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Yildiz hat ein langes Gesprach mit ihrer Grossmutter Ayşe und Serdal kauft ein Grundstűck am Grtinen Fluss






Die Beerdigungszeremonie war vorbei. Yildiz war froh darű ber. Sie kannte ihren Grossvater ja kaum. Wenn sie frű her zu Besuch war, war er freundlich zu ihr und nann-te sie „Mein schones Mä dchen". Dagegen liebte sie ihre Grossmutter Ayş e sehr. Die Grossmutter war ű brigens auch nicht allzu traurig. Yildiz bemerkte bald, dass sie ganz andere Sorgen hatte. „Ich will nicht mit Nirgű l unter einem Dach wohnen."

Fű r Musa war schon alles geregelt. „Wir bauen ein Haus, in dem auch Mutter ihren Platz hat." „Hast du genug Geld, um ein Haus zu bauen? " Yildiz wusste, welchen Mut ihr Vater zu dieser Frage brauchte. „Von mir kannst du namlich nichts mehr bekommen, Musa. Wir brauchen unser Geld fű r unser eigenes Haus. Du kannst nicht ű ber das bestimmen, was wir in all den Jahren gespart haben. Ű ber zwanzig Jahre haben wir in Deutschland hart gearbeitet."

Musa starrte seinen Bruder an. Er wollte nicht glauben, was dieser sagte. Sein Gesicht wurde vor Zorn rot. „Und ich habe mich um die Familie gekű mmert, Serdal", schrie er. „Dir war egal, was aus den Eltern und uns wird. Was weisst du denn, was hier los war..."

Bei dem Streit ging es laut her. Yildiz lief zur Grossmutter, die in der Kű che sass und die Hande im Schoss hielt. Als Yildiz sich zu ihr setzte, sagte sie: „Er ist kaum unter der Erde, da geht der Streit schon los. Werdet ihr bald zurű ckkommen, Sternchen? Will dein Vater wirklich ein Haus bauen? In Amasya etwa? " „Ich weiss es nicht, Grossmutter."

Ayş e Toluk knű pfte ihr Kopftuch fester unter das Kinn. Yildiz betrachtete das faltige Gesicht der alten Frau. Dann rechnete sie nach, wie alt Grossmutter war. Sechzig, hochs-tens funfundsechzig. Aber sie sah viel alter aus. Nur die Augen waren jung geblieben. „Ich lasse mir von Musa nichts sagen. Er ist nicht mein Ehemann. Soil er doch Nirgű l herumkommandieren. Aber die kann ja mit ihm machen, was sie will."

Yildiz lachte. Die Grossmutter schaute sie nachdenklich an. „Es ist das erste Mai, dass du lachst. Seit du angekom-men bist, hast du ein trauriges Gesicht. Also, was ist mit dir, Yildiz? "

Yildiz schuttelte den Kopf. „Das verstehst du doch nicht, Grossmutter. Es ist so vieles anders geworden in letzter Zeit."

„Du willst nicht in die Tű rkei zurű ck? " Yildiz nickte. Doch dann erzä hlte sie der Grossmutter auch, wie sich das Leben in Deutschland fű r AUSLÄ NDER verandert hatte. „Da gibt es welche, die uns am liebsten rauswerfen wű rden. Die denken, AUSLÄ NDER nehmen ihnen die Arbeit weg und die Wohnungen, leben von ihrem Geld. Sie hassen uns, schmieren die Wä nde voll und machen uns die Autoreifen kaputt."

Ayş e Toluk hielt erschrocken die Hand vor den Mund. Dann sagte sie leise: „Davon hat Serdal noch nie etwas erzä hlt. Das habe ich nicht gewusst. Und Grossvater auch nicht. Ich habe immer gedacht, ihr seid glucklich in die-sem Land."

„Wir waren auch glucklich", sagte Yildiz. „Aber jetzt nicht mehr." Von den eigenen bosen Erfahrungen sprach sie nicht. Aber es tat schon gut, dass sie jemanden hatte, der zuhö rte.

„Alle, die dort waren, erzä hlen immer nur Gutes", sagte Ay^e leise. „Sie arbeiten und verdienen viel Geld. Sehr viel Geld. So viel habe ich noch nie in meinem Leben gesehen.

Und dein Grossvater auch nicht. Warum erzä hlt niemand davon, dass sie euch hassen und loswerden wollen? Haben sie dir auch wehgetan, Sternchen? "

Yildiz konnte die Tranen nicht mehr zurű ckhalten. Sie hatte das Gefű hl, dass ihr noch nie im Leben jemand mit so viel Liebe zugehö rt hatte. Ays, e Toluk nahm die Enkelin in ihre Arme und streichelte ű ber das kurz geschnittene Haar. „Hast du deshalb auch diese neue Frisur, Sternchen? Damit sie dich nicht gleich als Tű rkin erkennen? " Jetzt konnte sich Yildiz nicht mehr beherrschen und Ayş e Toluk erfuhr auch das Schreckliche, das die Skins ihrer Enkelin angetan hatten. Da weinte auch sie. Es war lange still zwischen den beiden, die in der alten Kű che sassen. Yildiz wurde langsam ruhiger. Sie spű rte durch den schwarzen Stoff des Kleides die Warme, die von der Grossmutter kam. Das tat ihr gut. Und sie dachte: Wie habe ich es ohne sie so lange ausgehalten? Bei ihr kann ich mich richtig ausweinen.

Ayş e Toluk streichelte sie immer noch. Dann sagte sie leise: „Jetzt weisst du nicht mehr, wo du hinsollst, nicht wahr? Ich kann dir auch keinen Rat geben, Sternchen. Es ist gut, dass du lernst und einen Beruf haben willst. Ich hatte keinen. Und ich konnte mich nie wehren, weil ich abhä ngig war. Erst von meinem Vater, dann von meinem Ehemann, jetzt von Musa." Wieder schwiegen die beiden. Yildiz ahnte, dass die Grossmutter in dieser Stunde auch ihr eigenes Leben an sich vorű berziehen liess. Ob sie glű cklich gewesen war? Yildiz wusste es nicht. Was wis-sen wir eigenthch voneinander?, dachte sie. Da sagte Ays, e Toluk plö tzlich: „Hö rst du, wie sie immer noch streiten? Serdal soil nicht wieder nachgeben, das wű nsche ich mir." Sie stand auf und stellte den Wasser-kessel auf den Herd. „Ich werde Tee machen", sagte sie.

Serdal Toluk fuhr mit seinem Schwager Ufuk die wemgen Kilometer nach Amasya. Yildiz wollte sich das Grund-stű ck auch ansehen, das man ihrem Vater angeboten hatte. „Wir werden ein Haus bauen", hatte Serdal Toluk gesagt. „Und Grossmutter kann dann bei uns leben, wenn sie will. Bis wir zurű ckkommen, kann sie auch bei Ufuk wohnen, wenn Musa den Platz hier braucht. Meinetwegen kann Musa das Haus der Eltern ű bernehmen. Ich will es mcht haben." Es hatte lange gedauert, bis sich die Bruder einig waren. Aber nun war auch sicher, dass irgendwann eine Rű ckkehr in die Tű rkei geplant war. Vielleicht schon bald?

Die Fahrt dauerte mcht lange. Der Besitzer des Grundstű cks kam beinahe punktlich und die Manner waren sich schnell einig. Yildiz aber dachte: Ich werde gar nicht ge-fragt. Mir geht es wie Grossmutter und Mama. Wir Frauen haben dabei nichts zu sagen. Sie schaute sich um. Land-schaft und Umgebung gefielen ihr auf den ersten Blick. Das Grundsttick lag ű ber dem Tal. Unten ruckten die kleinen Hä user von Amasya eng zusammen. Nur die spit-zen Minarette ragten hervor.

Yildiz sah plö tzlich alles mit anderen Augen. Dabei war sie doch nicht nur einmal durch die engen Strassen der Altstadt gelaufen, hatte auch die schon restaurierten osma-nischen Burgerhä user gesehen, die ű ber dem Ufer des Ye§ihrmak, des „Grű nen Flusses" lagen. Aber sie hatte die Zeit hier immer als Urlaub betrachtet. Der Gedanke, stan-dig hier leben zu mussen, war ihr nie gekommen. Wenn sie sich frű her an Amasya erinnerte, dann waren das helle freundliche Wochen, der bunte Basar, der Mä dchenpalast, aber auch die moderne Hektik: verstopfte Strassen, Larm, Abgase - und immer eine gewisse Fremdheit. Die Stimme eines Muezzin rief die Glaubigen von einem der vielen Minarette zum Gebet. Gleich danach folgten die anderen, ihre Lautsprecher machten einen Hollen-larm. Die Manner waren daran gewohnt. Funfmal am Tag verbcugten sie sich in Richtung Mekka und sprachen ihr Salam.

Yildiz dachte: Das ist doch reine Routine. Oder denken sie dabei wirklich an Allah?

Der Vater und Ufuk hatten beschlossen, ein Doppelhaus zu baucn. Ufuk wollte so bald wie mö glich mit dem Bau beginnen. Was werde ich Mama erzä hlen, wenn ich wie-der zurű ck bin?, dachte Yildiz. Wie schon der Ausblick hier ist? Und dass sie den Berg hinuntersteigen muss, wenn sie etwas einkaufen will? Und dass ihre Schwester Yucel auch hier wohnt und sie dann nicht allein ist in der alten neuen Heimat? Ob sie sich freut, wenn Grossmutter mit in dem Haus wohnt, das Vater und Ufuk bauen wol-len? Yildiz war hin- und hergerissen in ihren Eindrű cken, Gefuhlen und Gedanken.

Als sie in das Auto stiegen, um zurű ckzufahren, dachte sie: Ohne diese Verbrecher, diese verdammten Skins, wű rde ich wahrscheinlich mehr darum kampfen, dass wir in Deutschland bleiben, dass ich mein Abitur machen und studieren kann.

Onkel Ufuk und Vater diskutierten wahrend der Rtick-fahrt laut ű ber die Preise von Baumaterialien und Hand-werkern. Yildiz hö rte nicht mehr hin. Das waren nicht ihre Probleme. Wie sie Onkel Ufuk und ihren Vater kannte, wű rde das Haus schnell stehen. Apfelbaume und Grű ner Fluss, darű ber am Hä ng ein Haus. Ein neues Haus, das war auch immer eine neue Hoffnung. Es war ein Stnch unter die Vergangenheit und ein Blick in die Zukunft.

 


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