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London, 14. Mai 1602 18 ñòðàíèöà






Wir tasteten uns bis zur Tü r. Drauß en im Gang entzü ndete Gideon eine Fackel und nahm sie aus ihrer Halterung. Sie warf unheimliche zuckende Schatten an die Wand und ich trat unwillkü rlich einen Schritt nä her an Gideon heran.»Wie war noch mal diese verdammte Parole? Nur fü r den Fall, dass dir jemand was vor den Kopf haut...«

»Qui nescit dissimulare nescit regnare.«

»Nach dem Essen sollst du ruhn oder tausend Schritte tun? «

Er lachte und steckte die Fackel zurü ck in ihre Halterung.»Was machst du da? «

»Ich wollte nur schnell... Also wegen vorhin - Mr George hat uns unterbrochen, als ich dir etwas sehr Wichtiges sagen wollte.«

»Ist es wegen dem, was ich dir gestern in der Kirche erzä hlt habe? Also, ich kann verstehen, dass du mich deswegen fü r verrü ckt hä ltst, aber ein Psychiater kann da auch nicht helfen.«

Gideon runzelte die Stirn.»Halt doch bitte mal fü r eine Minute den Mund, ja? Ich muss hier gerade meinen ganzen Mut zusammennehmen, um dir eine Liebeserklä rung zu machen. In so was habe ich absolut keine Ü bung.«

»Wie bitte? «

»Ich hab mich in dich verliebt«, sagte er ernst.»Gwendolyn.«

Unwillkü rlich zog sich mein Magen zusammen, wie vor Schreck. Aber in Wahrheit war es Freude. »Wirklich? «

»Ja, wirklich! « Im Fackellicht sah ich Gideon lä cheln.»Ich weiß, wir kennen uns nicht mal eine Woche und am Anfang fand ich dich auch reichlich... kindisch und wahrscheinlich habe ich mich dir gegenü ber auch wie ein Ekel verhalten. Aber du bist furchtbar kompliziert, man weiß nie, was du als Nä chstes tun wirst, und in manchen Dingen bist du geradezu erschreckend... ä h... unbedarft. Manchmal wü rde ich dich einfach nur gerne schü tteln.«

»Okay, man merkt tatsä chlich, dass du keine Ü bung in Sachen Liebeserklä rung hast«, sagte ich.

»Aber dann bist du wieder so witzig und klug und unbeschreiblich sü ß «, fuhr Gideon fort, als hä tte er mir gar nicht zugehö rt.»Und das Schlimmste ist: Du musst nur im gleichen Raum sein und schon habe ich das Bedü rfnis, dich zu berü hren und zu kü ssen...«

»Ja, das ist wirklich schlimm«, flü sterte ich und mein Herz machte einen Satz, als Gideon meine Hutnadel aus meinen Haaren zog, das gefiederte Ungetü m in groß em Bogen von sich schleuderte, mich zu sich heranzog und kü sste. Schä tzungsweise drei Minuten spä ter lehnte ich vollkommen atemlos mit dem Rü cken an der Mauer und bemü hte mich, aufrecht stehen zu bleiben.

»Gwendolyn, hey, atme einfach ganz normal ein und aus«, sagte Gideon amü siert.

Ich gab ihm einen Schubs vor die Brust.»Hö r auf damit! Das ist ja unerträ glich, wie eingebildet zu bist.«

»Tut mir leid. Es ist nur so ein... berauschendes Gefü hl zu wissen, dass du meinetwegen vergisst zu atmen.«Er nahm die Fackel wieder aus dem Halter.»Komm jetzt. Der Graf wartet sicher schon.«

Erst als wir in den nä chsten Gang einbogen, fiel mir der Hut ein, aber ich hatte keine Lust zurü ckzugehen, um ihn zu holen.

»Schon komisch, aber gerade denke ich, dass ich mich auf diese langweiligen Elapsierabende im Jahr 1953 wieder richtig freuen werde«, sagte Gideon.»Nur du und ich und Cousine Sofa...«

Unsere Schritte hallten in den langen Gä ngen wider und ich tauchte allmä hlich aus meinem rosaroten Wattegefü hl auf, um mich zu erinnern, wo wir waren. Beziehungsweise, in welcher Zeit wir uns befanden.»Wenn ich die Fackel nehmen wü rde, kö nntest du vorsorglich schon mal den Degen ziehen«, schlug ich vor.»Man weiß ja nie. In welchem Jahr hast du eigentlich den Schlag vor den Kopf bekommen? «(Das war eine der vielen Fragen, die Leslie mir auf einen Zettel geschrieben hatte und die ich stellen sollte, wann immer meine Hormonlage es erlaubte.)

»Mir fä llt gerade auf, dass ich dir zwar eine Liebeserklä rung gemacht habe, aber du mir nicht«, sagte Gideon.

»Habe ich nicht? «

»Jedenfalls nicht mit Worten. Und ich bin mir nicht sicher, ob das zä hlt. Schschscht! «

Ich hatte aufgequiekt, denn direkt vor uns kreuzte eine fette dunkelbraune Ratte den Weg, ganz gemä chlich, als hä tte sie nicht die geringste Angst vor uns. Im Fackellicht schimmerten ihre Augen rö tlich.»Sind wir eigentlich gegen Pest geimpft? «, fragte ich und klammerte mich im Weitergehen fester an Gideons Hand.

 

Der Raum im ersten Stock, den der Graf von Saint Germain sich als sein Bü ro in Temple ausgesucht hatte, war klein und wirkte - fü r den Groß meister der Loge der Wä chter, auch wenn er nur selten in London sein mochte - ausgesprochen bescheiden. Eine Wand war vollkommen mit einem deckenhohen Regal voller ledergebundener Bü cher bedeckt, davor stand ein Schreibtisch mit zwei Sesseln, die mit demselben Stoff bezogen waren, aus dem auch die Vorhä nge waren. Ansonsten gab es keine Mö bel. Drauß en schien die Septembersonne und im Kamin brannte kein Feuer, es war auch so warm genug. Das Fenster zeigte hinaus in den kleinen Innenhof mit Springbrunnen, den es auch in unserer Zeit gab. Sowohl der Sims vor dem Fenster als auch der Schreibtisch waren mit Papieren, Schreibfedern, Siegelkerzen und Bü chern bedeckt, die sich zum Teil auf abenteuerliche Weise stapelten und bei Verrutschen die Tintenfasser umwerfen wü rden, die vertrauensvoll zwischen all dem Durcheinander herumstanden. Es war ein gemü tlicher kleiner Raum, auß erdem menschenleer, und trotzdem stellten sich mir beim Betreten die feinen Hä rchen im Nacken auf.

Ein mü rrischer Sekretä r mit weiß er Mozartperü cke hatte mich hierhergeleitet und mit den Worten»Der Graf wird Euch sicher nicht lange warten lassen«die Tü r hinter mir geschlossen. Ich hatte mich nur ungern von Gideon getrennt, aber er war, nachdem er mich dem mü rrischen Wä chter ü bergeben hatte, gut gelaunt und wie jemand, der sich hier bestens auskannte, durch die nä chste Tü r verschwunden.

Ich trat ans Fenster und schaute hinaus in den stillen Innenhof. Alles sah sehr friedlich aus, aber das unangenehme Gefü hl, nicht allein zu sein, hielt an. Vielleicht, dachte ich, beobachtete mich jemand durch die Wand hinter den Bü chern. Oder der Spiegel, der ü ber dem Kaminsims hing, war von der anderen Seite ein Fenster, so wie in Verhö rrä umen bei der Kriminalpolizei.

Eine Weile stand ich einfach nur da und fü hlte mich unbehaglich, aber dann dachte ich, der heimliche Beobachter wü rde merken, dass ich mich beobachtet fü hlte, wenn ich einfach nur so unnatü rlich steif herumstü nde. Also nahm ich das oberste Buch von einem der Stapel auf der Fensterbank und schlug es auf. Marcellus, De medicatnentis. Aha. Marcellus - wer immer er gewesen sein mochte - hatte offensichtlich einige ungewö hnliche medizinische Methoden entdeckt, die in diesem Bü chlein hier zusammengefasst worden waren. Ich fand eine hü bsche Stelle, die sich mit der Heilung von Leberkrankheiten beschä ftigte. Man musste nur eine grü ne Eidechse fangen, ihr die Leber entfernen, diese an ein rotes Tuch binden oder an einen von Natur schwarzen Lappen (von Natur schwarz? Hm?) und Lappen oder Tuch dem Leberkranken rechts an die Seite hä ngen. Wenn man dann noch die Eidechse freiließ und zu ihr sagte:»Ecce dimitto te vi-vam...«, und noch einiges mehr, das genauso lateinisch war, dann war das Leberproblem behoben. Fragte sich nur, ob die Eidechse noch weglaufen konnte, nachdem man ihr die Leber entfernt hatte. Ich klappte das Buch wieder zu. Dieser Marcellus hatte ganz klar einen an der Waffel. Das Buch, das zuoberst auf dem Stapel danebenlag, war mit dunkelbraunem Leder eingebunden und sehr dick und schwer, daher ließ ich es beim Blä ttern auf dem Stapel liegen.»Von allerley Daemonen und wie sie dem Magier und dem gemeynen Manne behylflich seien kö nnen«stand mit goldgeprä gten Buchstaben darauf, und obwohl ich weder ein Magier noch ein»gemeyner Manne«war schlug ich es neugierig irgendwo in der Mitte auf. Das Bild eines hä sslichen Hundes schaute mich an und darunter stand, dass dies Jestan sei, ein Dä mon vom Hindukusch, der Krankheiten, Tod und Krieg brachte. Ich fand Jestan auf Anhieb unsympathisch und blä tterte weiter. Eine seltsame Fratze mit hornartigen Auswü chsen auf dem Schä del (ä hnlich wie bei den Klingonen aus den Start-Trek-Filmen) starrte mich von der nä chsten Seite aus an, und wä hrend ich noch angewidert zurü ckstarrte, schlug der Klingone seine Augenlider nieder und erhob sich aus dem Papier wie Rauch aus einem Schornstein, verdichtete sich schnell zu einer vollstä ndigen, ganz in Rot gekleideten Gestalt, die sich neben mir aufbaute und aus glü henden Augen auf mich herunterschaute.»Wer wagt es, den groß en und mä chtigen Berith anzurufen? «, rief er.

Natü rlich war mir etwas mulmig zumute, aber die Erfahrung hatte mich gelehrt, dass Geister zwar gefä hrlich aussehen und bö sartige Drohungen von sich geben konnten, aber in der Regel nicht einmal einen Lufthauch bewegen konnten. Und ich hoffte doch sehr, dass dieser Berith nichts weiter als ein Geist war, ein zwischen die Seiten dieses Buches gebanntes Abbild des echten Dä mons, der hoffentlich lä ngst das Zeitliche gesegnet hatte.

»Niemand hat dich angerufen«, sagte ich deshalb hö flich, aber recht lä ssig.

»Berith, Dä mon der Lü gen, Groß herzog der Hö lle! «, stellte sich Berith mit viel Hall in der Stimme vor.»Auch Bolfri genannt.«

»Ja, das steht hier«, sagte ich und blickte ins Buch zurü ck.»Auß erdem verbesserst du die Stimmen von Sä ngern.«Eine reizvolle Gabe. Allerdings musste man ihm dazu nach der Anrufung (die schon ä uß erst kompliziert wirkte, da offensichtlich in babylonischer Sprache abgefasst) diverse Opfer bringen - gerne Missgeburten, noch lebend. Das war allerdings noch nichts gegen das, was man tun musste, damit er Metalle in Gold verwandelte. Das konnte er nä mlich auch. Die Sichemiten - wer immer die auch gewesen sein mochten - hatten Berith daher angebetet. Bis Jakob und seine Sö hne kamen und alle Mä nner in Sichern»unther grausamesten Qualen mit ihren Schwertern tö teten«. So weit, so gut.

»Berith befehligt sechsundzwanzig Legionen«, hallte Berith.

Da er mir bis jetzt noch nichts getan hatte, wurde ich noch mutiger.»Ich finde Leute seltsam, die in der dritten Person von sich selber sprechen«, sagte ich und schlug die Seite um. Wie ich gehofft hatte, verschwand Berith wieder in dem Buch, wie Rauch, der verweht wird. Ich atmete erleichtert auf.

»Interessante Lektü re«, sagte eine leise Stimme hinter mir. Ich wirbelte herum. Unbemerkt hatte sich der Graf von Saint Germain in den Raum geschlichen. Er stü tzte sich auf einen Stock mit kunstvoll geschnitztem Knauf, seine hochgewachsene, schlanke Gestalt war eindrucksvoll wie immer und seine dunklen Augen hellwach.

»Ja, sehr interessant«, murmelte ich etwas unschlü ssig. Aber dann besann ich mich, klappte das Buch zu und versank in einer tiefen Reverenz. Als ich wieder aus meinen Rö cken emportauchte, lä chelte der Graf.

»Es freut mich, dass du gekommen bist«, sagte er, griff nach meiner Hand und zog sie an seine Lippen. Die Berü hrung war kaum zu spü ren.»Es erscheint mir notwendig, dass wir unsere Bekanntschaft vertiefen, denn unsere erste Begegnung verlief doch ein wenig... unglü cklich, nicht wahr? «

Ich sagte nichts. Bei unserer ersten Begegnung hatte ich mich ü berwiegend damit beschä ftigt, in Gedanken die Nationalhymne zu singen, der Graf hatte ein paar beleidigende Bemerkungen zur mangelnden Intelligenz bei Frauen im Allgemeinen und bei mir im Besonderen gemacht, und am Ende hatte er mich auf recht unkonventionelle Art und Weise gewü rgt und bedroht. Er hatte recht: Das Treffen war ein wenig unglü cklich verlaufen.

»Wie kalt deine Hand ist«, sagte er.»Komm, setz dich. Ich bin ein alter Mann und kann nicht so lange stehen.«Er lachte, ließ meine Hand los und setzte sich auf den Sessel hinter dem Schreibtisch. Vor dem Hintergrund mit all den Bü chern sah er einmal mehr aus wie sein eigenes Porträ t, ein altersloser Mann mit edlen Gesichtszü gen, lebendigen Augen und einer weiß en Perü cke, umstrahlt von einer Aura des Geheimnisvollen und Gefä hrlichen, der man sich nicht entziehen konnte. Ich nahm wohl oder ü bel auf dem anderen Sessel Platz.

»Interessierst du dich fü r Magie? «, fragte er und zeigte mit der Hand auf den Bü cherstapel.

Ich schü ttelte den Kopf.»Bis letzten Montag nicht, um ehrlich zu sein.«

»Es ist ein wenig verrü ckt, nicht wahr? Da hat deine Mutter dich all diese Jahre in dem Glauben gelassen, du wä rst ein ganz normales Mä dchen. Und von jetzt auf gleich musst du feststellen, dass du ein wichtiger Bestandteil eines der grö ß ten Geheimnisse der Menschheit darstellst. Kannst du dir vorstellen, warum sie das getan hat? «

»Weil sie mich liebt.«Ich wollte es wie eine Frage sagen, aber es klang sehr bestimmt.

Der Graf lachte.»Ja, so denken Frauen! Liebe! Das Wort wird von eurem Geschlecht wirklich ü berstrapaziert. Liebe ist die Antwort - es rü hrt mich immer, wenn ich das hö re. Oder es amü siert mich, je nachdem. Was Frauen wohl nie verstehen werden, ist, dass Mä nner eine vollkommen andere Vorstellung von Liebe haben als sie.«

Ich schwieg.

Der Graf legte seinen Kopf ein wenig schief.»Ohne ihre hingebungsvolle Auffassung von der Liebe wü rde es der Frau viel schwerer fallen, sich dem Mann in jeder Beziehung unterzuordnen.«

Ich bemü hte mich um einen neutralen Gesichtsausdruck.»In unserer Zeit hat sich das...«- Gott sei Dank! -»... geä ndert. Bei uns sind Mä nner und Frauen gleichberechtigt. Niemand muss sich dem anderen unterordnen.«

Wieder lachte der Graf, diesmal etwas lä nger, als hä tte ich einen wirklich guten Witz gemacht.»Ja«, sagte er schließ lich.»Davon habe ich mir erzä hlen lassen. Aber glaub mir, ganz gleich, welche Rechte man der Frau auch zubilligen mag - es ä ndert nichts an der Natur der Menschen.«

Ja, was sollte man dazu sagen? Am besten wohl gar nichts. Wie hatte der Graf eben erkannt - an der Natur des Menschen ä nderte man schwer etwas - was wohl auch fü r seine zutreffen mochte.

Eine Weile noch betrachtete der Graf mich mit amü siert nach oben gezogenen Mundwinkeln, dann sagte er unvermittelt:»Magie jedenfalls... laut der Prophezeiung mü sstest du dich damit auskennen. Begabt mit der Magie des Raben schließ t G-Dur den Kreis, den zwö lf gebildet haben.«

»Das habe ich bis jetzt auch schon mehrfach gehö rt«, sagte ich.»Aber niemand konnte mir sagen, was die Magie des Raben eigentlich ist.«

»Der Rabe auf seinen rubinroten Schwingen, zwischen den Welten hö rt Tote er singen, kaum kennt er die Kraft, kaum kennt er den Preis; die Macht erhebt sich, es schließ t sich der Kreis...«

Ich zuckte mit den Schultern. Aus diesen Schü ttelreimen wurde doch keiner klug.

»Es ist nur eine Prophezeiung zweifelhafter Herkunft«, sagte der Graf.»Es muss nicht zwingend zutreffen.«Er lehnte sich zurü ck und verlor sich wieder darin, mich zu betrachten.»Erzä hl mir etwas von deinen Eltern und deinem Zuhause.«

»Meinen Eltern? «Ich war ein bisschen ü berrascht.»Da gibt es eigentlich nicht viel zu erzä hlen. Mein Vater ist gestorben, als ich sieben war, er hatte Leukä mie. Bis zu seiner Krankheit war er Dozent an der Universitä t von Durham. Dort haben wir gelebt, bis zu seinem Tod. Dann ist meine Mum mit meinen kleinen Geschwistern und mir nach London gezogen, ins Haus meiner Groß eltern. Wir leben dort zusammen mit meiner Tante und meiner Cousine und meiner Groß tante Maddy. Meine Mum arbeitet als Verwaltungsangestellte in einem Krankenhaus.«

»Und sie hat rote Haare, wie alle Montrose-Mä dchen, nicht wahr? Genau wie deine Geschwister, oder? «

»Ja, alle auß er mir sind rothaarig.«Warum fand er das denn so interessant?»Mein Vater hatte dunkle Haare.«

»Alle anderen Frauen im Kreis der Zwö lf sind rothaarig, wusstest du das? Bis vor gar nicht so langer Zeit reichte diese Haarfarbe in vielen Lä ndern aus, um jemanden als Hexe zu verbrennen. Zu allen Zeiten und in allen Kulturen haben die Menschen die Magie als gleichermaß en faszinierend wie bedrohlich empfunden. Das ist auch der Grund, warum ich mich so ausfü hrlich damit beschä ftigt habe. Was man kennt, muss man nicht fü rchten.«Er beugte sich vor und legte die Finger aneinander.»Mich persö nlich hat vor allem der Umgang der fernö stlichen Kulturen mit diesem Thema brennend interessiert. Auf meinen Reisen nach Indien und China habe ich das Glü ck gehabt, auf viele Lehrer zu treffen, die bereit waren, ihr Wissen weiterzugeben. Ich wurde in die Geheimnisse der Akasha-Chronik eingeweiht und lernte vieles, das das geistige Fassungsvermö gen der meisten westlichen Kulturen schlichtweg sprengen wü rde. Und was die Herren der Inquisition auch heutzutage noch zu unü berlegten Handlungen hinreiß en wü rde. Nichts fü rchtet die Kirche mehr, als wenn der Mensch erkennt, dass Gott nicht auß erhalb von uns im fernen Himmel sitzt und ü ber unser Schicksal bestimmt, sondern in uns drin.«Er sah mich prü fend an, dann lä chelte er.»Es ist immer wieder erfrischend, mit euch Kindern des 21. Jahrhunderts blasphemische Themen zu erö rtern. Ihr zuckt bei Hä resie nicht mit der kleinsten Wimper.«

Nö. Wahrscheinlich wü rden wir das nicht mal tun, wenn wir wü ssten, was Hä resie ist.

»Die asiatischen Meister sind uns auf dem Pfad der geistigen Entwicklung weit voraus«, sagte der Graf.»Manch kleine... Fä higkeit, wie die, die ich dir bei unserem letzten Treffen demonstrieren konnte, habe ich ebenfalls dort erworben. Mein Lehrmeister war ein Mö nch eines geheimen Ordens tief im Himalaja. Er und seine Mitbrü der dort kö nnen sich verstä ndigen, ohne ihre Stimmbä nder zu benutzen, und sie kö nnen ihre Feinde besiegen, ohne einen Finger rü hren zu mü ssen, so stark ist die Kraft ihres Geistes und ihrer Vorstellung.«

»Ja, das ist sicher nü tzlich«, sagte ich vorsichtig. Er sollte bloß nicht auf den Gedanken kommen, mir das Ganze noch einmal zeigen zu wollen.»Gestern Abend auf dieser Soiree habt Ihr diese Fä higkeit an Lord Alastair getestet, glaube ich.«

»Oh, die Soiree.«Er lä chelte wieder.»Von mir aus gesehen, wird sie erst morgen Abend stattfinden. Wie erfreulich, dass wir Lord Alastair dort auch wirklich treffen werden. Weiß er meine kleine Vorfü hrung denn zu schä tzen? «

»Er wirkt auf jeden Fall beeindruckt«, erwiderte ich.»Aber nicht wirklich eingeschü chtert. Er sagt, er wü rde dafü r sorgen, dass wir niemals geboren werden wü rden. Und irgendwas von Ausgeburten der Hö lle.«

»Ja, er hat einen bedauerlichen Hang zu unhö flichen Formulierungen«, sagte der Graf.»Allerdings kein Vergleich zu seinem Urahn, dem Conte di Madrone. Ich hä tte ihn damals tö ten sollen, als ich noch die Gelegenheit dazu harte. Aber ich war jung und hatte eine bedauernswert naive Einstellung... Nun, diesen Fehler mache ich kein zweites Mal. Auch wenn ich ihn nicht eigenhä ndig zur Strecke bringen kann: Die Tage des Lords sind gezä hlt, ganz gleich, wie viele Mä nner er zu seinem Schutz um sich versammelt und wie virtuos er mit seinem Degen umgehen mag. Wenn ich noch ein junger Mann wä re, wü rde ich ihn selber herausfordern. Nun aber kann das mein Nachkomme ü bernehmen. Gideons Fechtkü nste sind beachtlich. «

Bei der Erwä hnung von Gideons Namen wurde mir wie so oft ganz warm. Ich musste daran denken, was er vorhin gesagt hatte, und dabei wurde mir gleich noch ein bisschen wä rmer.

Unwillkü rlich sah ich mich zur Tü r um.»Wohin ist er eigentlich gegangen? «

»Er wird einen Ausflug machen«, sagte der Graf leichthin.»Die Zeit reicht gerade so, um einer lieben jungen Freundin von mir einem Nachmittagsbesuch abzustatten. Sie wohnt ganz in der Nä he, und wenn er die Kutsche nimmt, ist er in ein paar Minuten bei ihr.«

Wie bitte?

»Macht er das ö fter? «

Der Graf lä chelte wieder, ein warmes, freundliches Lä cheln, hinter dem aber etwas anderes lauerte, etwas, das ich nicht deuten konnte.»So lange kennt er sie noch nicht. Ich habe die beiden erst vor Kurzem einander vorgestellt. Sie ist eine kluge, junge und sehr attraktive Witwe und ich stehe auf dem Standpunkt, dass es einem jungen Mann nicht schaden kann, sich in der Gesellschaft einer erfahrenen Frau - nun, ein wenig aufzuhalten.«

Ich war unfä hig, darauf etwas zu erwidern, aber offensichtlich wurde das auch gar nicht von mir erwartet.

»Lavinia Rutland gehö rt zu den gesegneten Frauen, denen es Freude bereitet, ihre Erfahrungen weiterzugeben«, sagte der Graf.

Ja, in der Tat. So schä tzte ich sie auch ein. Ich starrte aufgebracht auf meine Hä nde, die sich von ganz allein zu Fä usten geballt hatten. Lavinia Rutland, die Dame im grü nen Kleid. Daher also diese Vertrautheit gestern Abend...

»Ich habe den Eindruck, diese Vorstellung behagt dir nicht«, sagte der Graf mit weicher Stimme.

Da hatte er wohl recht. Das behagte mir ganz und gar nicht. Ich schaffte es nur mit groß er Ü berwindung, dem Grafen wieder in die Augen zu schauen.

Er lä chelte immer noch dieses warme, freundliche Lä cheln.»Meine Kleine, es ist wichtig, frü h zu lernen, dass keine Frau irgendwelche Besitzansprü che auf einen Mann erheben kann. Frauen, die das tun, enden ungeliebt und einsam. Je klü ger eine Frau ist, desto frü her wird sie sich mit der Natur des Mannes arrangieren.«

Was fü r ein saudummes Geschwafel!

»Oh, aber natü rlich bist du noch sehr jung, nicht wahr? Mir scheint, viel jü nger als andere Mä dchen in deinem Alter. Wahrscheinlich bist du gerade zum allerersten Mal verliebt.«

»Nein«, murmelte ich.

Doch. Doch! Zum allerersten Mal auf jeden Fall fü hlte es sich so an. So berauschend. So existentiell. So einzigartig. So schmerzlich. So sü ß.

Der Graf lachte leise.»Kein Grund, sich schä men. Ich wä re enttä uscht, wenn es anders wä re.«

Das Gleiche hatte er auch auf der Soiree gesagt, als ich wegen Gideons Geigenspiel in Trä nen ausgebrochen war.

»Im Grunde ist es ganz simpel: Eine Frau, die liebt, wü rde, ohne zu zö gern, fü r ihren Liebsten sterben«, sagte der Graf.»Wü rdest du fü r Gideon dein Leben geben? «

Am liebsten nicht.»Darü ber habe ich noch nicht nachgedacht«, sagte ich verwirrt.

Der Graf seufzte.»Bedauerlicherweise - und dank der fragwü rdigen Protektion deiner Mutter - hattet ihr noch nicht allzu viel Zeit miteinander, du und Gideon, aber ich bin jetzt schon beeindruckt, wie gut er seine Sache gemacht hat. Die Liebe leuchtet dir ja fö rmlich aus den Augen. Die Liebe - und die Eifersucht! «

Welche Sache?

»Nichts ist leichter zu berechnen als die Reaktion einer verliebten Frau. Niemand ist leichter zu kontrollieren als eine Frau, die von ihren Gefü hlen fü r den Mann bestimmt wird«, fuhr der Graf fort.»Das habe ich Gideon bereits bei unserem ersten Treffen erklä rt. Natü rlich tut es mir ein bisschen leid, dass er so viel Energie auf deine Cousine verschwendet hat - wie heiß t sie noch gleich? Charlotte? «

Jetzt starrte ich ihn an. Aus irgendeinem Grund dachte ich an Tante Maddys Vision und das Herz aus Rubin, das auf einem Felsenvorsprung am Abgrund lag. Am liebsten hä tte ich mir die Ohren zugehalten, nur um die sanfte Stimme nicht mehr hö ren zu mü ssen.

»Er ist in dieser Hinsicht auf jeden Fall deutlich raffinierter, als ich in seinem Alter war«, sagte der Graf.»Und man muss ihm zugestehen, dass er von der Natur mit reichlich Vorteilen ausgestattet wurde. Was fü r ein Adonis-Kö rper! Was fü r ein schö nes Gesicht, welche Anmut, welche Begabung! Wahrscheinlich muss er ohnehin kaum etwas tun, damit die Mä dchenherzen ihm zufliegen. Der Lö we brü llt in Fis-Dur, die Mä hne purer Diamant, multiplicatio, die Sonne gebannt...«

Die Wahrheit traf mich wie ein Schlag in den Magen. Alles, was Gideon getan hatte, seine Berü hrungen, seine Gesten, seine Kü sse, seine Worte, all das hatte lediglich dazu gedient, mich zu manipulieren. Damit ich mich in ihn verliebte, so wie vorher Charlotte. Damit wir leichter zu kontrollieren waren.

Und der Graf hatte so recht: Besonders viel hatte Gideon gar nicht tun mü ssen. Mein dummes kleines Mä dchenherz war ihm von ganz allein zugeflogen und vor seine Fü ß e gefallen.

Vor meinem inneren Auge sah ich den Lö wen auf das Rubinherz am Abgrund zugehen und es mit einem einzigen Tatzenhieb beiseite fegen. In Zeitlupe fiel es hinab, schlug tief unten am Boden der Schlucht auf und zersprang in tausend winzig kleine Blutströ pfchen.

»Hast du ihn schon einmal auf der Violine spielen gehö rt? Wenn nicht, werde ich dafü r sorgen - nichts ist besser geeignet, ein Frauenherz zu erobern, als die Musik.«Der Graf blickte trä umerisch an die Decke.»Das war auch ein Trick von Casanova. Musik und Dichtung.«

Ich wü rde sterben. Ich fü hlte es genau. Dort, wo vorhin noch mein Herz gewesen war, breitete sich nun eisige Kä lte aus. Sie sickerte in meinen Magen, die Beine, Fü ß e, Arme, Hä nde und ganz zum Schluss in meinen Kopf. Wie in einem Filmtrailer liefen die Ereignisse der vergangenen Tage vor meinem inneren Auge ab, unterlegt mit den Klä ngen von The winner takes it all: Vom ersten Kuss in diesem Beichtstuhl bis zu seiner Liebeserklä rung vorhin im Keller. Alles eine groß angelegte Manipulation - bis auf wenige Unterbrechungen, in denen er wahrscheinlich ganz er selber gewesen war - perfekt gemacht. Und diese verdammte Violine hatte mir den Rest gegeben.

Obwohl ich spä ter versuchte, es mir in Erinnerung zu rufen, wusste ich hinterher nicht mehr genau, worü ber der Graf und ich gesprochen hatten, denn seit die Kä lte von mir Besitz ergriffen hatte, war mir alles egal. Das Gute war, dass der Graf den Groß teil unseres Gesprä ches selber bestritt. Mit seiner weichen, angenehmen Stimme erzä hlte er mir von seiner Kindheit in der Toskana, vom Makel seiner unehelichen Abstammung, von den Schwierigkeiten, seinen leiblichen Vater aufzuspü ren, und davon, wie er sich schon als Junge mit den Geheimnissen des Chronografen und der Prophezeiungen beschä ftigt hatte. Ich versuchte wirklich zuzuhö ren, schon weil ich wusste, dass ich Leslie jedes Wort wü rde wiedergeben mü ssen, aber es half nichts, meine Gedanken kreisten immer nur um meine eigene Dummheit. Und ich sehnte mich danach, allein zu sein, um endlich weinen zu kö nnen.

»Marquis? «Der mü rrische Sekretä r hatte angeklopft und die Tü r geö ffnet.»Die Delegation des Erzbischofs ist hier.«

»Oh, das ist gut«, sagte der Graf, erhob sich und zwinkerte mir zu.»Politik! In diesen Zeiten wird sie immer noch auch von der Kirche bestimmt.«

Ich rappelte mich ebenfalls hoch und machte eine Reverenz.

»Es war mir eine Freude, mit dir zu sprechen«, sagte der Graf.»Und ich bin jetzt schon gespannt auf unser nä chstes Treffen.«

Ich murmelte irgendetwas Zustimmendes.

»Bitte entrichte Gideon meine Empfehlungen und mein Bedauern darü ber, dass ich ihn heute nicht empfangen habe.«Der Graf nahm seinen Stock und ging zur Tü r.»Und wenn du einen Rat von mir willst: Eine kluge Frau versteht es, ihre Eifersucht zu verbergen. Wir Mä nner fü hlen uns sonst immer gar so sicher...«Ein letztes Mal hö rte ich das leise, weiche Lachen, dann war ich allein. Allerdings nicht lange, denn nach ein paar Minuten kam der mü rrische Sekretä r zurü ck und sagte:»Wenn Ihr mir bitte folgen wollt.«

Ich hatte mich wieder auf den Sessel sinken lassen und mit geschlossenen Augen auf die Trä nen gewartet, aber die wollten nicht kommen. Was vielleicht auch besser war. Stumm folgte ich dem Sekretä r wieder die Treppe hinunter, wo wir eine Weile einfach nur so herumstanden (ich dachte immer noch, dass ich umfallen und sterben wü rde), bis der Mann einen besorgten Blick auf die Wanduhr warf und sagte:»Er kommt zu spä t.«

In diesem Augenblick ö ffnete sich die Tü r und Gideon betrat den Gang. Mein Herz vergaß fü r einen Moment, dass es eigentlich bereits zerschmettert auf dem Grund einer Schlucht lag, und klopfte ein paar schnelle Schlä ge lang in meiner Brust. Die Kä lte in meinem Kö rper wurde von wilder Sorge verdrä ngt. Den derangierten Zustand von Gideons Kleidung, seine zerzausten, verschwitzten Haare, die gerö teten Wangen und seine beinahe fiebrig leuchtenden grü nen Augen hä tte ich mö glicherweise noch Lady Lavinia in die Schuhe geschoben, aber da war ein tiefer Riss in seinem Ä rmel und die Spitzenbesä tze an der Brust und den Handgelenken waren blutgeträ nkt.


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