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London, 14. Mai 1602 13 ñòðàíèöà






»Ach nein? Wie gesagt, ich finde nicht, dass du besonders gut lü gst.«Er leuchtete mit der Taschenlampe zu den Stü hlen hinü ber.»Wenn ich du wä re, hä tte ich den Schlü ssel irgendwo unter ein Polster geschoben.«

Okay. Sollte er doch die Polster durchsuchen. Dann hatte er wenigstens was zu tun, bis wir zurü cksprangen. So lange konnte es jetzt nicht mehr dauern.

»Andererseits...«Gideon schwenkte die Taschenlampe so, dass der Lichtkegel genau auf mein Gesicht zeigte.»Andererseits wä re das eine ziemliche Sisyphusarbeit.«

Ich machte einen Schritt zur Seite und sagte ä rgerlich:»Lass das! «

»Und man sollte ja nicht immer von sich auf andere schließ en«, fuhr Gideon fort. Im flackernden Licht der Glü hbirne wurden seine Augen immer dunkler und plö tzlich machte er mir Angst.»Vielleicht hast du den Schlü ssel einfach in deiner Hosentasche. Gib ihn mir! «Er streckte seine Hand aus.

»Ich habe keinen Schlü ssel, verdammt noch mal.«

Gideon kam langsam auf mich zu.»Ich wü rde ihn mir freiwillig geben, wenn ich du wä re. Aber wie gesagt, man soll ja nicht immer von sich auf andere schließ en.«

In diesem Augenblick gab die Glü hbirne ihren Geist endgü ltig auf.

Gideon stand direkt vor mir, seine Taschenlampe leuchtete irgendwo auf die Wand. Abgesehen von diesem Spotlight war es stockdunkel.»Also? «

»Komm bloß nicht nä her«, sagte ich. Ich machte ein paar Schritte rü ckwä rts, bis mein Rü cken gegen die Wand stieß. Vorgestern noch hatte er mir gar nicht nahe genug sein kö nnen. Aber jetzt kam es mir vor, als wä re ich mit einem Fremden zusammen. Plö tzlich wurde ich furchtbar wü tend.»Was ist nur mit dir los? «, fauchte ich.»Ich habe dir ü berhaupt nichts getan! Ich verstehe nicht, wie du mich an einem Tag kü ssen kannst und am nä chsten hassen. Warum? « Die Trä nen kamen so schnell, dass ich nicht verhindern konnte, dass sie mir die Wangen hinabströ mten. Gut, dass man das im Dunkeln nicht sehen konnte.

»Vielleicht, weil ich nicht gerne belogen werde.«Gideon kam trotz meiner Warnung auf mich zu und diesmal konnte ich nicht weiter zurü ckweichen.»Besonders ungern von Mä dchen, die sich mir an einem Tag an den Hals werfen und mich am nä chsten zusammenschlagen lassen.«

»Was redest du denn da? «

»Ich habe dich gesehen, Gwendolyn.«

»Wie bitte? Wo hast du mich gesehen? «

»Bei meinem Zeitsprung gestern Morgen. Ich hatte einen kleinen Auftrag zu erledigen, aber ich bin nur ein paar Meter weit gekommen, da hast du plö tzlich im Weg gestanden - wie eine Fata Morgana. Du hast mich angeschaut und gelä chelt, als wü rdest du dich freuen, mich zu sehen. Dann hast du dich auf dem Absatz umgedreht und bist um die nä chste Ecke verschwunden.«

»Wann soll das gewesen sein? «Ich war so verwirrt, dass ich fü r ein paar Sekunden aufhö rte zu weinen.

Gideon ignorierte meinen Einwurf.»Als ich eine Sekunde spä ter um eben diese Ecke bog, bekam ich einen Schlag vor den Kopf und war leider nicht mehr in der Lage, mit dir ein klä rendes Gesprä ch zu fü hren.«

»Ich soll dir... diese Wunde ist von mir? « Die Trä nen begannen wieder zu fließ en.

»Nein«, sagte Gideon.»Das glaube ich nicht. Du hattest nichts in der Hand, als ich dich gesehen habe, auß erdem bezweifle ich, dass du so hart zuschlagen kö nntest. Nein - du hast mich nur um die Ecke gelockt, weil dort jemand auf mich wartete.«

Ausgeschlossen. Ganz und gar ausgeschlossen.

»So etwas wü rde ich nie tun«, brachte ich schließ lich einigermaß en deutlich heraus.»Niemals! «

»Ich war auch ein wenig schockiert«, sagte Gideon leichthin.»Wo ich doch dachte, wir wä ren... Freunde. Aber als du dann gestern Abend vom Elapsieren zurü ckkamst und nach Zigarren gerochen hast, kam mir der Gedanke, du kö nntest mich schon die ganze Zeit anlü gen. Gib mir jetzt den Schlü ssel! «

Ich wischte mir die Trä nen von den Wangen. Leider flö ssen unaufhö rlich neue nach. Nur mit Mü he konnte ich ein Aufschluchzen unterdrü cken und dafü r hasste ich mich nur noch mehr.»Wenn das wirklich stimmt, warum hast du dann allen gesagt, du hä ttest nicht gesehen, wer dich niedergeschlagen hat? «

»Weil es die Wahrheit ist. Ich habe nicht gesehen, wer es war.«

»Aber du hast auch nichts von mir gesagt. Warum nicht? «

»Weil ich Mr George schon lä nger... Weinst du etwa? « Die Taschenlampe leuchtete mir ins Gesicht und ich musste geblendet die Augen schließ en. Wahrscheinlich sah ich aus wie ein Streifenhö rnchen. Warum hatte ich auch Wimperntusche aufgetragen?

»Gwendolyn...«Gideon knipste die Taschenlampe aus.

Was kam denn jetzt? Eine Leibesvisitation im Dunkeln?

»Geh weg«, sagte ich schluchzend.»Ich habe keinen Schlü ssel bei mir, das schwö re ich. Und wen immer du gesehen hast, ich kann das nicht gewesen sein. Ich wü rde niemals, niemals zulassen, dass dich jemand verletzt.«

Obwohl ich nichts sehen konnte, spü rte ich, dass Gideon direkt vor mir stand. Seine Kö rperwä rme war wie ein Heizstrahler in der Dunkelheit. Als seine Hand meine Wange berü hrte, zuckte ich zusammen. Schnell zog er seine Hand wieder zurü ck.

»Es tut mir leid«, hö rte ich ihn flü stern.»Gwen, ich...«Plö tzlich klang er hilflos, aber ich war viel zu verstö rt, um darü ber Genugtuung zu empfinden.

Ich weiß nicht, wie viel Zeit verstrich, wä hrend wir einfach nur dastanden. Mir liefen noch immer die Trä nen herunter. Was er tat - ich konnte es nicht sehen.

Irgendwann knipste er die Taschenlampe wieder an, rä usperte sich und leuchtete dann auf seine Armbanduhr.»Noch drei Minuten, dann springen wir zurü ck«, sagte er in sachlichem Ton.»Du solltest aus der Ecke herauskommen, sonst landest du auf der Truhe.«Er ging zum Sofa zurü ck und hob die Polster wieder auf, die er auf den Boden geworfen hatte.

»Weiß t du, von allen Wä chtern erschien mir Mr George immer einer der loyalsten zu sein. Einer, dem man auf jeden Fall trauen kann.«

»Aber Mr George hat damit wirklich nicht das Geringste zu tun«, sagte ich, wä hrend ich zö gernd aus meiner Ecke herauskam.»Es war ganz anders.«Mit dem Handrü cken wischte ich mir die Trä nen vom Gesicht. Besser, ich erzä hlte ihm die Wahrheit, damit er wenigstens nicht den armen Mr George der Illoyalitä t verdä chtigen konnte.»Als ich das erste Mal allein zum Elapsieren geschickt wurde, habe ich meinen Groß vater zufä llig hier getroffen.«Okay, vielleicht nicht ganz die Wahrheit.»Er war auf der Suche nach dem Wein... ist ja jetzt auch egal. Es war eine merkwü rdige Begegnung, vor allem, als wir begriffen hatten, wer wir waren. Er hat den Schlü ssel und die Parole fü r meinen nä chsten Besuch in diesem Raum versteckt, damit wir uns noch mal unterhalten konnten. Und deshalb bin ich gestern, beziehungsweise 1956, als Violet Purpleplum hier zu Besuch gewesen. Um meinen Groß vater zu treffen! Er ist seit ein paar Jahren tot und ich vermisse ihn sehr. Hä ttest du nicht das Gleiche getan, wenn du gekonnt hä ttest? Noch einmal mit ihm zu reden, war so...«Ich verstummte wieder.

Gideon schwieg. Ich starrte auf seine Silhouette und wartete.

»Und Mr George? Er war damals schon der Assistent deines Groß vaters«, sagte er schließ lich.

»Ich habe ihn tatsä chlich kurz gesehen, mein Groß vater hat ihm erzä hlt, ich sei seine Cousine Hazel. Er hat das sicher lä ngst vergessen - fü r ihn war das eine unwichtige Begegnung, die geschlagene fü nfundfü nfzig Jahre her ist.«Ich legte die Hand auf meinen Magen.»Ich glaube...«

»Ja«, sagte Gideon. Er streckte die Hand aus, besann sich dann aber offenbar anders.»Es geht gleich los«, sagte er nur lahm.»Komm noch ein paar Schritte hier rü ber.«

Der Raum begann sich um mich drehen, dann blinzelte ich leicht schwankend ins helle Licht und Mr Whitman sagte:»Da seid ihr ja.«

Gideon legte seine Taschenlampe auf den Tisch und warf mir einen kurzen Blick zu. Vielleicht bildete ich es mir nur ein, aber diesmal lag so etwas wie Mitgefü hl darin. Ich wischte mir noch einmal verstohlen ü bers Gesicht, aber Mr Whitman sah trotzdem, dass ich geweint hatte. Auß er ihm war niemand hier. Xemerius war es sicher zu langweilig geworden.

»Was ist denn los, Gwendolyn? «, fragte Mr Whitman in seinem einfü hlsamsten Vertrauenslehrerton.»Ist etwas passiert? «Wenn ich ihn nicht besser gekannt hä tte, wä re ich vermutlich versucht gewesen, wieder in Trä nen auszubrechen und ihm mein Herz auszuschü tten. (»Der bö -hö se Gideon hat mich geä -hä rgert! «) Aber dazu kannte ich ihn viel zu gut. Den gleichen Ton hatte er letzte Woche auch angeschlagen, als er uns gefragt hatte, wer die Karikatur von Mrs Counter an die Tafel gemalt hatte.»Ich finde ja, der Kü nstler hat wirklich Talent«, hatte er gesagt und dabei amü siert gelä chelt. Prompt hatte Cynthia (natü rlich!) verraten, dass es Peggy gewesen war, und Mr Whitman hatte zu lä cheln aufgehö rt und Peggy einen Eintrag ins Klassenbuch verpasst.»Das mit dem Talent war ü brigens nicht gelogen. Dein Talent, dich in Schwierigkeiten zu bringen, ist bemerkenswert«, hatte er noch gesagt.

»Hm? «, machte er jetzt und lä chelte vertrauenswü rdig und mitfü hlend. Aber ich wü rde bestimmt nicht darauf reinfallen.

»Eine Ratte«, murmelte ich.»Sie haben gesagt, es gä be keine... Und dann ist die Glü hbirne kaputtgegangen und Sie haben mir keine Taschenlampe mitgegeben. Ich war ganz allein im Dunkeln mit dieser fiesen Ratte.«Beinahe hä tte ich noch»Das sage ich meiner Mummy«hinzugefü gt, aber ich verkniff es mir gerade noch einmal.

Mr Whitman sah ein bisschen betroffen aus.»Das tut mir leid«, sagte er.»Beim nä chsten Mal denken wir daran.«Dann schlug er wieder seinen ü berlegenen Lehrerton an.»Du wirst jetzt nach Hause gebracht. Ich empfehle dir, frü h ins Bett zu gehen, morgen wird ein anstrengender Tag fü r dich.«

»Ich bringe sie zu ihrem Wagen«, sagte Gideon, wä hrend er sich das schwarze Tuch vom Tisch nahm, mit dem man mir immer die Augen verband.»Wo ist Mr George? «

»Er ist in einer Besprechung«, erwiderte Mr Whitman mit einem Stirnrunzeln.»Gideon, ich finde, du solltest deinen Umgangston noch einmal ü berdenken. Wir lassen dir viel durchgehen, weil wir wissen, dass du es im Augenblick nicht leicht hast, aber du solltest etwas mehr Respekt vor den Mitgliedern des Inneren Kreises zeigen.«

Gideons Miene zeigte keinerlei Regung. Aber er sagte hö flich.»Sie haben recht, Mr Whitman. Es tut mir leid.«Er hielt mir seine Hand hin.»Kommst du? «

Beinahe hä tte ich nach seiner Hand gegriffen, aus reinem Reflex. Und dass ich es nicht tun konnte, ohne vollends mein Gesicht zu verlieren, versetzte mir einen Stich. Ich war kurz davor, erneut in Trä nen auszubrechen.

»Ä h, Wiedersehen«, sagte ich zu Mr Whitman und starrte dabei angestrengt auf den Boden.

Gideon ö ffnete die Tü r.

»Bis morgen«, sagte Mr Whitman.»Und denkt beide daran: Ausreichend Schlaf ist die beste Vorbereitung.«Die Tü r fiel hinter uns ins Schloss.

»Soso, du warst also ganz allein mit einer fiesen Ratte im dunklen Keller«, sagte Gideon und grinste mich an.

Ich konnte es kaum fassen. Zwei Tage lang hatte er mir nur kalte Blicke zugeworfen, die letzten Stunden sogar einige, die mich fast genauso wie die armen Tiere in den Kriegswintern zu einem steifen Brett hatten gefrieren lassen. Und jetzt das? Ein Scherz, als sei alles wie immer? Vielleicht war er ja ein Sadist und konnte erst dann lä cheln, wenn er mich so richtig fertiggemacht hatte?

»Willst du mir nicht die Augen verbinden? «Ich war noch nicht wieder in der Stimmung fü r seine blö den Witze, das sollte er ruhig merken.

Gideon zuckte mit den Schultern.»Ich nehme an, du kennst den Weg. Das mit dem Augenverbinden kö nnen wir uns deshalb schenken. Komm.«Wieder ein freundliches Grinsen.

Zum ersten Mal sah ich die Kellergä nge in unserer Zeit. Sie waren sauber verputzt, in die Wä nde eingelassene Lichter, zum Teil mit Bewegungsmeldern, leuchteten den ganzen Weg perfekt aus.

»Nicht besonders beeindruckend, oder? «, sagte Gideon.»Alle Gä nge, die nach drauß en fü hren, sind mit Spezialtü ren und Alarmanlagen gesichert, heutzutage ist es hier so sicher wie in einem Banksafe. Aber das alles entstand erst in den Siebzigerjahren, vorher konnte man von hier aus unterirdisch durch halb London spazieren.«

»Interessiert mich nicht«, sagte ich mü rrisch.

»Worü ber mö chtest du denn reden? «

»Ü ber nichts.«Wie konnte er nur so tun, als wä re gar nichts geschehen? Sein blö des Grinsen und dieser Small-Talk-Ton machten mich erst richtig wü tend. Ich ging schneller, und obwohl ich dabei die Lippen fest aufeinanderpresste, konnte ich nicht verhindern, dass die Worte aus mir herausplatzten.»Ich kann das nicht, Gideon! Ich komm nicht damit klar, dass du mich immer abwechselnd kü sst und dann wieder behandelst, als wü rdest du mich zutiefst verabscheuen.«

Gideon schwieg einen Moment lang.»Ich wü rde dich auch lieber die ganze Zeit kü ssen, als dich zu verabscheuen«, sagte er dann.»Aber du machst es einem irgendwie auch nicht leicht.«

»Ich habe dir nichts getan«, sagte ich.

Er blieb stehen.»Ach komm schon, Gwendolyn! Du denkst doch nicht ernsthaft, dass ich dir die Story mit deinem Groß vater abnehme? Als ob der ausgerechnet zufä llig in dem Raum auftaucht, in den du elapsierst! Genauso wenig, wie Lucy und Paul zufä llig bei Lady Tilney aufgetaucht sind. Oder diese Mä nner im Hyde Park.«

»Ja, genau, ich habe die hö chstpersö nlich dahin bestellt, weil ich immer schon mal jemanden mit einem Degen durchbohren wollte. Nicht zu vergessen, einen Mann zu Gesicht bekommen wollte, dem das halbe Gesicht fehlt! «, fauchte ich.

»Was und warum du in der Zukunft tun...«

»Ach, halt den Mund! «, rief ich aufgebracht.»Ich habe das alles so satt! Seit letztem Montag lebe ich wie in einem Albtraum, der nicht mehr enden will. Wenn ich denke, ich bin aufgewacht, merke ich, dass ich immer noch trä ume. In meinem Kopf sind Millionen von Fragen, auf die mir niemand eine Antwort gibt, und alle erwarten, dass ich mein Bestes gebe, fü r etwas, das ich ü berhaupt nicht verstehe! «Ich hatte mich wieder in Bewegung gesetzt, rannte beinahe, aber Gideon hielt mü helos Schritt. An der Treppe stand niemand, um nach der Parole zu fragen. Warum auch, wenn alle Eingä nge gesichert waren wie in Fort Knox? Ich nahm immer zwei Stufen auf einmal.»Keiner hat mich gefragt, ob ich das hier ü berhaupt will. Ich muss mich mit durchgeknallten Tanzlehrern herumschlagen, die mich ununterbrochen beschimpfen, meine liebe Cousine darf mir zeigen, was sie alles kann, aber ich niemals lernen werde, und du... du...«

Gideon schü ttelte den Kopf.»Hey, kannst du dich einmal in meine Lage versetzen? «Jetzt war es auch um seine Ruhe geschehen.»Mir geht es nä mlich ä hnlich! Oder wie wü rdest du dich verhalten, wenn du genau wü sstest, dass ich frü her oder spä ter dafü r sorgen wü rde, dass dir jemand eine Keule vor den Kopf donnert? Ich glaube kaum, dass du mich unter diesen Umstä nden noch fü r liebenswert und unschuldig halten wü rdest, oder? «

»Das tue ich sowieso nicht! «, sagte ich heftig.»Weiß t du, was? Mittlerweile kö nnte ich mir durchaus vorstellen, dass ich dir selber gern diese Keule vor den Kopf donnern wü rde.«

»Na bitte«, sagte Gideon und grinste wieder.

Ich schnaubte nur wü tend. Wir liefen an Madame Rossinis Atelier vorbei. Unter der Tü r fiel Licht in den Korridor. Wahrscheinlich arbeitete sie noch an unseren Kostü men.

Gideon rä usperte sich.»Wie gesagt, es tut mir leid. Kö nnen wir jetzt wieder normal miteinander reden? «

Normal! Dass ich nicht lachte.

»Und - was machst du heute Abend noch? «, fragte er in seinem besten freundlich-unverfä nglichem Plauderton.

»Ich werde natü rlich fleiß ig Menuett-Tanzen ü ben und vor dem Einschlafen noch Sä tze ohne die Wö rter Staubsauger, Pulsuhr, Jogging und Herztransplantation bilden«, erwiderte ich bissig.»Und du? «

Gideon sah auf seine Uhr.»Ich werde Charlotte und meinen Bruder treffen und... ja, mal schauen. Wir haben schließ lich Samstagabend.«

Ja, natü rlich. Sollten die doch so viel schauen, wie sie wollten, mir reichte es.

»Danke fü rs Hochbringen«, sagte ich so kü hl ich konnte.»Von hier aus finde ich den Wagen allein.«

»Es liegt sowieso auf meinem Weg«, sagte Gideon.»Und du kannst ruhig aufhö ren zu rennen. Ich soll ü bermä ß ige Anstrengungen vermeiden. Anweisung von Dr. White.«

Und obwohl ich so sauer auf ihn war, bekam ich fü r einen Moment so etwas wie ein schlechtes Gewissen. Ich sah ihn von der Seite aus an.»Aber wenn dir an der nä chsten Ecke jemand was gegen den Kopf haut, sag nicht, ich hä tte dich dorthin gelockt.«

Gideon lä chelte. »Noch wü rdest du so was nicht tun.«

Niemals wü rde ich so etwas tun, schoss es mir durch den Kopf. Ganz egal, wie ekelhaft er sich mir gegenü ber benahm. Niemals wü rde ich zulassen, dass ihm jemand wehtat. Wen auch immer er gesehen hatte - ich konnte es auf keinen Fall gewesen sein.

Der Torbogen vor uns wurde vom Blitz eines Fotoapparates erhellt. Obwohl es schon dunkel war, waren immer noch viele Touristen in Temple unterwegs. Auf dem Parkplatz dahinter stand die schwarze Limousine, die ich schon kannte. Als er uns nä her kommen sah, stieg der Fahrer aus und ö ffnete mir die Tü r. Gideon wartete, bis ich im Wagen war, dann beugte er sich zu mir hinunter.»Gwendolyn? «

»Ja? «Es war zu dunkel, um sein Gesicht genau zu erkennen.

»Ich wü nschte, du wü rdest mir mehr vertrauen.«Das klang so ernst und ehrlich, dass es mir fü r eine Sekunde die Sprache verschlug.

»Ich wü nschte, das kö nnte ich«, sagte ich dann. Erst als Gideon die Tü r zugeschlagen und das Auto sich in Bewegung gesetzt hatte, fiel mir ein, dass ich besser»Ich wü nsche mir das Gleiche von dir«gesagt hä tte.

 

Madame Rossinis Augen leuchteten vor Begeisterung. Sie nahm meine Hand und fü hrte mich vor den groß en Wandspiegel, damit ich das Ergebnis ihrer Bemü hungen begutachten konnte. Auf den ersten Blick erkannte ich mich kaum wieder. Das lag vor allem an den normalerweise glatten Haaren, die zu unzä hligen Locken gedreht und auf dem Kopf zu einer gigantischen Hochfrisur gesteckt worden waren, ä hnlich der, die meine Cousine Janet bei ihrer Hochzeit getragen hatte. Einzelne Strä hnen fielen in Korkerzieherlö ckchen auf meine nackten Schultern. Der dunkelrote Farbton des Kleides ließ mich noch blasser wirken, als ich ohnehin schon war, aber ich sah nicht krank aus, sondern strahlend. Madame Rossini hatte nä mlich meine Nase und die Stirn dezent abgepudert und mir ein bisschen Rouge auf die Wangen gepinselt, und obwohl es gestern noch spä t geworden war, hatte ich dank ihrer Schminkkü nste keine Schatten mehr unter den Augen.

»Wie Schneewittchen«, sagte Madame Rossini und tupfte sich ganz gerü hrt mit einem Stoffrest gegen die feuchten Augen.»Rot wie Blut, weiß wie Schnee, schwarz wie Ebenholz. Sie werden mit mir schimpfen, weil du auffallen wirst wie ein bunter Hund. Zeig mir deine Fingernä gel, ja, tres bien, schö n sauber und kurz. Und jetzt schü ttle mal den Kopf. Nein, ruhig stä rker, diese Frisur muss den ganzen Abend halten.«

»Fü hlt sich ein bisschen an, als hä tte ich einen Hut auf«, sagte ich.

»Daran gewö hnst du dich«, erwiderte Madame Rossini, wä hrend sie die Haare mit noch mehr Spray fixierte. Zusä tzlich zu den geschä tzten elf Pfund Haarnadeln, die das Lockengebirge auf dem Kopf zusammenhielten, gab es noch welche, die nur der Zierde dienten, sie waren mit den gleichen Rosen besetzt, die auch den Ausschnitt des Kleides sä umten. Allerliebst!»So, fertig, Schwanenhä lschen. Soll ich wieder Fotos machen? «

»Oh bitte! «Ich sah mich nach meiner Tasche mit dem Handy um.»Leslie wü rde mich umbringen, wenn ich diesen Augenblick nicht festhalten wü rde.«

»Ich wü rde gern welche von euch beiden machen«, sagte Madame Rossini, nachdem sie mich ungefä hr zehnmal von allen Seiten abgelichtet hatte.»Von dir und dem ungezogenen Jungen. Damit man sehen kann, wie perfekt und dennoch absolut dezent die Garderobe aufeinander abgestimmt ist. Aber Giordano kü mmert sich um Gideon, ich habe mich geweigert, mich noch einmal ü ber die Notwendigkeit von gemusterten Strü mpfen zu streiten. Was zu viel ist, ist zu viel.«

»Diese Strü mpfe hier sind gar nicht so schlecht«, sagte ich.

»Das liegt daran, dass sie zwar so aussehen wie die Strü mpfe der damaligen Zeit, aber dank Elastan viel bequemer sind«, sagte Madame Rossini.»Frü her hat einem so ein Strumpfband wahrscheinlich den halben Oberschenkel abgeschnü rt, deins hingegen ist nur zur Zierde da. Natü rlich hoffe ich nicht, dass jemand einen Blick unter deinen Rock wirft - aber falls doch, kann sich niemand beschweren, n'est ce pas? «Sie klatschte in die Hä nde.»Bien, ich rufe jetzt oben an und sage, dass du fertig bist.«

Wä hrend sie telefonierte, stellte ich mich wieder vor den Spiegel. Ich war aufgeregt. Gideon hatte ich seit heute Morgen energisch aus meinen Gedanken verbannt und es war mir einigermaß en gelungen, aber nur zu dem Preis, dass ich nun stä ndig an den Grafen von Saint Germain denken musste. Zu der Angst vor einer neuerlichen Begegnung mit dem Grafen mischte sich auch eine unerklä rliche Vorfreude auf die Soiree, die mir selber ein bisschen unheimlich war.

Mum hatte erlaubt, dass Leslie in der vergangenen Nacht bei uns schlief, und deshalb war es noch ein netter Abend geworden, irgendwie. Mit Leslie und Xemerius die Geschehnisse ganz genau zu analysieren, hatte mir gutgetan. Vielleicht hatten sie es ja nur gesagt, um mich aufzumuntern, aber sowohl Leslie als auch Xemerius waren der Meinung, dass es noch keinen Grund fü r mich gebe, mich wegen unerfü llter Liebe von der Brü cke zu stü rzen. Sie behaupteten alle beide, Gideon habe angesichts der Umstä nde durchaus berechtigte Grü nde fü r sein Verhalten gehabt, und Leslie meinte, im Zuge der Gleichberechtigung der Geschlechter solle man auch Jungs mal Phasen schlechter Laune zubilligen, und sie spü re ganz genau, dass er tief in seinem Inneren ein wirklich lieber Kerl sei.

»Du kennst ihn gar nicht! «Ich hatte den Kopf geschü ttelt.»Das sagst du nur, weil du weiß t, dass ich das hö ren will! «

»Ja und weil ich auch will, dass es die Wahrheit ist«, hatte Leslie gesagt.»Wenn er sich am Ende als Arschloch entpuppen sollte, werde ich ihn hö chstpersö nlich aufsuchen und ihm eine reinhauen! Versprochen.«

Xemerius war erst spä t nach Hause gekommen, vorher nä mlich hatte er auf meine Bitte hin Charlotte, Raphael und Gideon beschattet.

Im Gegensatz zu ihm fanden Leslie und ich es kein bisschen langweilig zu hö ren, wie Raphael so war.

»Wenn ihr mich fragt, sieht der Kleine ein bisschen zu gut aus«, hatte Xemerius genö rgelt.»Und das weiß er auch genau.«

»Womit er bei Charlotte an der richtigen Adresse wä re«, sagte Leslie zufrieden.»Unsere Eisprinzessin hat bisher noch jedem die Lebensfreude geraubt.«

Wir hatten uns auf meine breite Fensterbank gehockt, wä hrend Xemerius auf dem Tisch Platz nahm, seinen Schwanz ordentlich um sich herumlegte und seinen Bericht begann.

Charlotte und Raphael waren zuerst Eis essen gewesen, dann ins Kino gegangen und schließ lich hatten sie sich bei einem Italiener mit Gideon getroffen. Leslie und ich hatten alles ganz ganz genau wissen wollen, vom Titel des Films ü ber den Belag der Pizzas bis zum allerletzten gesprochenen Wort. Laut Xemerius hatten Charlotte und Raphael tatsä chlich immer hartnä ckig aneinander vorbeigeredet. Wä hrend Raphael gern ü ber die Unterschiede zwischen englischen und franzö sischen Mä dchen und ihr Sexualverhalten diskutiert hä tte, sei Charlotte immer wieder auf die Literaturnobelpreisträ ger der letzten zehn Jahre zurü ckgekommen, was dazu gefü hrt habe, dass Raphael sich zusehends gelangweilt und vor allem auffä llig damit beschä ftigt habe, anderen Mä dchen hinterherzublicken. Und im Kino habe Raphael (zu Xemerius' groß er Verwunderung) keinerlei Anstalten gemacht, Charlotte irgendwie zu begrapschen, im Gegenteil, nach ungefä hr zehn Minuten sei er tief und fest eingeschlafen. Leslie meinte, das sei das Sympathischste, das sie seit Langem gehö rt habe, und ich war ganz ihrer Ansicht. Dann wollten wir natü rlich unbedingt wissen, ob Gideon, Charlotte und Raphael beim Italiener auch ü ber mich gesprochen hä tten, und Xemerius hatte uns (etwas widerwillig) folgenden empö renden Dialog wiedergegeben (den ich fü r Leslie sozusagen simultan ü bersetzte):

Charlotte: Giordano ist sehr besorgt, dass Gwendolyn morgen alles falsch machen wird, was sie falsch machen kann.

Gideon: Kannst du mir bitte mal das Olivenö l reichen?

Charlotte: Politik und Geschichte sind fü r Gwendolyn einfach Geheimnisse mit sieben Siegeln und Namen kann sie sich auch nicht merken - das geht zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Sie kann nichts dafü r, ihr Gehirn hat einfach nicht genü gend Aufnahmekapazitä t. Es ist zugestopft mit den Namen von Boygroupmitgliedern und elend langen Besetzungslisten von kitschigen Liebesfilmen.

Raphael: Gwendolyn ist deine Zeitreise-Cousine, oder? Ich habe sie gestern in der Schule gesehen. Es ist doch die mit den langen dunklen Haaren und den blauen Augen, oder?

Charlotte: Ja und mit diesem Muttermal an der Schlä fe, das aussieht wie eine Banane.

Gideon: Wie ein kleiner Halbmond.

Raphael: Wie heiß t noch mal die Freundin? Die Blonde mit den Sommersprossen? Lilly?

Charlotte: Leslie Hay. Etwas mehr Gehirnkapazitä t als Gwendolyn, dafü r ist sie ein gutes Beispiel dafü r, dass Halter ihren Hunden ä hnlich sehen. Ihrer ist ein zotteliger Golden-Retriever-Mischling. Er heiß t Bertie.

Raphael: Ach wie sü ß!

Charlotte: Du magst Hunde?

Raphael: Vor allem Golden-Retriever-Mischlinge mit Sommersprossen.

Charlotte: Verstehe! Na, du kannst ja mal dein Glü ck versuchen. Besonders schwer wirst du es nicht haben. Leslie hat einen noch grö ß eren Verschleiß an Jungs als Gwendolyn.

Gideon: Tatsä chlich? Wie viele... ä h... Freunde hatte Gwendolyn denn schon?

Charlotte: Ach Gott. Puh. Das ist mir jetzt irgendwie peinlich. Ich will nichts Schlechtes ü ber sie sagen, es ist nur so, dass sie da ziemlich wahllos ist, vor allem, wenn sie was getrunken hat. In unserer Klasse hat sie so ungefä hr alle einmal durch und bei den Jungs aus den Klassen ü ber uns... Tja, ich habe irgendwann den Ü berblick verloren. Den Spitznamen, den sie ihr gegeben haben, will ich lieber auch nicht wiederholen.

Raphael: Schulmatratze?

Gideon: Kannst du mir bitte mal das Salz reichen?

Als Xemerius an dieser Stelle seiner Erzä hlung angelangt war, hatte ich sofort aufspringen, zu Charlotte hinunterlaufen und sie erwü rgen wollen, aber Leslie hatte mich festgehalten und gemeint, Rache solle man immer kalt genieß en. Mein Argument, meine Motivation sei nicht Rache, sondern pure Mordlust, hatte sie nicht gelten lassen. Auß erdem hatte sie gesagt, wenn Gideon und Raphael nur ein Viertel so klug wie gut aussehend seien, wü rden sie Charlotte ohnehin kein Wort glauben.

»Ich finde, Leslie sieht wirklich ein bisschen aus wie ein Golden Retriever«, hatte Xemerius gesagt und unter meinem vorwurfsvollen Blick schnell hinzugefugt:»Ich mag Hunde, das weiß t du doch! Es sind so kluge Tiere.«

Ja, Leslie war wirklich klug. Sie hatte nä mlich unterdessen dem Grü nen-Reiter-Buch sein Geheimnis entlockt. Allerdings war das mü hsam abgezä hlte Ergebnis ein bisschen enttä uschend. Es war lediglich ein weiterer Zahlencode mit zwei Buchstaben und dazu noch komischen Strichen drin.

Einundfü nfzig null drei null vier eins Punkt sieben acht n Komma null null null acht vier neun Punkt neun eins o.

Es war schon fast Mitternacht, als wir uns quer durch das Haus in die Bibliothek geschlichen hatten, das heiß t, nur Leslie und ich schlichen, Xemerius war vorausgeflogen.


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