich gerichtet und ich begriff, dass ich mir ganz schnell eine gute Ausrede einfallen lassen musste.

»Okay - erwischt«, sagte ich und guckte auf den Boden.»Ich habe ein bisschen geraucht. Aber nur drei Zigaretten. Ehrlich.«

Mr George schü ttelte den Kopf.»Aber Gwendolyn, ich hatte dir doch eingeschä rft, keinen Gegenstand...«

»Es tut mir leid«, fiel ich ihm ins Wort.»Aber es ist so langweilig in diesem dunklen Keller und eine Zigarette hilft gegen die Angst...«Ich bemü hte mich um einen betretenen Gesichtsausdruck.»Ich habe die Stummel sorgfä ltig eingesammelt und alles wieder mitgebracht, Sie mü ssen keine Sorge haben, dass jemand eine Packung Lucky Strike findet und sich wundert.«

Falk lachte.

»Unser Prinzesschen hier ist eben nicht ganz so brav, wie es aussieht«, sagte Dr. White und ich atmete erleichtert auf. Offensichtlich glaubten sie mir.»Guck nicht so schockiert, Thomas. Meine erste Zigarette habe ich mit dreizehn geraucht.«

»Ich auch. Meine erste und meine letzte.«Falk de Villiers hatte sich wieder ü ber den Chronografen gebeugt.»Rauchen ist wirklich nicht empfehlenswert, Gwendolyn. Ich bin sicher, deine Mutter wä re ziemlich schockiert, wenn sie davon wü sste.«

Selbst der kleine Robert nickte heftig und sah mich vorwurfsvoll an.

»Auß erdem ist es nicht gut fü r die Schö nheit«, ergä nzte Dr. White.»Von Nikotin bekommt man eine schlechte Haut und hä ssliche Zä hne.«

Gideon sagte nichts. Er hatte auch seinen Griff um meinen Arm noch nicht gelockert. Ich zwang mich, ihm mö glichst unbefangen in die Augen zu sehen, und versuchte ein entschuldigendes Lä cheln. Er erwiderte meinen Blick mit leicht verengten Augen und schü ttelte unmerklich den Kopf. Dann ließ er mich langsam los. Ich schluckte, weil ich plö tzlich einen Kloß im Hals hatte.

Warum war Gideon so? In einem Augenblick nett und zä rtlich und im nä chsten wieder kü hl und unnahbar? Das konnte doch kein Mensch aushalten. Ich jedenfalls nicht. Das hier unten, das mit uns, das hatte sich wirklich echt angefü hlt. Richtig. Und nun hatte er nichts Besseres zu tun, als mich bei der ersten Gelegenheit vor versammelter Mannschaft bloß zustellen? Was wollte er damit erreichen?

»Komm jetzt«, sagte Mr George zu mir.

»Wir sehen uns dann ü bermorgen, Gwendolyn«, sagte Falk de Villiers.»Zu deinem groß en Tag.«

»Vergessen Sie nicht, ihr die Augen zu verbinden«, sagte Dr. White und ich hö rte Gideon kurz auflachen, als hä tte Dr. White einen schlechten Witz gemacht. Dann fiel die schwere Tü r hinter uns zu und wir standen drauß en im Gang.

»Sieht so aus, als wü rde er keine Raucher mö gen«, sagte ich leise und wä re am liebsten in Trä nen ausgebrochen.

»Lass dir bitte die Augen verbinden«, sagte Mr George und ich hielt still, bis er das schmale Tuch auf meinem Hinterkopf zu einem Knoten geschlungen hatte. Dann nahm er mir die Schultasche ab und schob mich behutsam vorwä rts.»Gwendolyn... Du musst wirklich vorsichtiger sein.«

»Ein paar Zigaretten bringen einen nicht gleich um, Mr George.«

»Das meinte ich nicht.«

»Was denn dann? «

»Ich meinte, was deine Gefü hle angeht.«»Wie bitte? Meine Gefü hle? «

Ich hö rte Mr George seufzen.»Mein liebes Kind, selbst ein Blinder kö nnte sehen, dass du... - du solltest einfach vorsichtiger sein, was deine Gefü hle fü r Gideon angeht.«

»Ich...«Ich verstummte wieder. Mr George verfü gte offenbar ü ber mehr Scharfblick, als ich ihm zugetraut hä tte.

»Beziehungen zwischen zwei Zeitreisenden haben noch nie unter einem guten Stern gestanden«, sagte er.»Ebenso wenig wie Beziehungen zwischen den Familien der de Villiers und den Montroses. Und in Zeiten wie diesen muss man sich immer wieder vor Augen fü hren, dass man im Grunde niemandem trauen kann.«Vielleicht bildete ich es mir nur ein, aber ich hatte den Eindruck, dass Mr Georges Hand an meinem Rü cken zitterte.»Es ist leider eine unumstö ß liche Tatsache, dass der gesunde Menschenverstand leidet, sobald Liebe im Spiel ist. Und gesunder Menschenverstand ist das, was du jetzt am meisten gebrauchen kannst. Vorsicht, Stufe.«

Schweigend bewä ltigten wir den Aufgang, dann lö ste Mr George die Augenbinde und sah mich ernst an.»Du kannst das alles schaffen, Gwendolyn. Ich glaube fest an dich und deine Fä higkeiten.«

Sein rundes Gesicht war wieder einmal voller Schweiß trö pfchen. In seinen hellen Augen las ich nichts als Sorge -ä hnlich wie bei meiner Mutter, wenn sie mich ansah. Ich wurde von einer Welle der Zuneigung ü berschwemmt.

»Hier. Ihr Siegelring«, sagte ich.»Wie alt sind Sie eigentlich, Mr George? Darf ich Sie das fragen? «

»Sechsundsiebzig Jahre«, sagte Mr George.»Das ist kein Geheimnis.«

Ich starrte ihn an. Auch wenn ich nie richtig darü ber nachgedacht hatte, ich hä tte ihn glatt zehn Jahre jü nger geschä tzt.»Dann waren Sie 1956...? «

»Einundzwanzig. Das war das Jahr, in dem ich hier als Anwaltsgehilfe angefangen habe und Mitglied der Loge wurde.«

»Kennen Sie eigentlich Violet Purpleplum, Mr George? Das ist eine Freundin meiner Groß tante.«

Mr George zog eine Augenbraue hoch.»Nein, ich glaube nicht. Komm, ich bringe dich zu deinem Wagen - ich bin sicher, deine Mutter wartet schon sehnsü chtig auf dich.«

»Ja, ganz sicher sogar. Mr George...? «

Aber Mr George hatte sich bereits zum Gehen gewandt. Mir blieb nichts anderes ü brig, als mich an seine Fersen zu heften.»Morgen wirst du mittags von zu Hause abgeholt. Madame Rossini braucht dich fü r die Anprobe, danach wird Giordano versuchen, dir noch einiges beizubringen. Und schließ lich musst du noch elapsieren.«

»Das klingt nach einem tollen Tag«, sagte ich matt.

 

»Aber das ist doch keine... Magie! «, flü sterte ich schockiert.

Leslie seufzte.»Nicht im Sinne von Hokus-Pokus-Zauberritualen, vielleicht - aber es ist eine magische Fä higkeit. Es ist die Magie des Raben.«

»Es ist mehr eine Art Spleen«, sagte ich.»Etwas, weswegen man ausgelacht wird - was einem ohnehin niemand glaubt.«

»Gwenny, es ist kein Spleen, wenn jemand ü bersinnliche Wahrnehmungen hat. Es ist vielmehr eine Gabe. Du kannst Geister sehen und mit ihnen sprechen.«

»Und Dä monen«, ergä nzte Xemerius.

»Der Rabe steht in der Mythologie fü r die Verbindung der Menschen mit der Gö tterwelt. Die Raben sind die Mittler zwischen den Lebenden und Toten.«Leslie drehte ihren Ordner so, dass ich lesen konnte, was sie ü ber den Raben im Internet gefunden hatte.»Du musst zugeben, dass das auß erordentlich gut zu deinen Fä higkeiten passt.«

»Und zur Haarfarbe«, sagte Xemerius.»Schwarz wie Rabengefieder...«

Ich kaute an meiner Unterlippe.»Aber in den Prophezeiungen klingt es immer so, ach, keine Ahnung, so wichtig und mä chtig und so. Als ob die Magie des Raben eine Art Geheimwaffe wä re.«

»Aber das kann sie doch auch sein«, sagte Leslie.»Wenn du aufhö rst zu denken, es sei nur eine Art seltsamer Spleen, der dich dazu befä higt, Geister zu sehen.«

»Und Dä monen«, sagte Xemerius wieder.

»Ich wü rde so gern diese Texte mit den Prophezeiungen haben«, sagte Leslie.»Es wü rde mich brennend interessieren, wie der Text nun genau lautet.«

»Charlotte kann die sicher alle auswendig runterrasseln«, sagte ich.»Ich denke, sie hat das alles in ihrem Mysterienunterricht gelernt. Ü berhaupt sprechen die da stä ndig in Reimen. Die Wä chter. Selbst meine Mum. Und Gideon.«

Ich wandte mich schnell ab, damit Leslie nicht bemerkte, dass sich meine Augen urplö tzlich mit Trä nen gefü llt hatten, aber es war schon zu spä t.

»Ach, Sü ß e! Nicht schon wieder weinen! «Sie reichte mir ein Taschentuch.»Du ü bertreibst wirklich.«

»Nein, das tu ich nicht. Weiß t du noch, als du wegen Max drei Tage lang am Stü ck geheult hast? «, schniefte ich.

»Klar weiß ich das noch«, sagte Leslie.»Ist ja erst ein halbes Jahr her.«

»Jetzt kann ich mir vorstellen, wie du dich damals gefü hlt hast. Und ich verstehe auch plö tzlich, warum du dir gewü nscht hast, du wä rst tot.«

»Ich war ja so blö d! Du hast die ganze Zeit bei mir gesessen und gesagt, dass Max es nicht wert sei, an ihn auch nur einen Gedanken zu verschwenden, weil er sich wie ein Arschloch verhalten hä tte. Und dass ich mir die Zä hne putzen solle...«

»Ja, und dabei lief in Endlosschleife The winner takes it all. «

»Das kann ich holen«, bot Leslie an.»Wenn du dich dabei besser fü hlst.«

»Nein. Aber du kannst mir das japanische Gemü semesser reichen, dann kann ich Harakiri begehen.«Ich ließ mich hintenü ber auf mein Bett fallen und schloss die Augen.

»Dass Mä dchen immer so dramatisch sein mü ssen«, sagte Xemerius.»Da hat der Junge mal schlechte Laune und guckt mü rrisch, weil er was gegen den Kopf gekriegt hat, und schon bricht fü r dich die Welt zusammen.«

»Weil er mich nicht liebt«, sagte ich verzweifelt.

»Das kannst du doch gar nicht wissen«, sagte Leslie.»Bei Max war ich da leider ganz sicher, weil er genau eine halbe Stunde, nachdem er mit mir Schluss gemacht hat, knutschend mit dieser Anna im Kino gesichtet wurde. Aber so was kann man Gideon wirklich nicht vorwerfen. Er ist halt nur ein wenig... wankelmü tig.«

»Aber warum? Du hä ttest sehen sollen, wie er mich angeguckt hat! Irgendwie angeekelt. Als ob ich... eine Kellerassel wä re. Ich halte das einfach nicht aus.«

»Vorhin war es noch ein Stuhl.«Leslie schü ttelte den Kopf.»Jetzt nimm dich gefä lligst zusammen. Mr George hat recht: Sobald Liebe im Spiel ist, verabschiedet sich der gesunde Menschenverstand. Dabei sind wir doch unmittelbar davor, einen bahnbrechenden Durchbruch zu erzielen! «

Am Morgen nä mlich, als Leslie gerade bei uns angekommen war und wir es uns zusammen auf meinem Bett bequem gemacht hatten, hatte Mr Bernhard an meine Zimmertü r geklopft - etwas, was er sonst niemals tat - und ein Tablett mit Tee auf meinem Schreibtisch abgestellt.

»Eine kleine Erfrischung fü r die jungen Ladys«, hatte er gesagt.

Ich hatte ihn nur verblü fft anstarren kö nnen, denn ich konnte mich nicht erinnern, dass er dieses Stockwerk ü berhaupt jemals betreten hatte.

»Nun, da Sie neulich danach fragten, habe ich mir die Freiheit genommen, ein wenig Ausschau zu halten«, war Mr Bernhard fortgefahren und seine Eulenaugen hatten uns ü ber den Rand seiner Brille ernst angeblickt.»Und, wie ich mir schon dachte, habe ich es auch gefunden.«

»Was denn? «, hatte ich gefragt.

Mr Bernhard hatte die Serviette auf dem Tablett zur Seite geschoben und darunter war ein Buch zum Vorschein gekommen.»Der Grü ne Reiter«, hatte er gesagt.»Ich meine, mich zu erinnern, dass es das war, wonach Sie suchten.«

Leslie war aufgesprungen und hatte das Buch in die Hand genommen.»Aber ich habe mir den Band bereits in der Bibliothek angeschaut, es ist nichts Besonderes...«, hatte sie gemurmelt.

Mr Bernhard hatte sie nachsichtig angelä chelt.»Ich nehme an, das lag daran, dass das Buch, das Sie in der Bibliothek gesehen haben, nicht das Eigentum von Lord Montrose war. Ich denke, dieses Exemplar dagegen kö nnte Sie vielleicht interessieren.«Mit einer kleinen Verbeugung hatte er sich zurü ckgezogen und Leslie und ich hatten uns sofort auf das Buch gestü rzt. Ein Zettel, auf den jemand mit winzig kleiner Schrift Hunderte von Zahlen geschrieben hatte, war zu Boden geschwebt. Leslie hatte vor Aufregung ganz rote Wangen bekommen.

»Oh, mein Gott, das ist ein Code! «, hatte sie ausgerufen.»Wie absolut wundervoll! Das habe ich mir immer schon gewü nscht. Jetzt mü ssen wir nur herausfinden, was er bedeutet! «

»Ja«, hatte Xemerius gesagt. Er hing an meiner Gardinenstange.»Das habe ich schon oft gehö rt. Ich glaube, das ist auch einer dieser berü hmten letzten Sä tze...«

Aber Leslie hatte keine fü nf Minuten gebraucht, um zu begreifen, dass die Zahlen sich auf einzelne Buchstaben im Text bezogen.»Die erste Zahl ist immer die Seite, die zweite bezeichnet die Zeile, die dritte das Wort, die vierte den Buchstaben. Siehst du? 14-22-6-3, das ist auf Seite vierzehn, Zeile zweiundzwanzig, das sechste Wort und davon der dritte Buchstabe.«Sie schü ttelte den Kopf.»Was fü r ein billiger Trick. Wird in jedem zweiten Kinderbuch bemü ht, wenn ich mich richtig erinnere. Egal, der erste Buchstabe ist demnach ein e.«

Xemerius hatte beeindruckt mit dem Kopf genickt.»Hö r auf deine Freundin.«

»Vergiss nicht, dass es hier um Leben und Tod geht«, sagte Leslie.»Meinst du, ich will meine beste Freundin verlieren, nur weil sie nach einem bisschen Rumgeknutsche nicht mehr in der Lage war, ihr Gehirn zu benutzen? «

»Meine Rede! «Das kam von Xemerius.

»Es ist wichtig, dass du aufhö rst zu heulen, und stattdessen herausfindest, was Lucy und Paul entdeckt haben«, fuhr Leslie eindringlich fort.»Wenn du heute zum Elapsieren wieder ins Jahr 1956 geschickt wirst - du musst Mr George einfach nur darum bitten -, wirst du auf einem Vieraugengesprä ch mit deinem Groß vater beharren! Was fü r eine hirnverbrannte Idee, in ein Cafe zu gehen! Und diesmal wirst du alles aufschreiben, alles, was er dir sagt, jedes noch so kleine Detail, hö rst du? «Sie seufzte.»Bist du sicher, dass es florentinische Allianz hieß? Ich konnte nirgends etwas darü ber finden. Wir mü ssen unbedingt einen Blick in diese Geheimschriften werfen, die der Graf von Saint Germain den Wä chtern hinterlassen hat. Wenn Xemerius doch nur in der Lage wä re, Gegenstä nde zu bewegen, dann kö nnte er die Archive suchen, durch die Wand hineingehen und einfach alles lesen...«


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