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London, 14. Mai 1602 12 ñòðàíèöà






»Ja, reib mir meine Nutzlosigkeit nur unter die Nase«, sagte Xemerius gekrä nkt.»Ich habe ja nur sieben Jahrhunderte gebraucht, um mich damit abzufinden, nicht einmal mehr eine Buchseite umblä ttern zu kö nnen.«

Es klopfte an meine Zimmertü r und Caroline steckte ihren Kopf zu uns herein.»Lunch ist fertig! Gwenny, du und Charlotte werdet in einer Stunde abgeholt.«

Ich stö hnte.»Charlotte auch? «

»Ja, hat Tante Glenda gesagt. Die arme Charlotte wird als Lehrerin fü r hoffnungslose Talente missbraucht oder so ä hnlich.«

»Ich habe keinen Hunger«, sagte ich.

»Wir sind gleich da«, sagte Leslie und gab mir einen Stoß in die Rippen.»Gwenny, jetzt komm schon. Du kannst dich spä ter noch in Selbstmitleid suhlen. Jetzt brauchst du was zu essen! «

Ich setzte mich auf und schniefte in mein Taschentuch.»Ich habe jetzt nicht den Nerv, mir Tante Glendas hä mische Bemerkungen anzuhö ren.«

»Tja, aber Nervenstä rke wirst du brauchen, wenn du die nä chste Zeit ü berleben willst.«Leslie zog mich auf die Beine.»Charlotte und deine Tante sind schon mal eine gute Ü bung fü r den Ernstfall. Wenn du den Lunch ü berlebst, schaffst du diese Soiree mit links.«

»Und wenn nicht, kannst du immer noch Harakiri machen«, sagte Xemerius.

 

Madame Rossini zog mich zur Begrü ß ung an ihren ausladenden Busen.»Mein Schwanenhä lschen! Da bist du endlich. Du hast mir gefehlt! «»Sie mir auch«, sagte ich ehrlich. Schon die bloß e Gegenwart von Madame Rossini mit ihrer ü berschä umenden Herzlichkeit und ihrem wunderbaren franzö sischen Akzent (Schwanen'ä lschen). Wenn Gideon das nur hö ren kö nnte!) wirkte belebend und beruhigend gleichzeitig. Sie war Balsam fü r mein angeschlagenes Selbstwertgefü hl.

»Du wirst entzü ckt sein, wenn du siehst, was ich dir genä ht habe. Giordano hat beinahe geweint, als ich ihm deine Kleider gezeigt habe, so schö n sind sie.«

»Das glaube ich«, sagte ich. Giordano hatte sicher geweint, weil er die Kleider nicht selber anziehen durfte. Immerhin war er heute einigermaß en freundlich geblieben, nicht zuletzt, weil ich das mit dem Tanzen dieses Mal ganz gut hinbekommen hatte und dank Xemerius' Souffleurtä tigkeit auch genau gewusst hatte, welcher Lord Anhä nger der Tories und welcher Anhä nger der Whigs war. (Xemerius hatte einfach von hinten ü ber Charlottes Schulter auf ihren Zettel geschaut.) Meine eigene Legende - Penelope Mary Gray, geboren 1765 - konnte ich ebenfalls dank Xemerius fehlerfrei herunterrasseln, inklusive sä mtlicher Vornamen meiner verstorbenen Eltern. Nur mit dem Fä cher stellte ich mich nach wie vor ungeschickt an, aber Charlotte hatte den konstruktiven Vorschlag gemacht, dass ich einfach gar keinen benutzen sollte.

Am Schluss der Unterrichtsstunde hatte Giordano mir noch eine Liste ü berreicht, mit lauter Worten darauf, die ich unter gar keinen Umstä nden benutzen durfte.»Bis morgen auswendig lernen und verinnerlichen! «, hatte er genä selt.»Im 18. Jahrhundert gibt es keine Busse, keine Nachrichtensprecher, keine Staubsauger, nichts ist super, klasse oder cool, man wusste nichts von Atomspaltung, collagenhaltigen Pflegecremes oder Ozonlö chern.«

Ach, tatsä chlich? Wä hrend ich mir vorzustellen versuchte, warum zur Hö lle ich auf einer Soiree im 18. Jahrhundert in Versuchung geraten sollte, einen Satz zu bilden, in dem die Worte Nachrichtensprecher, Ozonloch und collagenhaltige Pflegecreme vorkommen wü rden, hatte ich hö flich»Okay«gesagt, aber da hatte Giordano schon aufgekreischt:»Neiiiin! Eben nicht okay! Es gibt kein Okay im 18. Jahrhundert, dummes Ding! «

Madame Rossini schnü rte die Korsage auf meinem Rü cken zusammen. Wieder war ich ü berrascht, wie bequem sie war. Man nahm in so einem Ding automatisch eine gerade Haltung. Ein gepolstertes Drahtgestell wurde um meine Hü ften geschnallt (ich nehme an, das 18. Jahrhundert war eine wunderbar entspannte Zeit fü r alle Frauen mit einem dicken Popo und breiten Hü ften), dann streifte mir Madame Rossini ein dunkelrotes Kleid ü ber den Kopf. Sie schloss eine lange Reihe von Hä kchen und Knö pfen auf dem Rü cken, wä hrend ich mit den Fingern bewundernd ü ber die schwere bestickte Seide strich. Hach, was war das wieder schö n!

Madame Rossini ging langsam einmal um mich herum und auf ihrem Gesicht breitete sich ein zufriedenes Lä cheln aus.»Zauberhaft. Magnifique.«

»Ist das das Kleid fü r den Ball? «, fragte ich.

»Nein, das ist die Robe fü r die Soiree.«Madame Rossini steckte winzige, perfekt gearbeitete Seidenrosen rund um den tiefen Ausschnitt fest. Da sie den Mund voller Stecknadeln hatte, sprach sie recht undeutlich zwischen den Zä hnen hindurch.»Da darfst du das Haar ungepudert tragen und die dunkle Farbe sieht fantastisch aus zu diesem Rot. Genau, wie ich es mir gedacht habe.«Sie zwinkerte mir verschmitzt zu.»Aufsehen wird du erregen, mein Schwanenhä lschen, n'est ce pas - obwohl das sicher nicht der Sinn der Sache ist. Aber was kann ich tun? «Sie rang die Hä nde, aber bei ihrer kleinen Person mit dem Schildkrö tenhals sah das im Gegensatz zu Giordano sehr sü ß aus.»Du bist nun mal eine kleine Schö nheit und es wü rde gar nichts helfen, dich in flohfarbene Gewä nder zu stecken. So, Schwanenhä lschen, fertig. Jetzt kommt das Ballkleid an die Reihe.«

Das Ballkleid war von einem blassen Blau mit cremefarbenen Stickereien und Rü schen und es saß genauso perfekt wie das rote Kleid. Wenn mö glich hatte es einen noch spektakulä reren Ausschnitt und der Rock schwang meterweit um mich herum. Madame Rossini wog sorgenvoll meinen Zopf in ihren Hä nden.»Ich bin mir noch nicht sicher, wie wir das machen werden. Mit einer Perü cke wirst du es nicht wirklich bequem haben, zumal wir diese Unmengen von eigenen Haaren darunter verbergen mü ssen. Aber deine Haare sind so dunkel, dass wir mit Puder wahrscheinlich nur einen hä sslichen Grauton erreichen werden. Quelle catastrophe! «Sie runzelte die Stirn.»Egal. Tatsä chlich wä rst du damit modisch absolument im Trend, aber - lieber Himmel, was war das fü r eine schreckliche Mode! «

Das erste Mal an diesem Tag musste ich grinsen. Ä sslisch! Schrecklisch!! Ja, wie wahr! Nicht nur die Mode, sondern auch Gideon war ä sslisch und schrecklisch und von mir aus garstig, so wü rde ich das auf jeden Fall von nun an sehen. (Basta!)

Madame Rossini schien nichts davon mitzubekommen, welche Wohltat sie fü r meine Seele war. Noch immer entrü stete sie sich ü ber die damalige Zeit.»Junge Mä dchen, die ihre Haare puderten, bis sie aussahen wie die von ihrer Omama -fü rchterlich! Schlü pf bitte mal in diese Schuhe. Denk daran, du musst darin tanzen kö nnen und noch ist Zeit, sie zu ä ndern.«

Die Schuhe - bestickte rote zum roten Kleid, hellblaue mit goldener Schnalle zum Ballkleid - waren verblü ffend bequem, obwohl sie aussahen wie aus einem Museum.»Das sind die schö nsten Schuhe, die ich jemals angehabt habe«, sagte ich begeistert.

»Das will ich doch meinen«, sagte Madame Rossini und strahlte ü ber das ganze Gesicht.»So, mein Engelchen, fertig. Sieh zu, dass du heute frü h ins Bett kommst, das wird ein aufregender Tag morgen.«Wä hrend ich wieder in meine Jeans und meinen dunkelblauen Lieblingspulli schlü pfte, drapierte Madame Rossini die Kleider ü ber die kopflosen Schneiderpuppen. Dann sah sie hinü ber zur Wanduhr und runzelte ä rgerlich die Stirn.»Dieser unzuverlä ssige Junge! Er sollte schon vor einer Viertelstunde hier sein! «

Sofort schnellte mein Puls in die Hö he.»Gideon? «

Madame Rossini nickte.»Er nimmt das hier nicht ernst, er denkt, es ist unwichtig, ob eine Hose gut sitzt. Aber das ist es nicht! Es ist sogar ungeheuer wichtig, wie gut eine Hose sitzt.«

Ä sslisch. Fü rchterlisch. Schrecklisch, probierte ich mein neues Mantra aus.

Es klopfte an die Tü r. Es war nur ein kleines Gerä usch, aber meine sä mtlichen Vorsä tze lö sten sich in Luft auf.

Plö tzlich konnte ich es gar nicht erwarten, Gideon wiederzusehen. Und gleichzeitig fü rchtete ich mich entsetzlich vor einer Begegnung. Noch einmal wü rde ich diese finsteren Blicke nicht ü berleben.

»Ah«, sagte Madame Rossini.»Da ist er ja. Herein! «

Mein ganzer Kö rper versteifte sich, aber es war nicht Gideon, der zur Tü r hereinkam, sondern der rothaarige Mr Mar-ley. Wie immer nervö s und verlegen, stotterte er:»Ich soll den Ru-, ä h... die Miss zum Elapsieren geleiten.«

»In Ordnung«, sagte ich.»Wir sind gerade fertig geworden.«Hinter Mr Marley grinste mich Xemerius an. Vor der Anprobe hatte ich ihn weggeschickt.

»Ich bin eben durch einen waschechten Innenminister hindurchgeflogen«, sagte er frö hlich.»Das war cool! «

»Und wo ist der Junge? «, grollte Madame Rossini.»Er sollte zur Anprobe kommen! «

Mr Marley rä usperte sich.»Ich sah den Dia... Mr de Villiers gerade noch mit dem anderen Ru... mit Miss Charlotte sprechen. Er war in Begleitung seines Bruders.«

»Tiens! Das ist mir vollkommen gleichgü ltig«, sagte Madame Rossini zornig.

Mir aber nicht, dachte ich. In Gedanken schrieb ich bereits eine SMS an Leslie. Nur ein einziges Wort: Harakiri.

»Wenn er nicht sofort hier auftaucht, werde ich mich beim Groß meister ü ber ihn beschweren«, sagte Madame Rossini.»Wo ist mein Telefon? «

»Es tut mir leid«, murmelte Mr Marley. Er drehte verlegen ein schwarzes Tuch zwischen seinen Hä nden hin und her.»Darf ich...? «

»Natü rlich«, sagte ich und ließ mir seufzend die Augen verbinden.

»Der Streber hier sagt leider die Wahrheit«, sagte Xemerius.»Dein Funkelsteinchen flirtet da oben auf Teufel komm raus mit deiner Cousine herum. Und sein hü bscher Bruder ebenfalls. Was Jungs nur immer an Rothaarigen finden? Ich glaube, sie gehen jetzt zusammen ins Kino. Aber das sage ich dir lieber nicht, sonst heulst du wieder.«

Ich schü ttelte den Kopf.

Xemerius sah zur Decke.»Ich kö nnte sie fü r dich im Auge behalten. Soll ich? «Ich nickte heftig.

Auf dem langen Weg hinunter in den Keller schwieg Mr Marley beharrlich und ich hing meinen eigenen dü steren Gedanken nach. Erst als wir im Chronografenraum angekommen waren und Mr Marley mir die Augenbinde abnahm, fragte ich:»Wohin werden Sie mich heute schicken? «

»Ich... wir warten auf Nummer neun, ä h Mr Whitman«, sagte Mr Marley und schaute an mir vorbei auf den Boden.»Ich habe selbstverstä ndlich nicht die Befugnis, den Chronografen zu bedienen. Bitte, setzen Sie sich doch.«

Aber kaum hatte ich mich auf einen Stuhl fallen lassen, ging die Tü r wieder auf und Mr Whitman kam herein. Und direkt hinter ihm Gideon.

Mein Herz setzte fü r einen Schlag aus.

»Hallo, Gwendolyn«, sagte Mr Whitman mit seinem charmantesten Eichhö rnchen-Lä cheln.»Schö n, dich zu sehen.«Er schob den Wandbehang zur Seite, hinter dem der Safe verborgen war.»Dann wollen wir dich mal zum Elapsieren schicken.«

Ich hö rte kaum, was er sagte. Gideon war immer noch sehr blass, aber er sah viel gesü nder aus als gestern Abend. Das dicke weiß e Pflaster war verschwunden und ich konnte die Wunde am Haaransatz sehen, die gut zehn Zentimeter lang und mit zahlreichen schmalen Pflasterstreifen geklammert worden war. Ich wartete darauf, dass er etwas sagte, aber er sah mich nur an.

Xemerius sprang mit einem groß en Satz direkt neben Gideon durch die Wand und ich schnappte erschrocken nach Luft.

»Ups. Da isser ja schon! «, sagte Xemerius.»Ich wollte dich noch warnen, ehrlich, Schä tzchen. Aber ich konnte mich nicht entscheiden, wem ich hinterherrennen sollte. Offenbar hat Charlotte fü r heute Nachmittag den Babysitterdienst fü r Gideons hü bschen Bruder ü bernommen. Sie sind zusammen Eis essen. Und anschließ end gehen sie ins Kino. Die Kinos sind die Heuhaufen der Neuzeit, wü rde ich mal sagen.«

»Alles in Ordnung mit dir, Gwendolyn? «, fragte Gideon und zog eine Augenbraue hoch.»Du siehst nervö s aus - hä ttest du gern eine Zigarette zur Beruhigung? Was war noch mal deine bevorzugte Marke? Lucky Strike? «

Ich konnte ihn nur sprachlos anstarren.

»Lass sie in Ruhe«, sagte Xemerius.»Merkst du denn nicht, dass sie Liebeskummer hat, du dumme Torfnase? Und zwar deinetwegen! Was machst du ü berhaupt hier? «

Mr Whitman hatte den Chronografen aus dem Safe genommen und auf den Tisch gestellt.»Dann wollen wir doch mal sehen, wohin es heute geht...«

»Madame Rossini wartet mit der Anprobe auf Sie, Sir«, wandte sich Mr Marley an Gideon.

»Mist«, sagte Gideon, fü r einen Moment aus dem Konzept gebracht. Er blickte auf seine Uhr.»Das habe ich ja ganz vergessen. War sie sehr sauer? «

»Sie machte einen ziemlich ungehaltenen Eindruck«, sagte Mr Marley. In diesem Augenblick ging die Tü r erneut auf und Mr George trat ein. Er war vollkommen auß er Atem, und wie immer, wenn er sich angestrengt hatte, war seine Stirnglatze mit winzigen Schweiß perlen besetzt.»Was ist hier los? «

Mr Whitman runzelte die Stirn.»Thomas? Gideon sagte, du wä rst noch im Gesprä ch mit Falk und dem Innenminister.«

»Das war ich auch. Bis ich einen Anruf von Madame Rossini bekam und erfuhr, dass Gwendolyn bereits zum Elapsieren abgeholt worden ist«, sagte Mr George. Zum ersten Mal erlebte ich ihn richtig zornig.

»Aber - Gideon hat behauptet, du hä ttest uns beauftragt...«, sagte Mr Whitman ehrlich verwirrt.

»Das habe ich nicht! Gideon - was geht hier vor? «Jegliche Gutmü tigkeit war aus Mr Georges kleinen Ä uglein verschwunden.

Gideon hatte seine Arme vor der Brust verschrä nkt.»Ich dachte, Sie wü rden sich vielleicht freuen, wenn wir Ihnen diese Aufgabe abnehmen«, sagte er glatt.

Mr George tupfte sich die Schweiß perlen mit seinem Taschentuch ab.»Danke fü r deine Fü rsorglichkeit«, erwiderte er mit einem deutlich sarkastischen Unterton.»Aber das wä re nicht nö tig gewesen. Du gehst jetzt sofort hinauf zu Madame Rossini.«

»Ich wü rde Gwendolyn gern begleiten«, sagte Gideon.

»Nach den gestrigen Vorfä llen ist es vielleicht besser, wenn sie nicht allein ist.«

»Unsinn«, widersprach Mr George.»Es gibt keinen Grund zu der Annahme, es bestü nde irgendeine Gefahr fü r sie, solange sie nicht zu weit zurü ckspringt.«

»Das stimmt«, sagte Mr Whitman.

»Zum Beispiel ins Jahr 1956? «, fragte Gideon gedehnt und sah Mr George dabei direkt in die Augen.»Ich habe heute Vormittag ein bisschen in den Annalen geblä ttert und ich muss sagen, das Jahr 1956 macht wirklich einen ausgesprochen ruhigen Eindruck. Der Satz, der sich dort am hä ufigsten findet, lautet: keine besonderen Vorkommnisse. So ein Satz ist doch Musik in unseren Ohren, nicht wahr? «

Mir klopfte das Herz mittlerweile bis zum Hals. Gideons Verhalten war nur zu erklä ren, wenn er herausgefunden hatte, was ich gestern wirklich getan hatte. Aber wie zum Teufel konnte er das wissen? Schließ lich hatte ich lediglich nach Zigaretten gerochen, was vielleicht verdä chtig war, ihm aber noch lä ngst nicht verraten konnte, was 1956 vorgefallen war.

Mr George erwiderte seinen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. Er sah allenfalls ein bisschen irritiert aus.»Das war keine Bitte, Gideon. Madame Rossini wartet. Marley, Sie kö nnen auch gehen.«

»Ja, Sir, Mr George, Sir«, murmelte Mr Marley und hä tte fast salutiert.

Als die Tü r hinter ihm ins Schloss gefallen war, funkelte Mr George Gideon an, der sich nicht gerü hrt hatte. Auch Mr Whitman musterte ihn mit mildem Erstaunen.

»Worauf wartest du? «, sagte Mr George kü hl.

»Warum haben Sie Gwendolyn am helllichten Nachmittag landen lassen - ist das nicht gegen die Vorschriften? «, fragte Gideon.

»Oh, oh«, sagte Xemerius.

»Gideon, es ist nicht deine...«, sagte Mr Whitman.

»Es spielt keine Rolle, um welche Tageszeit sie gelandet ist«, fiel ihm Mr George ins Wort.»Sie ist in einem verschlossenen Kellerraum gelandet.«

»Ich hatte Angst«, sagte ich schnell und vielleicht ein bisschen schrill.»Ich wollte nicht in der Nacht allein in diesem Keller sein, direkt neben den Katakomben...«

Gideon wandte seinen Blick kurz mir zu und hob wieder eine seiner Augenbrauen.»Oh, ja, du bist ja auch so ein ä ngstliches kleines Ding, das hatte ich ganz vergessen.«Er lachte leise.»1956 - das war das Jahr, in dem Sie Mitglied der Loge geworden sind, Mr George, nicht wahr? Was fü r ein komischer Zufall.«

Mr George runzelte seine Stirn.

»Ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst, Gideon«, sagte Mr Whitman.»Aber ich wü rde vorschlagen, dass du jetzt zu Madame Rossini gehst. Mr George und ich werden uns um Gwendolyn kü mmern.«

Gideon schaute wieder auf mich.»Folgender Vorschlag: Ich werde die Anprobe hinter mich bringen und dann schicken Sie mich Gwendolyn einfach hinterher, egal, wohin. Dann muss sie sich in der Nacht nicht fü rchten.«

»Auß er vor dir«, sagte Xemerius.

»Du hast dein Kontingent fü r heute lä ngst erfü llt«, sagte mein Lehrer.»Aber wenn Gwendolyn sich fü rchtet...«Er blickte mitleidig zu mir herü ber.

Ich konnte es ihm nicht ü bel nehmen. Es war anzunehmen, dass ich wirklich irgendwie verä ngstigt wirkte. Das Herz klopfte mir immer noch bis zum Hals und ich war unfä hig, irgendetwas zu sagen.

»Von mir aus kö nnen wir das so machen«, sagte Mr Whitman mit einem Achselzucken.»Es spricht nichts dagegen, oder Thomas? «

Mr George schü ttelte langsam den Kopf, auch wenn er so aussah, als ob er eigentlich das Gegenteil hatte tun wollen.

Ü ber Gideons Gesicht glitt ein zufriedenes Lä cheln und er lö ste sich endlich aus seiner starren Haltung neben der Tü r.»Wir sehen uns dann nachher«, sagte er triumphierend und es kam mir vor wie eine Drohung.

Als die Tü r hinter ihm zufiel, seufzte Mr Whitman.»Er ist seltsam drauf, seit er diesen Schlag auf den Kopf bekommen hat, findest du nicht auch, Thomas? «

»Allerdings«, sagte Mr George.

»Wir sollten vielleicht noch einmal ein Gesprä ch mit ihm fü hren, den Umgangston mit Hö hergestellten betreffend«, sagte Mr Whitman.»Fü r sein Alter ist er ganz schö n... Nun ja. Er steht unter groß em Druck, darauf mü ssen wir auch Rü cksicht nehmen.«Er sah mich aufmunternd an.»Also, Gwendolyn, bist du bereit? «

Ich stand auf.»Ja«, log ich.

Der Rabe auf seinen rubinroten Schwingen

Zwischen den Welten hö rt Tote er singen,

Kaum kennt er die Kraft, kaum kennt er den Preis,

Die Macht erhebt sich, es schließ t sich der Kreis.

Der Lö we — so stolz das diamant'ne Gesicht,

Der jä he Bann trü bt das strahlende Licht,

Im Sterben der Sonne bringt er die Wende,

Des Raben Tod offenbart das Ende.

 

Aus den Geheimschriften des Grafen von Saint Germain

 

 


Ich hatte nicht nach dem Jahr gefragt, in das sie mich geschickt hatten, denn es spielte ohnehin keine Rolle. Es sah eigentlich alles so aus wie bei meinem letzten Besuch. Das grü ne Sofa stand mitten im Raum und ich warf ihm einen zornigen Blick zu, als wä re es an allem schuld. Wie beim letzten Mal waren Stü hle vor der Wand mit Lucas' Versteck gestapelt und ich kä mpfte mit mir. Sollte ich das Versteck rä umen? Falls Gideon Verdacht geschö pft hatte - und das hatte er zweifellos -, wü rde er doch als Erstes auf die Idee kommen, den Raum zu durchsuchen, oder nicht? Ich konnte den Inhalt irgendwo drauß en in den Gä ngen verstecken und dann zurü ckkommen, bevor Gideon eintraf...

Fieberhaft begann ich, die Stü hle beiseitezuschieben, dann ü berlegte ich es mir wieder anders. Erstens: Den Schlü ssel konnte ich nicht mit verstecken, denn ich musste die Tü r ja auch wieder abschließ en, und zweitens: Selbst wenn Gideon das Versteck finden wü rde, wie wollte er beweisen, dass es fü r mich bestimmt war? Ich wü rde mich einfach dumm stellen.

Sorgfä ltig stellte ich die Stü hle wieder an ihren Platz und sorgte dafü r, dass die verrä terischen Spuren im Staub verwischt wurden. Dann prü fte ich, ob die Tü r auch wirklich abgeschlossen war, und setzte mich auf das grü ne Sofa.

Ich fü hlte mich ein bisschen wie vor vier Jahren, als Leslie und ich wegen der Sache mit dem Frosch in Direktor Gilles' Bü ro warten mussten, bis er Zeit hatte, uns eine Strafpredigt zu halten. Eigentlich hatten wir gar nichts Bö ses getan. Cynthia hatte den Frosch hö chstpersö nlich mit ihrem Fahrrad ü berfahren, und weil sie anschließ end keine angemessenen Schuldgefü hle gezeigt hatte (»Das ist doch bloß ein blö der Frosch gewesen«), hatten Leslie und ich zornentbrannt beschlossen, den Frosch zu rä chen. Wir wollten ihn im Park begraben, aber vorher - und weil er ja schon tot war - dachten wir, es wü rde Cynthia vielleicht aufrü tteln und kü nftig Frö schen gegenü ber ein wenig sensibilisieren, wenn sie ihn noch einmal wiedersehen wü rde - in ihrer Suppe. Niemand hatte ahnen kö nnen, dass Cynthia bei seinem Anblick einen hysterischen Schreikrampf erleiden wü rde... Direktor Gilles jedenfalls hatte uns behandelt wie zwei Schwerverbrecher und leider hatte er diese Episode nicht vergessen. Wenn er uns heute irgendwo in den Fluren begegnete, sagte er stets»Ah, die bö sen Froschmä dchen«zu uns und wir fü hlten uns dann jedes Mal wieder ganz mies.

Ich schloss fü r einen Moment die Augen. Gideon hatte keinen Grund, mich so schlecht zu behandeln. Ich hatte nichts Schlimmes getan. Stä ndig sagten alle, dass man mir nicht trauen kö nne, sie verbanden mir die Augen, niemand gab mir Antworten auf meine Fragen - da war es doch nur natü rlich, dass ich versuchte, auf eigene Faust herauszufinden, was hier eigentlich passierte, oder etwa nicht?

Wo blieb er denn nur? Die Glü hbirne an der Decke knisterte, das Licht flackerte fü r einen Moment. Es war ganz schö n kalt hier unten. Vielleicht hatten sie mich in einen dieser kalten Nachkriegswinter geschickt, von denen Tante Maddy immer erzä hlte. Ganz toll. Die Wasserleitungen waren eingefroren und auf den Straß en hatten tote Tiere gelegen, steif vom Frost. Testweise prü fte ich, ob mein Atem in der Luft vielleicht weiß e Wö lkchen bildete. Was nicht der Fall war.

Wieder flackerte das Licht und ich bekam Angst. Was, wenn ich plö tzlich im Dunkeln hier sitzen musste? Diesmal hatte niemand daran gedacht, mir eine Taschenlampe mitzugeben, ü berhaupt konnte man nicht sagen, dass man mich irgendwie fü rsorglich behandelt hatte. Im Dunkeln wü rden sich die Ratten sicher aus ihren Verstecken trauen. Vielleicht hatten sie Hunger... Und wo sich Ratten aufhielten, waren Kakerlaken nicht weit. Auch der Geist des einarmigen Tempelritters, von dem Xemerius gesprochen hatte, wü rde vielleicht einen kleinen Abstecher machen.

Krrrrrk.

Das war die Glü hbirne.

Langsam gelangte ich zu der Ü berzeugung, dass Gideons Gegenwart auf jeden Fall der von Ratten und Geistern vorzuziehen war. Aber er kam nicht. Stattdessen flackerte das Licht, als lä ge es bereits in den letzten Zü gen.

Wenn ich als Kind Angst im Dunkeln gehabt hatte, hatte ich immer gesungen, und das tat ich auch jetzt automatisch. Zuerst ganz leise, dann immer lauter. Schließ lich gab es hier niemanden, der mich hö ren konnte.

Das Singen half gegen die Angst. Und auch gegen die Kä lte. Nach den ersten Minuten hö rte sogar die Glü hbirne wieder auf zu flackern. Allerdings fing sie bei allen Songs von Maria Mena wieder damit an, auch Emiliana Torrini schien sie nicht zu mö gen. Alte Abba-Songs hingegen quittierte sie mit einem ruhigen, gleichmä ß igen Strahlen. Leider kannte ich davon nicht ganz so viele, vor allem nicht die Texte. Aber die Glü hbirne akzeptierte auch»lalala, one chance in a lifetime, lalalala«.

Ich sang stundenlang. So kam es mir jedenfalls vor. Nach The winner takes it all (Leslies ultimativem Liebeskummer-Song) fing ich wieder bei I wonder an. Dabei tanzte ich durch den Raum, damit mir nicht zu kalt wurde. Erst nach dem dritten Mal Mamma mia war ich ü berzeugt davon, dass Gideon nicht mehr kommen wü rde.

Verdammt! Ich hä tte mich also doch gefahrlos nach oben schleichen kö nnen. Ich versuchte es mit Head over heels und bei You're wasting my time stand er dann plö tzlich neben dem Sofa.

Ich klappte den Mund zu und sah ihn vorwurfsvoll an.»Warum kommst du so spä t? «

»Ich kann mir vorstellen, dass dir die Zeit lang vorkam.«Sein Blick war immer noch so kü hl und seltsam wie vorhin. Er ging zur Tü r und rü ttelte an der Klinke.»Immerhin warst du so klug, den Raum nicht zu verlassen. Du konntest ja auch nicht wissen, wann ich nachkomme.«

»Haha«, sagte ich.»Soll das ein Witz sein? «

Gideon lehnte sich mit dem Rü cken gegen die Tü r.»Gwendolyn, bei mir kannst du dir dieses Unschuldsgetue sparen.«

Ich konnte die Kä lte in seinem Blick kaum ertragen. Das Grü n in seinen Augen, das ich sonst so mochte, hatte jetzt die Farbe von Gö tterspeise angenommen. Der widerlichen aus der Schulmensa, wohlgemerkt.»Warum bist du so... gemein zu mir? «Die Glü hbirne flackerte wieder. Sie vermisste vermutlich meine Abba-Gesä nge.»Du hast nicht zufä llig eine Glü hbirne dabei? «

»Der Zigarettengeruch hat dich verraten.«Gideon spielte mit der Taschenlampe in seiner Hand.»Ich habe dann ein bisschen nachgeforscht und eins und eins zusammengezä hlt.«

Ich schluckte.»Was ist so schlimm daran, dass ich geraucht habe? «

»Du hast nicht geraucht. Und du kannst nur halb so gut lü gen, wie du denkst. Wo ist der Schlü ssel? «»Was fü r ein Schlü ssel? «

»Der Schlü ssel, den Mr George dir mitgegeben hat, damit du ihn und deinen Groß vater im Jahr 1956 aufsuchen konntest.«Er machte einen Schritt auf mich zu.»Wenn du klug bist, hast du ihn hier irgendwo versteckt, wenn nicht, trä gst du ihn noch bei dir.«Er trat ans Sofa, nahm die Kissen herunter und warf sie nacheinander auf den Boden.»Hier ist er schon mal nicht.«

Ich starrte ihn entsetzt an.»Mr George hat mir keinen Schlü ssel gegeben. Wirklich nicht! Und das mit dem Zigarettengeruch ist total...«

»Es waren nicht nur Zigaretten. Du hast auch nach Zigarre gerochen«, sagte er ruhig. Sein Blick glitt durch den Raum und blieb an den aufgestapelten Stü hlen vor der Wand hä ngen.

Ich fing wieder an zu frieren und passend dazu wurde auch die Glü hbirne irgendwie noch zittriger.»Ich...«, begann ich unschlü ssig.

»Ja? «, sagte Gideon betont freundlich.»Du hast auch noch eine Zigarre geraucht? Zusä tzlich zu den drei Lucky Strike? Wolltest du das sagen? «

Ich schwieg.

Gideon bü ckte sich und leuchtete mit seiner Taschenlampe unter das Sofa.»Hat Mr George dir die Parole auf einen Zettel geschrieben oder hast du sie auswendig gelernt? Und wie bist du auf dem Rü ckweg wieder an der Zerberuswache vorbeigekommen, ohne dass sie es im Protokoll erwä hnt haben? «

»Wovon zum Teufel redest du ü berhaupt? «, sagte ich. Es sollte empö rt klingen, aber es kam leider ein bisschen eingeschü chtert rü ber.

»Violet Purpleplum - was fü r ein merkwü rdiger Name, findest du nicht? Schon mal gehö rt? «Gideon hatte sich wieder aufgerichtet und sah mich an. Nein, Gö tterspeise war nicht der richtige Vergleich fü r seine Augen. Eher funkelten sie jetzt giftmü llgrü n.

Ich schü ttelte langsam den Kopf.

»Komisch«, sagte er.»Dabei ist sie doch eine Freundin eurer Familie. Als ich den Namen zufä llig Charlotte gegenü ber erwä hnte, meinte sie, die gute Mrs Purpleplum wü rde euch immer kratzige Schals stricken.«

Oh. Die verdammte Charlotte! Konnte sie nicht einfach mal ihre Klappe halten?»Nein, das stimmt nicht«, sagte ich trotzig.»Nur die fü r Charlotte kratzen. Unsere sind immer ganz weich.«

Gideon lehnte sich gegen das Sofa und verschrä nkte die Arme vor der Brust. Die Taschenlampe leuchtete an die Decke, wo die Glü hbirne immer noch nervö s vor sich hin flackerte.»Zum letzten Mal. Wo ist der Schlü ssel, Gwendolyn? «

»Ich schwö re dir, dass Mr George mir keinen Schlü ssel gegeben hat«, sagte ich, verzweifelt um Katastrophenbegrenzung bemü ht.»Er hat ü berhaupt nichts damit zu tun.«


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