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London, 14. Mai 1602 10 ñòðàíèöà






Mr George kam gerade rechtzeitig, um zu verhindern, dass die Plusterlippe mich vor lauter Zorn ohrfeigte.

»Heute war es, wenn mö glich, noch schlimmer.«Giordano ließ sich auf einen zierlichen Stuhl sinken und tupfte sich mit einem Taschentuch in seiner derzeitigen Hautfarbe den Schweiß ab.»Sie hat die ganze Zeit mit glasigen Augen vor sich hin gestiert - wenn ich es nicht besser wü sste, wü rde ich auf Drogen tippen! «

»Giordano, bitte...«, sagte Mr George.»Wir haben heute alle keinen besonders guten Tag...«

»Wie geht es... ihm denn? «, fragte Charlotte leise, mit einem Seitenblick zu mir.

»Den Umstä nden entsprechend«, erwiderte Mr George ernst.

Wieder warf Charlotte mir einen kurzen, prü fenden Blick zu. Ich starrte finster zurü ck. Gab es ihr irgendeine kranke Art von Befriedigung, dass sie etwas wusste, von dem sie dachte, dass es mich brennend interessieren wü rde?

»Ach, papperlapapp«, sagte Xemerius.»Dem geht es super, glaub mir, Schä tzchen! Er hat vorhin ein Riesenkalbsschnitzel mit Bratkartoffeln und Grü nzeug vertilgt. Klingt das nach den Umstä nden entsprechend? «

Giordano ä rgerte sich, dass niemand ihm zuhö rte.»Ich mö chte nur nicht, dass es am Ende auf mich zurü ckfä llt«, sagte er schrill und schob sein Stü hlchen beiseite.»Ich habe mit unbekannten Talenten und den ganz Groß en dieser Welt gearbeitet, aber noch nie, niemals ist mir dabei etwas untergekommen wie das hier.«

»Mein lieber Giordano, Sie wissen, wie sehr wir Sie hier schä tzen. Und niemand wä re besser geeignet, Gwendolyn auf ihre...«Mr George verstummte, weil Giordano schmollend seine Unterlippe vorgeschoben und den Kopf mit der Betonfrisur in den Nacken geworfen hatte.

»Sagen Sie nicht, ich hä tte Sie nicht gewarnt«, schnappte er.»Das ist alles, was ich fordere.«

»In Ordnung«, sagte Mr George seufzend.»Ich... ja, nun gut. Ich werde das so weitergeben. Kommst du, Gwendolyn? «

Ich hatte bereits den Reifrock abgeschnallt und hä ngte ihn ordentlich ü ber den Klavierhocker.»Wiedersehen«, sagte ich zu Giordano.

Der hatte immer noch sein Schmollgesicht aufgesetzt.»Ich fü rchte, das wird sich wohl nicht vermeiden lassen.«

 

Auf dem Weg hinunter zum alten Alchemielabor, den ich inzwischen fast schon mit verbundenen Augen kannte, erzä hlte mir Mr George, was am Morgen passiert war. Er war ein bisschen erstaunt, dass Mr Marley mich noch nicht ü ber die Ereignisse informiert hatte, und ich machte mir nicht die Mü he zu erklä ren, wie es dazu gekommen war.

Man hatte Gideon fü r eine kleinere Aufgabe (was fü r eine Aufgabe das war, wollte Mr George mir nicht verraten) mit dem Chronografen in die Vergangenheit geschickt (das Jahr wollte Mr George mir ebenfalls nicht verraten) und ihn zwei Stunden spä ter ohnmä chtig in einem Gang unweit vom Chronografenraum wiedergefunden. Mit einer Platzwunde an der Stirn, die offensichtlich von einem keulenä hnlichen Gegenstand stammte. Gideon konnte sich an nichts erinnern, der Angreifer musste im Hinterhalt gelauert und zugeschlagen haben.

»Aber wer...? «

»Wir wissen es nicht. Eine bedrü ckende Situation, gerade in unserer jetzigen Lage. Wir haben ihn grü ndlich untersucht, es gibt nirgendwo eine Einstichstelle, aus der sich schließ en ließ e, dass man ihm Blut abgenommen haben kö nnte...«

»Hä tte nicht das Blut aus der Stirnwunde ausgereicht? «, fragte ich mit einem leisen Schaudern.

»Mö glich«, gab Mr George zu.»Aber wenn... jemand auf Nummer sicher hä tte gehen wollen, hä tte er das Blut auf andere Weise entnommen. Nun ja, es gibt unzä hlige Erklä rungsmö glichkeiten. Niemand wusste, dass Gideon an diesem Abend dort auftauchen wü rde, es ist also unwahrscheinlich, dass jemand speziell auf ihn gewartet hat. Viel wahrscheinlicher ist es, dass es sich um eine zufä llige Begegnung handelt. Es... in bestimmten Jahren wimmelte es hier unten nur so von subversiven Objekten, Schmugglern, Verbrechern, Unterweltlern im wahrsten Sinne des Wortes. Ich persö nlich glaube an einen ä rgerlichen Zufall...«Er rä usperte sich.»Nun ja, auf jeden Fall scheint Gideon das Abenteuer gut ü berstanden zu haben, jedenfalls konnte Dr. White keine ernsthafte Verletzung feststellen. Und so werdet ihr wie geplant Sonntagmittag zu der Soiree aufbrechen kö nnen.«Er lachte auf.»Wie das klingt: Eine Soiree am Sonntagmittag.«

Ja, hahaha, sehr komisch.»Wo ist Gideon jetzt? «, fragte ich ungeduldig.»Im Krankenhaus? «

»Nein. Er ruht sich aus - hoffe ich. Im Krankenhaus war er nur zur Computertomografie und da die Gott sei Dank ohne Befund war, hat er sich selber wieder entlassen. Er hat nä mlich gestern Abend ü berraschend Besuch von seinem Bruder bekommen...«

»Ich weiß «, sagte ich.»Mr Whitman hat Raphael heute in Saint Lennox angemeldet.«

Ich hö rte Mr George tief seufzen.»Der Junge ist von zu Hause ausgerissen, nachdem er mit seinen Freunden irgendeinen Unsinn angestellt hatte. Eine verrü ckte Idee von Falk, Raphael in England zu behalten. In diesen turbulenten Zeiten haben wir alle - und Gideon am meisten - Besseres zu tun, als uns um renitente Jugendliche zu kü mmern... Aber Falk konnte Seiina noch nie etwas abschlagen, und wie es aussieht, ist das Raphaels letzte Chance, einen Highschool-Abschluss zu machen, weit weg von den Freunden, die einen so schlechten Einfluss auf ihn haben.«

»Seiina - ist das Gideons und Raphaels Mutter? «

»Ja«, sagte Mr George.»Die Frau, von der die beiden diese schö nen grü nen Augen geerbt haben. So, da wä ren wir. Du kannst das Tuch abnehmen.«

Dieses Mal waren wir ganz allein im Chronografenraum.

»Charlotte hat behauptet, dass Sie die geplanten Besuche im 18. Jahrhundert unter diesen Umstä nden absagen wü rden«, sagte ich hoffnungsvoll.»Oder verschieben? Nur, damit Gideon Zeit hat, sich zu erholen, und ich vielleicht noch etwas mehr ü ben kann...«

Mr George schü ttelte den Kopf.»Nein. Das werden wir nicht tun. Wir werden alle erdenklichen Vorsichtsmaß nahmen ergreifen, aber der enge Zeitplan war dem Grafen sehr wichtig. Gideon und du, ihr werdet ü bermorgen auf diese Soiree gehen, das steht fest. Hast du besondere Wü nsche, was das Jahr angeht, in das wir dich heute zum Elapsieren schicken? «

»Nein«, sagte ich betont gleichgü ltig.»Es spielt ja ohnehin keine Rolle, wenn man in einem Kellerraum eingesperrt ist, oder? «

Mr George nahm den Chronografen vorsichtig aus seinem Samttuch.»Das ist richtig. Gideon schicken wir meistens ins Jahr 1953, das war ein ruhiges Jahr, da mü ssen wir nur darauf achten, dass er sich nicht selber begegnet.«Er schmunzelte.»Das stelle ich mir gruselig vor, mit dem eigenen Ich irgendwo eingesperrt zu sein.«Er strich sich ü ber seinen kugeligen Bauch und sah nachdenklich in die Luft.»Wie wä re es mit dem Jahr 1956? Auch ein sehr ruhiges Jahr.«»Ja, klingt perfekt«, sagte ich.

Mr George reichte mir die Taschenlampe und zog seinen Ring vom Finger.»Nur fü r den Fall... - keine Angst, es wird garantiert niemand kommen, nachts um halb drei.«

»Nachts um halb drei? «, wiederholte ich entsetzt. Wie sollte ich mitten in der Nacht meinen Groß vater aufsuchen? Kein Mensch wü rde mir glauben, dass ich mich im Keller verirrt hatte, nachts um halb drei. Vielleicht war noch nicht mal jemand im Haus. Dann wä re doch alles vergeblich!»Oh, Mr George, bitte nicht! Schicken Sie mich nicht nachts in diese gruseligen Katakomben, ganz allein...! «

»Aber Gwendolyn, das spielt doch gar keine Rolle, tief unter der Erde, in einem verschlossenen Raum...«

»Ich habe aber... nachts Angst! Bitte, Sie dü rfen mich auf keinen Fall allein...«Ich war so verzweifelt, dass sich meine Augen mit Trä nen fü llten, ohne dass ich kü nstlich nachhelfen musste.

»Schon gut«, sagte Mr George und sah mich aus seinen kleinen Ä uglein begü tigend an.»Ich vergaß, dass du... Nehmen wir einfach eine andere Tageszeit. Sagen wir nachmittags gegen drei? «

»Das ist besser«, sagte ich.»Danke, Mr George.«

»Nichts zu danken.«Mr George hob kurz den Blick vom Chronografen und lä chelte mir zu.»Wir verlangen wirklich viel von dir - ich glaube, mir wä re an deiner Stelle auch mulmig zumute, so ganz allein in einem Keller. Zumal du doch ab und an Dinge siehst, die andere nicht sehen...«

»Ja, danke, dass Sie mich daran erinnern«, sagte ich. Xemerius war nicht da, er hä tte sich sicher fü rchterlich ü ber das Wort»Dinge«aufgeregt.»Wie war das noch mit den Grä bern voller Gebeine und Schä del direkt um die Ecke? «

»Oh«, sagte Mr George.»Ich wollte dich nicht noch zusä tzlich ä ngstigen.«

»Keine Sorge«, sagte ich.»Vor den Toten furchte ich mich nicht. Im Gegensatz zu lebendigen Menschen kö nnen sie einem - meiner Erfahrung nach - nichts tun.«Ich sah, dass Mr George eine Augenbraue hochzog, und fü gte schnell hinzu:»Natü rlich sind sie mir trotzdem unheimlich und ich will auf keinen Fall nachts neben Katakomben herumsitzen...«Ich reichte ihm meine Hand, mit der anderen hielt ich die Schultasche fest an mich gedrü ckt.»Nehmen Sie bitte dieses Mal den vierten Finger, der war noch nie dran.«

 

Mein Herz klopfte wie verrü ckt, als ich den Schlü ssel aus seinem Versteck hinter den Ziegeln nahm und den Zettel auseinanderfaltete, den Lucas hineingelegt hatte. Es standen nur lateinische Worte darauf, keine persö nliche Mitteilung. Die Parole des Tages kam mir ungewö hnlich lang vor und ich versuchte gar nicht erst, sie auswendig zu lernen. Ich nahm einen Kugelschreiber aus meinem Mä ppchen und schrieb sie mir auf die Handflä che. Lucas hatte auch einen Plan von den Kellergewö lben gezeichnet. Demnach musste ich mich vor der Tü r rechts halten, dann insgesamt dreimal links abbiegen, bis ich zu der groß en Treppe kam, an der die ersten Wachen stehen wü rden. Die Tü r sprang mü helos auf, als ich den Schlü ssel im Schloss drehte. Ich ü berlegte kurz, entschied aber dann, nicht wieder abzuschließ en, nur fü r den Fall, dass ich es auf dem Rü ckweg eilig haben wü rde. Es roch modrig hier unten und an den Wä nden konnte man deutlich das Alter dieser Gewö lbe erkennen. Die Decke war niedrig und die Gä nge recht eng. Alle paar Meter zweigte ein weiterer Gang ab oder es war eine Tü r in die Wand eingelassen. Ohne meine Taschenlampe und den Plan von Lucas wä re ich vermutlich verloren gewesen, auch wenn ich ein seltsam vertrautes Gefü hl hier unten hatte. Als ich am letzten Gang vor der Treppe links abbog, hö rte ich Stimmen und holte tief Luft.

Jetzt kam es darauf an, die Wachen davon zu ü berzeugen, dass es einen wirklich guten Grund gab, mich durchzulassen. Anders als im 18. Jahrhundert sahen diese beiden hier kein bisschen gefä hrlich aus. Sie saß en am Fuß der Treppe und spielten Karten. Ich trat entschlossen nä her. Als sie mich sahen, fielen dem einen die Karten aus der Hand, der andere sprang auf und suchte hektisch nach seinem Degen, der an der Wand lehnte.

»Guten Tag«, sagte ich mutig.»Lassen Sie sich von mir nicht stö ren.«

»Wie... wie... wie? «, stotterte der erste, wä hrend der zweite den Degen ergriffen hatte und mich unschlü ssig anstarrte.

»Ist ein Degen nicht eine etwas exotische Waffe fü r das 20. Jahrhundert? «, fragte ich verdutzt.»Was machen Sie denn, wenn hier jemand mit einer Handgranate vorbeikommt? Oder einem Maschinengewehr? «

»Hier kommt nicht oft jemand vorbei«, sagte der mit dem Degen und grinste verlegen.»Es ist mehr eine traditionelle Waffe, die...«Er schü ttelte den Kopf, als wolle er sich selber zur Ordnung rufen, dann gab er sich einen Ruck und stellte sich gerade hin.»Parole? «

Ich schaute auf meine Handflä che.»Nam quod in iuventus non discitur, in matura aetate nescitur.«

»Das ist richtig«, sagte der, der immer noch auf der Treppe saß.»Aber woher kommen Sie, wenn ich das fragen darf? «

»Vom Justizpalast«, sagte ich.»Eine super Abkü rzung. Kann ich Ihnen bei Gelegenheit mal zeigen. Aber jetzt habe ich eine sehr wichtige Verabredung mit Lucas Montrose.«

»Montrose? Ich weiß gar nicht, ob der heute im Haus ist«, sagte der mit dem Degen und der andere sagte:»Wir bringen Sie nach oben, Miss, aber vorher mü ssen Sie uns Ihren Namen sagen. Fü rs Protokoll.«

Ich sagte den ersten Namen, der mir in den Sinn kam. Vielleicht etwas zu vorschnell.

»Violet Purpleplum? «, wiederholte der mit dem Degen unglä ubig, wä hrend der andere meine Beine begaffte. Wahrscheinlich ging die Rocklä nge unserer Schuluniform mit der Mode des Jahres 1956 nicht ganz konform. Egal, da musste er jetzt durch.

»Ja«, sagte ich leicht aggressiv, weil ich mich ü ber mich selber ä rgerte.»Kein Grund, so komisch zu grinsen. Nicht jeder kann Smith oder Miller heiß en. Kö nnen wir jetzt? «

Die beiden Mä nner stritten sich kurz, wer von ihnen mich hochbringen durfte, dann gab der mit dem Degen nach und machte es sich wieder auf der Treppe gemü tlich. Auf dem Weg nach oben wollte der andere wissen, ob ich schon mal hier gewesen sei. Ich sagte, aber ja, schon einige Male, und wie schö n der Drachensaal doch sei, nicht wahr, und dass meine halbe Familie Mitglied bei den Wä chtern sei, und da glaubte der Mann sich plö tzlich zu erinnern, mich auf dem letzten Gartenfest gesehen zu haben.

»Sie waren das Mä dchen, das die Limonade ausgeschenkt hat, oder? Zusammen mit Lady Gainsley.«

»Ä h, genau«, sagte ich und da waren wir auch schon mittendrin in einem wunderbaren Plausch ü ber das Gartenfest, die Rosen und lauter Menschen, die ich nicht kannte. (Was mich aber nicht daran hinderte, mich ü ber den komischen Hut von Mrs Lamotte auszulassen und die Tatsache, dass ausgerechnet Mr Mason sich mit einem Bü romä dchen eingelassen hatte, pfui!)

Als wir an den ersten Fenstern vorbeikamen, schaute ich neugierig nach drauß en - es sah alles sehr vertraut aus. Zu wissen, dass die Stadt auß erhalb der ehrwü rdigen Mauern von Temple allerdings einen vollkommen anderen Anblick bieten wü rde als zu meiner Zeit, war irgendwie seltsam. So als mü sste ich auf der Stelle hinausstü rzen und es mir anschauen, um es zu glauben.

Im ersten Stock klopfte der Wä chter an eine Bü rotü r. Ich las den Namen meines Groß vaters auf einem Schild und wurde von einer Welle des Stolzes ü berschwemmt. Ich hatte es tatsä chlich geschafft!

»Eine Miss Purpleplum fü r Mr Montrose«, sagte der Wä chter durch den Tü rspalt.

»Vielen Dank fü rs Bringen«, sagte ich, wä hrend ich mich an ihm vorbei ins Bü ro schob.»Wir sehen uns dann auf dem nä chsten Gartenfest.«

»Ja. Darauf freue ich mich schon«, sagte er, aber da hatte ich die Tü r schon vor seiner Nase geschlossen. Triumphierend drehte ich mich um.»Na, was sagst du jetzt? «

»Miss... ä h... Purpleplum? « Der Mann am Schreibtisch sah mich mit groß en Augen an. Er war eindeutig nicht mein Groß vater. Ich starrte erschrocken zurü ck. Er war sehr jung, eigentlich noch fast ein Junge, und er hatte ein rundes, glattes Gesicht mit hellen, freundlichen Ä uglein, die mir mehr als bekannt vorkamen.

»Mr George? «, fragte ich unglä ubig.

»Kennen wir uns? «Der junge Mr George hatte sich erhoben.

»Ja, natü rlich. Vom letzten Gartenfest«, stotterte ich, wä hrend die Gedanken in meinem Kopf durcheinanderwirbelten.»Ich war diejenige, die Limonade... wo ist denn Gran... Lucas? Hat er nicht gesagt, dass er heute mit mir verabredet ist? «

»Ich bin sein Assistent und noch nicht so lange hier«, stammelte Mr George verlegen.»Aber nein, er hat nichts gesagt. Er mü sste allerdings jeden Augenblick wiederkommen. Mö chten Sie sich so lange setzen, Miss - ä h? «

»Purpleplum! «

»Richtig. Kann ich Ihnen vielleicht einen Kaffee bringen lassen? «Er kam um den Schreibtisch herum und rü ckte mir einen Stuhl zurecht, der mir ziemlich gelegen kam. Meine Beine fü hlten sich ganz wacklig an.»Nein danke. Keinen Kaffee.«

Er betrachtete mich unschlü ssig. Ich starrte sprachlos zurü ck.

»Sind Sie... bei den Pfadfindern? «»Wie bitte? «

»Ich meine nur - wegen der Uniform.«

»Nein.«Ich konnte nicht anders, ich musste Mr George einfach weiter anstarren. Er war es - unverkennbar! Sein fü nfundfü nfzig Jahre ä lteres Ich sah ihm unerhö rt ä hnlich, nur dass es keine Haare mehr hatte, dafü r eine Brille trug und ungefä hr so hoch wie breit war.

Der junge Mr George hingegen hatte jede Menge Haare, die er mit einem ordentlichen Scheitel und viel Pomade gebä ndigt hatte, und war regelrecht schlank. Offensichtlich war es ihm unangenehm, so angestarrt zu werden, denn er errö tete, setzte sich wieder an seinen Platz hinter dem Schreibtisch und blä tterte in irgendwelchen Papieren herum. Ich ü berlegte, was er wohl sagen wü rde, wenn ich seinen Siegelring aus der Tasche nehmen und ihm zeigen wü rde.

Mindestens eine Viertelstunde schwiegen wir so vor uns hin, dann ging die Bü rotü r auf und mein Groß vater trat ein. Als er mich sah, wurden seine Augen fü r einen kleinen Moment kugelrund, bevor er sich wieder in den Griff bekam und sagte:»Ach, schau einer an, mein liebes Cousinchen! «

Ich sprang auf. Seit unserem letzten Treffen war Lucas Montrose eindeutig erwachsen geworden. Er trug einen eleganten Anzug und eine Fliege und er hatte einen Schnurrbart, der ihm nicht besonders gut stand. Der Schnurrbart kitzelte an meiner Wange, als er mich auf beide Wangen kü sste.

»Was fü r eine Freude, Hazel! Wie lange wirst du denn in der Stadt bleiben? Und sind deine lieben Eltern auch mitgekommen? «

»Nein«, stotterte ich. Dass ich ausgerechnet die schreckliche Hazel sein musste!»Die sind zu Hause, bei den Katzen...«

»Das ist ü brigens Thomas George, mein neuer Assistent, Thomas, das ist Hazel Montrose aus Gloucestershire. Ich habe dir doch gesagt, dass sie mich sicher bald mal besuchen kommt.«

»Ich dachte, ihr Name sei Purpleplum! «, sagte Mr George.

»Ja«, sagte ich.»Das ist er auch. Mein zweiter Name. Hazel Violet Montrose Purpleplum - aber wer kann sich das schon merken? «

Lucas sah mich stirnrunzelnd an.»Ich werde jetzt mit Hazel einen kleinen Spaziergang unternehmen«, wandte er sich dann an Mr George.»In Ordnung? Wenn jemand nach mir fragt, sagst du, ich wä re in einem Klientengesprä ch.«

»Ja, Mr Montrose, Sir«, sagte Mr George, um einen gleichgü ltigen Gesichtsausdruck bemü ht.

»Wiedersehen«, sagte ich.

Lucas nahm meinen Arm und zog mich aus dem Zimmer. Beide lä chelten wir angespannt um die Wette. Erst als wir die schwere Haustü r hinter uns zugezogen hatten und drauß en auf der sonnenbeschienenen Gasse standen, sprachen wir wieder.

»Ich will nicht die schreckliche Hazel sein«, sagte ich vorwurfsvoll und sah mich neugierig um. Temple schien sich nicht viel verä ndert zu haben in den fü nfundfü nfzig Jahren, wenn man mal die Autos auß er Acht ließ.»Sehe ich vielleicht aus wie jemand, der Katzen an ihren Schwä nzen ü ber den Kopf wirbelt? «

»Purpleplum! «, sagte Lucas genauso vorwurfsvoll.»Auffä lliger ging es wohl nicht, oder? «Dann packte er mich an beiden Schultern und betrachtete mich.»Lass dich anschauen, Enkeltochter! Du siehst noch genauso aus wie vor acht Jahren.«

»Ja, das war ja auch erst vorgestern«, sagte ich.

»Unglaublich«, sagte Lucas.»Ich habe all die Jahre gedacht, ich hä tte das alles vielleicht nur geträ umt...«

»Gestern bin ich im Jahr 1953 gelandet, aber da war ich nicht allein.«

»Wie viel Zeit haben wir heute? «

»Ich bin um drei Uhr eurer Zeit gelandet, um Punkt halb sieben werde ich wieder zurü ckspringen.«

»Dann haben wir wenigstens ein bisschen Zeit, um zu reden. Komm, um die Ecke ist ein kleines Cafe, da kö nnen wir einen Tee trinken.«Lucas nahm meinen Arm und wir gingen in Richtung Strand.»Du wirst es nicht glauben, aber seit drei Monaten bin ich Vater«, erzä hlte er im Weitergehen.»Ich muss sagen, das ist ein gutes Gefü hl. Und ich glaube, Arista war eine gute Wahl. Claudine Seymore hingegen ist ziemlich aus dem Leim gegangen und auß erdem hebt sie gern mal einen, sagt man. Schon am Vormittag.«Wir liefen durch eine kleine Gasse und traten dann durch den Torbogen hinaus auf die Straß e. Dort blieb ich ü berwä ltigt stehen. Der Verkehr brauste ü ber Strand wie eh und je, aber er bestand aus lauter Oldtimern. Die roten Doppeldeckerbusse sahen aus wie aus einem Museum und machten einen mö rderischen Krach und die meisten Menschen, die auf den Bü rgersteigen entlanggingen, trugen Hü te - Mä nner, Frauen, sogar die Kinder! An der Hauswand schrä g gegenü ber hing ein Filmplakat, das Werbung fü r High Society mit der ü berirdisch schö nen Grace Kelly und dem unglaublich hä sslichen Frank Sinatra machte. Mit aufgesperrtem Mund gaffte ich nach links und rechts und kam kaum vorwä rts. Alles sah aus wie auf einer Nostalgiepostkarte im Retrostyle - nur viel bunter.

Lucas fü hrte mich zu einem hü bschen Eckcafe und bestellte Tee und Scones.»Beim letzten Mal warst du hungrig«, erinnerte er sich.»Sie machen hier auch gute Sandwichs.«

»Nein danke«, sagte ich.»Grandpa, wegen Mr George! Im Jahr 2011 tut er so, als hä tte er mich noch nie gesehen.«

Lucas zuckte mit den Schultern.»Ach, mach dir keine Sorgen wegen dem Jungen. Bis ihr euch wiederseht, sind es noch fü nfundfü nfzig Jahre. Wahrscheinlich wird er dich einfach vergessen.«

»Ja, vielleicht«, sagte ich und schaute irritiert auf die vielen Raucher. Direkt neben uns, vor einem Nierentisch, auf dem ein glä serner Aschenbecher in der Grö ß e eines Totenkopfs stand, saß ein dicker Herr mit einer Zigarre. Die Luft war zum Schneiden dick. Hatten die im Jahr 1956 noch nichts von Lungenkrebs gehö rt?»Hast du mittlerweile herausgefunden, was der grü ne Reiter ist? «

»Nein, aber ich habe etwas viel Wichtigeres herausgefunden. Ich weiß jetzt, warum Lucy und Paul den Chronografen stehlen werden.«Lucas sah sich kurz um und rü ckte seinen Stuhl nä her an meinen.»Nach deinem Besuch sind Lucy und Paul noch einige Male zum Elapsieren gekommen, ohne dass etwas Besonderes passiert wä re. Wir haben zusammen Tee getrunken, ich habe sie franzö sische Verben abgefragt und wir haben uns vier Stunden lang gepflegt gelangweilt. Sie durften das Haus nicht verlassen, das war Vorschrift, und Kenneth de Villiers, die alte Petze, hat dafü r gesorgt, dass wir uns an diese Vorschriften hielten. Einmal habe ich Lucy und Paul nä mlich herausgeschmuggelt, damit sie sich einen Film angucken und ein bisschen umschauen konnten, aber dummerweise hat man uns dabei erwischt. Ach, was sag ich: Kenneth hat uns dabei erwischt. Es gab einen Riesenä rger. Mir wurde eine Disziplinarstrafe auferlegt und fü r ein halbes Jahr stand dann immer ein Wachposten vor der Tü r des Drachensaals, wä hrend Lucy und Paul bei uns waren. Das hat sich erst wieder geä ndert, als ich meinen dritten Adeptengrad erworben habe. Oh, vielen Dank.«Letzteres galt der Kellnerin, die original aussah wie Doris Day in dem Film»Der Mann, der zu viel wusste«. Ihre hellblond gefä rbten Haare waren kurz geschnitten und sie trug ein duftiges Kleid mit weit schwingendem Rock. Mit einem strahlenden Lä cheln stellte sie unsere Bestellung vor uns hin und ich hä tte mich nicht gewundert, wenn sie angefangen hä tte, Que sera, sera zu singen.

Lucas wartete, bis sie auß er Hö rweite war, dann sprach er weiter.»Natü rlich habe ich durch vorsichtiges Nachfragen versucht herauszufinden, was fü r einen Grund sie haben kö nnten, mit dem Chronografen abzuhauen. Fehlanzeige. Ihr einziges Problem war, dass sie schrecklich ineinander verliebt waren. Offensichtlich wurde ihre Verbindung in ihrer Zeit nicht gern gesehen, also hielten sie sie geheim. Nur wenige Menschen wussten davon, ich zum Beispiel, und deine Mutter, Grace.«

»Dann sind sie vielleicht in die Vergangenheit geflohen, nur weil sie nicht zusammen sein durften! Wie Romeo und Julia? «Ach. Wie schrecklich romantisch.

»Nein«, sagte Lucas.»Nein, das war nicht der Grund.«Er rü hrte in seinem Teeglas, wä hrend ich das Kö rbchen voller warmer Scones, die unter einer Stoffserviette lagen und verfü hrerisch dufteten, gierig anstarrte.

»Der Grund dafü r war ich«, fuhr Lucas fort.

»Was? Du? «

»Also, nicht direkt ich. Aber es war meine Schuld. Eines Tages nä mlich bin ich auf die hirnverbrannte Idee gekommen, Lucy und Paul einfach noch ein Stü ck weiter zurü ck in die Vergangenheit zu schicken.«

»Mit dem Chronografen? Aber wie...«

»Herrje, ja, es war hirnverbrannt, das sage ich doch.«Lucas fuhr sich durch sein Haar.»Aber wir waren tä glich an die vier Stunden in diesem verdammten Saal eingeschlossen, zusammen mit dem Chronografen. Und was lag da nä her, als auf solch dumme Gedanken zu kommen? Ich studierte alte Plä ne, die Geheimschriften und die Annalen grü ndlich, dann besorgte ich Kostü me aus dem Fundus und schließ lich lasen wir Lucys und Pauls Blut in den Chronografen ein und ich schickte sie probeweise fü r zwei Stunden ins Jahr 1590. Es klappte vollkommen reibungslos. Als die zwei Stunden um waren, sprangen sie zurü ck zu mir ins Jahr 1948, ohne dass jemand gemerkt hatte, dass sie ü berhaupt weg gewesen waren. Und eine halbe Stunde spä ter sprangen sie von dort zurü ck ins Jahr 1992. Es war perfekt.«

Ich schob mir einen Scone, reich bestrichen mit clotted cream, in den Mund. Ich konnte besser denken, wenn ich kaute. Es gab eine Menge Fragen, die sich mir aufdrä ngten, und ich nahm einfach die erstbeste davon.»Aber 1590 - da gab es die Wä chter doch noch gar nicht? «

»Genau«, sagte Lucas.»Da gab es nicht mal dieses Gebä ude. Und das war unser Glü ck. Oder Pech, wie man's nimmt.«Er nahm einen Schluck Tee. Gegessen hatte er noch nichts und langsam begann ich, mich zu fragen, wie er sich die vielen Kilos anfuttern wollte.»Anhand von alten Plä nen habe ich herausgefunden, dass das Gebä ude mit dem Drachensaal exakt an einer Stelle erbaut wurde, an der sich vom spä ten 16. Jahrhundert bis Ende des 17. Jahrhunderts ein kleiner Platz mit einem Brunnen befand.«

»Ich verstehe nicht ganz...«

»Wart's ab. Diese Entdeckung war wie ein Freifahrtschein fü r uns. Lucy und Paul konnten aus dem Drachensaal auf diesen Platz in die Vergangenheit springen und sie mussten sich lediglich rechtzeitig wieder dort einfinden, dann sprangen sie automatisch zurü ck in den Drachensaal. Kannst du mir noch folgen? «

»Und wenn sie am helllichten Tag auf dem Platz landeten? Wurden sie dann nicht sofort verhaftet und als Hexen verbrannt? «

»Es war ein ruhiger kleiner Platz, meistens wurden sie gar nicht bemerkt. Und wenn doch, dann rieben sich die Leute nur verwundert die Augen und dachten, sie hä tten einen Moment lang nicht aufgepasst. Natü rlich war es trotzdem unglaublich gefä hrlich, aber uns erschien es geradezu genial. Wir freuten uns diebisch darü ber, dass wir auf diese Idee gekommen waren und alle austricksen konnten, und Lucy und Paul hatten unglaublich viel Spaß. Ich auch, selbst wenn ich immer wie auf heiß en Kohlen im Drachensaal auf Lucys und Pauls Rü ckkehr wartete. Nicht auszudenken, wenn jemand hereingekommen wä re...«»Ganz schö n mutig«, sagte ich.

»Ja«, gab Lucas zu und sah ein bisschen schuldbewusst aus.»So was macht man nur, wenn man jung ist. Heute wü rde ich es nicht mehr tun, ganz bestimmt nicht. Aber ich dachte, wenn es wirklich gefä hrlich wä re, dann wü rde mein altes weises Ich aus der Zukunft eingreifen, verstehst du? «

»Welches weise Ich aus der Zukunft? «, fragte ich grinsend.

»Na, ich selber«, rief Lucas und dä mpfte seine Stimme sofort wieder.»Ich werde doch 1992 noch wissen, was ich im Jahr 1948 mit Lucy und Paul ausgeheckt habe, und wä re es schiefgegangen, hä tte ich die beiden sicher vor meinem leichtsinnigen jungen Ich gewarnt... dachte ich.«

»Okay«, sagte ich gedehnt und nahm mir noch einen Scone, sozusagen als Gehirnnahrung.»Aber das hast du nicht getan? «

Lucas schü ttelte den Kopf.»Offensichtlich nicht, ich Idiot. Und so wurden wir immer leichtsinniger. Als Lucy in der Schule Hamlet durchnahm, schickte ich die beiden ins Jahr 1602. An drei Tagen hintereinander konnten sie sich die Originalauffü hrung der Lord Chamberlain's Men im Globe-Theater anschauen.«


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