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Die Zeit der Heimlichkeiten ist vorbei






Yildiz war plö tzlich der Mittelpunkt in der Klasse. „Pri-ma, dass du noch hier bleibst! " Sie hatte weiche Knie gehabt, als sie nach den Sommerferien wieder in ihre Schule gegangen war, weil sie Angst vor den Fragen gehabt hatte, die man ihr stellen wű rde. Ű ber die Prozesse gegen die Skinheads und ihren Bruder war in den Zeitungen berich-tet worden. Ihr Name kam nirgendwo vor, aber dass es um sie ging, konnten sich alle denken. Ihre Klassenlehre-rin nahm ihr die Angst. Gleich in der ersten Stunde infor-mierte sie alle sehr sachlich. Anschliessend konnte jeder sagen, was er dazu dachte. Auch Yildiz. Sie sprach zum Schluss der Stunde. „Ich habe daraus gelernt, dass es falsch ist zu schweigen. Die anderen denken dann, dass denen, die sich alles gefallen lassen, ganz recht geschieht. Es ist mir nicht leicht gefallen, mit euch darű ber zu reden. Fragt mich jetzt nicht noch weiter aus. Und Mitleid will ich auch nicht. Das war's."

Markus hatte sich einfach neben sie gesetzt. Auch andere aus der Klasse hatten zum neuen Schuljahr die Platze ge-wechselt. Sie wollten zeigen, wer jetzt zusammengehö rte. Sie wurden langsam erwachsen.

Als Yildiz am ersten Schultag nach dem Unterricht die Klasse verlassen wollte, ging sie vorher noch einmal zu ihrer Klassenlehrerin. „Tesş ekkű r, Frau Merkel." Jutta Merkel schaute auf. „Was heifk das, Yildiz? " „Das heisst danke, auf Tű rkisch.

Auch mit ihrem Vater sprach Yildiz jetzt mehr Tű rkisch, wenn sie ihn im Krankenhaus besuchte. Er machte sich grosse Sorgen, wie es weitergehen sollte. „Hö r auf damit, Papa. Mama macht das alles prima. Hat sie dich angeru-fen? Aus Amasya? "

„Ja, aber ich konnte sie mcht gut verstehen. Die Verbin-dung war so schlecht. Gibt's was Neues? " Yildiz erzä hlte lhrem Vater vom ersten Schultag nach den Sommerferien. Dann legte sie ihm einen Brief von Murat hin. „Die Arslans lassen dein Ladenschild dran, bis wir endgű ltig weggehen. Mit der Wohnung ist auch alles in Ordnung. Es geht, wenn wir alle ein bisschen zusammen-rű cken."

„Ihr braucht mich ja gar nicht mehr", meinte Serdal Toluk. Seine Stimme war noch leise und klang mű de. Aber seine Augen glanzten, wenn Yildiz ihm von dem Haus in Amasya erzä hlte. „Im nachsten Sommer kö nnen wir einziehen."

Serdal Toluk las immer wieder Murats Brief. Plö tzlich fragte er seine Tochter ganz leise: „Und du, Yih, kleiner Stern? Bist du nicht traung, wenn wir fű r immer von hier weggehen? Vielleicht denkst du, dass dein Vater nicht gut fű r dich gesorgt hat? "

„Bestimmt nicht, Papa", antwortete Yildiz. „Wir werden alle mithelfen und uns ein neues Zuhause schaffen. Du musst nicht immer die ganze Verantwortung tragen."

Es ist Sonntag. Vor einem Jahr haben die Skins sie ű berfallen. Yildiz hatte zunachst Angst vor diesem Tag. Doch dann dachte sie: Es ist vorbei, ein fű r alle Mai!

Sie sitzt mit der Mutter beim Frhű stű ck. Ihr Vater ist zur Kur und die Arslans rä umen den Laden auf. Plö tzlich steht Markus mit einem Rosenstrauss in der Kuchentvir.

„Was ist denn mit dir los? ", fragt Yildiz erstaunt. Markus wickelt vorsichtig das Papier von den Rosen. „Ich wollte dir eine Freude machen. Jetzt ist das alles vorbei und ich habe gedacht - heute vor einem Jahr..."

Fatma Toluk reisst ihm den Rosenstrauss aus der Hand, wirft ihn auf den Boden und schreit Markus wű tend an:

„Du bist wohl verrű ckt geworden? Alles vorbei! Mein Mann hat einen Herzinfarkt gehabt, Murat sitzt im Gefangnis und Yildiz..."

„Mama! " Yildiz unterbricht ihre Mutter und hebt die Blumen auf.

„Mark hat es doch nur gut gemeint."

Fatma schű ttelt den Kopf. „Mama", bittet Yildiz leise. Da gibt Fatma ihm die Hand und sagt: „Entschuldige, Markus, aber ich kann nicht so einfach vergessen." Yildiz zieht Markus aus der Kű che und die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Markus ist verlegen. „Ich wollte dir einfach nur eine Freude machen, Yih."

Yildiz legt ihm den Finger auf den Mund. „Ich freu mich doch, Mark."

Sie stellt die Rosen in eine Vase und holt Wasser. Als sie zurű ckkommt, nimmt Markus sie in den Arm. „Ich bin doch nur so froh, dass du noch da bist. Stell dir vor, ich mű sste dir jetzt lange Briefe schreiben und mein ganzes Taschengeld fű r's Telefonieren ausgeben." Yildiz lacht. Markus ist ein so grosser Junge und ein so kleines Kind. Sie nimmt seinen Kopf in beide Hande und kű sst ihn. Mitten auf den Mund.

 

 


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