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Das mit den Steinen und dem Roll-Laden war nur der Anfang






Yildiz hatte Angst, dass die drei Glatzkö pfe plö tzlich wie-der auftauchen kö nnten. Naturlich wusste sie, dass in den vergangenen Monaten immer wieder Deutsche gegen AUSLÄ NDER vorgegangen waren, dass sie sogar ihre Hä user angezű ndet hatten. Sie hatte die Bilder im Fernsehen gesehen. Aber sie hatte sich nicht besonders dafű r interessiert. Uns kann so etwas nicht passieren. Wir leben schon so lange hier. Wir gehö ren hierher, hatte sie gedacht. Aber sie wusste auch, dass Murat mit seinen Freunden nachts Plakate an Hauswä nde klebte und mit ihnen zu Demos fuhr. Murats Freunde waren alle Auslä nder, sogar Araber waren unter ihnen. Den Eltern gefiel es gar nicht, dass ihr Sohn bei solchen Aktionen mitmachte. Aber dann schrie Murat zurű ck: „Wir lassen uns nichts gefallen. Wenn man uns angreift, schlagen wir zurű ck! " Neben dem Laden im Erdgeschoss war auch ein kleines Bű ro. Das war Fatma Toluks Reich. Dort schrieb sie ihre Briefe und Abrechnungen, telefonierte mit der Markthalle oder mit ihren Kunden. Seit kurzem stand sogar ein Computer auf ihrem Schreibtisch. Und weil Fatma anfangs mit dem neuen Gerä t nicht zurecht kam, besuchte sie einen Kursus. Das war allein ihre Idee. Mit dem Computer konnte sie alle Informationen sammeln, die fű r das Geschä ft wichtig waren. So half sie ihrem Mann zum Beispiel, preiswert einzukaufen. Serdal Toluk war stolz auf seine Frau, auch wenn er es nicht sagte.

Als Ulrike und Markus nach dem Kratzer an ihrem Hals fragten, hatte sich Yildiz auch fur sie etwas ausgedacht:

„Ich bin am Lenkrad hä ngen geblieben, als ich das Fahr-rad in den Keller gebracht habe. Kein Problem." Wie gut sie schon lű gen konnte! Bisher hatte sie noch nie gelogen, aber jetzt schon das zweite Mai wegen dieser Wunde.

Als Yildiz nach Hause kam, sah sie, dass ihre Mutter geweint hatte. „Was ist los? "

„Dein Vater ist verrű ckt. Er will zur Polizei gehen. Zur Polizei! " Die Mutter konnte sich nicht beruhigen. Sie weinte und schimpfte gleichzeitig. Erst nach und nach ver-stand Yildiz, warum sie so aufgeregt war. In der Nacht hatte jemand den Lieferwagen mit Hakenkreuzen beschmiert und alle vier Reifen durchgestochen. Dabei parkte der Vater den Wagen schon lange nicht mehr auf der Strasse, sondern auf dem kleinen Hof hinter dem Haus.

„Hakenkreuze, Yih! An unserem Auto! Wer macht so was? Wir haben doch niemandem etwas getan. Und dein Vater will zur Polizei gehen. Die kö nnen uns doch nicht helfen, aber wir stehen dann in ihrer Kartei. Wie Verbre-cher! "

Yildiz dachte: Das ist kein Zufall mehr. Sie sagte aber, so ruhig wie mö glich: „Mama, beruhige dich doch. Sie finden die Tater." Fatma Toluk aber schluchzte weiter: „Das geht bestimmt gegen uns. Was kö nnen wir denn dagegen tun? Wir haben doch keine Rechte in diesem Land. Am Ende zű nden sie uns noch das Haus ű ber dem Kopf an." „Dreh jetzt nicht durch", beruhigte Yildiz ihre Mutter. „Das glaubst du doch selbst nicht."

Auf dem Kuchentisch lag die Zeitung mit den lokalen Nachrichten. Yildiz starrte auf die Ű berschrift: UNBEKANNTE SKINS WARFEN STEINE. Schnell ű berflog Yildiz die Zeilen: „... drei Jugendliche... vorher schon am Bahnhof randaliert... ein unbekanntes dunkelhaariges Mä dchen in der Kaiserstrasse..." Die Buchstaben und Sä tze verschwammen vor Yildiz' Augen. Sie zitterte und legte die Zeitung auf den Tisch zurű ck.

„Hier, lies das nur! " Die Mutter tippte mit dem Zeigefinger heftig auf die Zeitung. „Steine auf Menschen! In der Kaiserstrasse, zehn Minuten von uns. Und dann das heute Nacht! Ich kann nicht mehr. Yih, ich will weg von hier! " Langsam begriff Yildiz, was die Mutter damit meinte. Sie wollte zurű ck, zurű ck in die Tű rkei, wo sie geboren wor-den war und wo ihre Verwandten lebten. „Mama, das ist doch nicht dein Ernst! ", sagte Yildiz leise. „Ich gehe doch hier in die Schule. Ich spreche nicht gut Tű rkisch. Was soil ich in der Tű rkei? " Und sie dachte: Mama darf nie erfahren, was mir passiert ist. Niemals! Und Murat auch nicht. Der raft seine Freun-de zusammen. Und dann fliesst Blut.

 

 


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